Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung. vorherige Anhörung der Beteiligten. Entscheidung vor Ablauf der Anhörungsfrist. Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie des Rechts auf den gesetzlichen Richter. absoluter Revisionsgrund
Orientierungssatz
Weist das LSG die Berufung nach § 153 Abs 4 S 1 SGG durch Beschluss zurück, ohne die von ihm selbst gesetzte Anhörungsfrist einzuhalten, verletzt es § 153 Abs 4 S 2 SGG. Dieser Anhörungsmangel führt nicht nur zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern auch zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (nur mit Berufsrichtern) und stellt damit einen absoluten Revisionsgrund (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) dar.
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 153 Abs. 4 Sätze 1-2, §§ 62, 202 S. 1; ZPO § 547 Nr. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 2018 - L 7 AS 1182/18 WA - gewährt.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 2018 - L 7 AS 1182/18 WA - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Streitgegenstand ist ein Antrag des Klägers auf Ergänzung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19.10.2017 - L 7 AS 2163/15 - im Hinblick auf ein Feststellungsbegehren. Am 21.11.2018 verfügte der Vorsitzende des Senats die Anhörung zu einer Entscheidung durch Beschluss in entsprechender Anwendung des § 153 Abs 4 SGG mit einfacher Post, nachdem vorherige Zustellungsversuche nicht erfolgreich gewesen waren. Die Verfügung wurde am 26.11.2018 ausgeführt. In dem Anhörungsschreiben, das unter dem Datum 21.11.2018 erging, heißt es, es bestehe Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen. Am 29.11.2018 meldete sich der Kläger telefonisch beim LSG und teilte mit, er habe das Anhörungsschreiben erhalten. Mit Beschluss vom 6.12.2018 lehnte das LSG den Antrag auf Urteilsergänzung ab. Mit Schreiben vom 10.12.2018, beim LSG am Folgetag eingegangen, nahm der Kläger sowohl in der Sache als auch zum Verfahren nach § 153 Abs 4 SGG Stellung. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG rügt der Kläger ua einen Entzug des gesetzlichen Richters.
II. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren (vgl § 67 SGG) wegen der fristgerechten Stellung eines PKH-Antrags durch ihn und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung seiner Prozessbevollmächtigten nach der Bewilligung der PKH durch den Senat.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des LSG und Zurückverweisung der Sache begründet (§ 160a Abs 5 SGG).
Der Beschluss des LSG vom 6.12.2018 beruht auf einem von dem Kläger hinreichend bezeichneten (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) verletzt, weil es vor Ablauf der vom Gericht selbst gesetzten Anhörungsfrist entschieden hat, was zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ausschließlich mit Berufsrichtern ohne ehrenamtliche Richter geführt hat.
Das LSG hat die von ihm selbst gesetzte Anhörungsfrist nicht eingehalten. Das Anhörungsschreiben ist am 26.11.2018 abgesandt worden. Der Kläger hat im weiteren Verfahren nachvollziehbar dargelegt, es am 28.11.2018 erhalten zu haben. Die Äußerungsfrist von zwei Wochen lief danach am 12.12.2018 ab. Dementsprechend hat der Kläger noch am 11.12.2018 und damit fristgemäß Stellung genommen. Demgegenüber hat das LSG bereits am 6.12.2018 entschieden.
Dadurch, dass das LSG vor Ablauf der von ihm gesetzten Anhörungsfrist entschieden hat, hat es § 153 Abs 4 Satz 2 SGG verletzt. Die Situation ist vergleichbar mit einer unterbliebenen Anhörung (BSG vom 24.2.2016 - B 13 R 341/15 B - RdNr 6; BSG vom 31.3.2017 - B 12 KR 28/16 B - RdNr 9). Der darin liegende Anhörungsmangel ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO), bei dem das Beruhen der Entscheidung auf dem Verfahrensfehler vermutet wird. Der in einer unterbliebenen Anhörung liegende Verfahrensfehler führt nicht nur zu einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG), sondern auch zu einer unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (nur mit Berufsrichtern) und damit zu einer Verletzung des Rechts des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG; vgl nur BSG vom 17.11.2015 - B 1 KR 65/15 B - RdNr 7 ff; BSG vom 24.2.2016 - B 13 R 341/15 B - RdNr 6; BSG vom 12.10.2016 - B 11 AL 48/16 B - RdNr 9; BSG vom 31.3.2017 - B 12 KR 28/16 B - RdNr 9; BSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 219/18 B - RdNr 4).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen