Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS der §§ 96 ff AVG aF (= §§ 1317 ff RVO aF)
Orientierungssatz
Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS der §§ 96 ff AVG aF (= §§ 1317 ff RVO aF):
Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts stellt auf einen Zustand ab, der nach seinen objektiven Gegebenheiten auf eine gewisse Stetigkeit und Regelhaftigkeit schließen läßt. Bei der Unterhaltung von zwei Wohnungen im In- und Ausland mit wechselndem Aufenthalt kommt es darauf an, wo der Berechtigte den Schwerpunkt seiner familiären und wirtschaftlichen Bindungen und seiner persönlichen Existenz hat. Danach hat der Rentenberechtigte, selbst wenn er nahezu gleichlang im Inland und im Ausland verweilt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt nur im Ausland, wenn er dort den Schwerpunkt seiner familiären und wirtschaftlichen Bindungen hat - dort zB für sich und seine Frau eine eingerichtete Wohnung unterhält und ihm im Bundesgebiet nur ein möbliertes Zimmer zur Verfügung steht.
Normenkette
AVG § 96; RVO § 1317
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 03.11.1988; Aktenzeichen L 10 An 827/88) |
Gründe
Der Kläger hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 3. November 1988, in dem die Revision nicht zugelassen worden ist, Beschwerde eingelegt und Gewährung von Prozeßkostenhilfe beantragt. Diesem Antrag kann nicht entsprochen werden.
Prozeßkostenhilfe ist nur zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- iVm § 114 der Zivilprozeßordnung -ZPO-). Hieran fehlt es. Die Beschwerde bietet in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist unzulässig. Zwar ist die Beschwerde durch die Prozeßbevollmächtigten des Klägers fristgerecht eingelegt und auch innerhalb der bis 28. April 1989 verlängerten Begründungsfrist begründet worden. Die vorgetragenen Gründe genügen jedoch nicht den gesetzlichen Formerfordernissen.
Auf die Beschwerde ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). In der Begründung der Beschwerde muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt und der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Diesen Formerfordernissen genügt die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers nicht.
Der Kläger begehrt die Rücknahme des Bescheides der Beklagten vom 15. Juli 1980, mit dem das Ruhen der ab 1. September 1976 anerkannten Erwerbsunfähigkeitsrente für die Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb der Bundesrepublik einschließlich Berlin-West angeordnet worden ist, weil die Rente ausschließlich auf Versicherungszeiten beruht, die nicht im Geltungsbereich des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zurückgelegt worden sind. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 2. Oktober 1987 im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Beklagte habe zu Recht den Antrag des Klägers auf Rücknahme des rechtskräftigen Bescheides vom 15. Juli 1980 und auf Auszahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente abgelehnt; denn bei Erlaß dieses Bescheides sei das Recht richtig angewandt worden. Gemäß § 96 AVG in der im Zeitpunkt der Bescheiderteilung vom 15. Juli 1980 gültig gewesenen Fassung (aF) habe auch die Rente eines Deutschen iS von Art 116 GG geruht, solange er sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufgehalten habe. Das sei beim Kläger der Fall gewesen. Er habe einen gewöhnlichen dauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland weder für die Zeit bis zur Bescheiderteilung vom 15. Juli 1980 noch für die Zeit danach nachgewiesen. Nach dem Sprachgebrauch der §§ 98, 99 AVG aF sei jeder Aufenthalt "außerhalb des Geltungsbereichs" gewöhnlich, wenn er nicht vorübergehend, also bis zur Dauer eines Jahres beschränkt sei. Für die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes komme es ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände an, wie sich auch aus § 30 Abs 3 Satz 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) ergebe. Im vorliegenden Fall sei zwar nachgewiesen, daß sich der Kläger zeitweilig im Bundesgebiet aufgehalten habe; jedoch sei eine gewisse Verweildauer von mehreren Monaten - geschweige denn von mehr als einem Jahr - nicht nachgewiesen. Vielmehr ergebe sich aus einer Reihe von - im einzelnen aufgeführten - Umständen, daß sich der Kläger jeweils nur vorübergehend im Bundesgebiet aufgehalten habe und immer wieder nach Jugoslawien zurückgekehrt sei. Einen Mietvertrag über eine Wohnung habe er nicht vorlegen können, vielmehr habe er sich nur in einer Gaststätte einquartiert. Dies und die Anmeldebestätigung des Einwohnermeldeamtes Göppingen sowie der Registrierschein des Grenzdurchgangslagers Friedland seien nicht geeignet, dem Senat die Überzeugung von einer längeren Verweildauer zu vermitteln. Auch seither habe der Kläger seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt nicht in das Bundesgebiet verlegt, so daß seine Rente auch nach den durch das Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 geänderten §§ 94 ff AVG weiterhin ruhe.
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und trägt dazu vor, das LSG habe den Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" iS von § 96 AVG aF iVm § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I unrichtig ausgelegt. Es hätte vielmehr die Gesamtumstände, die im vorliegenden Fall für einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik sprächen, berücksichtigen müssen. Er habe dazu zahlreiche Nachweise vorgelegt und immer wieder darauf hingewiesen, daß er von Ende 1978 an für mehrere Jahre bei Frau K. in Göppingen gewohnt habe. Hierbei habe der zeitweilige Aufenthalt in Jugoslawien keine Berücksichtigung finden dürfen, denn diese kurzfristigen Auslandsaufenthalte hätten ihren Grund maßgeblich in der teuren Lebenshaltung in der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Seine Schwierigkeiten seien gerade dadurch herbeigeführt worden, daß ihm die Beklagte die Auszahlung der Rente verweigert habe. Er habe sich deshalb den ersehnten dauernden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer nicht leisten können, sondern habe nach den ersten vier Jahren vorübergehend wieder Wohnsitz in Jugoslawien nehmen müssen, weil dort das Leben wesentlich billiger sei. Ihm deshalb die Rente zu versagen, widerspreche Grundsätzen eines fairen Verfahrens, so daß in derartigen Fällen § 96 AVG aF weiter ausgelegt werden müsse, und zwar auch im Lichte der Grundrechte - Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) und Art 2 Abs 1 GG -.
Damit ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Dazu verlangt das Bundessozialgericht (BSG) - bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in SozR 1500 § 160a Nr 48 -, daß die Begründung der Beschwerde bestimmte formale Voraussetzungen erfüllt. Der Beschwerdeführer muß die zu entscheidende Rechtsfrage klar bezeichnen und ersichtlich machen, weshalb ihrer Klärung eine grundsätzliche Bedeutung zukommt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 17 S 24). Das ist dann zu bejahen, wenn die Entscheidung der Frage im allgemeinen Interesse liegt, weil sie geeignet ist, die Rechtseinheit zu wahren oder zu sichern oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Darüber hinaus muß dargetan werden, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Dazu sind Ausführungen erforderlich, inwieweit die Beantwortung der Frage zweifelhaft und im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl ua BSG SozR 1500 § 160a Nr 54).
Vorliegend hat der Kläger weder eine Rechtsfrage bezeichnet noch nähere Ausführungen über ihre Grundsätzlichkeit gemacht. Abgesehen davon, daß die vom Kläger beanstandete Auslegung durch das LSG außer Kraft getretene Rechtsvorschriften betrifft (§§ 96 ff AVG in der durch das RAG 1982 ersetzten Fassung des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes -FANG- vom 25. Februar 1960, BGBl I 93), die in aller Regel keine grundsätzlichen Rechtsfragen mehr aufwerfen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 19), hat der Kläger auch nicht beachtet, daß der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts iS der §§ 96 ff AVG aF (= §§ 1317 ff RVO aF) Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung war. Das BSG hat bereits entschieden, daß damit auf einen Zustand abgestellt wird, der nach seinen objektiven Gegebenheiten auf eine gewisse Stetigkeit und Regelhaftigkeit schließen läßt und daß es bei Unterhaltung von zwei Wohnungen im In- und Ausland mit wechselndem Aufenthalt darauf ankommt, wo der Berechtigte den Schwerpunkt seiner familiären und wirtschaftlichen Bindungen und seiner persönlichen Existenz hat. Danach hat der Rentenberechtigte, selbst wenn er nahezu gleichlang im Inland und im Ausland verweilt, seinen gewöhnlichen Aufenthalt nur im Ausland, wenn er dort den Schwerpunkt seiner familiären und wirtschaftlichen Bindungen hat - dort zB für sich und seine Frau eine eingerichtete Wohnung unterhält und ihm im Bundesgebiet nur ein möbliertes Zimmer zur Verfügung steht (BSG SozR Nr 5 zu § 1319 RVO). Ist damit eine vom Kläger möglicherweise aufgeworfene Rechtsfrage zur Auslegung der §§ 1317 ff RVO aF bereits entschieden, hätte er die Zulassung der Revision nur dann erreichen können, wenn er im einzelnen dargelegt hätte, daß und weshalb die aufgezeigte Rechtsfrage gleichwohl klärungsbedürftig geblieben oder wieder geworden ist, obwohl sie altes Recht betrifft. Dies ist nicht geschehen. Das vorbezeichnete Urteil ist in der Beschwerdebegründung nicht erwähnt.
Im übrigen kann die Rüge einer falschen Sachentscheidung oder die Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), auf die die Beschwerdebegründung im wesentlichen hinausläuft, nicht zur Zulassung der Revision führen. Es reicht daher auch nicht aus, wenn der Kläger geltend macht, das LSG habe den Gesamtumständen des Falles einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland entnehmen müssen bzw hätte die zahlreichen Nachweise in diesem Sinne werten müssen. Mit derartigen gegen die Wertung von Tatsachen gerichteten Rügen kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.
Unzulässig ist die Beschwerde auch insoweit, als der Kläger einen Verstoß gegen § 103 und § 106 SGG rügt. Auf einen Verstoß gegen § 103 SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde nur dann mit Erfolg gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Es muß deshalb in der Beschwerdebegründung ein Beweisantrag bezeichnet werden, den das Gericht übergangen hat, und dargelegt werden, daß und aus welchen Gründen sich das Gericht zur Erhebung dieses Beweises hätte gedrängt sehen müssen. Auch dazu enthält die Beschwerdebegründung nichts. Der Kläger hat nicht angegeben, daß überhaupt ein Beweisantrag gestellt worden ist. Er meint vielmehr, das LSG habe § 106 SGG und den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt, indem es ihm zum Nachweis des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik aufgegeben habe, einen Mietvertrag vorzulegen, ohne ihn gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß ein Mietverhältnis auch anderweitig - zB durch Anhörung der Vermieterin - nachgewiesen werden könne. Auch damit ist ein Verfahrensmangel iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Abgesehen davon, daß es an Darlegungen fehlt, daß und warum das angefochtene Urteil auf einem derartigen Verfahrensmangel beruhen kann, kann ein nicht gestellter Beweisantrag im allgemeinen nicht über den Umweg einer Rüge des § 106 Abs 1 oder des § 112 Abs 2 SGG zur Zulassung der Revision führen. Hält das Tatsachengericht eine Beweiserhebung für notwendig, so hat es nicht auf einen entsprechenden Beweisantrag des Beteiligten hinzuwirken, sondern den Beweis auch ohne Antrag zu erheben. Deshalb hat der Beweisantrag im sozialgerichtlichen Verfahren - als Beweisanregung - grundsätzlich nur Bedeutung im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, wonach die Revision nur dann zuzulassen ist, wenn das LSG einem gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13). Hat das LSG einen nicht beantragten Beweis unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht erhoben bzw nicht auf einen entsprechenden Beweisantrag hingewirkt, kann darauf die Beschwerde nicht gestützt werden, weil im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG die Beweiswürdigung des LSG nicht nachprüfbar ist.
Schließlich kann der Kläger seine Beschwerde auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs stützen. Sein Vortrag, er sei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig und daher sein Vorbringen nicht vollständig verständlich, so daß das LSG einen Dolmetscher hätte hinzuziehen müssen, genügt nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Der Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) ist dann nicht hinreichend bezeichnet, wenn nicht angegeben wird, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Der Kläger hat schon nicht dargetan, welches zur Beeinflussung der Entscheidung des LSG geeignete zusätzliche oder andere Vorbringen ihm durch das Verhalten des LSG abgeschnitten worden ist und inwiefern das Urteil des LSG bei solchem Vorbringen hätte anders ausfallen können. Dazu hat besonders deshalb Anlaß bestanden, weil der Kläger mehrfach in eigenhändig gefertigten Schreiben die deutsche Sprache benutzt und sich dabei durchaus verständlich ausgedrückt hat. Darüber hinaus kann ein Beteiligter, auch wenn er der deutschen Sprache nicht mächtig ist, auf die Einhaltung des § 185 des Gerichtsverfassungsgesetzes -GVG- (Zuziehung eines Dolmetschers) verzichten und auch sein Rügerecht nach § 295 Abs 1 ZPO verlieren (BVerwG NJW 1988, 723; NVwZ 1983, 668). Ferner kann er sich auf einen Verstoß gegen § 185 GVG nicht berufen, wenn er seine prozessuale Möglichkeit, eine Verhandlung mit einem Dolmetscher herbeizuführen, nicht ausgenutzt hat, insbesondere einen Antrag auf Vertagung nicht gestellt hat (BVerwG BayVBl 1982, 349). Der Kläger hat weder vorgetragen, daß er die Zuziehung eines Dolmetschers beantragt bzw wegen eines fehlenden Dolmetschers Antrag auf Vertagung gestellt hatte noch, daß er sonst das Gericht auf seine mangelnden deutschen Sprachkenntnisse hingewiesen hatte.
Die Nichtzulassungsbeschwerde erweist sich demnach mangels formgerechter Darlegung eines Zulassungsgrundes als unzulässig und ist in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen.
Mangels Erfolgsaussicht der Beschwerde fehlt es an den Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, die deshalb abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen