Verfahrensgang

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 08.12.2020; Aktenzeichen S 9 KR 240/20)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.04.2022; Aktenzeichen L 5 KR 185/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6003,13 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Das klagende Krankenhaus (im Folgenden: Krankenhaus) behandelte stationär den bei der beklagten Krankenkasse (im Folgenden: KK) versicherten E vom 14.6. bis zum 2.7.2016 wegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium IV links mit einer Nekrose am Fuß links. Es führte auch eine großflächige chirurgische Wundtoilette (Wunddebridement) mit Entfernung von erkranktem Gewebe an Haut und Unterhaut im Bereich des linken Fußes durch und kodierte dies mit OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) 5-896.1g:L. Dieser steuerte zusammen mit den sonstigen OPS und Diagnosen die Fallpauschale DRG F27A (Verschiedene Eingriffe bei Diabetes mellitus mit Komplikationen, mit Gefäßeingriff) an. Auf deren Grundlage stellte das Krankenhaus der KK 14 351,87 Euro in Rechnung. Die KK beglich die Rechnung und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Prüfung des OPS 5-896.1g:L. Der MDK forderte vom Krankenhaus ua den Operationsbericht sowie den Nachweis zu OPS 5-896.1g:L an. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass durch die Unterlagen der Nachweis für die von OPS 5-896.1g:L erfassten Leistungen nicht erbracht sei. Dem Operationsbericht sei nicht zu entnehmen, dass die chirurgische Wundtoilette großflächig (mehr als 4 cm≪sup≫2≪/sup≫) durchgeführt worden sei. Die Nichtkodierung dieser OPS führe zur DRG F14B (Komplexe oder mehrfache Gefäßeingriffe außer große rekonstruktive Eingriffe, ohne äußerst schwere CC). Der Rechnungsbetrag mindere sich um 6003,13 Euro. In dieser Höhe rechnete die KK gegenüber einer unstreitigen Vergütungsforderung auf. Dem widersprach das Krankenhaus. Die KK leitete den Widerspruch an den MDK weiter und verwies darauf, dass die Bearbeitung auf freiwilliger Basis außerhalb der Regelungen der "Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V gemäß § 17c Absatz 2 KHG" (PrüfvV 2014) erfolge (Schreiben vom 26.2.2018). In seinem Zweitgutachten kam der MDK zu dem Ergebnis, dass bei Berücksichtigung der nachträglich vorgelegten Unterlagen der OPS 5-896.1g:L korrekt abgerechnet worden sei. Da die KK nicht zahlte, erhob das Krankenhaus Klage, die in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist. Das LSG hat die Berufung des Krankenhauses mit der Begründung zurückgewiesen, es sei nach § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 mit den Unterlagen präkludiert, mit denen es die ordnungsgemäße Kodierung und damit seinen Vergütungsanspruch im Behandlungsfall E belegen könne. Es könne offenbleiben, ob ein Verzicht auf diese Rechtsfolge überhaupt rechtlich zulässig wäre. Entsprechendes ergebe sich jedenfalls nicht aus dem Urteil des BSG vom 17.12.2013 (B 1 KR 14/13 R). Zu präkludierten Unterlagen äußere sich das BSG in dieser Entscheidung nicht. Dass auf den Präklusionseinwand verzichtet werde, könne dem Schreiben der KK vom 26.2.2018 nicht entnommen werden (Urteil vom 27.4.2022).

Das Krankenhaus wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Krankenhauses ist unzulässig. Es hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Das Krankenhaus richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.

Das Krankenhaus formuliert folgende Rechtsfragen:

"Ist ein MDK-Gutachten, das präkludierte Unterlagen mit einbezieht, in einem späteren gerichtlichen Verfahren verwertbar, wenn die Krankenkasse bis zum Abschluss des Prüfverfahrens keinen Gebrauch des § 7 Abs. 2 S. 4 PrüfvV gemacht hat?

Sind Unterlagen, welche gem. § 7 Abs. 2 S. 4 PrüfvV präkludiert sind und/oder darauf beruhende Aussagen des MDK in einem späteren gerichtlichen Verfahren verwertbar, wenn die Krankenkasse den MDK freiwillig und außerhalb der Regelungen der PrüfvV mit einer Prüfung der Abrechnung des Krankenhauses unter Einbeziehung der nach § 7 Abs. 2 S. 4 PrüfvV präkludierten Unterlagen beauftragt hat?

Handelt es sich bei der im Anschluss an einen Widerspruch des Krankenhauses freiwillig und außerhalb der Regelungen der PrüfvV erfolgten erneuten Beauftragung des MDK unter Einbeziehung nach § 7 Abs. 2 PrüfvV präkludierter Unterlagen um die Umsetzung eines zwischen den Beteiligten konkludent geschlossenen Vergleich zur außergerichtlichen Klärung des strittigen Sachverhalts mit der Folge, dass die Beschwerdegegnerin in der Folge die in dieser MDK-Prüfung getroffenen Feststellungen des MDK berücksichtigen muss und sich diesbezüglich nicht auf eine Präklusion berufen kann?"

a) Das Krankenhaus legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht dar. Es setzt sich zwar mit Rechtsprechung des Senats auseinander. Es geht aber nicht auf die nachfolgende, wörtlich zitierte Passage im Urteil des Senats vom 18.5.2021 ein (B 1 KR 32/20 R - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33, RdNr 17):

"Im Gegensatz zu einer den Anspruch ganz oder teilweise allein durch Zeitablauf ausschließenden Regelung des materiellen Rechts, die den Verlust einer materiell-rechtlichen Anspruchsposition zur Folge hat (materiell-rechtliche Ausschlussfrist), geht nach § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 der Anspruch auf die weitere Vergütung nicht allein wegen des Fristablaufs unter (…). Die Vorschrift führt nicht zum Erlöschen des durch die Behandlungsleistung entstandenen Vergütungsanspruchs. Sie begründet eine materielle Präklusion. Dies bedeutet, dass die nach dem jeweiligen Regelungszusammenhang erforderlichen Handlungen zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs ausgeschlossen sind. Dies hat bei § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 zur Folge, dass die Vergütungsforderung des Krankenhauses nicht auf der Grundlage präkludierter Unterlagen durchgesetzt werden kann (vgl zur Wirkung der Präklusion im Rahmen des § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 und 2016 die Urteile vom 18.5.2021 - B 1 KR 34/20 R, B 1 KR 37/20 R und B 1 KR 39/20 R). Die materielle Präklusion steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Die Gerichte dürfen präkludierte Unterlagen bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigen."

Das Krankenhaus zeigt nicht auf, weshalb es danach auf das außergerichtliche Verhalten der KK für die Frage ankommen kann, ob präkludierte Unterlagen bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen sind. Warum - so die Ausführungen des Krankenhauses - Unterlagen präkludiert sein können, nicht aber die aus diesen präkludierten Unterlagen abgeleiteten Ergebnisse des MDK, und dies keine Umgehung der materiellen Präklusion darstellen soll, wird vom Krankenhaus nicht dargelegt. Auch fehlt es an Ausführungen dazu, warum ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag die nicht disponible Rechtsfolge der materiellen Präklusion mit Wirkung für das Gericht disponibel machen kann. Hinsichtlich der dritten Frage legt das Krankenhaus zudem nicht dar, warum der konkrete Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags zwischen dem Krankenhaus und der KK von grundsätzlicher Bedeutung sein kann.

b) Auch legt das Krankenhaus nicht die Klärungsfähigkeit der dritten Frage dar. In Bezug auf die Klärungsfähigkeit wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8).

Soweit das Krankenhaus mit seiner dritten Rechtsfrage im Kern geltend machen will, dass das LSG unzutreffend davon ausgegangen sei, es sei kein Vergleichsvertrag abgeschlossen worden, wendet es sich gegen die Richtigkeit der LSG-Entscheidung. Es kann aber im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht zur Revisionszulassung führen, wenn ein Beschwerdeführer das angegriffene Urteil für inhaltlich falsch hält (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; BVerfG vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN). Im Übrigen trägt das Krankenhaus selbst vor, dass eine außergerichtliche Einigung nicht zustande gekommen sei.

2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG ≪Dreierausschuss≫ vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen Rechtssatz, der von höchstrichterlicher Rspr abweicht, aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat; dies hat der Beschwerdeführer schlüssig darzulegen (vgl zB BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es.

Das Krankenhaus formuliert keinen Rechtssatz des BSG, von dem das LSG abgewichen sein könnte. Das behauptet das Krankenhaus auch in der Sache nicht. Es verweist auf Ausführungen in einem Urteil des Senats vom 17.12.2013 (B 1 KR 14/13 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 15 RdNr 19). Hiernach können sich Krankenhäuser gegenüber KKn nicht auf die sechswöchige Ausschlussfrist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V berufen, wenn sie nach Ablauf der Frist Behandlungsunterlagen freiwillig dem MDK oder dem Gericht zur Verfügung stellen. Sie sind verwertbar. Das Krankenhaus meint insoweit, der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt sei mit dem nunmehr strittigen Sachverhalt vergleichbar, sodass die Rechtssätze des BSG auf die Anwendung der PrüfvV 2014, die 2013 noch nicht existent war, übertragen werden könnten. Ein Verzicht auf verfahrensrechtliche Einwendungen sei möglich. Damit räumt das Krankenhaus implizit ein, dass das BSG 2013 zum Verzicht einer KK auf die sich aus § 7 PrüfvV ergebende Präklusionswirkung einen derartigen Rechtssatz noch nicht aufgestellt hat. Auch insoweit setzt sich das Krankenhaus nicht mit dem Urteil des Senats vom 18.5.2021 (B 1 KR 32/20 R - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33) auseinander. Das Krankenhaus gibt ferner keinen Rechtssatz des LSG wieder, wonach ein Verzicht der KK aus Rechtsgründen unbeachtlich sei. Die vom Krankenhaus zitierte längere Passage aus dem LSG-Urteil befasst sich damit, dass die KK auch nicht konkludent einen Verzicht auf die materielle Präklusionswirkung erklärt habe. Das Krankenhaus zitiert selbst wie folgt aus dem LSG-Urteil: "Vielmehr wird hier [von der KK] nur die in der PrüfvV 2014 vorgesehene Durchführung einer erneuten Prüfung (sog. Widerspruchsverfahren - 'außerhalb der Regelungen der PrüfvV'), aber nicht die Zulassung weiterer Unterlagen zugestanden."

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Schlegel

ist wegen … an der Signatur gehindert.

gez Estelmann

Geiger

Estelmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15977423

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