Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.08.1996) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. August 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger, der als selbständiger Färbermeister freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse war, bezog wegen einer Epikondylitis am rechten Ellenbogen und daraus resultierender Arbeitsunfähigkeit seit Dezember 1987 Krankengeld. Nachdem der behandelnde Orthopäde eine weitere Krankschreibung abgelehnt und eine vertrauensärztliche Begutachtung keinen krankhaften Befund mehr ergeben hatte, stellte die Beklagte die Krankengeldzahlung mit dem 19. August 1988 ein. In der Folgezeit zwischen August und Dezember 1988 suchte der Kläger insgesamt sechs verschiedene Ärzte auf, die ihm in unterschiedlichem zeitlichen Umfang Arbeitsunfähigkeit wegen Beschwerden im Ellenbogen attestierten. Die Beklagte lehnte die Zahlung weiteren Krankengeldes ab. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf der Grundlage eines von ihm eingeholten chirurgischen Sachverständigengutachtens entschieden, das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit über den 19. August 1988 hinaus sei nicht nachgewiesen. Die diesbezügliche Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. B. … sei durch ein weiteres, auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholtes Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. K. … nicht widerlegt worden.
Die Beschwerde, mit der der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, wegen Abweichung von Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) und wegen Verfahrensmängeln begehrt, ist teils unzulässig, teils unbegründet.
Unzulässig ist die Beschwerde, soweit sie auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) gestützt wird. Eine Abweichung iS der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das angefochtene Urteil auf einer bestimmten Rechtsauffassung beruht und diese zu der in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts niedergelegten Rechtsansicht in Widerspruch steht. Für die nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderliche Bezeichnung der Divergenz reicht es nicht aus, daß der Beschwerdeführer auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinweist, das Urteil des LSG weiche davon ab. Vielmehr muß in der Beschwerdebegründung dargelegt werden, mit welcher konkreten Rechtsaussage das LSG von welchem näher bezeichneten Rechtssatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Daran fehlt es, denn der Kläger benennt keinen vom LSG aufgestellten Rechtssatz, sondern macht lediglich geltend, das Berufungsgericht habe die vom 2. Senat des BSG in den Urteilen vom 29. März 1963 (BSGE 19, 52, 56 = SozR Nr 62 zu § 542 RVO aF) und vom 29. September 1965 (BSGE 24, 25, 28 f = SozR Nr 75 zu § 128 SGG) formulierten Grundsätze zur Möglichkeit von Beweiserleichterungen in Fällen eines unverschuldeten Beweisnotstandes nicht beachtet und deswegen in der Sache falsch entschieden. Die unrichtige oder unterbliebene Anwendung eines vom Revisionsgericht entwickelten und im angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall bedeutet aber noch keine Abweichung iS der Zulassungsvorschriften.
Soweit sich der Kläger auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, kann offenbleiben, ob sein Vorbringen den Erfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügt. Denn die Beschwerde ist in diesem Punkt jedenfalls unbegründet.
Wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt, muß die zur Überprüfung gestellte Rechtsfrage bezeichnet und dargelegt werden, inwiefern diese Rechtsfrage klärungsbedürftig, im anhängigen Prozeß klärungsfähig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Der Kläger hat eine Rechtsfrage nicht ausdrücklich formuliert; aus dem Zusammenhang seines Vorbringens ergibt sich, daß es ihm darum geht, ob die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Beweislastumkehr in dem Sinne bewirkt, daß Krankenkasse und Gerichte von der Arbeitsunfähigkeit auszugehen haben, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird. Diese Frage hat das BSG bereits mehrfach im gegenteiligen Sinne entschieden. Es ist davon ausgegangen, daß das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme hat, welche die Grundlage für den über den Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet. Krankenkasse und Gerichte sind an die ärztliche Bescheinigung nicht gebunden. Läßt sich die Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Krankengeldanspruch nach Ausschöpfung aller erreichbaren Beweismittel nicht feststellen, geht dies zu Lasten des Versicherten, der das Krankengeld beantragt (vgl zuletzt: Senatsurteil vom 22. Juni 1992 – SozR 3-2200 § 182 Nr 12 S 53 ff mit weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Existiert zu der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Rechtsfrage bereits eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, kann ein Klärungsbedarf allenfalls dann noch angenommen werden wenn der genannten Rechtsprechung in größerem Umfang widersprochen wird und dabei neue erhebliche Gesichtspunkte vorgetragen werden, die in den bisherigen Entscheidungen keine Berücksichtigung gefunden haben. Der Kläger bezieht sich insoweit auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der mit Urteil vom 12. März 1987 (SozR 6055 Art 18 Nr 1) für den Krankengeldanspruch und später mit Urteilen vom 3. Juni 1992 (SozR 3-6055 § 18 Nr 1) und vom 2. Mai 1996 (NJW 1996, 1881) für den Anspruch auf Lohnfortzahlung entschieden hat, daß der Träger der Krankenversicherung bzw der Arbeitgeber in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsortes im Ausland getroffene ärztliche Feststellung über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden ist, sofern er die betroffene Person nicht durch einen Arzt seiner Wahl untersuchen läßt, wozu ihn Art 18 Abs 5 der EWG-VO 574/72 ermächtigt. Er läßt jedoch unerwähnt, daß der EuGH diese Auslegung mit den spezifischen Regelungen des Gemeinschaftsrechts begründet hat, durch die dem Arbeitnehmer, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft arbeitsunfähig geworden ist, Beweisschwierigkeiten bei der Durchsetzung seiner Ansprüche erspart werden sollen. Schon von daher besteht kein Grund, die zum innerstaatlichen Recht vertretene Rechtsauffassung, die auch in Kenntnis der Rechtsprechung des EuGH aufrechterhalten worden ist, einer erneuten Überprüfung in einem Revisionsverfahren zu unterziehen. Hier kommt hinzu, daß die Beklagte im August 1988 zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers gemäß § 275 Abs 1 Nr 3 Buchst b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung eingeholt und damit eine Beweissituation geschaffen hat, in der auch bei Übertragung der Rechtsauffassung des EuGH auf die Verhältnisse im Inland keine Bindung an die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr bestehen würde.
Die Revision ist auch nicht gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wegen Verfahrensmängeln zuzulassen.
Ein Verstoß gegen § 118 Abs 1 SGG iVm § 411 Abs 3 Zivilprozeßordnung (ZPO), den der Kläger darin sieht, daß das LSG seinem Antrag nicht gefolgt ist, die Sachverständigen Prof. Dr. B. … und Prof. Dr. K. … zur mündlichen Erläuterung ihrer Gutachten zu laden, liegt nicht vor. Zwar sieht § 411 Abs 3 ZPO die Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zwecks Erläuterung des schriftlichen Gutachtens anzuordnen, ausdrücklich vor. Das Gericht muß eine solche Anordnung in der Regel treffen, wenn ein Beteiligter dies beantragt und sachdienliche Fragen ankündigt, von deren Beantwortung die Behebung von Zweifeln oder Unklarheiten erwartet werden kann. Der Antrag muß aber rechtzeitig gestellt werden, so daß der Sachverständige noch zum Termin geladen und eine Vertagung nach Möglichkeit vermieden werden kann. Letzteres folgt aus § 411 Abs 4 ZPO, wonach die Parteien dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen haben. Ist der Antrag verspätet oder läßt er nicht erkennen, daß sachdienliche Fragen gestellt werden sollen, kann das Gericht die Ladung des Sachverständigen ablehnen. Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Vorgehen des LSG nicht zu beanstanden. Der Kläger hat nach Eingang des Gutachtens des Prof. Dr. K. … vom 19. Februar 1996 und Anberaumung eines Verhandlungstermins durch das LSG am 17. April 1996 und sodann erneut am 24. Juli 1996 keine Erklärung abgegeben und erst in der mündlichen Verhandlung am 20. August 1996 hilfsweise die Ladung der gerichtlichen Sachverständigen beantragt. Bei diesem zeitlichen Ablauf ist der Antrag nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums gestellt worden. An seiner Zurückweisung war das LSG auch nicht deshalb gehindert, weil es zuvor nicht von der in § 411 Abs 4 Satz 2 ZPO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, für die Antragstellung und die Formulierung sachdienlicher Fragen eine Frist zu setzen. Nach den Umständen des Falles war eine Fristsetzung nicht erforderlich, denn der Kläger war durch die ablehnende Stellungnahme der Beklagten vom 30. April 1996 frühzeitig über die gegen das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. … vorgebrachten Einwände informiert und wußte spätestens seit der erstmaligen Terminsanberaumung im April 1996 auch, daß das LSG von sich aus keine weitere Befragung der Sachverständigen durchführen würde. Unabhängig davon durfte das Berufungsgericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auch deshalb ablehnen, weil er in seiner pauschalen Form nicht erkennen ließ, in welcher Richtung Fragen gestellt werden sollten, und weil deshalb nicht beurteilt werden konnte, ob die Befragung notwendig war.
Auch die Rüge, das LSG sei zu Unrecht dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines weiteren orthopädischen (Ober-)Gutachtens nicht gefolgt, greift nicht durch. Dabei kann auf sich beruhen, ob in dem pauschalen Antrag ohne Angabe des Beweisthemas überhaupt ein ausreichender Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gesehen werden kann. Denn die Nichtbefolgung eines solchen Antrags ist nur dann ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel, wenn sich dem Gericht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, es also die Beweiserhebung ohne objektiv ausreichenden Grund unterlassen hat. Ein Zwang zu erneuter Begutachtung bestand hier nicht deshalb, weil die zuvor eingeholten Sachverständigengutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren. Das LSG hat beide Gutachten in verfahrensmäßig nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Es hat eingehend und nachvollziehbar begründet, warum es den Schlußfolgerungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. … nicht gefolgt ist. Dabei hat es entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht in einer zwischen den Gutachtern kontroversen medizinischen Frage einseitig Position bezogen, sondern darauf abgehoben, daß der Sachverständige Prof. Dr. K. … von einem unvollständigen und teilweise unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen war und für die medizinische Beurteilung wesentlichen Akteninhalt nicht berücksichtigt hatte. Der geltend gemachte Verstoß gegen § 103 SGG liegt danach nicht vor.
Schließlich hat das Berufungsgericht auch den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) nicht verletzt. Der Kläger bemängelt, das LSG habe die Feststellung, daß eine lückenlose Arbeitsunfähigkeit während der streitigen Zeit nicht belegt sei, auf schriftliche Äußerungen der behandelnden Ärzte im Verwaltungsverfahren gestützt anstatt diese Ärzte selbst anzuhören. Dieser Einwand trifft schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Die Urteilsgründe beschränken sich auf den Hinweis, in den bei den Akten befindlichen ärztlichen Attesten sei eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit nicht bescheinigt. Daß darüber hinaus Angaben der betreffenden Ärzte verwertet worden wären, ist nicht ersichtlich. Die Schlußfolgerung, ungeachtet der von verschiedenen Ärzten ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe nach dem 19. August 1988 keine Arbeitsunfähigkeit mehr bestanden, gründet sich allein auf das Ergebnis der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung sowie das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. ….
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen