Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung. Verfassungsmäßigkeit der Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen. Darlegung der Klärungsbedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung in Frage gestellt, muss unter Berücksichtigung nicht nur der Rechtsprechung des BVerfG, sondern auch des BSG im Einzelnen dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Verfassungsmäßigkeit umstritten ist (vgl BSG vom 13.9.2007 - B 13/4 R 551/06 B).
2. Wird die Verfassungsmäßigkeit der Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen nach § 11 SGB 2 in Frage gestellt, so bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 3 und vom 19.3.2008 - B 11b AS 7/06 R.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 2 § 11 Abs. 1 S. 3; GG Art. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006.
Der Kläger zu 1) ist mit der Klägerin zu 2) verheiratet. Er lebt mit ihr und deren Tochter (Klägerin zu 3) zusammen. Die Klägerin zu 2) erzielte im streitigen Zeitraum Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Die Klägerin zu 3) hatte Einkommen aus Kindergeld und Unterhalt. Der Kläger zu 1) hatte kein Einkommen. Er bezog bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Seinen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lehnte die Beklagte ab (Bescheide vom 9. November 2004 und 10. Januar 2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2005). Klage (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2005) und Berufung des Klägers zu 1) waren erfolglos. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat in seinem Urteil vom 8. April 2008 zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Unter Berücksichtigung der Einkommen der Klägerinnen zu 2) und 3) sei die Bedarfsgemeinschaft nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Die titulierten und pfändbaren Unterhaltsverpflichtungen des Klägers wirkten weder bedarfserhöhend, noch seien sie, da der Kläger über kein eigenes Einkommen verfüge, einkommensmindernd zu berücksichtigen. Das Einkommen der Klägerinnen reiche im Übrigen aus, um den Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, einschließlich der Kosten der Unterkunft zu decken. Die Abschaffung der Alhi sei, wie höchstrichterlich entschieden, nicht verfassungswidrig. Ein Zuschlag nach § 24 SGB II stehe dem Kläger nicht zu, da er keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe und die Zweijahresfrist seit dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs bereits abgelaufen sei. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG). Er macht grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung vom 16. Juni 2008 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 12, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hält die folgenden Fragen für grundsätzlich bedeutsam:
1. "Verstoßen die in § 11 iVm § 30 SGB II geregelten Freibeträge, für die Anrechnung von Einkommen bei Erwerbstätigkeit, gegen das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 Grundgesetz (GG), den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 3 GG und das Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 GG (insbesondere den darin enthaltenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz)?"
2. "Verstößt die Anrechung des Kindergeldes, als Anrechnung auf den Bedarf nach § 11 Abs 1 letzter Satz SGB II gegen den Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 GG?"
Damit hat der Kläger zwar konkrete Rechtsfragen formuliert. Die von ihm dargelegten Gründe für die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfragen genügen jedoch nicht den oben benannten Anforderungen.
Die erste von ihm aufgeworfene Rechtsfrage betrifft nicht, wie der Kläger vorgibt, die Höhe der Freibeträge nach § 30 SGB II, sondern vorrangig die Regelung des § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II. Denn bereits durch die Einbeziehung eines Partners in die Bedarfsgemeinschaft und den Einsatz des Einkommens dieses Partners zur Bedarfsdeckung der gesamten Bedarfsgemeinschaft, auch wenn der Partner selbst seinen eigenen Bedarf durch sein Einkommen decken kann, ergeben sich die von ihm aufgezeigten potenziellen Folgen. Der Kläger hätte dann aber im Hinblick auf die von ihm beschriebene Ungleichbehandlung zusammen und getrennt lebender Partner darlegen müssen, warum sich die von ihm bezeichnete Rechtsfrage nicht auf der Basis der umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG zur Berücksichtigung des Partnereinkommens bei der Arbeitslosenhilfe beantworten lässt, obgleich die vom Kläger für verfassungswidrig gehaltene unterschiedliche Behandlung von zusammen und getrennt lebenden Paaren, soweit es die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen angeht, vergleichbar ist.
Hinsichtlich der zweiten Rechtsfrage mangelt es an einer Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der Kläger behauptet zwar, die aufgeworfene Frage sei höchstrichterlich noch nicht entschieden. Diese Behauptung alleine ist jedoch nicht ausreichend um die Darlegungsanforderungen zu erfüllen. Wird die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung in Frage gestellt, muss unter Berücksichtigung nicht nur der Rechtsprechung des BVerfG, sondern auch des BSG im Einzelnen dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Verfassungsmäßigkeit umstritten ist (vgl nur BSG Beschluss vom 13. September 2007 - B 13/4 R 551/06 B). Insoweit mangelt es in der Begründung des Klägers an einer Auseinandersetzung mit den beiden auch vom LSG benannten Entscheidungen des BSG vom 7. November 2006 (B 7b AS 18/06 R) und 19. März 2008 (B 11b AS 7/06 R). Der Kläger hat weder dargelegt, dass diese nicht geeignet seien, um Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage zu bieten, noch welche neuen Gesichtspunkte unter Beachtung der Rechtsprechung des BVerfG für seine Rechtsauffassung sprechen könnten.
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen