Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Amtsermittlungspflicht. soziales Entschädigungsrecht. Impfschaden. Kann-Versorgung. Fehlen einer medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung. kurzer Zeitraum nach Entdeckung des Krankheitsauslösers. Maßgeblichkeit der Rechtsansicht des LSG. Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Darlegungsanforderungen. Schilderung der begründenden Tatsachen. Entscheidungserheblichkeit. tatsächliche Feststellungen des LSG. erforderliche Ausführungen zu sämtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs
Orientierungssatz
1. Geht das LSG davon aus, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs nach § 61 IfSG die Existenz einer diese begründenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung erfordert (vgl BSG vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 = SozR 3-3200 § 81 Nr 13 und vom 7.7.2022 - B 9 V 2/22 B), wird mit dem Hinweis, dass seit der kürzlichen Entdeckung des Krankheitsauslösers noch keine ausreichende Zeit für das Entstehen einer entsprechenden Lehrmeinung bestanden habe, nicht dargelegt, dass das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können.
2. Ein Verfahrensmangel wird nur dann iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (stRspr; zB BSG vom 7.5.2020 - B 9 SB 8/20 B).
3. Hierzu bedarf es in der Regel konkreter Ausführungen zum Ablauf des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens, den dort erhobenen Beweisen und insbesondere zu den tatsächlichen Feststellungen des LSG in Bezug auf sämtliche Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (hier: Schutzimpfung, Impfkomplikation, Impfschaden und Bestehen eines Ursachenzusammenhangs zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 103; IfSG § 61 Sätze 2, 1; VersMedV § 2; VersMedV Anlage Teil C Nr. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das LSG mit Urteil vom 25.11.2022 einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz wegen eines Impfschadens nach einer Impfung mit Gardasil gegen humane Papillomviren (HPV) verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit Verfahrensmängeln begründet.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat den von ihr allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) wegen eines vom LSG ohne hinreichende Begründung nicht befolgten Beweisantrags nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Soweit - wie vorliegend - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; zB BSG Beschluss vom 3.5.2023 - B 5 R 52/23 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 9 SB 31/20 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hat den von ihr allein geltend gemachten Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht hinreichend bezeichnet. Hierfür fehlt es schon an einer ausreichenden Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Vorliegend wird zwar - teilweise ergänzt durch Zitate der betreffenden Ausführungen - dargestellt, dass die Klägerin einen Versorgungsanspruch ua wegen eines Schlaganfalls geltend macht, den sie auf eine Impfung mit Gardasil gegen HPV zurückführt. Ferner werden zwei Beweisanträge benannt, die in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt und von diesem wegen mangelnder Erheblichkeit abgelehnt worden seien. Schließlich wird darauf verwiesen, dass die Sachverständige P in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 25.10.2022 weitere Ermittlungen in Richtung der gestellten Beweisanträge angeregt habe. Ein Verfahrensmangel wird jedoch nur dann iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.5.2020 - B 9 SB 8/20 B - juris RdNr 5 mwN). Hierzu hätte es jedoch weiterer Ausführungen zum Ablauf des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens, den dort erhobenen Beweisen und insbesondere zu den tatsächlichen Feststellungen des LSG in Bezug auf die weiteren Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Schutzimpfung, Impfkomplikation, Impfschaden und Bestehen eines Ursachenzusammenhangs zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen; vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VJ 1/10 R - SozR 4-3851 § 60 Nr 4 RdNr 36 ff) bedurft. Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich diesen insbesondere auch für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Beweisanträge maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung des LSG selbst herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.9.2021 - B 9 SB 12/21 B - juris RdNr 5 mwN).
Vor allem aber versäumt es die Klägerin, die Entscheidungserheblichkeit der von ihr gestellten Beweisanträge aufzuzeigen. Zwar macht sie geltend, dass nach den Ausführungen der Sachverständigen P - abhängig von weiteren Ermittlungen - eine Kausalität zwischen der Impfung mit Gardasil und dem Auftreten der APS-Erkrankung bestehen könne. Jedoch legt sie nicht dar, dass und warum das LSG aufgrund des Nachweises einer möglichen Kausalität von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, für sie günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Tatsächlich führt sie selbst aus, nach Auffassung des LSG sei es auf die Beweisanträge nicht angekommen, weil es keine medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung gäbe, die sich für einen kausalen Zusammenhang zwischen ihrer Erkrankung und der Impfung mit Gardasil ausspreche. Ergänzend hat das LSG - dem von der Klägerin wiedergegebenen Zitat aus dem angegriffenen Urteil zufolge - zudem die Auffassung vertreten, dass die Existenz von kreuzreagierenden Antikörpern bei der Klägerin und die molekulare Homologie von Epitopen des L1-Proteins mit denen des EPCR-LBPA Komplexes nur die biologische Plausibilität, nicht aber eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs begründen könne. Damit nimmt das LSG offensichtlich einen auf die Rechtsprechung des BSG verweisenden Rechtsstandpunkt ein, wonach selbst im Rahmen der Kann-Versorgung nach § 61 Satz 2 IfSG die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs zur Anspruchsbegründung nicht ausreicht, es vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben muss, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs vertritt. Insofern darf nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern vielmehr eine "gute Möglichkeit", die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 - SozR 3-3200 § 81 Nr 13 - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 7.7.2022 - B 9 V 2/22 B - juris RdNr 9). Das Fehlen einer entsprechenden Lehrmeinung bestätigt die Klägerin überdies mit dem Hinweis, dass nach Meldungen über die Entdeckung eines Auslösers der APS-Erkrankung noch keine ausreichende Zeit für das Entstehen einer entsprechenden Lehrmeinung bestanden habe. Danach wird aus dem Inhalt der Beschwerdebegründung nicht erkennbar, wie das LSG ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, wonach eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs die Existenz einer diese begründenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung erfordert, nach der beantragten Beweiserhebung zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte kommen können.
Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 6.7.2022 - B 10 EG 2/22 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. |
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Kaltenstein |
Othmer |
Ch. Mecke |
Fundstellen
Dokument-Index HI15825289 |