Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Leistungen des ambulant betreuten Wohnens. Schuldbeitritt. Sozialhilfeträger. Einrichtung. Ambulanter Dienst
Leitsatz (redaktionell)
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
2. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung dargelegt werden.
3. Ist eine Entscheidung des Berufungsgerichts mehrfach begründet, so kann die Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Klärungsfähigkeit und Zulassung der Revision führen, wenn für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund erfolgreich geltend gemacht wird.
Normenkette
SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 75 Abs. 4, §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 4 S. 1, § 169 S. 3; ZPO §§ 114, 121; SGB XII §§ 53, 75
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerden des Klägers und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 2018 werden als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt K., K., beizuordnen, wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit sind Leistungen der Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens.
Den Antrag des 1970 geborenen Klägers, Kosten für Leistungen des ambulant betreuten Wohnens durch die Beigeladenen zu übernehmen (wöchentlich zwei Fachleistungsstunden), lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 26.3.2014; Widerspruchsbescheid vom 22.10.2014). Das Klageverfahren ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Köln vom 26.2.2016; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 18.10.2018).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger einen Verfahrensmangel (Verstoß gegen den Grundsatz der Amtsermittlung, § 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und eine grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend und beantragt zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt K. Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob eine Eintrittspflicht des Sozialhilfeträgers mittels Schuldbeitritt innerhalb des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses auch dann bestehen könne, wenn eine (schriftlich) zivilrechtliche Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungsträger aufgrund fehlerhafter vertraglicher Vereinbarungen nicht wirksam vereinbart worden sei, obwohl bei Abschluss der (mangelhaften) Vereinbarung dem Leistungserbringer als auch dem Hilfeempfänger bewusst gewesen sei, dass es sich um entgeltliche Leistungen handle und nicht um kostenfreie, unentgeltliche Leistungen. Die Feststellung des LSG, wonach jede Übernahme der Kosten durch den Sozialhilfeträger zwingend eine zivilrechtliche Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungsträger voraussetze, lasse die Regelung des § 75 Abs 4 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) außer Betracht, wonach Leistungen bei fehlenden Vereinbarungen (nur) zu erbringen seien, wenn sie erforderlich seien. Was für das Verhältnis des Leistungserbringers zum Sozialhilfeträger gelte, müsse auf das Verhältnis des Leistungsberechtigten zum Sozialhilfeträger übertragen werden.
Auch die Beigeladenen machen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob es für eine Kostenübernahme des Sozialhilfeträgers nach § 75 Abs 3 SGB XII erforderlich sei, dass zwischen dem Leistungserbringer und dem Leistungsberechtigten ein privatrechtlicher Vertrag mit einer ausdrücklichen Vergütungsregelung geschlossen werde.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerden des Klägers und der Beigeladenen sind unzulässig. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerden ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger formuliert zwar eine konkrete Rechtsfrage, legt aber ihre Klärungsfähigkeit im vorliegenden Verfahren nicht hinreichend dar. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).
Daran fehlt es hier. Der Kläger geht selbst davon aus, dass die Gewährung von Leistungen des ambulant betreuten Wohnens durch Schuldbeitritt erfolgt, zeigt aber nicht auf, welcher Schuld des Klägers der Beklagte überhaupt beitreten soll, wenn eine Zahlungsverpflichtung des Klägers gar "nicht wirksam vereinbart" wurde. Soweit er in diesem Zusammenhang geltend macht, das LSG habe die "Ausnahmevorschrift" des § 75 Abs 4 SGB XII unberücksichtigt gelassen, zeigt er nicht auf, dass die im Verhältnis zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtung bzw ambulantem Dienst geltenden Vorschrift auch eine Schuld des Klägers gegenüber den Beigeladenen begründen könnte. Hierzu trägt er, wovon nach seinen eigenen Angaben auch das LSG ausgegangen ist, nur vor, dass das Vertragsrecht der §§ 75 ff SGB XII die im Erfüllungsverhältnis geschlossenen Verträge beeinflusse, weil diese den Vereinbarungen zwischen Einrichtung und Sozialhilfeträger entsprechen müssten, was auch auf die Fälle des § 75 Abs 4 SGB XII zu übertragen sei. Weshalb sich aus dieser sicher richtigen Feststellung aber eine Schuld des Klägers gegenüber den Beigeladenen ergeben soll, ist nicht nachvollziehbar, zumal § 75 Abs 4 SGB XII zwar von einem vertragslosen Zustand zwischen Einrichtung und Sozialhilfeträger ausgeht, nicht aber zwischen Einrichtung und Hilfebedürftigem. Zudem hat das LSG seine klagabweisende Entscheidung nicht nur darauf gestützt, dass es an einer vertraglichen Verpflichtung des Klägers zur Zahlung gegenüber den Beigeladenen fehle und damit an einer Schuld, der der Beklagte beizutreten hätte; vielmehr hat das LSG seine Entscheidung tragend auch damit begründet, dass der Kläger zum einen nicht zum leistungsberechtigten Personenkreis der §§ 53 ff SGB XII zähle, weil er nicht wesentlich behindert sei und zum anderen die gewährten Leistungen des ambulant betreuten Wohnens nicht notwendig gewesen seien. Ist aber eine Entscheidung des Berufungsgerichts mehrfach begründet, so kann die Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Klärungsfähigkeit und Zulassung der Revision führen, wenn für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund erfolgreich geltend gemacht wird (vgl BSG vom 27.7.2006 - B 7a AL 52/06 B - vom 5.12.2007 - B 11a AL 112/07 B - und vom 22.4.2010 - B 1 KR 145/09 B). Daran fehlt es hinsichtlich der weiteren tragenden Begründung der LSG-Entscheidung gänzlich.
Die Begründung der Beschwerde genügt auch nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es hier.
Soweit der Kläger geltend macht, das LSG habe das wirksame Zustandekommen eines entgeltlichen Vertrags zwischen ihm und den Beigeladenen unter Verkennung seines entsprechenden Rechtsbindungswillens verneint, weil dem Betreuungsvertrag nach dem Empfängerhorizont eine Vergütungspflicht zu entnehmen sei, erhebt er die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), mit dem er aber ausgeschlossen ist. Soweit er einen Verstoß gegen § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) rügt, trägt er schon nicht vor, einen Beweisantrag gestellt zu haben, räumt vielmehr das Gegenteil ein.
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist folglich abzulehnen. Denn PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es - wie ausgeführt - hier. Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Die Beschwerden der Beigeladenen sind ebenfalls zu verwerfen, denn es fehlt schon gänzlich an Ausführungen dazu, warum ihre Beschwerden überhaupt zulässig sein sollen, sie also durch die Abweisung der Klage des Klägers in eigenen subjektiven Rechten verletzt sind. Das gesetzliche Regelungskonzept der §§ 75 ff SGB XII geht zwar davon aus, dass der Sozialhilfeträger die ihm obliegende Leistung nicht als Geldleistung an den jeweiligen Hilfeempfänger erbringt, um diesem die Zahlung des vertraglichen Entgelts aus dem Vertrag über die Erbringung von Leistungen zu ermöglichen, sondern dass die Zahlung direkt an den Leistungserbringer erfolgt. Der Sozialhilfeträger übernimmt in diesem Zusammenhang aber letztlich nur die Vergütung, die der Hilfeempfänger vertraglich dem Leistungserbringer schuldet und tritt damit (lediglich) einer bestehenden zivilrechtlichen Schuld des Hilfebedürftigen gegenüber dem Leistungserbringer (als Gesamtschuldner) bei. Deshalb hat der Leistungserbringer vor der Bewilligung weder eine eigene Rechtsposition noch kann er nach Erklärung des Schuldbeitritts aus eigenem Recht vom Sozialhilfeträger mehr als das von diesem dem Hilfeempfänger Bewilligte verlangen. Die Beigeladenen hätten also zunächst darlegen müssen, auf welcher Grundlage verfahrensrechtlich die eigenständige Verfolgung eines Rechtsanspruchs auf Bewilligung von Leistungen durch sie als Leistungserbringer in Betracht kommt (vgl dazu inzwischen auch Senatsurteil vom 6.12.2018 - B 8 SO 9/18 R; Terminbericht vom 6.12.2018 in dieser Sache).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13124898 |