Verfahrensgang

SG Regensburg (Entscheidung vom 10.05.2021; Aktenzeichen S 2 KR 464/16)

Bayerisches LSG (Urteil vom 17.05.2023; Aktenzeichen L 4 KR 242/21)

 

Tenor

Die Anträge des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 2023 sowie für das Prozesskostenhilfeverfahren, jeweils unter Beiordnung eines Rechtsanwalts, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, werden abgelehnt.

Der Antrag des Klägers, ihm wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird abgelehnt.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Prozesskostenhilfe- und das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren einen Notanwalt zu bestellen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger macht Ansprüche im Zusammenhang mit Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen und deren Erstattung geltend. Das SG hat insgesamt sieben Klagen verbunden und alle abgewiesen(Gerichtsbescheid vom 10.5.2021) . Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen(Urteil vom 17.5.2023; dem Kläger zugestellt am 19.9.2023) . Der Kläger hat mit mehreren per Telefax am 19.3.2024 beim BSG eingegangenen Schreiben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil sowie zur Durchführung des PKH-Verfahrens unter Beiordnung eines Rechtsanwalts, "hilfsweise eines Notanwalts" beantragt und zugleich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Ein Erklärungsformular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat er seinen Telefaxen nicht beigefügt.

II

1. Für das Verfahren des Antrags auf PKH besteht kein Anspruch auf PKH nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 114 Abs 1 Satz 1 ZPO(vglBVerfG vom 2.7.2012 - 2 BvR 2377/10 - juris RdNr 12 ;BGH vom 30.5.1984 - VIII ZR 298/83 - BGHZ 91, 311, 312 ) . Das PKH-Verfahren stellt nur einen unselbständigen Teil der Prozessführung in der Hauptsache dar. Hiernach ist auch die Bestellung eines Notanwalts für das PKH-Verfahren ausgeschlossen.

2. Dem Kläger kann hinsichtlich der versäumten Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist wie hier die Rechtsmittelfrist nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG einzuhalten(§ 67 Abs 1 SGG ) .

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dann in Betracht kommen, wenn ein Beteiligter infolge seiner Mittellosigkeit gehindert war, eine Beschwerde fristgerecht durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten einzulegen, und die Beschwerde dann von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten nachgeholt wird. Die Mittellosigkeit ist im PKH-Verfahren zu prüfen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 , 121 ZPO kann PKH nur einem Beteiligten gewährt werden, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Ein sich aus der Mittellosigkeit und der Dauer ihrer Prüfung ergebender Wiedereinsetzungsgrund kommt aber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn innerhalb der Beschwerdefrist sowohl ein PKH-Antrag als auch eine Erklärung iS des § 117 Abs 2 ZPO über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (im Folgenden: Erklärung) eingereicht werden; für die Erklärung muss sich der Beteiligte der hierfür eingeführten Formulare bedienen und entsprechende Belege beifügen( § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 117 Abs 2 ,4 ZPO ) . Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Beteiligte auch hieran ohne Verschulden gehindert war(stRspr; vglBSG vom 13.4.1981 - 11 BA 46/81 - SozR 1750 § 117 Nr 1 S 2;BSG vom 30.4.1982 - 7 BH 10/82 - SozR 1750 § 117 Nr 3 S 4;BSG vom 3.4.2001 - B 7 AL 14/01 B - juris RdNr 2 ;BSG vom 12.1.2017 - B 8 SO 68/16 B - juris RdNr 2 ;BSG vom 12.4.2018 - B 12 KR 10/17 R - juris RdNr 7 ) . Der Hinderungsgrund ist vom Beteiligten darzulegen und soll von ihm ggf glaubhaft gemacht werden(§ 67 Abs 2 Satz 2 SGG ) . Wiedereinsetzungsgründe liegen hier nicht vor.

a) Der Antrag und die Erklärung auf dem vorgeschriebenen Formular müssen innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem angerufenen Gericht eingehen(vgl zBBSG vom 25.7.2007 - B 1 KR 80/07 B - mwN;BSG vom 13.4.1981 - 11 BA 46/81 - SozR 1750 § 117 Nr 1;BSG vom 30.4.1982 - 7 BH 10/82 - SozR 1750 § 117 Nr 3;BVerfG vom 20.10.1981 - 2 BvR 1058/81 - SozR 1750 § 117 Nr 2; zur Verfassungsmäßigkeit des Erfordernisses der fristgerechten Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vgl BVerfG ≪Kammer≫ vom 13.4.1988 - 1 BvR 392/88 - SozR 1750 § 117 Nr 6) . Der Kläger hat innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist, die mit der Zustellung des LSG-Urteils am 19.9.2023 begann und mit Ablauf des 19.10.2023 endete(§ 160a Abs 1 Satz 2 ,§ 64 Abs 2 ,§ 63 Abs 2 SGG ,§ 180 ZPO ) , weder PKH beantragt noch die Erklärung vorgelegt. Den PKH-Antrag hat er erst am 19.3.2024 gestellt. Eine Erklärung hat er nicht eingereicht.

b) Gründe für eine Wiedereinsetzung in die Frist gemäß § 67 SGG sind nicht ersichtlich. Ob der Kläger aufgrund einer etwaigen Mittellosigkeit daran gehindert war, binnen der Monatsfrist nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, vermag der Senat schon aufgrund der fehlenden Erklärung nicht zu beurteilen. Aber auch bei unterstellter Mittellosigkeit war der Kläger nicht iS des § 67 Abs 1 SGG "ohne Verschulden" gehindert, innerhalb der Monatsfrist einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden PKH-Antrag zu stellen. Der Kläger ist auf die Erfordernisse der fristgerechten PKH-Antragstellung und der Einreichung der PKH-Erklärung in der dem LSG Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden. Auch war er hieran nicht wegen Krankheit oder durch sonstige in seiner Person liegende Umstände gehindert. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn er krankheitsbedingt oder durch sonstige in seiner Person liegende Umstände weder in der Lage gewesen wäre, selbst zu handeln noch einen Dritten hiermit zu beauftragen(stRspr; vglBSG vom 25.2.1992 - 9a BVg 10/91 - juris RdNr 2 ;BSG vom 12.10.2022 - B 1 KR 46/22 BH - juris RdNr 4 ; jeweils zur Krankheit).

aa) Es ist vom Kläger weder ausreichend dargetan noch sonst ersichtlich, dass er an der Beantragung von PKH und der Abgabe der Erklärung vor Ablauf der Beschwerdefrist krankheitsbedingt oder durch sonstige in seiner Person liegende Umstände ohne Verschulden gehindert war. Er verweist zwar pauschal auf seine dauerhaften Einschränkungen aufgrund seiner "Überlastung und Erkrankung". Er sei "nicht in der Lage seine Angelegenheiten, insbesondere die vorliegende, insbesondere seinen Schriftverkehr, das heißt auch einschließlich des Schriftverkehrs zur vorliegenden Angelegenheit, mit der erforderlichen Sorgfalt und im erforderlichen Umfang zeitgerecht zu erledigen". Er habe "das Schreiben des bayerischen Landessozialgerichts erst am 17.03.2024 öffnen" können. Der Kläger macht sich Darlegungen aus früheren Schreiben und Verfahren zu eigen und verweist auf die Aktenlage. Gleichzeitig weist er auch darauf hin, dass er erhebliche Zeit habe dafür aufwenden müssen, um eine Betreuerbestellung oder Bestimmung eines Verfahrensvertreters abzuwenden.

Den Ausführungen des Klägers ist bereits nicht zu entnehmen, welche Erkrankung seine Handlungsfähigkeit in einem Maß beeinträchtigt, dass er auch nicht eine andere Person mit den zur Fristwahrung notwendigen Verfahrensschritten, hier dem Antrag auf PKH und dem Ausfüllen und Übermitteln der Erklärung nebst Unterlagen, hätte beauftragen können. Die Feststellungen des LSG in der angegriffenen Entscheidung - insbesondere die dialysepflichtige Nierenerkrankung des Klägers sowie seine Schwerbehinderung mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, B und RF und der ihm zuerkannte Pflegegrad 2 - geben keinen Hinweis auf eine die Handlungsfähigkeit des Klägers ausschließende Erkrankung. Dies gilt auch für die aus den weiteren beim BSG anhängigen Verfahren B 1 KR 58/23 BH und B 1 KR 10/24 BH erkennbaren Umstände. Angesichts der vom Kläger in diesem und den weiteren beim Senat anhängigen Verfahren eingereichten Schreiben und Unterlagen ist seine völlige Handlungsunfähigkeit fernliegend. Ohne Anhaltspunkte für einen konkreten Hinderungsgrund muss das Gericht hierzu keine Ermittlungen ins Blaue hinein anstellen. Wenn es im § 67 SGG heißt, dass die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden "sollen", so bedeutet dies, dass das Gericht nicht in jedem Falle einer Fristversäumnis von Amts wegen nach diesen Tatsachen zu forschen hat, sondern dass es in erster Linie Sache des Antragstellers ist, diese Tatsachen vorzubringen und glaubhaft zu machen. Das entbindet das Gericht aber nicht von seiner Fragepflicht nach § 106 Abs 1, § 112 Abs 2 SGG und seiner allgemeinen Amtsermittlungspflicht nach§ 103 SGG(vglBSG vom 24.10.1957 - 10 RV 285/55 - SozR SGG § 67 Nr 13 = juris RdNr 14; allgemein zur AmtsermittlungspflichtBSG vom 14.5.1996 - 4 RA 60/94 - BSGE 78, 207, 213 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 24 = juris RdNr 37;BSG vom 5.4.2001 - 13 RJ 23/00 R - SozR 3-2600 § 43 Nr 25 = juris RdNr 27) . Hier bedurfte es schon deswegen keiner weiteren Nachfrage durch den Senat, weil der Kläger selbst angibt, ihm werde durch einen anderen Senat des BSG vorgehalten, dass er lediglich pauschal auf Erkrankungen verweise. Insoweit wendet er nur ein, er wisse nicht, "wie er in rechtlich in jeder Hinsicht einwandfreier Art und Weise und insbesondere 'nicht pauschal' auf seine Erkrankungen verweisen solle", ohne sich konkret zu den ihm maßgeblichen Hinderungsgründen zu äußern.

Ungeachtet dessen ist auch nicht ersichtlich, warum der Kläger bei einem bis zum 19.3.2024 andauernden Hinderungsgrund nicht in der Lage war, binnen eines Monats danach die Erklärung vorzulegen(§ 67 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG ) .

bb) Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann(vgl§ 71 Abs 1 SGG ) , also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. An die Annahme einer Prozessunfähigkeit sind auch mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht strenge Anforderungen zu stellen. Es reicht nicht aus, dass der Betroffene seit längerem an geistigen oder seelischen Störungen leidet. Ebenso wenig reichen eine bloße Willensschwäche oder die bloße Unfähigkeit eines Beteiligten, seine Rechte in einer mündlichen Verhandlung selbst wahrzunehmen(vglBSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 23/18 B - juris RdNr 6 mwN) . Für eine Prozessunfähigkeit des Klägers gibt es keine ausreichend tragfähigen Anhaltspunkte.

Aufgrund der vom Kläger erwähnten Anregung des Bayerischen VGH, er solle einer rechtlichen Betreuung zustimmen, ist nicht bereits von seiner Prozessunfähigkeit auszugehen. Denn selbst bei Bestellung eines Betreuers richtet sich die Prozessfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften(§ 53 Abs 1 ZPO ) . Soweit diese Anregung der Abhilfe der vom Kläger geltend gemachten Überlastung dienen sollte, liegt in der Überlastung ebenfalls kein Wiedereinsetzungsgrund. Denn entweder könnte der Kläger mit der Zustimmung zu einer rechtlichen Betreuung seine Überlastung beenden oder er hätte bei einer nach seinen Ausführungen in der mit dem Antrag auf Bewilligung von PKH übermittelten Anlage seit 2015 bestehenden "Überlastung" in der Zwischenzeit bis zum hiesigen Antrag für eine anderweitige Abhilfe sorgen müssen.

3. Der PKH-Antrag des Klägers ist danach abzulehnen. Die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg(vgl § 73a Abs 1 SGG iVm§ 114 Abs 1 Satz 1 ZPO ) , weil die einzulegende Beschwerde verfristet wäre und Wiedereinsetzungsgründe nicht vorliegen.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts(vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 121 ZPO ) .

4. Auch die Beiordnung eines Notanwalts scheidet aus. Nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht, insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einer Partei auf ihren Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Daran fehlt es, weil der Kläger mit dem Hinweis auf bestehende gesundheitliche Einschränkungen auch nicht ausreichend dargelegt hat, dass er einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht finden konnte. Aus seinem Vorbringen wird deutlich, dass er sich vor Ablauf der Beschwerdefrist nicht um eine Prozessvertretung bemüht und nicht einmal (zumindest) telefonisch Kontakt zu (irgend)einem Rechtsanwalt gesucht hat, da er nach seinen Angaben das LSG-Urteil erst am 17.3.2024 - also mehrere Monate nach Fristablauf - zur Kenntnis genommen hat(vgl nurBSG vom 11.6.2008 - B 8 SO 45/07 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 7 RdNr 5; zu den Anforderungen an das Nichtfinden eines vertretungsbereiten Rechtsanwalts vglBSG vom 23.3.2016 - B 1 KR 14/16 B - juris RdNr 6 mwN) .

Estelmann

Bockholdt

Waßer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16461462

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