Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhaltlicher Revisionsantrag innerhalb einer Nichtzulassungsbeschwerde. Verbindung mehrerer Wiederaufnahmeklagen. 5-Jahresfrist
Orientierungssatz
So wie eine Revision unzulässig ist, die gleichzeitig mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eingelegt wird (vgl BSG vom 24.4.1975 - 2 RU 63/75 = SozR 1500 § 160 Nr 1), ist innerhalb einer Nichtzulassungsbeschwerde ein Antrag unstatthaft, der - ohne als Revision bezeichnet zu sein - seinem Inhalt nach einem Revisionsantrag entspricht.
Werden mehrere Wiederaufnahmeklagen miteinander verbunden, von denen sich jede gegen ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil richtet, ist für jede Klage zu prüfen, ob sie vor Ablauf der fünf Jahre des jeweils angefochtenen Urteils erhoben ist.
Normenkette
SGG § 160a Abs 2, § 113 Abs 1, § 179 Abs 1; ZPO § 586 Abs 2; SGG § 160
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 05.10.1989; Aktenzeichen L 9 Ar 85/89) |
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde sowie die Anträge, die der Kläger gestellt hat, nachdem das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen durch das Urteil vom 5. Oktober 1989 - L 9 Ar 85/89 - zwei vom Kläger erhobene Restitutionsklagen als unzulässig verworfen und eine weitere zurückgewiesen sowie in diesem Urteil die Revision nicht zugelassen hat, bleiben sämtlich ohne Erfolg. Zu entscheiden ist hierbei lediglich über die endgültig gestellten Anträge, wie sie sich aus dem Schriftsatz vom 12. Februar 1990 ergeben; denn mit den endgültig gestellten Anträgen haben die davor gestellten ihre letztlich gültige Form erhalten.
1.
Ohne Erfolg bleibt der im Schriftsatz vom 12. Februar 1990 unter Nr 5 gestellte Antrag, dem Kläger unter Beiordnung von Rechtsanwalt J. Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.
Prozeßkostenhilfe ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz <SGG>, § 114 Zivilprozeßordnung <ZPO>). Hieran fehlt es; denn alle weiteren Anträge, auch der Antrag auf Zulassung der Revision, erweisen sich als unzulässig. Die dafür abgegebenen Begründungen sind vom juristischen Standpunkt aus weitgehend abwegig. Sie berücksichtigen insbesondere nicht die revisionsrechtlichen Besonderheiten der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, dem hier allein statthaften Rechtsmittel. Dies legt den Verdacht nahe, daß sie entgegen § 166 SGG nicht von einem postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten stammen, der den Prozeßstoff selbst überprüft hat, obwohl sie die Unterschrift des Rechtsanwalts J. tragen. Indessen kann dahingestellt bleiben, ob sich die Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde und der weiteren Anträge bereits hieraus ergibt.
2.
Die neben der Nichtzulassungsbeschwerde gestellten Anträge sind sämtlich unstatthaft.
a)
Unstatthaft sind die im Schriftsatz vom 12. Februar 1990 unter Nrn 3 und 4 gestellten Anträge, mit denen der Kläger unter Aufhebung des Urteils des LSG eine bestimmte andere Entscheidung über seine drei Wiederaufnahmeklagen erstrebt. Der Kläger übersieht, daß das LSG die Revision nicht zugelassen hat und deshalb statthaft lediglich die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sein kann. In diesem Beschwerdeverfahren wird indes lediglich über die Zulassung der Revision entschieden, nicht aber über den oder die Streitgegenstände, über die das LSG durch Urteil befunden hat. Diesbezüglich sind Anträge daher erst statthaft, wenn und soweit die Revision zugelassen worden ist. So wie eine Revision unzulässig ist, die gleichzeitig mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eingelegt wird (BSG SozR 1500 § 160 Nr 1), ist innerhalb einer Nichtzulassungsbeschwerde ein Antrag unstatthaft, der - ohne als Revision bezeichnet zu sein - seinem Inhalt nach einem Revisionsantrag entspricht.
b)
Ebenfalls unstatthaft ist der im Schriftsatz vom 12. Februar 1990 unter Nr 2 gestellte Antrag, mit dem der Kläger eine Anweisung an den 9. Senat des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen erstrebt, über seinen dort gestellten Antrag zu entscheiden, nachträglich die Revision gegen das Urteil vom 5. Oktober 1989 - L 9 Ar 85/89 - zuzulassen. Abgesehen davon, daß schon wegen der Unabhängigkeit der Gerichte kein Raum für Anweisungen des obersten Bundesgerichts an Landesgerichte ist, in bestimmter Hinsicht tätig zu werden, sind Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) nur aufgrund der im Gesetz vorgesehenen
Rechtsmittel statthaft, insbesondere also aufgrund einer Revision und einer Nichtzulassungsbeschwerde, zu denen der hier gestellte Antrag jedoch nicht gehört.
Der Kläger verkennt im übrigen, daß sein an das LSG gestellter Antrag, abweichend vom Urteil nachträglich die Revision zuzulassen, von vornherein aussichtslos ist. Das LSG ist nämlich daran gebunden, wenn es im erlassenen Urteil die Revision nicht zugelassen hat (§ 202 SGG, § 318 ZPO). Anders als die Oberverwaltungsgerichte und die Finanzgerichte, denen bei einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision an das Bundesverwaltungsgericht bzw den Bundesfinanzhof ein Abhilferecht eingeräumt ist (§ 133 Abs 5 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO> idF des Gesetzes vom 17. Dezember 1990, BGBl I 2809, früher § 132 Abs 5 VwGO; § 115 Abs 5 Finanzgerichtsordnung), kann das LSG einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht abhelfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 SGG). Dieses Verbot der Abhilfe im Rahmen der streng förmlich geregelten Nichtzulassungsbeschwerde hat zwingend zur Folge, daß das LSG erst recht nicht auf andere Weise, zB aufgrund eines formlosen Antrags, wie ihn der Kläger beim LSG gestellt hat, nachträglich die Revision zulassen darf. Wenn das LSG die Revision nicht zugelassen hat, kann dies nur das BSG aufgrund einer zulässigen und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde.
3.
Die statthafte Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; denn ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Nach § 160a Abs 2 SGG ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu begründen, und zwar durch einen Prozeßbevollmächtigten, durch den sich Beteiligte wie der Kläger vor dem BSG vertreten lassen müssen (§ 166 Abs 1 SGG). In der Begründung hat der Prozeßbevollmächtigte anzugeben, weshalb er - nach Durcharbeitung des Prozeßstoffs - meint, daß einer der drei in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe gegeben sind, die die Zulassung der Revision rechtfertigen. Ausdrücklich sieht § 160a Abs 2 Satz 3 SGG daher vor, daß in der Begründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), oder der Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) bezeichnet werden muß. Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt worden.
a)
Daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, hat der Kläger nicht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung im Revisionsverfahren bedürftig und fähig ist (vgl Kummer, Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 106). Um die grundsätzliche Bedeutung darzulegen, muß der Beschwerdeführer daher angeben, welche Rechtsfragen sich stellen (Kummer aaO Rz 128 ff), daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind und weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist (Kummer aaO Rz 116 ff). Der Kläger meint, die Rechtssache habe wegen der - oben verneinten - Frage grundsätzliche Bedeutung, ob ein LSG abweichend von dem eigenen Urteil nachträglich die Revision zulassen darf. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger ausreichend dargelegt hat, daß diese Frage einer Klärung bedarf. Es fehlen jedenfalls Darlegungen, wieso aufgrund einer vom BSG zugelassenen Revision diese Frage in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Denn wird die Revision vom BSG zugelassen, kann schon deshalb die Revision erhoben werden; auf die nachträgliche Zulassung durch das LSG käme es selbst dann nicht an, wenn diese - gesetzwidrig - ausgesprochen würde. Es ist auch nicht dargetan, weshalb sich in einem vom BSG zuzulassenden Re
visionsverfahren die Frage stellen kann, "ob es bei einer aus mehreren Einzelklagen bestehenden Verfahrenskette prozessual zulässig ist, die Revision nur für einen Teil zuzulassen", weswegen der Kläger der vom LSG entschiedenen Rechtssache ferner grundsätzliche Bedeutung beimißt.
b)
Der Kläger hat auch keine Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes bezeichnet, von der das angefochtene Urteil des LSG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Abweichung bedeutet Widerspruch im Rechtssatz. Sie liegt vor, wenn das LSG einen Rechtssatz entwickelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, der dem angezogenen Urteil zugrunde liegt. Einen solchen Widerspruch muß ein Beschwerdeführer aufzeigen, indem er die divergierenden Rechtssätze gegenüberstellt, wenn er den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend macht. Das ist hier nicht geschehen.
c)
Schließlich hat der Kläger keinen Verfahrensmangel des LSG bezeichnet, dh in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert schlüssig dargetan (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14), auf dem das angefochtene Urteil des LSG beruhen kann.
Das rechtliche Gehör, dessen Versagung der Kläger behauptet, wäre versagt worden, wenn er keine Möglichkeit gehabt hätte, seine drei gegen verschiedene Urteile gerichteten Wiederaufnahmeklagen näher zu begründen. Dafür sind indes keine Tatsachen vorgetragen worden; es ist Sache des Klägers, wenn er Klagen weder begründet noch zur mündlichen Verhandlung erscheint, wo er dies ggf nachholen kann.
Ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel ist auch nicht darin zu erblicken, daß das LSG angenommen hat, der Kläger erstrebe die Aufhebung der rechtskräftigen Urteile des LSG vom 8. Dezember 1978, vom 30. Oktober 1980 und vom 15. März 1984 und Entscheidung nach seinem Klagantrag im Verfahren L 9 (16) Ar 80/77, während es dem Kläger, wie er darlegt, vorerst lediglich um die Feststellung gegangen sei, daß die Wiederaufnahmeklagen zulässig seien, ohne einen bestimmten Antrag zur Hauptsache zu stellen. Das Vorbringen des Klägers ergibt nicht, daß das Urteil des LSG hierauf beruhen könnte. Das wäre auch schwerlich möglich gewesen. Denn selbst wenn das LSG das Klagebegehren unrichtig bestimmt hätte, kann hierauf das angefochtene Urteil nicht beruhen, weil das LSG in Ermangelung von Wiederaufnahmegründen eine Entscheidung über den Klagantrag im Verfahren L 9 (16) Ar 80/77 nicht getroffen hat und nicht treffen durfte. Auch die Anträge, auf die sich der Kläger nach seinen Angaben im Beschwerdeverfahren beschränken wollte, hätten daher nach der im Urteil des LSG dargelegten Rechtsauffassung zu keinem anderen Ergebnis führen können.
Daß das LSG die Wiederaufnahmeklagen gegen das Urteil vom 8. Dezember 1978 - L 9 (16) Ar 80/77 - und das Urteil vom 30. Oktober 1980 - L 9 Ar 95/80 - als unzulässig verworfen hat, weist einen Verfahrensfehler nicht auf. Das Vorbringen des Klägers hierzu ist unschlüssig. Nach § 179 Abs 1 SGG, § 586 Abs 2 Satz 2 ZPO sind, abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder Vertretung, Wiederaufnahmeklagen nach Ablauf von fünf Jahren, vom Tage der Rechtskraft des Urteils an gerechnet, unstatthaft. Die fünf Jahre sind hier jeweils abgelaufen. Weil nach Ablauf der fünf Jahre Wiederaufnahmeklagen ausgeschlossen sind, wird der Ablauf der Frist selbst dann nicht entsprechend § 203 Bürgerliches Gesetzbuch gehemmt, wenn der Betroffene an der Erhebung einer Klage vor Ablauf der fünf Jahre durch höhere Gewalt verhindert worden ist (BGHZ 19, 20). Daß der Kläger im übrigen durch Entscheidungen des Sozialgerichts Gelsenkirchen und des LSG gehindert worden ist, vor Ablauf der fünf Jahre nach Rechtskraft Wiederaufnahmeklagen zu erheben, ist entgegen seinem Vorbringen nicht ersichtlich.
Was der Kläger gegen die Anwendung des § 586 Abs 2 Satz 2 ZPO einwendet, ist abwegig. Soweit er sich auf die seit mehr als zehn Jahren außer Kraft getretene Vorschrift des § 1744 Reichsversicherungordnung beruft, übersieht er, daß diese Vorschrift nicht die Wiederaufnahme gerichtlicher Verfahren betraf. Ebenso fehl geht die Auffassung des Klägers, schon aus der Verbindung der drei von ihm erhobenen Wiederaufnahmeklagen durch das LSG gemäß § 113 SGG ergebe sich die Einhaltung der Frist, weil bezüglich der Wiederaufnahmeklage gegen das Urteil vom 15. März 1984 - L 9 Ar 122/80 - im Zeitpunkt der Klagerhebung die fünf Jahre noch nicht abgelaufen gewesen seien. Das ist schon deshalb unrichtig, weil eine Verbindung nur zur Folge hat, daß über die verbundenen Rechtsstreitigkeiten gemeinsam verhandelt, gemeinsam Beweis erhoben und gemeinsam entschieden wird, prozeßrechtlich jedoch jedes der verbundenen Verfahren selbständig bleibt. Das bedeutet aber, daß die Prozeßvoraussetzungen für jedes selbständige Klagebegehren weiterhin gesondert zu prüfen sind (vgl BSGE 5, 34, 37). Werden, wie das hier der Fall ist, mehrere Wiederaufnahmeklagen miteinander verbunden, von denen sich jede gegen ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil richtet, ist daher für jede Klage zu prüfen, ob sie vor Ablauf der fünf Jahre des jeweils angefochtenen Urteils erhoben ist.
Ebensowenig weist nach dem Beschwerdevorbringen des Klägers die Abweisung der Wiederaufnahmeklagen gegen das Urteil vom 15. März 1984 - L 9 Ar 122/80 - einen Verfahrensfehler auf, auf dem das Urteil beruhen könnte. Das LSG hat die Klage abgewiesen, weil ein Wiederaufnahmegrund nicht vorliege. Der Kläger verkennt offenbar, daß über die Streitgegenstände des Urteils vom 15. März 1984 erst dann erneut zu entscheiden ist, wenn bezüglich dieses Urteils, das im wesentlichen eine Wiederaufnahmeklage des Klägers gegen das Urteil vom 8. Dezember 1978 - L 9 (16) Ar 80/77 - abgewiesen hat, ein Wiederaufnahmegrund gegeben ist. Dafür ist indes nichts ersichtlich (vgl dazu auch den Beschluß des Senats vom 14. Januar 1985 - 7 BH 13/84 -).
Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird abgesehen, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 3 SGG). Der Senat beschränkt sich insoweit auf den Hinweis, daß die Mängel, die der Kläger den drei angefochtenen Urteilen des LSG vorwirft, die gesetzlichen Wiederaufnahmevoraussetzungen nicht ersetzen. Der Kläger übersieht, daß nach Eintritt der Rechtskraft eines Urteils im gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren Mängel des Urteils nur geltend gemacht werden können, soweit § 179 SGG und die von ihm in Bezug genommenen Vorschriften der ZPO dies vorsehen. Soweit dies nicht der Fall ist, werden auch Fehler des Urteils, die tatsächlich vorliegen, geheilt.
Die Beschwerde ist nach alledem als unzulässig zu verwerfen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung
des § 193 SGG.
Fundstellen