Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 07.10.1999; Aktenzeichen L 5 AL 64/98)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 7. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit betrifft die Bemessung von originärer Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der Kläger leistete vom 1. April 1992 bis zum 6. April 1995 als Referendar im Beamtenverhältnis juristischen Vorbereitungsdienst. Er erhielt im Oktober 1994 2.099,00 DM und von November 1994 bis März 1995 monatlich 2.597,00 DM Dienstbezüge. Bei der Bemessung der Alhi ab April 1995 legte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) 50 vH eines Gehalts nach der Vergütungsgruppe IIa des Bundesangestellten-Tarifvertrages (5.594,27 DM: 2 = 2.797,13 DM) zugrunde. Klage und Berufung, mit welcher der Kläger geltend machte, bei der Bemessung seien die Bezüge während des Vorbereitungsdienstes aufgestockt um die bei Arbeitnehmern üblichen Abzüge zu berücksichtigen, blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ist davon ausgegangen, der Kläger werde für den Anspruch auf Alhi einem beitragspflichtig Beschäftigten gleichgestellt. Obwohl er als Beamter beitragsfrei beschäftigt gewesen sei, seien seine Bezüge wie das Arbeitsentgelt von Beitragspflichtigen zu behandeln. Da die Referendarzeit der Berufsausbildung diene, sei nach § 112 Abs 5 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Hälfte des nach der Ausbildung erzielbaren Tarifgehalts als Bemessungsentgelt zu berücksichtigen. Das sei günstiger als die Bruttobezüge eines Referendars ohne die Aufstockung um Sozialversicherungsbeiträge. Die Argumentation des Klägers laufe darauf hinaus, die Gleichstellung mit Beitragspflichtigen bei der Begründung des Anspruchs auf Alhi mit den Vorzügen seiner beitragsfreien Beschäftigung als Beamter zu kombinieren. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

Mit der Beschwerde macht der Kläger den Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache geltend. Er führt aus, die Gleichstellung nicht Beitragspflichtiger gelte auch noch nach der Änderung des Sozialgesetzbuchs – Arbeitsförderung (SGB III) ab 1. Januar 2000, weil nach §§ 434b Abs 2, 191 Abs 4 SGB III Arbeitslose, die vor dem 1. Januar 2000 eine Beschäftigung im Ausland aufgenommen hätten, weiterhin Beitragspflichtigen gleichgestellt seien. Die Rechtsansicht des LSG, die Bruttobezüge einer sozialversicherungsfreien Beschäftigung könnten wegen der Gleichstellung dem fiktiven Bruttoentgelt einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Rahmen des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG gegenübergestellt werden, sei im Hinblick auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. März 1982 – 7 RAr 46/81 – (BSGE 53, 186, 191 = SozR 4100 § 112 Nr 20) grundsätzlich bedeutsam. Dort sei ausgeführt, der Unterhaltszuschuß eines Referendars sei einem Arbeitsentgelt schon deswegen nicht gegenüberzustellen, weil das Beamtenverhältnis die Beitragspflicht nicht begründet habe. Aus dem Urteil des BSG vom 5. Mai 1970 – 7 RAr 13/69 – (BSGE 31, 156, 158 = SozR Nr 2 zu § 148 AVAVG) sei zu entnehmen, die Gleichstellung schaffe nur eine an sich nicht gegebene Anspruchsvoraussetzung, sie enthalte dagegen keine Bemessungsregelung. Das LSG vermische in unzulässiger Weise die Gleichstellung als Grundlage von Ansprüchen mit den Folgen der Gleichstellung von Beschäftigungszeiten. Es berücksichtige nicht die unterschiedliche Bemessung von Beamtenbezügen und vergleichbaren Arbeitsentgelten. Auch für beitragspflichtige Gleichgestellte müsse das Lebensstandardprinzip gelten. Selbst wenn mit dem LSG davon auszugehen sei, Bruttobeträge seien iS des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG vergleichbar, sei wegen der Bemessung der Leistung nach Nettobeträgen ein Rückgriff auf Bruttobeträge nur zulässig, wenn eine pauschalierende Betrachtungsweise (dazu: BVerfGE 90, 226, 237) zulässig sei. Dieser Frage komme grundsätzliche Bedeutung zu. Sie betreffe alle Arbeitnehmer, bei denen mehrere Befreiungs- und Vergünstigungstatbestände zu vergleichsweise geringen Abzügen bei dem Bruttolohn führten. Das gelte auch für die Fälle der §§ 346 Abs 2, 347 Nr 2 und 3 SGB III. Gegenüber dem Einwand, eine Aufstockung sei dem AFG fremd, sei auf die Berechnung des Freibetrages nach § 194 Abs 1 Satz 2 SGB III bei Renteneinkommen des Ehegatten eines Arbeitslosen hinzuweisen. Es stelle sich die Frage, warum auf fiktive Arbeitsentgelte zurückzugreifen sei, wenn die Möglichkeit bestehe, vorhandene Arbeitsentgelte fiktiv hochzurechnen. Bei der Leistungsbemessung für frühere Mitglieder landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften sei das „Thüringer LSG” entsprechend vorgegangen und habe die BA dazu verurteilt, das Bruttoarbeitsentgelt erst einmal zu errechnen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung der Kirchensteuer als bei Arbeitnehmern gewöhnlichem Abzug, hätte das LSG wegen zunehmender Bedenken in der Rechtsprechung gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung, die Revision zulassen müssen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG am 7. Oktober 1999 seien von der Regelung noch eine Vielzahl von Rechts- und Lehramtsreferendaren betroffen gewesen. Das Gesetzgebungsverfahren sei erst durch die Verkündung des Gesetzes am 29. Dezember 1999 abgeschlossen gewesen. Als Verfahrensmangel werde gerügt, das Urteil sei nicht innerhalb von fünf Monaten nach Verkündung der Geschäftsstelle übergeben worden. Die Urschrift sei von einem der Berufsrichter nur mit einer Paraphe unterzeichnet worden. Der Name des Richters sei aus dem Schriftbild nicht zu erkennen, weil kein Buchstabe auch nur andeutungsweise auf den Namen des Richters hindeute. Eine nachgebesserte vollständige Abfassung des Urteils sei innerhalb der Frist nicht mehr möglich.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist nicht begründet; Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

1. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache nicht zu, soweit das LSG für die Bemessung der Alhi auf der Grundlage der §§ 134 Abs 4 Satz 1, 112 Abs 5 Nr 2 AFG von einem erzielbaren tariflichen Entgelt ausgegangen ist. Unerläßliches Merkmal grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache ist nach ständiger Rechtsprechung die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage im Allgemeininteresse. Mit seinem Anliegen, die Alhi nach den Bezügen während seiner Ausbildung als Referendar im Beamtenverhältnis zu bemessen, wirft der Kläger zwar eine Rechtsfrage auf. Sie geht dahin, ob das Arbeitsentgelt einer beitragsfreien Beschäftigung zur Berufsausbildung zur Ermittlung des in § 112 Abs 5 Nr 2 AFG festgelegten Mindestentgelts um die üblichen Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung aufzustocken ist.

Diese Frage ist jedoch im Allgemeininteresse nicht mehr klärungsbedürftig. Dies gilt nicht nur, weil der Gesetzgeber die originäre Alhi mit Wirkung ab 1. Januar 2000 abgeschafft hat (3. SGB III-ÄndG vom 22. Dezember 1999, BGBl I 2624). Eine der Regelung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG entsprechende Frage stellte sich schon seit Inkrafttreten des SGB III am 1. Januar 1998 wegen der Änderung der Bemessungsvorschriften nicht mehr. Danach kam als Bemessungsentgelt nur noch Arbeitsentgelt in Betracht, das der Beitragserhebung zugrundegelegen hat (§§ 200 Abs 1 Satz 2, 134 Abs 2 Nr 2, 132 Abs 1 SGB III). Die Hinweise der Beschwerdebegründung auf Alhi-Bezug nach Beschäftigung im Ausland sind danach nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung darzulegen. Auch die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung stellt sich danach nicht. Sie ist im übrigen geklärt (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 141 f).

Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, inwiefern für die Bemessung von Leistungen nach einer Beschäftigung im Ausland die gleiche Interessenlage auftreten soll wie bei dem Bezug von Alhi nach einer Tätigkeit als Beamter. Entscheidend für die Bemessung der Alhi ist auch nicht die Gleichstellung von Beamtentätigkeiten mit die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen (§ 134 Abs 2 Nr 1 AFG), sondern die Verweisungsvorschrift des § 136 Abs 2 Nr 2 AFG. Deshalb steht der in der Beschwerdebegründung zitierte Satz aus BSGE 31, 156, 158 = SozR Nr 2 zu § 148 AVAVG der Bemessung nach einem erzielbaren tariflichen Entgelt nicht entgegen. Der angeführten Entscheidung ist im übrigen zu entnehmen, daß das BSG eine Aufstockung von Beamtenbezügen nicht erwogen hat. Die Bezugnahme auf BSGE 53, 186, 190 = SozR 4100 § 112 Nr 20 geht fehl, weil sie nicht die Bemessung eines Anspruchs auf originäre Alhi betrifft. In jenem Falle hatte der Referendar während seiner Ausbildung im Beamtenverhältnis eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Hochschule ausgeübt, so daß die Bemessung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit aufgrund der Beitragspflicht dieser Beschäftigung zu bescheiden war.

Im übrigen versteht das BSG die Bemessungsvorschriften des AFG nicht allein als Ausdruck des Lebensstandardprinzips. Vielmehr verwirklichen sie die Lohnersatzfunktion von Leistungen bei Arbeitslosigkeit dadurch, daß diese an die Stelle des wegen der Arbeitslosigkeit nicht erzielten, aber erzielbaren Arbeitsentgelts treten. Dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt kommt dabei in der Regel Indizfunktion für das erzielbare Arbeitsentgelt zu (BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3; BSG Urteile vom 24. Juni 1999 – B 11 AL 75/98 R – unveröffentlicht und vom 18. Mai 2000 – B 11 AL 77/99 R – zur Veröffentlichung vorgesehen). In dieses Verständnis fügt sich die Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG im vorliegenden Zusammenhang ein. Das Lebensstandardprinzip enthält kein Verfassungsgebot (BVerfGE 90, 226, 290 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6).

2. Die Klärungsbedürftigkeit ergibt sich auch nicht aus den Hinweisen der Beschwerdebegründung auf die Bemessung des Altersübergangsgeldes für ehemalige Mitglieder landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften, Art 3 Abs 1 Grundgesetz und das vermeintliche Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung. Bei der in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen Rechtsprechung handelt es sich um ein Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 26. März 1992 – L 1 Ar 6/91 – (E-LSG 030), das allerdings durch das nicht veröffentlichte Urteil des BSG vom 10. November 1993 – 11 RAr 53/92 – aufgehoben worden ist. Eine Aufstockung der Einkünfte von Mitgliedern landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften hat das BSG auch in dem Urteil vom gleichen Tage (BSG SozR 4100 § 249e Nr 2) als dem AFG fremd abgelehnt. Mit der verfassungsrechtlichen Frage hat sich das BSG aaO eingehend auseinander gesetzt und ausgeführt, daß verfassungsrechtliche Grenzen für eine Typisierung und Pauschalisierung bei der vergleichbaren Problematik der Bemessung von Leistungen für frühere Mitglieder landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften nicht überschritten sind (vgl auch: BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 5 mwN).

3. Zu der weiteren Frage der Behandlung von Kirchensteuer als einem bei Arbeitnehmern üblichen Abzug hat sich das BSG in der genannten und einer Reihe weiterer Urteile bereits geäußert. Mit dem allgemeinen Hinweis auf inzwischen eingetretene Änderungen läßt sich die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht darlegen. Das gilt zum einen wegen des geringen zeitlichen Abstands zu jenen Entscheidungen, zum anderen wegen des Erfordernisses, zur Begründung grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten substantielle Ausführungen zu machen. Die Darstellung bloßer verfassungsrechtlicher Zweifel ist nicht ausreichend, um die Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen darzulegen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 23).

4. Schließlich ist die Rüge, eine richterliche Unterschrift sei nicht leserlich, nicht geeignet, den Revisionsrechtszug wegen eines Verfahrensfehlers zu eröffnen. Bei Urteilen, die – wie hier – nach mündlicher Verhandlung ergehen, wird der Verlautbarungswille der beteiligten Richter durch die öffentliche Verkündung deutlich (§ 132 SGG; vgl auch BVerwG DVBl 1993, 882). In welcher Hinsicht der mangelnden Leserlichkeit oder dem Fehlen einer richterlichen Unterschrift prozeßrechtlich Bedeutung zukommt, ist hier nicht im einzelnen zu verfolgen. Die Frage der Authentizität von Entscheidungsgründen bei mehr als fünf Monaten Abstand zur mündlichen Verhandlung stellt sich hier nicht. Kann selbst eine fehlende Unterschrift jederzeit nachgeholt werden (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl 1993, S 328; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl 1999; § 315 RdNr 2; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 153 RdNr 11), gilt dies um so mehr, wenn auch die Beschwerdebegründung Zweifel an der Identität des Schriftzugs nicht aufwirft und die Wahrung der Frist von fünf Monaten für die Absetzung des Urteils durch alle an der Entscheidung beteiligten Berufsrichter nicht in Frage gestellt wird. Für die Frage der Lesbarkeit oder Identifizierbarkeit von Unterschriften gilt im übrigen der Satz: „Kleinliche Beckmesserei ist hier ebensowenig am Platz wie bei § 151”, dh fristwahrenden Schriftsätzen (Meyer-Ladewig, aaO § 134 RdNr 2a).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175246

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