Verfahrensgang
SG Marburg (Entscheidung vom 19.10.2016; Aktenzeichen S 16 KA 326/14) |
Hessisches LSG (Urteil vom 24.02.2021; Aktenzeichen L 4 KA 74/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. bis 7.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 641,99 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Regresses wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittelverordnungen aus dem Jahr 2010.
Der Kläger war im Jahr 2010 als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Bereits für die Jahre 2006, 2007 und 2008 waren gegen ihn Regresse wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittelverordnungen festgesetzt worden. Für das Jahr 2010 wurde erneut ein Arzneimittelregress festgesetzt. Die dagegen erhobene Klage und auch die Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II
1. Die Beschwerde des Klägers ist jedenfalls unbegründet. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.
Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; BSG Beschluss vom 15.10.2020 - B 6 KA 16/20 B - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr 7).
Der Kläger hält die folgenden Rechtsfragen für klärungsbedürftig:
"1. Sind die tatsächlichen Feststellungen aus einer der Richtgrößenprüfung bzw. Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgelagerten Pharmakotherapieberatung in dem Richtgrößenprüfungsverfahren bzw. der Wirtschaftlichkeitprüfung als Beweismittel für eine besondere Patientenstruktur geeignet und zu beachten?
Wird das bejaht, führt das zu folgender Frage:
2. Belegt die Feststellung, dass 'kaum noch Einsparvolumina besteht' und 'Der Einsatz von Generika voll ausgeschöpft ist' das Fehlen von 'Verdünnerscheinen'?"
Gegen eine grundsätzliche Bedeutung der ersten formulierten Frage spricht bereits der Umstand, dass diese sich ausdrücklich auf eine "Richtgrößenprüfung" bzw ein "Richtgrößenprüfungsverfahren" bezieht. Dass und unter welchen Voraussetzungen ein Regress wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittelverordnungen durchzuführen war, war für das Jahr 2010 in § 84 Abs 6, § 106 Abs 5a bis 5d SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009 (BGBl I 1990) im Einzelnen geregelt. Seit den Änderungen durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) wird die Durchführung von Richtgrößenprüfung nicht mehr bundesgesetzlich geregelt. Damit hat die vom Kläger formulierte Frage nicht mehr geltendes Recht zum Gegenstand. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist die Auslegung einer Rechtsnorm, bei der es sich um bereits außer Kraft getretenes Recht handelt, regelmäßig nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage daraus erwächst, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist (BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10; BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 68/16 B - juris RdNr 8, jeweils mwN). Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht kann eine Klärungsbedürftigkeit nur anerkannt werden, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage dieses nicht mehr geltenden Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat (BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 68/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 26.5.2021 - B 6 KA 26/20 B - juris RdNr 25, jeweils mwN). Solche Umstände müssen in der Beschwerdebegründung dargelegt werden.
Unabhängig davon spricht der Kläger mit der Frage, ob und ggf in welcher Weise das LSG bei seiner Entscheidung bestimmte tatsächliche Umstände hätte beachten müssen, Fragen der Beweiswürdigung an. Gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung. Ein Verfahrensmangel kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden. Hier macht der Kläger zwar keinen Verfahrensmangel, sondern die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Nach ständiger Rechtsprechung (BSG Beschluss vom 5.2.1980 - 2 BU 31/79 - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 17.12.1992 - 6 BKa 29/91 - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 2.2.2011 - B 13 R 381/10 B - juris RdNr 14) kann eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG aber auch nicht im Rahmen einer Grundsatzrüge geltend gemacht werden. Wenn über die Erhebung einer Grundsatz- anstelle einer Verfahrensrüge eine Nachprüfung des Berufungsurteils hinsichtlich der Beweiswürdigung zu erreichen wäre, würde die mit dem Ausschluss der Verfahrensrüge verfolgte gesetzgeberische Zielsetzung umgangen.
Damit kommt es auch auf die - von der Beantwortung der ersten Frage abhängige - zweite Frage, die ebenfalls die Beweiswürdigung durch das LSG zum Gegenstand hat, nicht mehr an. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die in der zweiten Frage wiedergegebenen Zitate aus einem kurzen Schreiben zu den Ergebnissen einer im Jahr 2000 durchgeführten Beratung stammen, die sich auf Arzneimittelverordnungen aus dem Quartal 3/1999 bezog. Eine weitere Beratung bezog sich auf Verordnungen des Klägers im Quartal 4/2005. Für nachfolgende Zeiträume (Jahre 2006, 2007 und 2008) sind gegen den Kläger Regresse wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittelverordnungen festgesetzt worden. Das LSG ist auf die durchgeführten Pharmakotherapieberatungen in den Entscheidungsgründen (Urteilsumdruck S 20) eingegangen, hat diese aber auch mit Blick auf den großen zeitlichen Abstand zu den hier maßgebenden Verordnungen des Jahres 2010 und der aus seiner Sicht fehlenden Übertragbarkeit auf nachfolgende Quartale, nicht in dem vom Kläger gewünschten Sinne gewürdigt.
Der Kläger hält ferner die folgenden Rechtsfragen für klärungsbedürftig:
"3. Begründet die Feststellung, dass 'kaum noch Einsparvolumina besteht' und 'Der Einsatz von Generika voll ausgeschöpft ist' die Annahme, dass ein besonderes teures Patientenklientel 'schwere Fälle' - abweichend von dem durchschnittlichen der Fachgruppe - besteht, auch wenn sich statistisch keine Abweichung in Art und/oder Häufigkeit der Krankheitsbilder zeigt?
Wird das bejaht, führt das zu der Rechtsfrage:
4. Ist die Prüfstelle bzw. der Beschwerdeausschuss dann verpflichtet, dem Vertragsarzt Hinweise zu geben, welche Fakten er zu seiner Überzeugung von der Praxisbesonderheit von dem Vertragsarzt noch vorgetragen und belegt haben will?"
Auch die dritte Frage hat die Beweiswürdigung des LSG zum Gegenstand und baut nach dem Inhalt der wiedergegebenen Zitate wiederum auf dem og kurzen Schreiben zu den Ergebnissen einer im Jahr 2000 durchgeführten Beratung auf. Insofern gilt nichts anderes als für die ersten beiden Fragen. Daher kommt es auf die in Abhängigkeit von der dritten gestellte vierte Frage nicht mehr an.
Im Übrigen sind die Anforderungen, die an die Amtsermittlungspflichten der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf der einen Seite und an die Darlegungen des Arztes gerade bezogen auf geltend gemachte Praxisbesonderheiten auf der anderen Seite zu stellen sind, in der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl zB BSG Urteil vom 5.6.2013 - B 6 K/A 40/12 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 18; BSG Urteil vom 28.10.2015 - B 6 KA 45/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 53 RdNr 33; BSG Urteil vom 13.5.2020 - B 6 KA 25/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 63 RdNr 43, jeweils mwN). Danach hängt die Obliegenheit des Arztes zur Darlegung von Praxisbesonderheiten nicht davon ab, dass der Beschwerdeausschuss dem Arzt Hinweise zu Art und Inhalt des Vorbringens erteilt, welches die Annahme von Praxisbesonderheiten rechtfertigen würde.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keinen eigenen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl BSG Urteil vom 31.5.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten infrage gestellt worden ist.
Rademacker Just Loose
Fundstellen
Dokument-Index HI15134709 |