Verfahrensgang
SG Dresden (Entscheidung vom 06.07.2020; Aktenzeichen S 16 AS 3876/19) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 17.03.2021; Aktenzeichen L 10 AS 616/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 17. März 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG). Der Kläger hat den zur Begründung seiner Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht schlüssig dargelegt und denjenigen des Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird.
Hierfür ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Dazu ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Macht die Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend, muss sie - wie schon in dem Beschluss des Senats vom 25.2.2020 (B 14 AS 181/19 B) zur Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassungsentscheidung im Urteil des Sächsischen LSG vom 17.3.2021 ausgeführt - unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG im Einzelnen darlegen, welchen gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen zukommen und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des Grundgesetzes im Einzelnen dargelegt werden. Dabei ist aufzuzeigen, dass und inwieweit der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und in unzulässiger Weise verletzt hat (stRspr; vgl nur BSG vom 8.9.2016 - B 9 V 13/16 B - RdNr 7 mwN; BSG vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - RdNr 6).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet der Kläger erneut die schon im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren B 14 AS 181/19 B formulierten Fragen:
(1) Ist die mit Art 19 Nr 2b HBeglG vom 9.12.2010 (BGBl I 1885, 1897) zum 1.1.2011 aufgehobene Rentenversicherungspflicht von SGB II-Leistungsbeziehern nach § 3 Nr 3a SGB VI (in der Fassung bis 31.12.2010) insbesondere unter Beachtung des (allgemeinen) Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1, 3 GG), der Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG) und der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG) im Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) verfassungsgemäß?
(2) Sofern Art 19 Nr 2b HBeglG vom 9.12.2010 (BGBl I 1885, 1897) und die zum 1.1.2011 aufgehobene Rentenversicherungspflicht von SGB II-Leistungsbeziehern nach § 3 Nr 3a SGB VI (in der Fassung bis 31.12.2010) verfassungsgemäß sein sollte, haben Bezieher von Alg II (§§ 19 ff SGB II) Anspruch auf Übernahme von freiwillig zu zahlenden Rentenversicherungsbeiträgen nach § 21 Abs 6 SGB II (unabweisbarer, laufender Mehrbedarf)?
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 25.2.2020 (B 14 AS 181/19 B) ausgeführt:
"Soweit der Kläger wegen der als (1) formulierten Rechtsfrage geltend macht, (a) der allgemeine Gleichheitssatz sei verletzt, weil Bezieher von Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Arbeitslosengeld (vgl § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI idF durch das Dritte und Vierte Gesetz für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. und 24.12.2003, BGBl I 2848, 2954) oder von Pflegeunterstützungsgeld aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung (vgl § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI idF durch das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom 23.12.2014, BGBl I 2462), wenn sie im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig waren, in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert seien und demgegenüber auch der Bezug von Alg II faktisch Lohnersatzfunktion habe, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG, die dem Alg II eine solche Funktion gerade nicht beimisst (vgl BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 33 mwN), während sie den in § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI genannten Leistungen zukommt.
Wegen der aufgeworfenen Frage der Verfassungsmäßigkeit der Abschaffung der Rentenversicherungspflicht im Hinblick auf (b) die Eigentumsgarantie hat der Kläger nicht dargelegt, weshalb es - weil notwendige versicherungsrechtliche Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht mehr erreicht werden könnten - zu der von ihm behaupteten Entwertung bislang erworbener Anwartschaften kommen können soll, nachdem der Bezug von Alg II grundsätzlich als Anrechnungszeit zu berücksichtigen ist (§ 58 Abs 1 Satz 1 Nr 6 SGB VI) und daher den Betrachtungszeitraum für die sog Drei-Fünftel-Belegung bei einer Rente wegen Erwerbsminderung verlängert (§ 43 Abs 1 bzw Abs 2 Satz 1 Nr 2, Abs 4 Nr 1 SGB VI). Dass Erwerbsminderungsrentenansprüche im konkreten Fall des Klägers (vgl oben) wegen der Verfehlung der allgemeinen Wartezeit (§ 43 Abs 1 bzw Abs 2 Satz 1 Nr 3, § 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI) ausscheiden, hat er in der Beschwerdebegründung nicht einmal behauptet.
Zu den klägerischen Bedenken wegen (c) der Sicherung eines sozioökonomischen Existenzminimums, weil es dem menschlichen Grundbedürfnis entspreche, ausreichend Vorsorge zu gewährleisten, unterlässt der Kläger eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass das SGB II Vorsorge ermöglicht (vgl § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Halbsatz 1 SGB II iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V; § 11b Abs 1 Satz 4 SGB II) und gesondert schützt (§ 12 Abs 2 Satz 1 Nr 2 und 3 SGB II). Soweit der Kläger geltend macht, er dürfe im Alter und bei Erwerbsminderung nicht auf das Sicherungssystem des SGB XII verwiesen werden, legt er nicht dar, warum, wenn sich wegen der Einstellung der Beitragszahlungen in der Regel eine Minderung der monatlichen Rentenzahlung von 2,09 Euro pro Jahr des Bezugs von Alg II ergibt (vgl die Begründung der Bundesregierung im Gesetzentwurf zum HBeglG 2011, BT-Drucks 17/3030, S 50) angesichts seiner bisherigen Erwerbsbiografie bei einer Fortführung der Beitragszahlungen Hilfebedürftigkeit für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII vermieden hätte werden können.
Wegen der zu (2) formulierten Rechtsfrage hat es der Kläger jedenfalls versäumt, die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage darzulegen. Es mangelt schon an Vorbringen dazu, dass es in seinem Fall auf die Berücksichtigung von Rentenversicherungsbeiträgen als Bedarf ankommen kann, weil er solche Beiträge zu zahlen hat."
Mit der nunmehrigen Nichtzulassungsbeschwerde gibt der Kläger zwar eine Passage des Urteils des BSG vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 33 mwN) wieder und macht geltend, es komme ihm darauf an zu betonen, dass Alg II vom betroffenen Personenkreis faktisch als Lohnersatzleistung empfunden werde, insbesondere wenn sie aufstockende Leistungen nach dem SGB II erhielten. Diese Behauptung ist indes keine rechtliche Auseinandersetzung mit dem zitierten Urteil des BSG. Soweit der Kläger auf eine anteilige Steuerfinanziertheit von Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld abstellt, ist anhand der Beschwerdebegründung nicht erkennbar, inwieweit dem Finanzierungsmerkmal im Rahmen des § 3 Abs 1 Nr 3 SGB VI Bedeutung zukommen kann. Soweit er geltend macht, Abgeordnete in Sachsen erhielten einen steuerfinanzierten Vorsorgebetrag, bildet er zwar eine weitere Vergleichsgruppe von Personen, der gegenüber er eine Ungleichbehandlung von Alg II-Beziehern erkennt. Es fehlen indes - naheliegende - Ausführungen dazu, inwiefern die Tätigkeit von Abgeordneten des sächsischen Landtags mit der Situation von Alg II-Beziehern vergleichbar sein soll, welche keinen Versicherungspflichttatbestand in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen.
Wegen der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums macht der Kläger geltend, dieses beinhalte auch einen laufenden Anspruch auf Vorsorgesicherung. Hierzu gibt er aber weder Rechtsprechung des BVerfG noch des BSG wieder, in der der Inhalt des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aufgezeigt worden ist. Deshalb bleibt im Gefüge der existenzsichernden Leistungssysteme des SGB II und SGB XII nach der Beschwerdebegründung unklar, dass und inwieweit der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und in unzulässiger Weise verletzt hat.
Soweit der Kläger vorbringt, es gehe ihm um einen ermessensfehlerfrei zu ermittelnden angemessenen Beitrag zur (freiwilligen) Rentenversicherung, der unter Beachtung der Rentenanwartschaften und des Alters individuell zu bestimmen sei und so ausfallen müsse, dass mit dem Beginn der Regelaltersrente ein Bezug von Grundsicherungsleistungen im Alter ausgeschlossen werden könne, macht die Beschwerdebegründung keinen Bezug zu der als (1) formulierten Rechtsfrage deutlich.
Ausführungen zur als (1) formulierten Rechtsfrage und der Eigentumsgarantie enthält die Beschwerdebegründung nicht.
Im Hinblick auf einen Anspruch auf Übernahme von freiwillig zu zahlenden Rentenversicherungsbeiträgen nach § 21 Abs 6 SGB II gibt der Kläger in der Beschwerdebegründung wieder, dass er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keinen rechtlichen Verpflichtungen zur Beitragszahlung ausgesetzt gewesen ist und behauptet wegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses Wiederholungsgefahr. Indes setzt sich der Kläger nicht mit der Rechtsprechung des BSG auseinander, nach der ein Mehrbedarf gemäß § 21 Abs 6 SGB II in Betracht kommt, wenn ein seiner Art oder Höhe nach auftretender Bedarf von der Statistik nicht aussagekräftig erfasst wird und sich der Regelbedarf (deshalb) als unzureichend erweist (BSG vom 8.5.2019 - B 14 AS 13/18 R - BSGE 128, 114 = SozR 4-4200 § 21 Nr 31, RdNr 17 mwN). Wegen der Bezugsgröße des Regelbedarfs fehlt auch an dieser Stelle eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung von BVerfG und BSG zum Umfang des Anspruchs auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums.
Hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen § 153 Abs 3 Satz 1 SGG als Verfahrensmangel beim LSG bringt der Kläger zwar vor, dass die Vorschrift weit zu fassen sei und daher eine Unterschrift auch der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter unter den abgefassten Urteilsgründen erfordere. Indes bezeichnet dieses Vorbringen keinen Verfahrensmangel, weil mit dem Erlass des Urteils die Tätigkeit der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter beim LSG endet und daher ein Urteil des LSG mit den Unterschriften der drei Berufsrichter dem Gesetz entspricht (vgl schon BSG vom 22.4.1955 - GS 1/55 - BSGE 1, 1).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
S. Knickrehm Harich Neumann
Fundstellen
Dokument-Index HI15134710 |