Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Aussetzung des Verfahrens. Vorgreiflichkeit
Orientierungssatz
1. Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Ermessensvorschrift des § 114 Abs 2 S 1 SGG muss dargetan werden, dass grundsätzlich eingeräumtes Ermessen im besonderen Streitfall auf Null reduziert und das Gericht zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet war (vgl BSG vom 13.11.2006 - B 13 R 423/06 B und vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Damit können Ermessensfehler als solche von vornherein keine Rolle spielen.
2. Das Ermessen reduziert sich nur dann zu einer Verpflichtung zur Aussetzung, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist (vgl BVerwG vom 17.12.1992 - 4 B 247/92 = Buchholz 310 § 94 VwGO Nr 6).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 114 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
SG Berlin (Gerichtsbescheid vom 24.11.2010; Aktenzeichen S 160 AS 15678/10) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 10.08.2011; Aktenzeichen L 18 AS 2360/10) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. August 2011 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil sowie die Revision werden als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger hat im Berufungsverfahren beantragt:
1. die Deckung eines unabweisbaren Bedarfs durch Leistungen nach § 23 Abs 1 SGB II bzw eines nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG,
2. eine rechtskonforme, das Eingliederungskonzept berücksichtigende Eingliederungsvereinbarung,
3. einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt, falls die Eingliederungsvereinbarung nach Ziff 2 nicht zu Stande kommt, mit dem Leistungsversprechen des Beklagten, die Bewerbungskosten zu erstatten und Leistungen nach § 16 Abs 1 SGB II iVm §§ 45, 46 SGB III zu erbringen,
4. die Feststellung, dass es rechtswidrig ist, wenn der Beklagte mit dem Kläger keine Eingliederungsvereinbarung nach Ziff 2 mit dem Inhalt nach Ziff 3 abschließt,
5. eine Zahlungsregelung in der Eingliederungsvereinbarung zur Deckung der Aufwendungen durch Bewerbungskosten, die eine Belastung der Regelleistung durch diese Kosten verhindert,
6. ihm 850 Euro für Eingliederungsleistungen zur Verfügung zu stellen,
7. festzustellen, dass sein Verhalten nicht unwirtschaftlich ist und
8. Verstöße gegen Art 1 iVm Art 20 Abs 1 GG, gegen das Willkürverbot aus Art 3 Abs 1 GG, den effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs 4 GG und das Rechtsstaatsgebot aus Art 20 Abs 3 GG festzustellen.
Das LSG hat die Berufung des Klägers zu den Anträgen 1 sowie 5 bis 8 zurückgewiesen, weil es bereits die Klage aus unterschiedlichen Gründen als unzulässig gewertet hat. Hinsichtlich der Anträge zu 2 bis 4 hat es die Berufung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG als unbegründet zurückgewiesen (Urteil vom 10.8.2011).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts und die Aussetzung des Verfahrens wegen der Vorgreiflichkeit einer Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über seine Erwerbsfähigkeit beantragt.
II. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und der damit verbundene Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Gemäß § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 ZPO kann PKH nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier.
Es sind unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers sowie des Akteninhalts keine Gründe für eine Zulassung der Revision ersichtlich. Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), wenn das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache ist nicht gegeben.
Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Soweit das LSG durch Prozessurteil entschieden hat, stellen sich hier Rechtsfragen grundsätzlicher Art nicht. Über einen Rechtsanspruch auf Verhandlungen über eine Eingliederungsvereinbarung hat der erkennende Senat bereits durch Urteil vom 22.9.2009 (B 4 AS 13/09 R, SozR 4-4200 § 15 Nr 1) entschieden. Der vorliegende Sachverhalt bietet keine Grundlage für eine erneute oder andere Entscheidung des Senats.
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sind nicht gegeben.
Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, einen Verfahrensfehler des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) darzulegen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit der Kläger mit seinem "Aussetzungsantrag" zu erkennen geben will, bereits das LSG habe das Verfahren wegen "Vorgreiflichkeit" ermessensfehlerhaft nicht ausgesetzt, ist nicht zu erkennen, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, das Vorliegen eines Verfahrensfehlers insoweit zu begründen. Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Ermessensvorschrift des § 114 Abs 2 Satz 1 SGG muss dargetan werden, dass grundsätzlich eingeräumtes Ermessen im besonderen Streitfall auf Null reduziert und das Gericht zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet war (vgl BSG vom 13.11.2006 - B 13 R 423/06 B; BSG 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B). Damit können Ermessensfehler als solche von vornherein keine Rolle spielen. Das Ermessen reduziert sich zudem nur dann zu einer Verpflichtung zur Aussetzung, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist (vgl BVerwG vom 17.12.1992 - 4 B 247/92 = Buchholz 310 § 94 VwGO Nr 6). Das ist hier nicht der Fall, denn das LSG hat ohne erkennbaren Verfahrensfehler über einen Teil der Anträge durch Prozess- anstatt Sachurteil entschieden und im Übrigen den geltend gemachten Anspruch des Klägers unter Hinweis auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats verneint.
Da dem Kläger PKH nicht zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.
Die Nichtzulassungsbeschwerde war ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger insoweit nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) vertreten war (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG). Bereits aus diesem Grunde käme auch eine Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs 2 Satz 1 SGG über die Nichtzulassungsbeschwerde durch den erkennenden Senat nicht in Betracht.
Die Revision des Klägers ist nicht statthaft und schon deswegen nach § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Nach § 160 Abs 1 SGG steht den Beteiligten ein Rechtsmittel gegen ein Urteil des LSG nur zu, wenn sie zugelassen ist. Das LSG hat sie in seinem Urteil ausdrücklich nicht zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen