Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 23.01.1990)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 1990 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, als Witwe des durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Versicherten Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erhalten, ohne Erfolg geblieben (Bescheide der Beklagten zu 1) vom 29. August 1978 und der Beklagten zu 2) vom 22. März 1978; Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 19. August 1985 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 23. Januar 1990). Das LSG ist aufgrund des Beweisergebnisses zu der Überzeugung gelangt, es sei nicht wahrscheinlich, daß der Freitod des Versicherten durch den Arbeitsunfall von 1938 (Verlust der rechten Hand) verursacht worden sei. Angesichts des langen zeitlichen Abstands zwischen dem Unfall in der Jugendzeit und den erst seit 1969 faßbaren psychischen Veränderungen sowie im Hinblick auf den beruflichen Werdegang des Versicherten seien die unterschiedlichen ärztlichen Meinungen dahingehend zu würdigen, daß der Unfall von 1938 das zum Tode führende Geschehen nicht in rechtlich wesentlicher Weise mitverursacht habe.

Mit ihrer dagegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) verletzt, indem es von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei. Bei ausreichenden Ermittlungen hätte es nicht zu der Feststellung gelangen können, der Lebensweg des Versicherten sei „in üblichen Bahnen verlaufen”. Darüber hinaus beinhalte diese Feststellung auch eine falsche Beweiswürdigung, weil der Versicherte seine berufliche Stellung häufig gewechselt habe und als Versicherungsangestellter keineswegs beruflich erfolgreich gewesen sei (Verstoß gegen die Denkgesetze bzw allgemeine Erfahrungssätze). Im übrigen hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, die Sachverständigen zur Erläuterung ihrer Gutachten sowie die Zeugen S … und T … zu hören. Beides sei mit Schriftsätzen vom 20. Juni 1988 und 15. November 1988 beantragt worden.

Durch die Nichtbefolgung dieser Anträge sei auch das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt worden. Gerügt werde ferner eine Divergenz zum Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Januar 1990 (- 8 RKnU 1/89 –). In jener Entscheidung habe das BSG den Anspruch einer Witwe bejaht, weil die Folgen des Arbeitsunfalls wesentliche Mitbedingung für den Entschluß zur Selbsttötung gewesen seien. Im vorliegenden Fall habe das LSG dagegen auf die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs abgestellt, die nur gegeben sei, wenn unter Abwägung aller Umstände den für den zeitlichen Zusammenhang sprechenden Umständen ein „deutliches Übergewicht zukomme, so daß hierauf die richterliche Überzeugung gestützt werden könne”. Schließlich sei die Revision auch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzlich klärungsbedürftig sei die Frage, in welchem Umfang Mitkausalität vorliegen und in welchem Grade die Wahrscheinlichkeit einer solchen Mitkausalität gegeben sein müsse. Nach Ansicht der Klägerin müsse die Kausalität zwischen Arbeitsunfall und Selbsttötung bereits dann bejaht werden, wenn der Arbeitsunfall auch nur einer unter hundert Faktoren sei, der Arbeitsunfall also nicht hinweggedacht werden könne, ohne daß die Selbsttötung entfiele.

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Erfordernissen.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (richterliche Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Voraussetzungen hat die Klägerin nicht dargelegt.

Die Klägerin bezieht sich zwar auf die schriftsätzlich gestellten Beweisanträge aus dem Jahre 1988. Dieser Vortrag genügt aber nicht den Anforderungen, die an die hinreichende Bezeichnung eines vom LSG zu berücksichtigenden Beweisantrages zu stellen sind. Der Senat hat hierzu in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß es jedenfalls rechtskundig vertretenen Beteiligten obliegt, in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (s ua Beschluß des Senats vom 23. Mai 1990 – 2 BU 247/89 –). Ausweislich der maßgeblichen Sitzungsniederschrift vom 23. Januar 1990 hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin keine Beweisanträge, sondern lediglich einen Sachantrag gestellt. Die Nichtbefolgung der schriftsätzlich gestellten Beweisanträge beinhaltet auch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 des Grundgesetzes, §§ 62, 128 Abs 2 SGG). Dieser Anspruch bezieht sich nur auf die Gelegenheit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Das hätte in der mündlichen Verhandlung durch einen entsprechenden Vortrag der – rechtskundig vertretenen – Klägerin nach § 103 SGG geschehen können. Mit dem Vorwurf, das LSG habe bei seiner Beweiswürdigung gegen Denkgesetze bzw gegen Erfahrungssätze verstoßen, rügt die Klägerin einen Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nrn 26, 35 und 41), eine Rüge, auf die die Beschwerde – wie bereits dargetan – nicht gestützt werden kann.

Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann ausreichend dargelegt, wenn erklärt wird, mit welcher genau bestimmten, entscheidungserheblichen Aussage das angegriffene Urteil von welcher genau bestimmten Aussage des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29, 54). Daran fehlt es der Beschwerde. Die Klägerin verkennt, daß sich die Frage nach der „Wahrscheinlichkeit” des ursächlichen Zusammenhangs von der Frage nach der „Wesentlichkeit” einer Bedingung für einen bestimmten Erfolg unterscheidet. Die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Theorie der wesentlichen Bedingung, von der das zitierte Urteil des 8. Senats vom 18. Januar 1990 ausgeht, stellt darauf ab, ob eine Bedingung im Einzelfall wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat (vgl hierzu ua BSGE 63, 277, 280), während die „Wahrscheinlichkeit” des ursächlichen Zusammenhangs für den Grad der richterlichen Überzeugungsbildung maßgeblich ist (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 244k VIII, 244l mwN). Diese Rechtsfragen sind bereits grundsätzlich geklärt, so daß die Beschwerde auch nicht auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173470

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge