Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 15.11.2000; Aktenzeichen L 5 KA 1850/00)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. November 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat dem Beklagten seine außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der seit 1992 in Heilbronn als Zahnarzt zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung. Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts (LG) vom 3. Februar 1997 – unter Einbeziehung einer zuvor erfolgten amtsgerichtlichen Verurteilung – wegen Betrugs zu Lasten mehrerer Dentallabors in 161 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Rücksicht auf die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen entzog der Zulassungsausschuß dem Kläger die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung gemäß § 95 Abs 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 27 Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV). Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der beklagte Berufungsausschuß zurück: Der Kläger habe in das System der gesetzlichen Krankenversicherung eingebundene Dritte geschädigt und dadurch das Vertrauensverhältnis zur zu 1. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) und zu den Krankenkassen so erheblich gestört, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr zuzumuten sei.

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat – nach Vernehmung mehrerer Zeugen – in seinem die Berufung zurückweisenden Urteil ausgeführt, die Zulassungsentziehung sei weder formell noch materiell rechtswidrig. Auch wenn die Entscheidung des Beklagten dem Kläger erst mehr als fünf Monate nach Beschlußfassung am 25. November 1997 zugeleitet worden sei, folge daraus keine Rechtswidrigkeit, weil die unterschriebene Fassung des Beschlusses rechtzeitig am 24. April 1998 zur Geschäftsstelle gelangt sei. Ein gröblicher vertragszahnärztlicher Pflichtverstoß liege vor, da der Kläger Gelder in einer Größenordnung von 190.000 DM, die ihm die Beigeladene zu 1. zur Weiterleitung an die von ihm beauftragten Zahntechniker überwiesen habe, über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren hinweg zweckwidrig für eigene Zwecke verwendet habe. Ein Vertragszahnarzt habe insoweit eine Treuhänderstellung im Verhältnis zu den Zahntechnikern inne, ihm seien aber auch über die Beigeladene zu 1. Versichertengelder zur treuen Weitergabe anvertraut worden. Ob insoweit (auch) die kreditgebende Bank wegen Nichtbeachtung der verlängerten Eigentumsvorbehalte von Zahntechnik-Labors rechtswidrig gehandelt habe, könne offenbleiben; denn dem Kläger sei ein eigener, die Zweckbestimmung der ihm zugeleiteten Gelder mißachtender Pflichtverstoß anzulasten. Er habe nämlich über einen langen Zeitraum hinweg die Einbehaltungspraxis seiner Bank gekannt und gleichwohl erneut Dentallabors beauftragt. Dem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens habe der Senat nicht entsprochen, weil der insoweit bereits im März 2000 angekündigte Wiederaufnahmeantrag – betr das Strafverfahren – erst eine Woche vor der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren gestellt worden sei. Zwischenzeitlich hätten sich keine Umstände ergeben, die eine andere rechtliche Beurteilung zur fehlenden Eignung des Klägers rechtfertigen könnten; er habe vielmehr von den treuwidrig einbehaltenen Geldern immer noch nichts an die Zahntechniker ausgezahlt; zudem sei er im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung wieder Verbindlichkeiten eingegangen, die zu weiteren Pfändungen geführt hätten (Urteil vom 15. November 2000).

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und begehrt, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren auszusetzen; aufgrund einer staatsanwaltschaftlichen Stellungnahme stehe fest, daß zumindest die Wiederaufnahme wegen des Betruges zum Nachteil eines Dentallabors erfolgen werde; es werde in Kürze dargelegt werden, daß die Sach- und Rechtslage im Verhältnis zu den anderen Labors entsprechend sei.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit Rücksicht auf die bereits mehr als vier Jahre zurückliegende rechtskräftige Verurteilung des Klägers durch das LG keine Veranlassung gesehen, die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde bis zum Abschluß eines hinsichtlich Einleitung und Ergebnis nicht absehbaren strafgerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens auszusetzen (§ 114 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Nach Aktenlage bestehen vielmehr Anhaltspunkte, daß der Kläger die Wiederaufnahme nicht mit dem für ein weiteres Zuwarten gebotenen Nachdruck betreibt, sondern bestrebt ist, sich die aufschiebende Wirkung seiner Rechtsmittel gegen die Zulassungsentziehung (vgl §§ 96 Abs 4 Satz 2, 97 Abs 2 Satz 4 SGB V, § 97 Abs 1 Nr 4 SGG) weiter zunutze zu machen. Dieser schon beim LSG, das insoweit verfahrensfehlerfrei entschieden hat, hervorgerufene Eindruck setzt sich nach dem vom Kläger im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftverkehr fort: Während die Staatsanwaltschaft bereits im Januar 2001 Ausführungen zur Wiederaufnahme in bezug auf ein einzelnes Dentallabor gemacht hat (insoweit allerdings auch weiter eine Verurteilung wegen versuchten Betruges für möglich hält), hat der Kläger dazu erst nach mehreren Monaten – im Juni 2001 – Stellung genommen und neue Beweismittel zunächst wiederum erst einmal nur angekündigt. Abgesehen davon hat das LSG beanstandungsfrei darauf abgestellt, daß selbst rechtswidriges Handeln (auch) der kreditgebenden BW-Bank nicht geeignet wäre, eigene gröbliche Pflichtverstöße des Klägers zu verneinen. Ergäbe im übrigen ein vom LG noch zuzulassendes Wiederaufnahmeverfahren, daß der Kläger Sanktionen iS des Strafrechts nicht ausgesetzt werden darf, wäre er im Bereich des Vertragszahnarztrechts durch einen Anspruch auf Neubescheidung und ggf Wiederzulassung hinreichend geschützt.

Die nur bei großzügiger Betrachtung teilweise den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist überwiegend unbegründet. Denn es fehlt der Rechtssache an der von ihm geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Er beruft sich ferner zu Unrecht ergänzend auf Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 2 und Nr 3 SGG.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn eine von der Beschwerde hinreichend deutlich bezeichnete Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Diese Voraussetzungen liegen bei den vom Kläger aufgeworfenen Fragen nicht vor. Sie bewirken auch unter dem Blickwinkel der Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) keine Revisionszulassung, weil der Urteilsausspruch des LSG nicht „auf dieser Abweichung beruht”.

Durch Rechtsprechung des angerufenen Senats geklärt und daher nicht mehr klärungsbedürftig ist, daß bei Entscheidungen von Gremien der vertragsärztlichen Selbstverwaltung, die Beurteilungs- und Ermessensspielräume beinhalten, zwischen der Beschlußfassung und der Herausgabe der ergangenen Entscheidung zur Zustellung höchstens fünf Monate vergangen sein dürfen, um den Bescheid als noch „mit Gründen versehen” iS von § 85 Abs 3 Satz 1 SGG, § 35 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ansehen zu können (so BSG, Urteil vom 28. April 1999 – B 6 KA 79/97 R = SozR 3-1300 § 35 Nr 8 S 20 unter Fortführung von BSGE 72, 214 ff = SozR 3-1500 § 35 Nr 5 und BSGE 76, 300 ff = SozR 3-1300 § 35 Nr 7 jeweils für Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung); für den Fristablauf ist nicht die Übergabe des unterschriebenen Bescheides an die Geschäftsstelle maßgeblich, sondern die „Herausgabe” zum Zwecke der Zustellung bzw Bekanntgabe an die Beteiligten (so BSG SozR 3-1300 § 35 Nr 8 S 20). Demgemäß wäre bei Anwendung dieser Rechtsprechung – anders als vom LSG angenommen – die Übergabe des unterschriebenen Bescheides an die Geschäftsstelle des Beklagten am 24. April 1998 noch nicht fristwahrend und die Aufgabe zur Post am 28. April 1998 verspätet. Allerdings ist durch die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung ebenso bereits mitgeklärt, daß die Nichteinhaltung der fünfmonatigen Begründungsfrist bei gebundenen Entscheidungen – wie Zulassungsentziehungen – unter dem Blickwinkel des § 42 Satz 1 SGB X unschädlich ist (vgl zuletzt BSG SozR 3-1300 § 35 Nr 8 S 21). Nach dieser Vorschrift (in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung) konnte die Aufhebung eines Bescheides ua nicht allein deshalb verlangt werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. So verhält es sich hier, da einem Vertrags(zahn)arzt die Zulassung zu entziehen ist, wenn er seine vertrags(zahn)ärztlichen Pflichten gröblich verletzt (§ 95 Abs 6 SGB V, § 27 Satz 1 Zahnärzte-ZV).

