Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Abgrenzung zur Verletzung von Vorschriften des Verwaltungsverfahrens
Orientierungssatz
Durch die Rüge eines Verstoßes gegen § 12 Abs 2 S 2 SGB X, weil Betroffene am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt worden sind, wird kein Verfahrensfehler des LSG dargelegt, also keine Verletzung einer Vorschrift des gerichtlichen Verfahrens, sondern die Verletzung einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensrechts, also des materiellen Rechts.
Normenkette
SGB 10 § 12 Abs. 2 S. 2; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit von März 1986 bis Juni 1989 in Höhe von 194.425,74 DM (99.408,30 €). Die beklagte Krankenkasse, an die die Beiträge als Einzugsstelle entrichtet worden waren, lehnte die Erstattung ab. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg vom 20. April 2005.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig, denn die Klägerin hat in der Begründung keinen Zulassungsgrund in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Klägerin beruft sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Sie wirft hierzu in ihrer Beschwerdebegründung insgesamt sieben Fragen auf, auf deren Inhalt zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Frage 1
Soweit die Klägerin auf den Seiten 6 und 7 ihrer Beschwerdebegründung als Verfahrensmangel rügt, dass ein Verstoß gegen § 12 Abs 2 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) vorliege, weil die betroffenen ausländischen Seeleute am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt worden seien, wird kein Verfahrensfehler des LSG dargelegt, also keine Verletzung einer Vorschrift des gerichtlichen Verfahrens, sondern die Verletzung einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensrechts, also des materiellen Rechts.
Die Klägerin hat auch den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht in der erforderlichen Weise dargetan. Die Beschwerdebegründung muss hierzu ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). - Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die unter 1 gestellten Fragen betreffen die Hinzuziehungs- oder Benachrichtigungspflicht nach § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X für eine spezielle Fallgestaltung. Die Klägerin hat schon nicht aufgezeigt, dass die Frage klärungsfähig ist, also die von ihr behauptete Fallgestaltung vom LSG so festgestellt worden ist. Sie kann dies auch nicht, da das LSG insoweit nur festgestellt hat, die Anschriften seien nicht zu ermitteln gewesen. Soweit das LSG im Rahmen der Prüfung, ob die Beiladung der Arbeitnehmer nach § 75 Abs 2 SGG möglich war, nähere Feststellungen zur Kenntnis der Beklagten von den persönlichen Daten der Seeleute getroffen hat, stimmen diese nicht mit dem von der Klägerin in der Beschwerde behaupteten Sachverhalt überein. Die Klägerin hat außerdem weder aufgezeigt, dass die Frage, in welchem Umfang Ermittlungen für die Hinzuziehung nach § 12 Abs 2 SGB X notwendig sind, angesichts der vorhandenen Rechtsprechung (vgl zB Urteil vom 25. Oktober 1988, 12 RK 21/87, BSGE 64, 145, 147 = SozR 2100 § 5 Nr 3 S 3) noch klärungsbedürftig ist, noch dass die unter 1 gestellten Fragen auf Rechtsfragen hinführen sollen, die sich in verallgemeinerungsfähiger Weise klären lassen. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache dient der einheitlichen Rechtsfortbildung, die richtige Entscheidung des Einzelfalls ist nur Folge der Klärung und Entscheidung der grundsätzlich bedeutsamen Rechtssache. Deshalb sind die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht schon dann dargetan, wenn geltend gemacht wird, das Berufungsgericht habe die Sache falsch entschieden. Im Kern wendet die Klägerin aber gerade dies ein. Sie richtet ihre Angriffe der Sache nach gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz zu den Anforderungen, die § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X für die Beteiligung Dritter am Verwaltungsverfahren aufstellt.
Frage 2
Soweit die Klägerin auf Seite 6 und 7 ihrer Beschwerdebegründung als Verfahrensmangel sinngemäß ansieht, dass das LSG die Anschriften der ausländischen Seeleute nicht ermittelt und deshalb ihre Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG unterlassen habe, ist dieser ebenfalls nicht in der gebotenen Weise bezeichnet. Die Klägerin hätte zum einen begründen müssen, warum es sich bei ihrer Rüge der Sache nach nicht um eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unzulässige (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) Rüge der Verletzung des § 103 SGG handelt. Sie zeigt zum anderen nicht auf, weshalb die Annahme des Berufungsgerichts, Ermittlungen hinsichtlich einer Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG seien aussichtslos, unrichtig ist.
Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist insoweit nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Sollte die Klägerin mit ihrer Frage 2 inhaltlich die Unrichtigkeit der vom Berufungsgericht vorgenommenen Anwendung des § 75 Abs 2 SGG geltend gemacht haben, könnte darauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden. Wegen der eingeschränkten Nachprüfbarkeit von Verfahrensfehlern könnte als eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung auch nicht geprüft werden, ob das LSG bei der Anwendung des § 103 SGG richtig verfahren ist.
Frage 3
Hinsichtlich der Frage 3, die die Klägerin für grundsätzlich bedeutsam hält, ist bereits nicht dargetan, dass sie für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich, dh in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung ist das LSG - auf den Seiten 8, 10 und 11 seines Urteils - davon ausgegangen, dass die Entlohnung der Seeleute durch die Klägerin, also den "ausländischen illegalen Verleiher" - und nicht durch die deutsche Entleiherin, die Reederei - erfolgt ist. Ob eine gesamtschuldnerische Haftung des "ausländischen illegalen Verleihers" für Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Betracht käme, wenn die Entlohnung der Seeleute durch die deutsche Entleiherin vorgenommen würde, ist eine abstrakte Rechtsfrage, die in einem künftigen Revisionsverfahren sachlich nicht entschieden werden kann.
Frage 4
Soweit die Klägerin sinngemäß als grundsätzlich bedeutsam ansieht, ob ein Beschäftigungsverhältnis der Seeleute zum ausländischen Verleiher noch verneint werden kann, wenn der ausländische Verleiher den Seeleuten die Heuer bezahlt hat, ist die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dargetan. Ob ein Beschäftigungsverhältnis zur deutschen Entleiherin oder ein Beschäftigungsverhältnis zum ausländischen Verleiher vorliegt, beurteilt sich nach § 7 Abs 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) und der hierzu ergangenen umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu den Merkmalen einer Beschäftigung (vgl dazu insbesondere BSG, Urteil vom 7. November 1996, 12 RK 79/94, BSGE 79, 214 = SozR 3-2400 § 5 Nr 2).
Frage 5
Mit ihrer unter Punkt 5 gestellten Rechtsfrage hält die Klägerin sinngemäß für grundsätzlich bedeutsam, ob bei konzerninterner Entsendung das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz überhaupt zur Anwendung gelangt. Sie verknüpft diese Frage mit der Auffassung des LSG, dass § 5 SGB IV im konkreten Fall nicht zu einer Ausnahme von der Geltung deutschen Sozialversicherungsrechts führt, und meint, dass "eine Einstrahlung nach § 5 SGB IV zu bejahen ist", wenn das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit seinen Unwirksamkeitsbestimmungen §§ 9 und 10 nicht anwendbar ist. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in der erforderlichen Weise dargelegt hat. Denn sie hätte darlegen müssen, weshalb diese Frage klärungsfähig ist. Zunächst wäre darzutun gewesen, warum eine - von ihr angenommene - Wirksamkeit der zwischen ihr und den Seeleuten geschlossenen Arbeitsverträge auf die Beurteilung und Zuordnung der Beschäftigungsverhältnisse Einfluss haben soll. Außerdem hätte ausgeführt werden müssen, warum die grundsätzliche Bedeutung auch die weitere Begründung des Berufungsgerichts zu § 5 SGB IV erfasst. Das LSG hat die Voraussetzungen des § 5 SGB IV nämlich nicht nur unter Hinweis darauf verneint, dass bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung aus dem Ausland eine Entsendung im Sinn der Einstrahlung nicht in Betracht komme, sondern - selbstständig tragend ("Hiervon abgesehen ...") - auch damit verneint, dass der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses nach einer Gesamtschau bei dem Betrieb der deutschen Entleiherin liege.
Frage 6
Ebenso wenig ist den Begründungserfordernissen genügt, soweit die Klägerin in ihrer Frage 6 ausführt, die Heranziehung ausländischer Seeleute zur deutschen Arbeitslosenversicherung verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Wird die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache auf eine angebliche Verfassungswidrigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Vorschrift gestützt, sind die einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe aufzuzeigen, an denen die Vorschrift gemessen werden soll (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 11 und 17). Bezugnahmen auf Verfassungsrecht ohne nähere inhaltliche Darstellungen und Folgerungen für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage reichen dafür nicht aus (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 23). Vorliegend hätte die Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG zu Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) darlegen müssen, woraus sich im konkreten Fall der Gleichheitsverstoß ergeben soll. Dies kann durch ihre bloßen Behauptungen zum Prüfungsmaßstab des Art 3 Abs 1 GG auf der Grundlage in ihrer rechtlichen Bedeutung unklarer Prämissen nicht ersetzt werden.
Frage 7
Soweit die Klägerin schließlich die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung mit dem Vorbringen rechtfertigen will, dass die Anwendung der Durchschnittsheuern einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz darstelle, weil es "keinen gesetzgeberischen Grund gebe, der diese Ungleichbehandlung der ausländischen Seeleute gegenüber deutschen Seeleuten rechtfertigen würde ... ", fehlt auch hier über die Behauptung eines Eingriffs und der Verletzung des genannten Grundrechts hinaus jede Darlegung zum einfachen und insbesondere zum Verfassungsrecht. Weder zeigt die Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG die Maßstäbe des Gleichheitsgrundrechts auf noch legt sie - bei ihrer Gleichheitsprüfung - dar, worin sie die für die - von ihr geforderte - Gleichbehandlung mit deutschen Seeleuten wesentlichen Sachverhaltsmerkmale erblickt und dass und warum der Gesetzgeber bei der - von ihr angenommenen - Ungleichbehandlung von ausländischen Seeleuten die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat. Eine Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin unter 7 aufgeworfenen Frage ist schließlich nicht daraus zu entnehmen, dass der Senat in seinem Urteil vom 25. Oktober 1988 (12 RK 21/87, BSGE 64, 145 = SozR 2100 § 5 Nr 3) die Sache an das dortige LSG mit dem Bemerken zurückverwiesen hat, dass sich das LSG auch mit dem Vorbringen der dortigen Klägerin zur Beitragshöhe befassen müsse, wenn Beitragspflicht dem Grunde nach bestehe. Der Senat hat hiermit nicht anerkannt, dass eine solche Rechtsfrage von ihm noch zu klären sei.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen