Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheitsgesuch. Offensichtliche Unzulässigkeit. Rechtsmissbräuchlichkeit. Ohne Darlegung objektiver Anknüpfungspunkte. Pauschale Behauptung. Entscheidung durch abgelehnte Richter. Rechtliches Gehör
Leitsatz (redaktionell)
1. Über Befangenheitsgesuche, die offensichtlich unzulässig und damit rechtsmissbräuchlich sind, weil ohne Darlegung objektiver Anknüpfungspunkte die Unparteilichkeit von Personen lediglich pauschal behauptet wird, kann ohne die vorherige Einholung von dienstlichen Stellungnahmen und in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern entschieden werden.
2. Die Rüge des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör erfordert neben einem entsprechenden Verstoß und der Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils durch diesen Verstoß, dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.
Normenkette
SGG §§ 60, 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2; ZPO §§ 41, 114; GG Art. 62, 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.12.2017; Aktenzeichen L 7 SO 51/17) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 16.12.2016; Aktenzeichen S 9 SO 4001/16) |
Tenor
Die Gesuche des Antragstellers, die Richterinnen am Bundessozialgericht K., S. und Dr. M. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, werden als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Dezember 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Im Streit sind Ansprüche des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit nach seiner Haftentlassung.
Der Kläger hat am 1.6.2016 Klage beim Verwaltungsgericht (VG) Hamburg erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu 1 (sinngemäß), hilfsweise den Beklagten zu 2, weiter hilfsweise den Beklagten zu 3 zu verurteilen, ihm für die Zeit nach seiner Inhaftierung eine Wohnung zuzuweisen sowie Leistungen für eine Erstausstattung (Möbel, Hausrat, Kleidung etc) zu gewähren. Ein Antrag liege bei der Beklagten zu 1 noch nicht vor, sei aber wohl auch nicht notwendig. Der Rechtsstreit ist an das Sozialgericht (SG) Freiburg verwiesen worden (Beschluss des VG vom 28.7.2016); das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 16.12.2016). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14.12.2017). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil es an einer anfechtbaren Entscheidung fehle. Zudem stehe eine Haftentlassung nicht bevor, sodass es auch an einem Rechtsschutzinteresse für eine allgemeine Leistungsklage fehle.
Der Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt T. H., O. beantragt. Er hat die an der ablehnenden Entscheidung in einem vorangegangenen Verfahren (B 8 SO 59/16 BH) tätig gewesenen Richterinnen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
II
Der Senat entscheidet in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung zugleich über die Befangenheitsgesuche (vgl § 60 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm §§ 41 ff Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) und den Antrag auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts. Die Befangenheitsgesuche sind offensichtlich unzulässig und damit rechtsmissbräuchlich (vgl zum Rechtsmissbrauch: BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 7; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 10c; BSG Beschluss vom 16.4.2012 - B 11 AL 5/12 C). Der Kläger hat insoweit - wie in einer Vielzahl früherer Verfahren - ohne Darlegung objektiver Anknüpfungspunkte die Unparteilichkeit von Personen lediglich pauschal behauptet. Damit konnte ohne die vorherige Einholung von dienstlichen Stellungnahmen und in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern entschieden werden (vgl BVerfGE 131, 239, 252 f; BVerfGK 5, 269, 280 f).
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen ebenso wenig.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Ein Verfahrensfehler, der zu einem absoluten Revisionsgrund führen würde, ist nicht erkennbar. Das LSG durfte unter Mitwirkung der kurz vor der mündlichen Verhandlung abgelehnten Richter verhandeln und entscheiden, ohne gegen das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter zu verstoßen (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz ≪GG≫). Erfolgt die Ablehnung eines Befangenheitsantrags nicht durch Zwischenentscheidung (dazu BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 9 f), sondern - wie hier - in den Urteilsgründen unter Mitwirkung der abgelehnten Richter, kann zwar ein Verfahrensfehler vorliegen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4). Auch die vor dem LSG gestellten Ablehnungsgesuche sind hier aber nach den oben dargestellten Maßstäben offensichtlich unzulässig und damit rechtsmissbräuchlich. Sie sind, wie die Anzahl und der Inhalt der in den Instanzen und in früheren Verfahren beim Bundessozialgericht (BSG) gestellten Anträge zeigen, als prozesstaktische Mittel zu werten.
Soweit der Kläger in der Entscheidung, den Rechtsstreit in seiner Abwesenheit mündlich zu verhandeln, einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör (vgl § 62 SGG; Art 103 GG) erkennen will, verspricht eine Rüge nach Aktenlage ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg. Die Rüge des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör erfordert neben einem entsprechenden Verstoß und der Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils durch diesen Verstoß (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Hier ist die Versäumung der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aber infolge einer Verletzung eigener Sorgfaltspflichten erfolgt. Ein Termin für eine mündliche Verhandlung war zunächst für den 19.10.2017 bestimmt worden, aber nach einem begründeten Antrag des Klägers verlegt worden. In dem Verlegungsantrag hatte der Kläger zudem für verschiedene Kalenderwochen, nicht aber die 50. Kalenderwoche, seine Verhinderung im Voraus mitgeteilt; auch dies war bei der Verlegung berücksichtigt worden. Der Kläger hat einen Grund für eine nochmalige Verlegung zu keinem Zeitpunkt genannt, sondern zunächst lediglich behauptet, seine Anträge auf Vorführung würden nicht bearbeitet (Schriftsatz vom 26.10.2017). Er hat ausweislich einer Auskunft der Justizvollzugsanstalt (≪JVA≫ vom 4.12.2017) aber eine Vorführung zum Termin verweigert und dort erklärt, er beantrage für Dezember 2017 nur Transporte zu Terminen vor dem VG Stuttgart (am 11.12.2017) und dem Arbeitsgericht (ArbG) Pforzheim (am 12.12.2017); andere Termine werde er nicht wahrnehmen. Nachdem der Vorsitzende ihn mit Schreiben vom 30.11.2017 nochmals zur weiteren Begründung der Klage aufgefordert hatte und dem Kläger damit vor Augen geführt worden war, dass der Termin nicht verlegt werde, hat er nochmals einen Verlegungsantrag - verbunden mit einem wiederholten Ablehnungsantrag - gestellt. Wie der Ablehnungsantrag stellte sich dieser Antrag aber als rechtsmissbräuchlich dar. Vor diesem Hintergrund bestand kein Anlass für das LSG, den Rechtsstreit nochmals zu vertagen. Soweit der Kläger sich in der Begründung seines PKH-Antrags darauf bezieht, dass im Jahr 2007 Einzelvorführungen durch die JVA "gerichtsbekannt" verweigert worden seien, wird ein Bezug zum vorliegenden Rechtsstreit nicht erkennbar. Auch die verschiedenen Anträge auf Terminverlegung stellen sich allein als prozesstaktisches Mittel dar, mit denen der Kläger - wie in einer Vielzahl vorangegangener Verfahren - eine abschließende Entscheidung verhindern will.
Schließlich ist nicht erkennbar, dass das LSG in der Sache hätte entscheiden müssen und kein Prozessurteil hätte erlassen dürfen (vgl dazu BSGE 34, 236, 237 = SozR Nr 57 zu § 51 SGG; BSGE 35, 267, 271 = SozR Nr 5 zu § 551 RVO Bl Aa 8; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 658 ff mwN). Seine Entscheidung stellt sich als zutreffend dar.
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.
Fundstellen
Dokument-Index HI12409389 |