Verfahrensgang
LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 26.11.1997) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. November 1997 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Das Arbeitsamt (ArbA) Neubrandenburg lehnte den Antrag der in zweiter Ehe verheirateten Klägerin auf Anschluß-Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 14. Januar bis 13. April 1994 ab, da die Klägerin angesichts des Einkommens ihres Ehemannes, soweit dieses den Freibetrag übersteige, nicht bedürftig sei. Für die Zeit vom 11. Juli 1994 bis 31. Mai 1995 bewilligte das ArbA Arbeitslosenhilfe (Alhi), allerdings nur in Höhe von wöchentlich 6,30 DM bzw ab 2. Januar 1995 in Höhe von wöchentlich 0,90 DM. Bei der Berücksichtigung des Einkommens des Ehemannes hatte das ArbA zwar den Freibetrag nach § 138 Abs 1 Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353; 1. SKPWG) erhalten hat, um 310 DM monatlich an Unterhaltsleistungen erhöht, die der Ehemann dem gemeinsamen Sohn Sebastian (geboren 1988) zu erbringen hat; das ArbA lehnte es aber ab, den Freibetrag ferner wegen Unterhaltsleistungen für R. … (geboren 1980) und A. … (geboren 1984) zu erhöhen. R. … und A. … sind Kinder der Klägerin aus erster Ehe; sie leben im ehelichen Haushalt ihrer Mutter und erhalten von ihrem Vater, der Sozialhilfe beziehen soll, keinen Unterhalt.
Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alhi unter Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen ihres Ehemannes für R. … und A. … als Leistungen iS des § 138 Abs 1 Satz 3 AFG zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, Leistungen, die der Ehemann R. … und A. … erbracht habe, seien im Rahmen des § 138 Abs 1 Satz 3 AFG nicht zu berücksichtigen. Die Vorschrift knüpfe allein an die rechtliche Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen an; unerheblich seien Unterhaltsleistungen, die der Ehemann ohne Rechtspflicht erbringe.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie geltend macht, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Klägerin beantragt,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Rechtssache komme keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Entscheidungsgründe
II
Die ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gestützte Beschwerde ist unzulässig; in der Beschwerdebegründung ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt worden.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist hiernach in der Weise darzutun, daß eine Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren geeignet ist, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Rechtsfortbildung zu fördern. In diesem Sinne ist – neben der Klärungsfähigkeit im zu entscheidenden Falle – ua die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage aufzuzeigen, an der es regelmäßig fehlt, wenn sich die Frage unmittelbar aus dem Gesetz beantworten läßt oder der vorhandenen Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung sich entnehmen lassen. Angesichts der gesicherten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Unterhaltsanspruch von Stiefkindern und dem Wortlaut des § 138 Abs 1 AFG im Vergleich mit dem früheren Recht ist auch nach dem Vorbringen der Klägerin nicht ersichtlich, weshalb zweifelhaft sein soll, ob der bei der Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten des Arbeitslosen einzuräumende Freibetrag nach § 138 Abs 1 Satz 3 AFG um Unterhaltsleistungen zu erhöhen ist, die der Ehegatte in der Familie lebenden Kindern des Arbeitslosen erbringt.
Nach § 138 Abs 3 Satz 1 AFG erhöht sich der bei der Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten des Arbeitslosen für dessen Bedarf eingeräumte Freibetrag „um Unterhaltsleistungen, die dieser Ehegatte Dritten aufgrund einer rechtlichen Pflicht zu erbringen hat”. Die Erhöhung des Freibetrags setzt hiernach eine rechtliche Pflicht des Ehegatten zu Unterhaltsleistungen voraus. Sittliche Verpflichtungen genügen nicht. Einen Ehegatten trifft gegenüber den leiblichen Kindern des Ehepartners keine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung, auch nicht bei Einbenennung. Die Verpflichtung des Ehegatten, die Familie angemessen zu unterhalten, beschränkt sich auf die persönlichen Bedürfnisse des Ehepartners und auf den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder (§§ 1359, 1360a, 1626 BGB; BGH NJW 1969, 2007 = JZ 1969, 704 = FamRZ 1969, 599; BGH FamRZ 1984, 462; BVerwGE 10, 145, 147 = Buchholz 436.1 Reichsgrundsätze § 5 Nr 1). Die Unterhaltspflicht eines Ehegatten gegenüber nicht gemeinsamen Kindern verpflichtet den anderen nicht zu Mehrleistungen für die persönlichen Bedürfnisse des unterhaltsberechtigten Ehegatten. Es gibt daher auch keine „mittelbare” rechtliche Pflicht, Stiefkinder zu unterhalten (BVerwG aaO). Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich auch nicht, daß sich im vorliegenden Falle die Frage stellt, ob iS des § 138 Abs 1 Satz 3 AFG rechtlich verpflichtet ist, wer sich durch Vertrag zur Unterhaltsgewährung verpflichtet hat (vgl Gagel/Ebsen, AFG, Stand September 1997, § 138 RdNr 155).
Daß ein Stiefvater Stiefkinder unmittelbar oder in Fällen der Zurverfügungstellung hohen Taschengeldes an die Mutter, das diese dann ggf mit unterhaltsberechtigten Kindern teilen muß, mittelbar tatsächlich unterhält, ist nach der Neufassung des § 138 Abs 1 Satz 3 AFG unerheblich. Die Neufassung stellt anders als § 138 Abs 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung nicht auf die Unterhaltsleistung, sondern allein auf die Unterhaltsverpflichtung ab und berücksichtigt entgegen dem bisherigen Recht sittliche Verpflichtungen, zu denen die Unterhaltung von Stiefkindern gehören kann, nicht. Die Klägerin macht auch nicht geltend, daß der Wegfall der Freibetragserhöhung bei Unterhaltsgewährung aus sittlicher Pflicht nach der Gesetzesbegründung, dem mit dem 1. SKPWG beabsichtigten (Spar-) Zweck oder nach dem Schrifttum zweifelhaft ist. Das wäre auch nicht möglich gewesen. Die Bundesregierung hat nämlich zur Begründung der Neufassung ausgeführt, daß das Einkommen des Ehegatten jenseits des Existenzminimums künftig auch nicht berücksichtigt werden soll, „soweit der Ehegatte Dritten gegenüber rechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist” (BT-Drucks 12/5502 S 36). Daß das Bestehen oder die Erfüllung einer sittlichen Pflicht nicht (mehr) genügt, wird im Schrifttum nicht bezweifelt (Gagel/Ebsen aaO Rz 152; Niesel/Kärcher, AFG, 2. Auflage 1997, § 138 Rzn 18 f).
Hinsichtlich der hilfsweise aufgeworfenen Frage, ob § 138 Abs 1 Satz 3 AFG gegen Artikel 3 und 6 Grundgesetz (GG) verstößt, als der Freibetrag nicht um aufgrund mittelbar rechtlicher Pflicht erbrachter Unterhaltsleistungen erhöht wird, ist schon nicht dargelegt, daß sich die Frage im vorliegenden Falle dem Revisionsgericht stellt. Ein Verstoß gegen Artikel 3 und Artikel 6 GG käme nur in Betracht, wenn der Klägerin nach § 138 Abs 1 AFG wegen solcher Einkommensteile ihres Ehemannes Alhi zu verweigern wäre, die für ihre minderjährigen Kinder aus erster Ehe eingesetzt werden müssen, für die weder der gesetzliche Unterhalt, Unterhaltsvorschußleistungen oder Sozialhilfe erlangt werden kann. Daß die Kinder aus erster Ehe auch keine Sozialhilfe erlangen können, ist indessen nicht schon mit dem Hinweis auf die gesetzliche Vermutung des § 16 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) dargetan. Abgesehen davon, daß die Vermutung des § 16 Abs 1 BSHG, derzufolge der Hilfesuchende von Verwandten oder Verschwägerten – Sozialhilfebedürftigkeit ausschließende – Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, widerleglich ist, genügt für sie nicht, daß die Hilfesuchenden, hier die beiden Kinder, in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten und Verschwägerten leben. Die Vermutung tritt nämlich nur ein, soweit dies nach den Einkommen und Vermögen der in Haushaltsgemeinschaft mitlebenden Verwandten und, worauf es hier ankommt, Verschwägerten erwartet werden kann. Es hätte deshalb dargelegt werden müssen, daß angesichts der Einkommensverhältnisse des Ehemannes der Klägerin ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt der beiden Stiefkinder von vornherein nicht in Betracht gekommen wäre. Das ist nicht geschehen und wäre wohl auch auf Schwierigkeiten gestoßen. Denn Leistungen zum Lebensunterhalt für im Haushalt lebende minderjährige Kinder des Ehepartners können nach dem Einkommen eines Stiefvaters nur dann erwartet werden, soweit nach Abzug eines angemessenen Selbstbehalts und angemessenen Unterhalts für Unterhaltsberechtigte, hier also für den Ehemann, die Klägerin und Sebastian, vom Einkommen etwas übrig bleibt (BVerwG Buchholz 436.0 BSHG § 16 Nr 4 = FEVS 46, 441; vgl BVerwG 10, 145, 148 = Buchholz 436.1 Reichsgrundsätze § 5 Nr 1). Angesichts der nicht hohen Nettoentgelte des Ehemannes, die das LSG festgestellt hat, und der Freibeträge, die die Verwaltungsgerichte schon gegenüber im Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Verwandten einräumen, bevor die Vermutung greift (vgl BVerwG aa0; ferner OVG Lüneburg FEVS 37, 367, 370: doppelter Regelsatz für den Einkommensbezieher, eineinhalbfacher Regelsatz für Unterhaltsberechtigte, Miete, Heizung, Sonderbedarf, zusätzlicher Freibetrag von 10% für den Erwerbstätigen), dürfte kaum etwas für die Stiefkinder bzw die Vermutung übrigbleiben.
Da die Beschwerdebegründung die Klärungsbedürftigkeit bzw Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht darlegt, ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen