Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. soziales Entschädigungsrecht. Entschädigung für psychische Auswirkungen einer schweren Gewalttat beim Sekundäropfer. Unmittelbarkeitszusammenhang. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
Auf der Grundlage von § 1 Abs 1 S 1 OEG werden auch sog "Sekundäropfer" geschützt, und zwar auch solche Personen, deren Schädigung und Schädigungsfolgen psychischer Natur sind (vgl BSG vom 10.12.2002 - B 9 VG 7/01 R = BSGE 90, 190 = SozR 3-3800 § 1 Nr 23). Danach werden im Ergebnis die psychischen Auswirkungen einer schweren Gewalttat als mit dieser so unmittelbar verbunden betrachtet, dass beide eine natürliche Einheit bilden.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs 2 Nr. 1; OEG § 1 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. März 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keinerlei Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit Urteil vom 28.3.2017 hat das Bayerische LSG einen Anspruch der Klägerin auf eine Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit wegen zweier Gewalttaten vom 30.11.2010 und 15.6.2011 verneint. Als weitere Schädigungsfolge der Gewalttaten vom 30.11.2010 und 15.6.2011 sei eine posttraumatische Belastungsstörung nicht anzuerkennen, der Beklagte habe zu Recht als Schädigungsfolge iS des § 1 OEG Kopfschmerzen und diesbezüglich einen Anspruch auf Heilbehandlung anerkannt, die Zahlung einer Versorgungsrente und die begehrte Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Schockschadens aber abgelehnt. Die Klägerin sei insoweit weder als vom Schutzbereich des OEG erfasstes sog Sekundäropfer anzusehen noch stehe zur Überzeugung des Senats fest, dass sie durch die Kenntniserlangung von der zum Nachteil ihres Sohnes verübten Gewalttat am 30.11.2010 einen Schock erlitten habe. Mangels Vorliegens dauerhafter Gesundheitsstörungen könne auch kein GdS festgestellt werden, sodass auch eine Erhöhung eines solchen wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 30 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz nicht in Betracht komme.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung wird geltend gemacht, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukomme. Es gehe um die Rechtsfrage, "ob die Klägerin in den Schutzbereich des § 1 OEG fällt oder nicht". Hinsichtlich der am 30.11.2010 gegenüber ihrem Sohn verübten Gewalttat durch dessen Vater, der diesem durch massives Schütteln ein massives Schütteltrauma mit Subduralhämatom beigebracht habe, sei sie Sekundäropfer und hinsichtlich der Gewalttat vom 15.6.2011, bei der ihr der Vater des Sohnes zweimal mit der Faust gegen die Stirn im Bereich des Haaransatzes geschlagen habe, sei sie Primäropfer. Rechtsfehlerhaft stelle das LSG auf das Fehlen der erforderlichen Gesundheitsstörung bei der Klägerin ab und verweise darauf, dass diese keine starken seelischen Erschütterungen erlitten habe. Entscheidend für den vorliegenden Fall sei auch die Entscheidung des BSG vom "10.12.2002, Az. B 9 VG 7/01 R, Randziffer 16", bei der die enge persönliche Bindung zwischen Primär- und Sekundäropfer in den Mittelpunkt gerückt werde. Schließlich hätte das LSG zur abschließenden Klärung der psychischen Auswirkungen der Gewalttat ein Sachverständigengutachten nach § 106 SGG einholen müssen hinsichtlich der Frage, ob ein Schock auch erst nach einer längeren Latenzzeit als Gesundheitsstörung manifest in Erscheinung treten könne.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin hat bereits keine Rechtsfrage formuliert, der sie grundsätzliche Bedeutung beimisst. Ihrem Beschwerdevorbringen ist lediglich zu entnehmen, dass sie den Anwendungsbereich des § 1 OEG in Bezug auf sog Sekundäropfer hinsichtlich der unmittelbaren Kenntniserlangung von der in Rede stehenden Gewalttat gegenüber dem Primäropfer erweiternd auslegen möchte. Aber auch im Hinblick hierauf wäre zunächst eine Auseinandersetzung mit der Vorschrift des § 1 Abs 1 OEG unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu diesem Problemkreis in der Beschwerdebegründung erforderlich gewesen, um darzulegen, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat. Demgegenüber führt die Klägerin selbst aus, dass das BSG sich in den verschiedenen von ihr benannten Entscheidungen bereits ausdrücklich mit der Problematik von Sekundäropfern befasst hat. Zu Recht führt die Klägerin selbst die Entscheidung des BSG vom 10.12.2002 (B 9 VG 7/01 R - BSGE 90, 190 = SozR 3-3800 § 1 Nr 23) an, in der der Senat bereits ausgeführt hat, dass auf der Grundlage von § 1 Abs 1 S 1 OEG auch sog "Sekundäropfer" geschützt werden und zwar auch solche Personen, deren Schädigung und Schädigungsfolgen psychischer Natur sind (BSG, aaO, RdNr 15). Danach werden im Ergebnis - wie das LSG in seiner angefochtenen Entscheidung bereits ausgeführt hat - die psychischen Auswirkungen einer schweren Gewalttat als mit dieser so unmittelbar verbunden betrachtet, dass beide eine natürliche Einheit bilden. Dass trotz dieser und der weiteren von der Klägerin benannten vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch oder wieder Klärungsbedarf bestehe, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Um darzulegen, dass einer bereits entschiedenen Rechtsfrage gleichwohl noch grundsätzliche Bedeutung zukomme, hat ein Beschwerdeführer aufzuzeigen, in welchem Umfang, von welcher Stelle und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen werde bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten sei (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51). Dasselbe gilt für die Behauptung, dass neue erhebliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der grundsätzlich bereits entschiedenen Rechtsfrage führen könnten und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschlössen (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht. Schließlich fehlt es auch an der Entscheidungserheblichkeit der vermeintlich von der Klägerin erhobenen Rechtsfrage. Diese ist nur dann klärungsfähig, wenn sie gerade für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist. Dies setzt voraus, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen. Die Klägerin trägt allerdings selbst vor, dass das LSG in seiner angefochtenen Entscheidung vom 28.3.2017 letztlich auf das Fehlen der erforderlichen Gesundheitsstörung bei ihr abgestellt habe und darauf verweise, dass die Klägerin keine starken seelischen Erschütterungen erlitten habe. Damit entfiele der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf eine Versorgungsrente nach einem GdS von mindestens 50 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit bereits mangels festgestelltem Schockschaden, ungeachtet der Frage, ob die Klägerin als vom Schutzbereich des OEG erfasstes sog Sekundäropfer anzusehen wäre. Aufgrund des Fehlens eines entsprechenden Vortrags (s hierzu 2.) kann nicht ausgeschlossen werden, dass der geltend gemachte Anspruch unabhängig vom Ergebnis der angestrebten rechtlichen Klärung am Fehlen einer weiteren Anspruchsvoraussetzung scheitern müsste. Damit fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit auch der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3 mwN).
2. Hinsichtlich des sinngemäß gerügten Verfahrensfehlers durch die Klägerin iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, weil das LSG zur abschließenden Klärung der psychischen Auswirkungen der Gewalttat ein Sachverständigengutachten nach "§ 106 SGG" hätte einholen müssen, fehlt es ebenfalls an der substantiierten Darlegung eines Verfahrensmangels. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Vorliegend rügt die Klägerin durch ihren Hinweis auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach "§ 106 SGG" einen Verstoß des LSG gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG. Insoweit ist es allerdings erforderlich, dass die Beschwerde einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnet, dem das LSG nicht gefolgt ist. Die vor dem LSG durch eine Prozessbevollmächtigte vertretene Klägerin hat aber bereits nicht aufgezeigt, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag vor dem LSG gestellt habe. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht, die Klägerin behauptet nicht einmal, einen solchen Beweisantrag vor dem LSG gestellt zu haben.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen