Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 08.04.2021; Aktenzeichen S 10 KR 502/19) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.01.2022; Aktenzeichen L 5 KR 86/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8811,16 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Das beklagte Krankenhaus (im Folgenden: Krankenhaus) behandelte die bei der klagenden Krankenkasse (im Folgenden: KK) versicherte, 2002 geborene V in der Zeit vom 23.11. bis 23.12.2016 vollstationär in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin wegen einer Somatisierungsstörung. Es berechnete hierfür die Fallpauschale (DRG) U41Z (Sozial- und neuropädiatrische und pädiatrisch-psychosomatische Therapie bei psychischen Krankheiten und Störungen; 18 195,48 Euro) unter Kodierung insbesondere von OPS 9-403.1 und OPS 9-403.2. Aufgrund einer von der KK veranlassten Prüfung forderte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) neben weiteren Unterlagen eine "Verlaufsdokumentation" vom Krankenhaus an. Nach Prüfung der Unterlagen gelangte der MDK zu dem Ergebnis, die Voraussetzungen der kodierten OPS-Nummern seien nicht nachgewiesen. Hierauf forderte die KK vergeblich vom Krankenhaus die Erstattung von 8816,82 Euro. Im Klageverfahren hat das Krankenhaus die Patientenakte übersandt und wegen der erfolgten Therapieeinheiten auf die "Therapie-Leistungsplanung Station L" verwiesen. Gestützt hierauf hat das SG entgegen der Stellungnahme des MDK, dass damit auch weiterhin der Leistungsnachweis nicht erbracht sei, die den kodierten OPS-Nummern zugrunde liegenden Leistungen als erbracht angesehen und die Klage der KK auf Rückzahlung von 8811,16 Euro abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der KK unter Anschluss an die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) 2014 (Hinweis auf sein Urteil vom 18.5.2021 - B 1 KR 32/20 R - BSGE 132, 143 = SozR 4-2500 § 275 Nr 33) zurückgewiesen: Zu Recht sei das SG davon ausgegangen, dass mit den vorgelegten Unterlagen die kodierten Leistungen nachgewiesen seien. Das Krankenhaus sei nicht präkludiert gewesen, den Therapieplan in den Rechtsstreit einzuführen. Zwar enthalte § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 eine materielle Präklusionsregelung. Dessen Voraussetzung einer nicht fristgerechten Übersendung der vom MDK angeforderten Unterlagen sei nicht erfüllt. Der Therapieplan werde von der hier allein in Betracht kommenden MDK-Anforderung einer Verlaufsdokumentation nicht erfasst. Der Begriff der Verlaufsdokumentation werde bei stationären Krankenhausbehandlungen als Unterfall der ärztlichen Dokumentation verwendet und getrennt etwa von der Dokumentation der Therapien oder auch der pflegerischen Dokumentation geführt. Es handele sich - so Pschyrembel online "Verlaufsbeobachtung" [bei Pschyrembel online heißt der definierte Begriff sogar "Verlaufsdokumentation"] - um "die Charakterisierung eines Krankheitsbildes im Verlauf (Krankheitsverlauf) einschließlich aller behandlungsrelevanten Angaben zu Symptomen, Therapien und Diagnosen, basierend auf klinischen Beobachtungen (Verhaltensbeobachtung) oder den Ergebnissen psychosomatischer Testverfahren (zB Ratingskalen)". Die Verlaufsdokumentation bestehe allgemein in der übersichtlichen Darstellung von administrativen und medizinischen Einträgen zu einem Patienten (personen-, fallbezogen), die im Rahmen seiner Krankenhausbehandlung zu unterschiedlichen Zeitpunkten von verschiedenen Berufsgruppen erfasst würden. Optional könnten zwar Texte aus Formularen der klinischen Dokumentation als Verlaufseinträge übernommen werden, zwingend sei dies jedoch nicht. Hiernach sei der erst im Klageverfahren vorgelegte Therapieplan nicht mit der angeforderten Verlaufsdokumentation gleichzusetzen (Urteil vom 20.1.2022).
Die KK wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der KK ist unzulässig. Sie hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Das Krankenhaus richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.
Die KK formuliert folgende Rechtsfragen:
"1. Wie konkret hat die Unterlagenanforderung nach § 7 II PrüfvV i.V.m. der Rechtsprechung des BSG B 1 KR 24/20 R sowie B 1 KR 32/20 R zu erfolgen, damit das Krankenhaus zur Übersendung der Dokumentation verpflichtet wird, die die Durchführung der vom OPS vorgesehenen Therapieeinheiten belegt und die Frist und deren Folge aus § 7 II S. 3 und 4 PrüfvV 2014 ausgelöst wird.
2. Welche konkreten Aktenbestandteile sind für gewöhnlich von der Verlaufsdokumentation umfasst und umfasst diese vor allem auch die während eines stationären Aufenthalts zu dokumentierenden Therapienachweise?"
Nimmt man die beiden Fragen wörtlich, fehlt es bereits an einer hinreichend konkreten entscheidungserheblichen Rechtsfrage. Die Konkretisierung erfordert regelmäßig, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (vgl BSG vom 27.5.2020 - B 1 KR 8/19 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 40 RdNr 5 mwN). Ohne Berücksichtigung des Kontextes ist dies hier der Fall. Der KK geht es, wie auch die Beschwerdebegründung zeigt, um die Auslegung des vom MDK verwendeten Begriffs der Verlaufsdokumentation. Sie hält die Auslegung des LSG für unzutreffend. Beide Fragen sind damit auf den konkreten Sachverhalt zugeschnitten. Dies schließt zwar nicht von vornherein die Möglichkeit einer grundsätzlichen Bedeutung aus. Die Beschwerdebegründung hätte hierzu aber Rechtsprobleme aufzeigen müssen, die über den konkret entschiedenen Fall hinausweisen. Dies ist nicht der Fall. Die KK setzt sich nicht damit auseinander, dass es sich bei dem Begriff der Verlaufsdokumentation um den Bestandteil einer adressatenbezogenen, rechtsgeschäftsähnlichen Erklärung des MDK handelt, die nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen auszulegen ist (vgl BSG vom 10.11.2021 - B 1 KR 22/21 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 35 RdNr 17 mwN). Die KK geht deshalb nicht auf die Frage ein, ob sich trotz der dort vom Senat (aaO) genannten Auslegungskriterien weiterhin Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen.
Die KK legt auch die Klärungsfähigkeit der gestellten Frage nicht dar. In Bezug auf die Klärungsfähigkeit wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8).
An der Klärungsfähigkeit fehlt es, wenn - wie hier - aufgrund der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, das BSG bindenden Feststellungen im LSG-Urteil die Rechtsfragen nicht zu beantworten sind.
Nach § 163 SGG ist das BSG an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, soweit keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden sind. Zur Tatsachenfeststellung gehören auch der Wortlaut und der Inhalt einschließlich des Willens der Erklärenden einer nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen auszulegenden Erklärung. Das BSG hat als Revisionsgericht ansonsten von Amts wegen nur zu prüfen, ob die Vorinstanz Bundesrecht iS des § 162 SGG verletzt hat, also insbesondere die gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nicht beachtet oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (stRspr; vgl BSG vom 18.8.2022 - B 1 KR 30/21 R - BSGE 134, 283 = SozR 4-2500 § 129a Nr 3, RdNr 33 mwN). Die genannten Auslegungsvorschriften verlangen nicht nur, dass der Tatrichter alle für die Auslegung erheblichen Umstände umfassend würdigt, sondern auch, dass er seine Erwägungen in den Entscheidungsgründen nachvollziehbar darlegt. Zumindest die wichtigsten für und gegen eine bestimmte Auslegung sprechenden Umstände sind in ihrer Bedeutung für das Auslegungsergebnis zu erörtern und gegeneinander abzuwägen. Ist die Begründung in diesem Sinne lückenhaft, so leidet die Entscheidung an einem rechtlichen Mangel und bindet das Revisionsgericht nicht (vgl BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 6/16 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 59 RdNr 19, dem sich anschließend BSG vom 26.3.2021 - B 3 KR 14/19 R - BSGE 132, 77 = SozR 4-2500 § 37 Nr 16, RdNr 19).
Hinsichtlich dieses sich auf das Revisionsverfahren beziehenden Maßstabs ist jedoch zu beachten, dass es im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht zur Revisionszulassung führen kann, wenn ein Beteiligter das angegriffene Urteil für inhaltlich falsch hält (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BSG vom 21.4.2020 - B 13 R 44/19 B - juris RdNr 8; BVerfG vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN). Auch eine unzweifelhaft inhaltliche Unrichtigkeit (sog "error in iudicando") führt nicht zur Revisionszulassung. Eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung kann im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nur im Sinne einer willkürlichen Handhabung verfahrensrechtlicher Bestimmungen auf dem Weg zur Entscheidung (sog "error in procedendo") als Verfahrensmangel gerügt werden (vgl BSG vom 12.12.2018 - B 6 KA 23/18 B - juris RdNr 31; BSG vom 4.1.2022 - B 1 KR 20/21 B - juris RdNr 12). Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Regelmäßig ist in einem solchen Fall der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein begründet noch keinen Verstoß gegen das aus Art 3 Abs 1 GG folgende Willkürverbot, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (stRspr; vgl BVerfG vom 1.7.1954 - 1 BvR 361/52 - BVerfGE 4, 1, 6 f = juris RdNr 23; BVerfG vom 8.7.1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189, 203 = juris RdNr 49). Die Rechtslage muss daher in krasser Weise verkannt worden sein (vgl BSG vom 11.8.1989 - 2 BU 56/89 - juris RdNr 10 mwN; BSG vom 27.11.2018 - B 3 KR 25/18 B - juris RdNr 14).
Die KK wendet ein, dass das LSG mit seinem Subsumtionsergebnis gegen Bundesrecht (§§ 133, 157 BGB) verstoße, weil der objektive Empfängerhorizont und die Beachtung der vom LSG verwendeten Pschyrembel-Definition die Subsumtion des Therapieplans unter den Begriff der Verlaufsdokumentation gerade zulasse. Sie formuliert wörtlich: "Es deutet alles darauf hin, dass die vom LSG angeführte Definition im zweitinstanzlichen Urteil fehlinterpretiert wurde." Die KK führt ferner aus, das LSG habe zu Unrecht die Pschyrembel-Definition um weitere Gesichtspunkte fehlerhaft ergänzt, die es ihm erst ermöglicht hätten, die Verlaufsdokumentation einengend auszulegen und eine Präklusionswirkung zu verneinen. Diese seien weder mit dem tatsächlichen Sprachgebrauch noch mit dem Wortlaut vereinbar. Unklar bleibe hier vor allem, wie das LSG überhaupt auf diese Wertung komme. Hergeleitet werde diese nicht und sie stelle darüber hinaus einen klaren Bruch zur Definition aus Pschyrembel online dar. Damit rügt die KK nur ein nach ihrer Auffassung unzutreffendes Auslegungsergebnis, wendet sich also gegen die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Fehlerhaftigkeit der LSG-Entscheidung, ohne jedoch einen error in procedendo darzulegen und als Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) zu rügen.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Schlegel |
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Geiger |
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Estelmann |
Fundstellen
Dokument-Index HI15912591 |