Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 13.07.2020; Aktenzeichen S 5 U 64/18) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 28.02.2023; Aktenzeichen L 3 U 146/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Verfahren über die Gewährung einer Verletztenrente. Während das SG der Klage gestützt auf ein nach § 109 SGG eingeholtes Gutachten stattgegeben hat(Urteil vom 13.7.2020) , hat das LSG die Klage nach einer Begutachtung gemäß § 106 SGG abgewiesen(Urteil vom 28.2.2023) . Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht formgerecht bezeichnet worden ist(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ) .
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ) , so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
1. Der Kläger rügt zunächst, das LSG habe zu Unrecht kein Obergutachten eingeholt. Mit seinem Vorbringen dazu zeigt der Kläger indes eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht( § 103 , § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 412 Abs 1 ZPO ) nicht hinreichend auf.
Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht(§ 103 SGG ) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte(stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 7 , vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 7, vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).
Daran fehlt es hier. Der vor dem LSG anwaltlich vertretene Kläger bezeichnet bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, den er im Verfahren vor dem LSG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind(zB BSG Beschlüsse vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7 , vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 und vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN) . So liegt es hier, wenn die Beschwerdebegründung auf den Antrag in dem Schriftsatz vom 14.7.2022 und damit vor der mündlichen Verhandlung vom 28.2.2023 abstellt. Der Kläger legt nicht dar, dass er zuletzt in dieser Verhandlung einen Beweisantrag gestellt hat. Dies wäre für eine Sachaufklärungsrüge jedoch erforderlich gewesen.
Darüber hinaus bezeichnet der Kläger auch keinen formellen Beweisantrag, der den Erfordernissen des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO genügt. Nach der Beschwerdebegründung war sein Antrag darauf gerichtet, ein Obergutachten zu dem im Berufungsverfahren von B erstatteten Gutachten einzuholen, weil dieses zu einem dem im erstinstanzlichen Verfahren bei F eingeholten Gutachten diametral entgegengesetzten Ergebnis gelangt sei. Damit hat der Kläger jedoch weder ein konkretes Beweisthema, gerichtet auf festzustellende Tatsachen(die "zu begutachtenden Punkte",§ 403 ZPO ) , noch das voraussichtliche Ergebnis der Begutachtung benannt(zB BSG Beschlüsse vom 8.2.2024 - B 2 U 70/23 B - juris RdNr 7 , vom 15.8.2022 - B 2 U 141/21 B - juris RdNr 14 und vom 9.1.2023 - B 9 SB 24/22 B - juris RdNr 6 f; Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 3. Aufl 2023, § 160 RdNr 72) . Allenfalls bezeichnet die Beschwerdebegründung insoweit eine im Hinblick auf die Sachaufklärungsrüge irrelevante Beweisanregung(dazu zB BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 14/23 B - juris RdNr 13 , vom 2.2.2022 - B 9 SB 47/21 B - juris RdNr 7 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6) .
Unabhängig davon legt die Beschwerde auch nicht schlüssig dar, warum der Antrag des Klägers das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen. Nicht maßgeblich ist, dass der Kläger weiteren Aufklärungsbedarf angenommen hat. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen(zB BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 14 , vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 und vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2) . Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind( BSG Beschlüsse vom 27.2.2024 - B 2 U 110/23 B - juris RdNr 12 , vom 18.1.2023 - B 2 U 74/22 B - juris RdNr 18 und vom 10.5.2022 - B 2 U 134/21 B - juris RdNr 8) . Dazu enthält die Beschwerdebegründung keinen substantiierten Vortrag. Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zur Einholung eines Obergutachtens besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtensergebnissen im Allgemeinen nicht(vgl BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 1 , vom 14.12.2022 - B 2 U 1/22 B - juris RdNr 7 und vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11, jeweils mwN) . Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen(Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 128 RdNr 7e, mwN) . Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einzuholen. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum( BSG Beschlüsse vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - juris RdNr 13 und vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8) . Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben( BSG Beschlüsse vom 18.1.2023 - B 2 U 74/22 B - juris RdNr 18 , vom 5.12.2022 - B 9 V 30/22 B - juris RdNr 13, vom 28.7.2022 - B 5 R 81/22 B - juris RdNr 7, vom 15.7.2022 - B 1 KR 9/22 B - juris RdNr 6, vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7 und vom 18.6.2020 - B 3 KR 19/19 B - juris RdNr 11) . Dazu trägt die Beschwerdebegründung nichts vor.
2. Der Kläger rügt des Weiteren, der Sachverständige B habe trotz seines Hinweises auf sprachliche Probleme nicht darauf geachtet, ihm einen Dolmetscher zur Seite zu stellen. Damit macht der Kläger letztlich geltend, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es nicht für eine Nachbesserung des Gutachtens von B gesorgt habe( § 103 , § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 412 Abs 1 ZPO ) . Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich indes nicht, dass er gegenüber dem LSG einen Beweisantrag auf Wiederholung des Gutachtens durch B unter Zuziehung eines Dolmetschers gestellt und bis zum Schluss aufrechterhalten habe. Ein solcher Beweisantrag des im Berufungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertretenen Klägers wäre jedoch erforderlich gewesen, um dem LSG gegenüber deutlich zu machen, dass die Sachaufklärung als noch nicht ausreichend angesehen wird(BSG Beschluss vom 29.8.2012 - B 13 R 133/12 B - juris RdNr 7 ) .
Unabhängig davon legt die Beschwerde auch nicht schlüssig dar, warum bei der Begutachtung im Berufungsverfahren - anders als bei derjenigen im erstinstanzlichen Verfahren - eine Verpflichtung zur Zuziehung eines Dolmetschers bestanden haben soll. Die Beschwerde räumt ein, dass die Begutachtung im erstinstanzlichen Verfahren durch F ohne Dolmetscher stattfinden konnte, und erklärt dies mit der Unterstützung durch Angehörige vor und nach dem Gespräch mit dem Sachverständigen. Eine solche Unterstützung erfuhr der Kläger nach den Ausführungen in der Beschwerdebegründung allerdings auch vor der Begutachtung durch B im Berufungsverfahren. Statt konkrete Verständigungsschwierigkeiten in dieser Begutachtungssituation darzulegen, beschränkt sich die Beschwerde auf die Mutmaßung, die - vom erstinstanzlichen Sachverständigen abweichenden - Schlüsse von B könnten nur daher rühren, dass der Kläger diesem gegenüber die ihn belastenden Symptome nicht habe richtig schildern können.
3. Schließlich genügt die Beschwerdebegründung auch insoweit nicht den gesetzlichen Anforderungen, als sie rügt, das LSG habe - entgegen § 61 Abs 1 SGG iVm§ 185 Abs 1 Satz 1 GVG - zur mündlichen Verhandlung keinen Dolmetscher hinzugezogen. Ein Verstoß gegen § 185 GVG ist kein absoluter Revisionsgrund im Sinne des nach § 202 Satz 1 SGG entsprechend anzuwendenden§ 547 ZPO(vgl BSG Beschlüsse vom 6.8.2019 - B 2 U 64/19 B - juris RdNr 1 , vom 19.7.2010 - B 8 SO 35/10 B - juris RdNr 7 und vom 8.10.1992 - 5 BJ 160/92 - SozR 3-1720 § 189 Nr 1) . Auch wenn § 185 GVG im Grundsatz eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens(Art 2 Abs 1 iVmArt 20 Abs 3 GG ) seine Wurzeln hat(BGH Urteil vom 1.3.2018 - IX ZR 179/17 - juris RdNr 14 f;BVerfG Beschluss vom 17.5.1983 - 2 BvR 731/80 - BVerfGE 64, 135, 145 ) , so handelt es sich bei der Zuziehung von Dolmetschern doch zugleich auch um eine spezielle Form der Gewährung rechtlichen Gehörs(BSG Beschluss vom 28.7.2022 - B 1 KR 55/21 B - juris RdNr 11 ;BVerwG Beschluss vom 29.4.1983 - 9 B 1610/81 - juris RdNr 3 ) . Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 185 GVG gestützt, ist der Verfahrensmangel daher nur dann im Sinne des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet, wenn dargelegt wird, weshalb die Entscheidung des LSG auf diesem Fehler beruhen kann(BSG Beschluss vom 19.7.2010 - B 8 SO 35/10 B - juris RdNr 7 und vom 8.10.1992 - 5 BJ 160/92 - SozR 3-1720 § 189 Nr 1) . Dazu trägt die Beschwerdebegründung nichts vor.
Die Beschwerde legt schon nicht hinreichend substantiiert dar, warum die Voraussetzungen von § 61 Abs 1 SGG iVm § 185 Abs 1 Satz 1 GVG erfüllt gewesen sein sollen. Nach dieser Vorschrift ist ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Ein fremdsprachiger Beteiligter soll die ihn betreffenden Verfahrensvorgänge verstehen und sich in der Verhandlung verständlich machen können. Der Mitwirkung eines Dolmetschers bedarf es folglich nicht, wenn ein Beteiligter die deutsche Sprache zwar nicht beherrscht, sie aber in einem die Verständigung mit ihm in der mündlichen Verhandlung ermöglichenden Maße spricht und versteht( BVerwG Beschlüsse vom 14.6.2013 - 5 B 41.13 - juris RdNr 4 und vom 11.9.1990 - 1 CB 6/90 - juris RdNr 10) . An die rechtsfehlerfreie Feststellung des Tatrichters, dass der ausländische Betroffene ausreichend Deutsch kann, ist das Revisionsgericht gebunden(BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 9 V 58/16 B - juris RdNr 19 ) . In Grenzfällen steht die Zuziehung eines Dolmetschers im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts(BSG Urteil vom 26.8.1965 - 9 RV 734/62 - SozR Nr 2 zu § 19 BVG) . Das LSG hat ausweislich der Beschwerdebegründung angenommen, dass eine hinreichende Verständigung mit dem in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretenen Kläger möglich war. Dass dies tatsächlich nicht der Fall gewesen sei, trägt die Beschwerde nicht substantiiert vor. Insbesondere legt sie nicht dar, dass der Kläger noch etwas hätte vortragen wollen, aber mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht habe vortragen können.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .
5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2,§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) .
6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der§§ 183 ,193 SGG .
Fundstellen
Dokument-Index HI16339065 |