Daran, daß im Falle des Klägers auf der Grundlage der im Strafverfahren und vom LSG getroffenen Feststellungen in der Sache allein die Entziehung der Zulassung in Betracht kam, kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. An der in diesem Zusammenhang mit geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache fehlt es ebenfalls, weil es entgegen der Ansicht des Klägers keiner Klärung in einem (angestrebten) Revisionsverfahren bedarf, daß auch von einem Vertragszahnarzt zu verantwortende gravierende Unregelmäßigkeiten gegenüber den von ihm beauftragten selbständigen Zahntechnikern gröbliche Pflichtverstöße iS der og Vorschriften sind. Die Auffassung des Klägers, seine bestraften Handlungen seien nicht im Zusammenhang mit seiner besonderen Pflichtenstellung als Vertragszahnarzt erfolgt, beruht auf einem grundlegenden Fehlverständnis von der Funktionsweise des Systems der vertragszahnärztlichen Versorgung. Zahntechnische Leistungen gehören zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2, 30 SGB V) und werden den Versicherten regelmäßig nur vermittelt über Vertragszahnärzte zur Verfügung gestellt (vgl § 30 Abs 4 SGB V); Einzelheiten über das Verhältnis Zahnarzt-Zahntechniker-Krankenkasse sind in Ausprägung des im SGB V mehrfach hervorgehobenen Gebots der Zusammenarbeit von Leistungserbringern und Krankenkassen (vgl §§ 2 Abs 4, 4 Abs 3, 70, 72, 88 SGB V) in Gesamtverträgen geregelt, die gemäß §§ 72 Abs 2, 81 Abs 3 Nr 1, 88, 95 Abs 3 iVm § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V für jeden Vertragszahnarzt verbindlich sind. Zahntechniker stehen dabei nicht in dem Sinne außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, daß Vertragszahnärzte mit ihnen nach freiem Belieben in geschäftlichen Kontakt treten könnten, sondern sind in das Regelungssystem des Kassen-/Vertragszahnarztrechts einbezogen (vgl nur BSG SozR 3-2500 § 88 Nr 1 S 2 und Nr 2 S 10). Ein Vertragszahnarzt, der wie der Kläger über zwei Jahre hinweg in 161 Fällen Zahlungen der KZÄV von über 190.000 DM, die bestimmungsgemäß nicht zum Verbleib bei ihm, sondern für die Vergütung von ihm in Auftrag gegebener und ordnungsgemäß erbrachter zahntechnischer Leistungen vorgesehen sind, nicht an die berechtigten Zahntechniker weiterleitet, mißachtet daher in besonderem Maße das mehrseitige, den Interessen aller Beteiligten gerecht werdende gesetzliche und gesamtvertragliche Regelungssystem. Er verletzt damit seine eigenen Pflichten als Leistungserbringer in der vertragszahnärztlichen Versorgung gröblich. Ausmaß und zeitlicher Umfang der Taten des Klägers bewirkten hier eine derart nachhaltige Störung, daß darauf allein mit einer Zulassungsentziehung reagiert werden konnte. Den Kläger trifft dabei eigene Verantwortung für sein strafrechtlich abgeurteiltes Vorgehen, weil er nach den Feststellungen des LSG zahntechnische Aufträge an Dritte selbst noch zu einem Zeitpunkt erteilt hat, als er schon wußte bzw damit rechnen mußte, daß dafür nach dem Verhalten seiner Bank keine ausreichende finanzielle Deckung vorhanden sein würde. Die Schwere der begangenen Pflichtverstöße kommt auch in der Strafe von einem Jahr und neun Monaten für in großem Ausmaß vorsätzlich begangene betrügerische Handlungen zum Ausdruck; das Strafmaß liegt deutlich jenseits der Schwelle von einem Jahr, bei deren Erreichen bei einem Beamten das Beamtenverhältnis kraft Gesetzes endet (vgl § 48 Satz 1 Nr 1 Bundesbeamtengesetz). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unverhältnismäßigen Maßnahme bestehen bei alledem nicht, wie die für den Senat bindenden Feststellungen des LSG auf S 11/12 seines Urteils belegen.

Die Beschwerde ist schließlich unzulässig, soweit der Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend gemacht wird. Es fehlt dazu schon an ausreichenden Darlegungen, daß das LSG dem Kläger kein hinreichendes rechtliches Gehör gewährt habe; denn mit der Beschwerdebegründung wird nicht – wie geboten – geltend gemacht, was bei Einhaltung der vermißten Gehörsgewährung vorgetragen worden wäre und was das LSG dann zu einem abweichenden Urteilsausspruch veranlaßt haben würde (vgl dazu allgemein BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5 S 35 mwN).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175778

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