Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

 

Orientierungssatz

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, wenn der Beschwerdeführer die für eine Gleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale ebenso darlegt, wie die Gesichtspunkte, die unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung eine Ableitung von Leistungsansprüchen aus Art 12 GG rechtfertigen.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3; GG Art 12 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 31.07.1990; Aktenzeichen L 6 Ar 25/90)

 

Gründe

Wegen Versäumung der Begründungsfrist war dem Kläger Wiedereinsetzung nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu gewähren. Der Antrag auf Fristverlängerung war binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt und die versäumte Rechtshandlung in dieser Zeit auch nachgeholt. Angesichts der glaubhaft gemachten Gründe für die Versäumung der Frist war dem Kläger ein Verschulden nicht anzulasten.

Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde entspricht jedoch nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten gesetzlichen Form. Sie war deshalb entsprechend den §§ 169, 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Zwar weist der Beschwerdeführer auf zwei Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG aufgeführt sind. Er behauptet, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Die behaupteten Zulassungsgründe sind aber nicht so dargelegt und bezeichnet, wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Nach ständiger Rechtsprechung müssen Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden: Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Eine vorschriftsmäßig begründete Verfahrensrüge liegt nur dann vor, wenn die sie begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sind und in sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Diese Erfordernisse betreffen die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48).

Die Beschwerde ist in diesem Sinne nicht formgerecht begründet. Einen Verfahrensverstoß hat der Kläger überhaupt nicht bezeichnet, vielmehr als Verfahrensfehler Verstöße gegen materielles Verfassungsrecht, nämlich gegen das Recht der Berufsfreiheit und das Recht auf Gleichbehandlung, gerügt. Inwiefern diese verfassungsrechtlichen Normen Einfluß auf den Gang des Verfahrens haben können, ist nicht dargelegt.

Auch wenn man die in der Beschwerde geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken in Zusammenhang bringt mit der als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Frage, "ob die Bundesanstalt für Arbeit verpflichtet sei, bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Maßnahme zur Umschulung bei Bedürftigkeit auch Unterhalt zu gewähren," so vermag zwar die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungs- widrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu rechtfertigen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 17). Es ist dann jedoch zu verlangen, daß der Beschwerdeführer die für eine Gleichbehandlung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale ebenso darlegt, wie die Gesichtspunkte, die unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung eine Ableitung von Leistungsansprüchen aus Art 12 Grundgesetz rechtfertigen. Diese ins einzelne gehenden Darlegungen sind insbesondere dann zu erwarten, wenn die Rechtsfrage an sich unmittelbar aus dem Gesetz zu beantworten ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1). So ist es aber hier, weil Leistungsansprüche nach § 31 Sozialgesetzbuch I einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, die - wie von den Vorinstanzen zutreffend dargelegt und vom Kläger auch nicht bestritten - für die vom Kläger begehrte Leistung fehlt. Die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage kann jedenfalls nicht allein mit der nicht näher erläuterten und dem Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Auslegung dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 59). Die gesteigerten Anforderungen an die Begründungspflicht, die auch verfassungsrechtlich gebilligt worden sind (vgl BVerfG in SozR 1500 § 160a Nrn 44 und 45), hätten es geboten, das begehrte Unterhaltsgeld nicht als eine von der Bedürftigkeit abhängige Sozialleistung zu qualifizieren, sondern entsprechend der Systematik des Gesetzes als eine Versicherungsleistung, die grundsätzlich die Erfüllung einer Anwartschaft voraussetzt. Allein mit sozialpolitischen Forderungen ist eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig zu begründen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651245

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