Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Verletzung rechtlichen Gehörs durch Nichtberücksichtigung von Beteiligtenvortrag. Beruhen der Entscheidung auf Verfahrensfehler. Arbeitslosengeld I. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Befreiungstatbestand bei sozial gerechtfertigter Kündigung. Maßgeblichkeit allein der leicht feststellbaren äußeren Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Aufhebungsvertrag
Orientierungssatz
1. Prüft das LSG jedenfalls ausdrücklich nur den Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 S 2 Nr 3 AFG, der nicht geltend gemacht und im gesamten Verlauf des Verfahrens auch nicht thematisiert worden ist, ist davon auszugehen, dass der Vortrag des Klägers bei der Entscheidungsfindung in nicht mehr verfassungskonformer Weise nicht berücksichtigt worden ist.
2. Der Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 S 2 Nr 4 AFG bzw § 147a Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 3 greift nur dann, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet worden ist (vgl grundlegend BSG vom 17.12.1997 - 11 RAr 61/97 = BSGE 81, 259 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5, ua).
3. Hinsichtlich der Auslegung der Befreiungsregelungen sowohl des § 128 Abs 1 S 2 Nr 3 AFG als auch des § 128 Abs 1 S 2 Nr 4 AFG ist immer wieder entschieden worden, dass an die leicht feststellbare äußere Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch deshalb anzuknüpfen sei, damit die Erstattungsregelung nicht praktisch entwertet wird (vgl BSG vom 11.5.1999 - B 11 AL 73/98 R = BSGE 84, 75 = SozR 3-4100 § 128 Nr 6 und vom 22.3.2001 - B 11 AL 50/00 R = BSGE 88, 31 = SozR 3-4100 § 128 Nr 12).
Normenkette
GG Art. 103; SGG § 62; SGB 3 § 128 Abs. 1 S. 2 Nr. 4; SGB 3 § 147a Abs. 1 S. 2 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) und Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 18.183,40 €, die die Beklagte für den Arbeitnehmer S. aufgewandt hat.
Der 1940 geborene S. war von 1969 bis 1998 als Servicetechniker bei der Klägerin bzw deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 27. April 1998 zum 31. Dezember 1998 beendet. Der Arbeitnehmer erhielt eine Abfindung in Höhe von 174.220,00 DM. S. bezog vom 1. Januar 1999 bis 30. April 2000 Alg. Die Beklagte forderte durch drei Bescheide für den streitigen Zeitraum die Erstattung des an S. gezahlten Alg nebst der Beiträge. Widersprüche, Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts vom 15. Juli 2003 und Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 25. Juni 2004). Während des gesamten Verfahrens hat die Klägerin geltend gemacht, bei ihr liege der Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vor. Der Arbeitnehmer S. sei von seinen Vorkenntnissen her nur in der Lage gewesen, Produkte der Firma wie Großkopierer etc zu warten und zu betreuen, deren Steuerung mittels analoger Technik erfolge. Für die neu auf den Markt kommenden Geräte mit digitaler Steuerung sei Herr S. nicht ausgebildet gewesen. Da die Geräte mit analoger Technik zunehmend veraltet und nur noch in geringer Stückzahl in Betrieb gewesen seien, habe sich das Unternehmen entschieden, diese Geräte gänzlich vom Markt zu nehmen und das Personal abzubauen. Sie habe daher entschieden, Herrn S. zu kündigen. Einer entsprechenden betriebsbedingten sozial gerechtfertigten Kündigung seien Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorausgegangen, der dann ausdrücklich mit dem Vermerk "Zur Vermeidung einer fristgemäßen, betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung" zum Abschluss gekommen sei. Dementsprechend habe keine Notwendigkeit mehr bestanden, die ansonsten unvermeidlich notwendig gewesene ordentliche betriebsbedingte Kündigung auszusprechen. Hätte der Arbeitnehmer S. den Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben, so hätte sie - die Klägerin - ihm betriebsbedingt gekündigt. Eine solche betriebsbedingte Kündigung wäre auch sozial gerechtfertigt gewesen, zum einen weil die Entscheidung nur noch Servicetechniker zu beschäftigen, die digitale Produkte warten können, als freie Unternehmerentscheidung von den Arbeitsgerichten zu akzeptieren gewesen wäre und die üblicherweise vorzunehmende Sozialauswahl im konkreten Fall wegen fehlender Vergleichbarkeit aus leistungsspezifischen Gründen nicht gegeben gewesen sei.
Das LSG hat in seinem Urteil vom 25. Juni 2004 diesen Sachverhalt wiedergegeben und im Tatbestand mehrfach den Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG zitiert. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es sodann im Einzelnen ausgeführt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Befreiungstatbestand nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG nicht vorliege. Der Befreiungstatbestand gemäß § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG wird nicht erwähnt und nicht geprüft.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Sie rügt das Vorliegen von Verfahrensmängeln. Das LSG habe zunächst ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Zur Begründung seiner Entscheidung habe sich das LSG allein auf die Bestimmung des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG gestützt. Diese Vorschrift sei auf den hier vorliegenden Fall überhaupt nicht anzuwenden. Sie habe vielmehr ihren Anspruch auf Befreiung von der Erstattungspflicht ausschließlich auf § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG gegründet. Damit sei das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags nicht eingegangen. Es liege eine Verletzung prozessualen "Urrechtes" vor (Hinweis auf BVerfGE 86, 133, 145). Des Weiteren rügt die Beklagte eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das LSG sei den zahlreichen Beweisantritten zur Frage, ob dem Arbeitnehmer S. betriebsbedingt bzw sozial gerechtfertigt gekündigt hätte werden können, nicht nachgegangen. Dies sei jedoch notwendig, da § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG aus verfassungsrechtlichen Gründen erweiternd auszulegen sei. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungsgemäßheit des § 128 AFG (Hinweis auf BVerfGE 81, 156 ff) folge, dass nicht an die äußere Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses angeknüpft werden dürfe. Es dürfe der Klägerin aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht untersagt werden, geltend zu machen, dass trotz der Wahl der Handlungsform eines Aufhebungsvertrags hier materiell-rechtlich eine sozial gerechtfertigte Kündigung vorgelegen hätte.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Zwar hat die Beschwerde in zutreffender Weise eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 Grundgesetz iVm § 62 SGG) gerügt. In der Sache ist die Beschwerde jedoch unbegründet, weil ein Arbeitgeber sich auf den Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG (bzw § 147a Abs 1 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch ≪SGB III≫) nur berufen kann, wenn er das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat. Wählen die Parteien des Arbeitsvertrags eine andere Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - wie hier durch Aufhebungsvertrag - so scheidet § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG aus.
Zu Recht hat die Klägerin gerügt, dass das LSG auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags, der für sie für das Verfahren von zentraler Bedeutung war, in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen ist. In den Entscheidungsgründen prüft das LSG jedenfalls ausdrücklich nur die Befreiungsnorm des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG, die von der Klägerin nicht geltend gemacht wurde und die im gesamten Verlauf des Verfahrens auch nicht thematisiert worden ist. Von daher ist davon auszugehen, dass der Vortrag der Klägerin bei der Entscheidungsfindung in nicht mehr verfassungskonformer Weise nicht berücksichtigt worden ist (vgl hierzu BVerfGE 86, 133; BVerfGE 47, 182, 189 zuletzt BVerfG, Beschluss vom 16. März 2004 - 2 BvR 172/01).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das LSG wäre den Beweisanregungen nicht nachgegangen und hätte auch bei Prüfung des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG die Klage abgewiesen bzw die Berufung zurückgewiesen. Denn unstreitig ist das Arbeitsverhältnis hier durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zu § 128 AFG ebenso wie zu § 147a SGB III in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass der Tatbestand des § 128 Abs 1 Abs 2 Nr 4 AFG nur dann eingreift, wenn das klagende Unternehmen darlegt und nachweist, dass es das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat (grundlegend BSGE 81, 259, 264 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 5; bestätigt vom BSG, Urteil vom 7. Mai 1998 - B 11 AL 81/97 R -; Urteile vom 25. Juli 1998 - B 7 AL 80/97 R und B 7 AL 82/98 R -; Urteil vom 7. Februar 2002 - B 7 AL 102/00 R - SozR 3-4100 § 128 Nr 15 S 140; BSG, Urteil vom 22. März 2001 - B 11 AL 50/00 R - SozR 3-4100 § 128 Nr 12). Dem sind ersichtlich alle Instanzgerichte der Sozialgerichtsbarkeit gefolgt. Der Hinweis der Nichtzulassungsbeschwerde auf die Austauschbarkeit von sozial gerechtfertigter Kündigung und Aufhebungsvertrag als Beendigungsgrund von Arbeitsverhältnissen hätte daher vor dem LSG nicht durchgegriffen. Der Gesetzgeber hat bei der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes beachtet, dass das BVerfG gerade in der Wahl bestimmter "Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer, langjährig beschäftigter Arbeitnehmer" ein Indiz dafür gesehen hat, dass die Arbeitslosigkeit in den "Verantwortungsbereich des Arbeitgebers" fällt (BVerfGE 81, 156, 197 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags setzt sich der Arbeitgeber nicht der Prüfung der die Kündigung sozial rechtfertigenden Gründe aus. Kann er solche Gründe anführen und damit darlegen und nachweisen, dass die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit seines früheren Arbeitnehmers ihn nicht treffe, hat er die Möglichkeit, vom Kündigungsrecht Gebrauch zu machen (vgl BSGE 81, 259, 264 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 5). Das BSG hat zudem betont, dass für diese ständige Rechtsprechung auch das Erfordernis der Praktikabilität der Erstattungsregelung spreche (insbesondere BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 12 S 106). Hinsichtlich der Auslegung der Befreiungsregelungen sowohl des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG als auch des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG ist immer wieder entschieden worden, dass an die leicht feststellbare äußere Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch deshalb anzuknüpfen sei, damit die Erstattungsregelung nicht praktisch entwertet wird (BSGE 84, 75, 87 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 6; BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 12 S 106 ff). Entgegen dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde kommt es in den Entscheidungen des BSG allein auf die äußere Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses an. Das BSG hat seine diesbezügliche Rechtsprechung auch nicht durch Urteil vom 15. Dezember 1999 (B 11 AL 33/99 R, BSGE 85, 224 = SozR 3-4100 § 128 Nr 7) aufgegeben. Dieses Urteil befasst sich lediglich mit dem Sonderproblem der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Auslaufen in Folge einer wirksamen Befristung (so auch klarstellend Urteil vom 21. September 2000 - B 11 AL 5/00 R). Der 11. und der 7. Senat stellen beide einzig darauf ab, ob das Arbeitsverhältnis in der Tat durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung oder - wie im vorliegenden Fall - durch Aufhebungsvertrag beendet wurde (zuletzt BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 15 S 140 ff).
Mithin hätte die Berufung der Klägerin vor dem LSG auch unter Berücksichtigung des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG keinen Erfolg gehabt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen