Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsgeld, Zuschuß. beruflicher Abschluß. notwendige berufliche Qualifikation. Dauer der berufliche Vortätigkeit. abgeschlossene Berufsausbildung. Facharbeiter. tarifliche Eingruppierung. Gelernter. Angelernter. Ungelernter

 

Leitsatz (amtlich)

  • Zum Merkmal des fehlenden beruflichen Abschlusses und der (deshalb) notwendigen beruflichen Qualifizierung als Voraussetzung für den Anspruch auf Unterhaltsgeld in Form eines Zuschusses (Fortführung von BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 5).
  • Für Ansprüche auf Unterhaltsgeld als Zuschuß entsprechen Berufsabschlüsse, die lediglich eine bis zu zweijährige Regelausbildung voraussetzen, nicht alleine wegen einer tariflichen Gleichstellung der Tätigkeiten selbst mindestens einer Facharbeiter-, Gesellen- oder Gehilfenprüfung.
 

Normenkette

AFG § 42 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1985-12-20, S. 3 Fassung: 1985-12-20, § 44 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 Fassung: 1985-12-20, § 152 Fassung: 1993-12-21; AFuU 1976 § 7 Abs. 2 Fassung: 1976-03-23, § 10 Abs. 1 Fassung: 1982-03-16

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 30.06.1993; Aktenzeichen L 8 Al 256/91)

SG Nürnberg (Urteil vom 17.07.1991; Aktenzeichen S 13 Al 459/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Juni 1993 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin verlangt von der Beklagten den Erlaß eines neuen Bescheides über die Bewilligung von Unterhaltsgeld (Uhg).

Die 1964 geborene Klägerin wurde nach der Hauptschule in Bayern zur “Staatlich geprüften Kinderpflegerin” ausgebildet (Berufsfachschule vom September 1981 bis Juli 1983). Anschließend war sie von Oktober bis Dezember 1983 und von April 1984 bis zum Beginn einer vom 16. September 1986 bis 19. Juli 1988 dauernden, erfolgreich abgeschlossenen Fachschulausbildung mit ganztägigem Unterricht (Heilerziehungspflegerin) in einem Kindergarten bzw einem Heim für geistig behinderte Kinder beschäftigt.

Die Beklagte bewilligte ihr wegen der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme neben Leistungen nach § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) Uhg in Darlehensform (Bescheid vom 5. November 1986). Als die Beklagte im März 1990 die Rückzahlung dieses Darlehens verlangte, beantragte die Klägerin, gemäß § 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) einen Bescheid darüber zu erlassen, daß das Uhg statt in Darlehensform (§ 44 Abs 2a AFG) als Zuschuß zu gewähren sei. Gleichzeitig verlangte sie mit einem Widerspruch gegen den Darlehensrückforderungsbescheid eine Verschiebung des Rückzahlungsbeginns und hilfsweise die Festsetzung niedrigerer Darlehensraten. Während die Beklagte dem Widerspruch teilweise (bezüglich des Hilfsantrags) entsprach (Bescheid vom 13. Juni 1990; Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1990), lehnte sie die Umwandlung des gewährten Darlehens in einen Zuschuß ab (Bescheid vom 11. Mai 1990; Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1990).

Die (nur) gegen den Bescheid vom 11. Mai 1990 beim Sozialgericht (SG) erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 17. Juli 1991); das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte auf entsprechenden Antrag der Klägerin unter Aufhebung des Urteils des SG und des Bescheides vom 11. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1990 verurteilt, “über den Antrag nach § 44 SGB X vom 2. April 1990 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden”. Zur Begründung seines Urteils hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe bei der Bewilligung von Uhg das Recht unrichtig angewandt; die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X iVm § 152 Abs 1 AFG für eine Neubescheidung lägen deshalb vor. Die Bewilligung von Uhg in Form eines Darlehens statt in Form eines Zuschusses sei rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin vor ihrer Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin keinen beruflichen Abschluß iS des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 3 AFG gehabt habe. Nach § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) sei ein beruflicher Abschluß iS dieser Vorschrift nämlich nur ein solcher, der mindestens der Facharbeiter-, Gesellen- oder Gehilfenprüfung entspreche; für die Ausbildung zur Kinderpflegerin könne dies nicht angenommen werden. Wie im Rentenversicherungsrecht setze der Status des Facharbeiters – oberhalb der Stufe der Ungelernten und Angelernten – eine mehr als zweijährige Ausbildung voraus. Kinderpflegerinnen würden außerdem nur auf Hilfskraftstellen und häufig auf gleicher Ebene wie ungelernte Kräfte eingesetzt, wie eine Auskunft des Bayerischen Landesjugendamtes bestätige.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 3 AFG, des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFuU und des § 152 Abs 1 AFG. Nach ihrer Auffassung ist der Abschluß als “Staatlich geprüfte Kinderpflegerin” einer Facharbeiter-, Gesellen- oder Gehilfenprüfung “vergleichbar”, weil er Beschäftigungsmöglichkeiten oberhalb der Ebene von Anlerntätigkeiten eröffne, wie die Eingruppierung in Vergütungsgruppe VII des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) nach einer Probezeit zeige. Daß Kinderpflegerinnen nach dem Bayerischen Kindergartengesetz und der Verordnung (VO) über die Rahmenpläne für anerkannte Kindergärten als pädagogische Hilfskräfte bezeichnet würden, sei demgegenüber unerheblich. Ein iS von § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFuU gleichwertiger Bildungsabschluß könne auch nicht unter Hinweis darauf verneint werden, daß die Tätigkeit als Kinderpflegerin in vielen Fällen nur Einstiegsberuf für eine zusätzliche Ausbildung im medizinischen, sozialen oder pädagogischen Bereich sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Beruf der Kinderpflegerin sei, wie das LSG zutreffend ausgeführt habe, der Gruppe der Anlerntätigkeiten zuzurechnen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 165, 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet, da ausreichende tatsächliche Feststellungen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat fehlen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1990, gegen den sich die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wendet (§§ 54 Abs 1 Satz 1, 56 SGG). Inhaltlich verlangt die Klägerin mit dem in der mündlichen Verhandlung beim LSG gestellten Antrag nur noch die Verurteilung der Beklagten zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts; zunächst hatte sie im Berufungsverfahren noch eine Abänderung des Bescheides vom 5. November 1986 dahin beantragt, daß statt des Uhg in Darlehensform ein Zuschuß zu gewähren sei. Die Antragsänderung stellt eine teilweise Klagerücknahme dar (§§ 153 Abs 1, 102 SGG); das LSG hat deshalb nur über den geänderten Antrag befunden. Wegen des Verböserungsverbots hat nunmehr der Senat auf die Revision der Beklagten ebenfalls nur über den Antrag der Klägerin auf Neubescheidung (vgl hierzu Kopp, VwGO, 9. Aufl 1992, § 113 RdNr 80), nicht über einen weiter gehenden Anspruch auf Umwandlung des bewilligten Uhg-Darlehens in einen Uhg-Zuschuß zu befinden.

Das Klagebegehren der Klägerin zielt mithin auf Erlaß eines neuen Bescheides unter Durchbrechung der Bindungswirkung des früheren Bewilligungsbescheides (§ 77 SGG); ihr Anspruch, den sie durch einen Antrag innerhalb der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 SGB X geltend gemacht hat, richtet sich insoweit nach § 44 Abs 1 SGB X. Ob § 152 Abs 1 AFG in den vor 1. Januar 1994 geltenden Fassungen weiterhin anwendbar ist, läßt der Senat offen.

Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb ua Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. § 152 Abs 1 AFG in seinen vor dem 1. Januar 1994 (seit 1. Januar 1981) geltenden Fassungen (aF) sah in Abweichung davon auf der Rechtsfolgeseite eine Rücknahme in Form einer gebundenen Entscheidung lediglich mit Wirkung für die Zukunft vor, während die Rücknahme für die Vergangenheit im Ermessen der Beklagten stand. Der Anspruch auf Rücknahme umfaßt indes auch den von der Klägerin nur noch geltend gemachten Anspruch auf sachgerechte Ermessensbetätigung (§ 39 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫), der sich als ein Weniger darstellt (vgl Kopp, aaO, § 88 RdNr 1). Nach der Zurückverweisung der Sache wird das LSG gleichwohl zu beachten haben, daß die bezeichnete Einschränkung des § 44 Abs 1 SGB X durch § 152 AFG aF mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353) ab 1. Januar 1994 entfallen ist, ohne daß eine Übergangsregelung für laufende Verfahren vorhanden ist (vgl zur Problematik des sog intertemporalen Verwaltungsrechts etwa: BSGE 70, 31, 34 ff = SozR 3-2500 § 48 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 48 Nr 2; Kopp SGb 1993, 593 ff). Möglicherweise resultiert daraus ein umfassenderer Anspruch auf Umwandlung des Darlehens in einen Zuschuß iS einer gebundenen Entscheidung, dem bei entsprechendem Antrag der Klägerin Rechnung getragen werden könnte, sofern insoweit die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen nach dem AFG vorliegen. Die Beklagte jedenfalls scheint § 44 SGB X im Hinblick auf die Neuregelung des § 152 AFG (vgl die Begründung des Gesetzes in BT-Drucks 12/5502 S 37 zu Art 1 Nr 43: Aufhebung “künftig” nach § 44 Abs 1 SGB X) ohne Ermessensausübung anzuwenden (vgl Beschluß des 11. Senats vom 25. Mai 1994 – 11 RAr 77/93 –, unveröffentlicht).

Ob die Beklagte bei Erlaß des Bescheides vom 5. November 1986 mit der Bewilligung von Uhg in Form eines Darlehens das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht hat (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X), läßt sich nicht entscheiden. Zwar unterfällt auch die Vorenthaltung eines Zuschusses bei gleichzeitiger Bewilligung eines Darlehens der Norm des § 44 SGB X, weil durch die Anordnung der künftigen Leistungsrückzahlung automatisch die Gewährung einer Zuschußleistung versagt worden ist. Daß ein Anspruch auf Uhg in Form eines Zuschusses statt eines Darlehens bestand, steht allerdings noch nicht fest.

Dies beurteilt sich nach der Anspruchsnorm des § 44 Abs 1 und 2 AFG (idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ≪7. AFG-ÄndG≫ vom 20. Dezember 1985 – BGBl I 2484). Nach Abs 1 dieser Vorschrift wird Teilnehmern an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung mit – wie hier – ganztägigem Unterricht ein Uhg gewährt. Das LSG ist, ohne dies zu begründen, von einer Fortbildungsmaßnahme iS des § 41 Abs 1 AFG ausgegangen; wegen der für Umschulungsmaßnahmen in § 47 Abs 1 AFG (idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 23. Juli 1979 – BGBl I 1189) enthaltenen Verweisung auf § 44 AFG bedarf es für die Anwendung dieser Vorschrift jedenfalls keiner näheren Prüfung, ob die von der Klägerin im streitigen Zeitraum besuchte Bildungsmaßnahme tatsächlich eine solche der Fortbildung oder aber der Umschulung war. In beiden Fällen gelten dieselben Voraussetzungen.

Nach § 44 Abs 2 Satz 2 AFG wird Uhg in Form eines Zuschusses ua gezahlt, wenn die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme notwendig ist, damit ein Antragsteller, der keinen beruflichen Abschluß hat, eine berufliche Qualifikation erwerben kann (Nr 3). Eine abschließende Entscheidung ist nicht möglich, weil das LSG weder tatsächliche Feststellungen zur Notwendigkeit der Fachschulausbildung für den Erwerb einer beruflichen Qualifikation noch – von seiner Rechtsansicht ausgehend folgerichtig – zu den sonstigen Alternativen (Nrn 1, 2, 4) dieser Vorschrift (berufliche Eingliederung bei Arbeitslosigkeit; Verhinderung der Arbeitslosigkeit bei unmittelbarer Bedrohung davon; Ergreifung eines Mangelberufes) getroffen hat.

Zu Recht hat es indes angenommen, daß die Klägerin keinen beruflichen Abschluß iS des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 3 AFG aufweisen konnte und daß die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme mit dem Ziel des Abschlusses als Heilerziehungspflegerin eine Qualifizierung darstellt.

Wann ein beruflicher Abschluß vorliegt, hat die Beklagte in zulässiger Weise in § 10 Abs 1 Satz 3 Nr 3 der AFuU vom 23. März 1976 (hier idF der 13. Änderungsanordnung vom 28. Januar 1986 – ANBA S 557) unter Konkretisierung des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 3 AFG geregelt (BSGE 48, 176, 179 = SozR 4100 § 44 Nr 21; BSG SozR 4100 § 44 Nrn 30 und 37; BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 5; BSG, Urteile vom 10. Mai 1979 – 7 RAr 37/78 – und vom 11. Dezember 1979 – 7 RAr 64/78 –, DienstblRsprNr 2491a zu § 46 AFG). Danach erhält Uhg der Teilnehmer einer Bildungsmaßnahme, der vor Eintritt in die Maßnahme noch keinen beruflichen Abschluß erworben hat, der mindestens der Facharbeiter-, Gesellen- oder Gehilfenprüfung entspricht. Ziel der Vorschrift ist es, den erfahrungsgemäß ungünstigen Beschäftigungsaussichten ungelernter oder angelernter Arbeitnehmer Rechnung zu tragen (BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 5). Ob die Prüfung als Kinderpflegerin den Abschlußprüfungen für die Vergleichsberufe mindestens gleichwertig ist, muß daher nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) mit einer Gesamtbewertung nach formalen Merkmalen, insbesondere der Ausbildungszeit und der Berufschancen entschieden werden (BSG SozR aaO). In Fortführung dieser Rechtsprechung hält es der Senat dabei für erforderlich, auf die Rechtsprechung des BSG zur Frage der Berufsunfähigkeit (BU) und das dort geltende Stufenschema zurückzugreifen.

Sowohl bei den Arbeitern als auch bei den Angestellten wird nämlich im Hinblick auf die mittlerweile übliche Ausbildungsdauer für die Annahme eines Leitberufes oberhalb der Anlerntätigkeiten – abgesehen von einer staatlichen Anerkennung (vgl zu den Arbeiterberufen: BSGE 55, 45, 47 = SozR 2200 § 1246 Nr 107; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 140; SozR 3-2200 § 1246 Nr 12) – in ständiger Rechtsprechung (seit 1983) eine mehr als zweijährige Regelausbildungszeit vorausgesetzt (BSGE 55, 45, 50 f = SozR 2200 § 1246 Nr 107; BSGE 59, 201, 206 = SozR 2200 § 1246 Nr 132; BSGE 68, 277, 279 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13; BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 109, 140 und 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 12; BSG, Urteil vom 9. Juni 1988 – 4/1 RA 67/87 –, unveröffentlicht). Greift aber die Beklagte bei der Konkretisierung des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 3 AFG zulässigerweise auf die Stufenfolge “Ungelernter-Angelernter-Gelernter” zurück, dann liegt es auf der Hand, die zur Abgrenzung dieser einzelnen Stufen entwickelten Klassifikationsmerkmale heranzuziehen. Dies bedeutet, daß der Berufsabschluß der Klägerin mangels einer zwei Jahre überschreitenden Regelausbildungszeit nicht mindestens einer Abschlußprüfung des Leitberufs eines Facharbeiters entspricht.

Die der Klägerin offenstehenden Berufschancen bestätigen dies. Der 9b-Senat hat bereits früher unter Verwertung einer im Revisionsverfahren eingeholten Auskunft der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und überörtlichen Erziehungsbehörden dargelegt, daß Kinderpflegerinnen tatsächlich auf den für sie wichtigsten Arbeitsplätzen, in Kinderheimen und in Tageseinrichtungen für Kinder, nur auf Hilfskraftstellen beschäftigt werden (BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 5). Die vom LSG im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskünfte, die der Senat als sogenannte generelle Tatsachen selbständig bewerten darf, führen nicht zu neuen Erkenntnissen.

Dem steht nicht entgegen, daß die staatlich geprüfte Kinderpflegerin und die staatlich anerkannte Kinderpflegerin im BAT bei den Vergütungsgruppen VIII bis VIb geführt werden und damit möglicherweise tariflich eine gleiche Einstufung erfahren wie Facharbeiter. Eine tarifliche Gleichsetzung ändert nämlich nichts daran, daß formal ein einer Facharbeiter-, Gesellen- oder Gehilfenprüfung gleichartiger Abschluß fehlt. Soweit demgegenüber im Rentenversicherungsrecht auch auf die tarifliche Einstufung abgestellt wird (vgl BSGE 68, 277 ff = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13 mwN), beruht dies auf einer von § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFuU abweichenden Rechtslage. Nach der gesetzlichen Regelung zur BU bestimmt nämlich auch der individuelle Wert der bisherigen Berufstätigkeit den (geschützten) Status des Versicherten, der sich in der tariflichen Einstufung widerspiegelt (BSGE 68, 277, 280 ff = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13). Der nach dem Kriterium der Ausbildungsdauer als Angelernter zu bezeichnende Arbeitnehmer wird dadurch gleichwohl nicht zum Facharbeiter, sondern diesem lediglich für die Frage der Zumutbarkeit eines Verweisungsberufes gleichgestellt (BSGE 68, 277, 280 ff = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143; SozR 3-2200 § 1246 Nr 17; BSG, Urteil vom 9. Juni 1988 – 4/1 RA 67/87; Urteil vom 27. November 1991 – 5 RJ 91/89 –, unveröffentlicht; Urteil vom 7. April 1992 – 8 RKn 2/90 –, unveröffentlicht; Urteile vom 25. August 1993 – 13 RJ 71/91 und 13 RJ 21/92 –, unveröffentlicht). Derartige Überlegungen läßt bereits der Wortlaut des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFuU nicht zu, der ausschließlich auf die Vergleichbarkeit des beruflichen Abschlusses, nicht auf die qualitative Bewertung einer vorausgegangenen beruflichen Tätigkeit als solcher abstellt. Die im Rentenversicherungsrecht anerkannte Indizwirkung – ob widerleglich oder unwiderleglich – erfaßt weder die Qualität des Berufsabschlusses noch bietet sie hinreichend Gewähr für den “Facharbeitern” gleichwertige Berufschancen.

Hiervon ausgehend hat das LSG – wenngleich ohne Begründung und ohne Erwähnung der nach Landesrecht maßgeblichen Vorschriften – richtigerweise angenommen, daß es sich bei der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme “Heilerziehungspflegerin” für die Klägerin um den Erwerb einer beruflichen Qualifikation gehandelt hat. Sie hat der Klägerin eine zusätzliche und spezifische Ausbildung für das Berufsfeld der Behindertenbetreuung vermittelt. Nach § 2 der Schulordnung für die Fachschulen für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe vom 1. Juni 1985 (Bayerisches GVBl 1985, 271 ff) soll die Ausbildung den Schüler befähigen, selbständig in Einrichtungen für die Pflege und Betreuung Behinderter, Wohnheimen für Behinderte, Tagesstätten, Werkstätten für Behinderte und anderen Einrichtungen für Behinderte in der pädagogischen Betreuung und Pflege tätig zu werden und dabei die Persönlichkeitsentwicklung, Sozialisation und Rehabilitation der Behinderten zu fördern. Zum einen hat der Besuch der Schule den beruflichen Einsatzbereich der Klägerin quantitativ und qualitativ nicht unerheblich erweitert; zum anderen ist der Beruf der Heilerziehungspflegerin nach § 42 der bezeichneten Schuldordnung formal staatlich anerkannt und baut auf einer gewissen Lebens- und Berufserfahrung auf (§ 5 der bezeichneten Schulordnung). Die Maßnahme ist also sogar von ihrer Zielsetzung her auf Qualifizierung ausgerichtet. Unerheblich ist es, ob nunmehr ein Berufsabschluß auf der Facharbeiterebene iS des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFuU erreicht ist. Unter Hinweis auf BT-Drucks 7/4127 (Begründung zu Art 20 § 1 Nr 6a Abs 2) hat der Senat bereits entschieden, daß dies nicht das Ziel einer Qualifizierung sein muß (BSG SozR 4100 § 44 Nr 30).

Nicht beurteilen läßt sich allerdings, ob der Erwerb der Qualifikation der Klägerin iS des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 3 notwendig war (vgl hierzu BSGE 48, 176, 180 f = SozR 4100 § 44 Nr 21; BSG SozR 4100 § 44 Nr 30). Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es darauf an, ob die Klägerin auch ohne die Förderung der Teilnahme an überhaupt einer Bildungsmaßnahme (BSGE 48, 176, 180 = SozR 4100 § 44 Nr 21) eine bisher fehlende Berufsqualifikation hätte erlangen können. Die hierfür erforderlichen Feststellungen wird das LSG ebenso nachzuholen haben wie die zu den §§ 33 bis 37 AFG, wo etwa die Unterscheidung zwischen Fortbildung und Umschulung bedeutsam werden könnte. Selbst wenn entsprechende Ausschlußtatbestände nicht ersichtlich sind, ist dem Senat doch die Annahme oder der Ausschluß selbst einer fernliegenden tatsächlichen Feststellung verwehrt (BSG SozR 4100 § 44 Nr 30).

Möglich ist indes eine abschließende Bewertung des § 46 AFG (hier idF des 7. AFG-ÄndG) und § 42 AFG (idF des 7. AFG-ÄndG), beide anwendbar auch für Umschulungsmaßnahmen (§ 47 AFG).

§ 46 Abs 1 Satz 1 AFG macht die Förderungsleistungen davon abhängig, daß der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor Beginn der Maßnahme mindestens zwei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt hat; dies trifft für die Klägerin zu (April 1984 bis 16. September 1986). Während also § 46 AFG als versicherungsrechtliche Vorgabe eine gewisse Zeit der Vorbeschäftigung (bzw das Vorliegen von Ersatztatbeständen) verlangt, wird durch § 42 AFG der förderungsfähige Personenkreis allgemein aus arbeitsmarktpolitischen Gründen begrenzt. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift werden Antragsteller mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung gefördert, wenn sie danach mindestens drei Jahre beruflich tätig waren (Nr 1), bzw Antragsteller ohne abgeschlossene Berufsausbildung, wenn sie mindestens sechs Jahre beruflich tätig waren (Nr 2). Eine berufliche Vortätigkeit ist in Fällen der Nr 1 dann nicht erforderlich, wenn die Teilnahme an einer Maßnahme notwendig iS des § 44 Abs 2 Satz 2 Nrn 1 bis 3 AFG ist (§ 42 Abs 1 Satz 3 1. Halbs AFG); für Antragsteller ohne abgeschlossene Berusausbildung ist allerdings immer eine Vortätigkeit von mindestens drei Jahren vorgeschrieben (§ 42 Abs 1 Satz 3 2. Halbs AFG).

Bei Bejahung des § 44 Abs 2 Satz 2 Nrn 1 bis 3 AFG erfüllt die Klägerin auch die Voraussetzungen des § 42 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm Abs 1 Satz 3 1. Halbs AFG. Sie gehörte zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 42 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG, da sie iS dieser Vorschrift keine abgeschlossene Berufsausbildung besaß.

Der Begriff der abgeschlossenen Berufsausbildung iS des § 42 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG hat die Beklagte in ermächtigungskonformer Weise durch § 7 Abs 2 AFuU (hier vom 23. März 1976, ANBA S 559) definiert (BSG SozR 3-4100 § 42 Nr 1 mwN). Darin wird ein Berufsabschluß in einem nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften anerkannten Beruf gefordert, für den die Ausbildungszeit mit mindestens zwei Jahren festgesetzt ist (Regelausbildungszeit). Anliegen des § 7 AFuU ist die Abgrenzung der Erstausbildung von der Fortbildung und Umschulung; demgemäß ist in der bisherigen Rechtsprechung stets hervorgehoben worden, daß nur Arbeitnehmer mit angemessener Berufserfahrung, nicht sogenannte “Durchstarter”, Fortbildungsförderung erhalten können (BSG aaO mwN). Die Zielsetzung des § 42 Abs 1 AFG unterscheidet sich mithin von der des § 44 Abs 2 Satz 2 AFG und rechtfertigt die trotz des ähnlichen Wortlauts (“abgeschlossene Berufsausbildung”; “keinen beruflichen Abschluß”) zu § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFuU unterschiedliche Regelung.

Obwohl der Wortlaut des § 7 Abs 2 AFuU einen formalen Anerkennungsakt durch Bescheid bzw Rechtsnorm zu verlangen scheint, kann dies nicht iS einer Regel gelten (vgl auch Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand Juni 1994, § 42 RdNr 22). Es ergäben sich ansonsten unter Berücksichtigung des Zweckes von § 42 Abs 1 AFG Zweifel an der Ermächtigungskonformität (§ 39 AFG) des § 7 Abs 2 AFuU. Bei schulischen Formen der Berufsausbildung nach Landesrecht, in denen also § 28 Abs 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) mit seinem Verbot der Ausbildung von Jugendlichen unter 18 Jahren in anderen als anerkannten Berufen nicht eingreift (§ 2 Abs 1 BBiG), muß es genügen, daß – wie nach den Feststellungen des LSG bei der Ausbildung zur Kinderpflegerin in Bayern – die zweijährige Maßnahme ebenso wie ihr Abschluß staatlich kontrolliert sind. Zwar berechtigt das Bestehen der Abschlußprüfung nur zur Führung der Berufsbezeichnung “Staatlich geprüfte Kinderpflegerin” (vgl § 2 der Berufsfachschulordnung für Hauswirtschaft und Kinderpflege vom 4. September 1985, Bayerisches GVBl 1985, 502 ff); inhaltlich beinhaltet dies jedoch die geforderte landesrechtliche Anerkennung. Eines zusätzlichen formalen staatlichen Anerkennungsaktes bedarf es nicht mehr (in diesem Sinne wohl: Hennig/Kühl/Heuer/Henke aaO; Gagel, AFG, Stand Mai 1993, § 42 RdNrn 12 ff).

§ 7 AFuU wil nämlich nur eine unzulängliche Erstausbildung dem fehlenden beruflichen Abschluß gleichsetzen, so daß dann eine insgesamt mindestens dreijährige berufliche Tätigkeit Voraussetzung für die Übernahme von Förderungsleistungen ist (BSG SozR 3-4100 § 42 Nr 1). Unzulänglichkeit kann aber bei Ausbildungsgängen in berufsbildenden Schulen bei vorgesehener Regelausbildungszeit von mindestens zwei Jahren und staatlicher Abschlußprüfung nicht angenommen werden. Hinzu kommt, daß der Beruf der Kinderpflegerin nach den bindenden Ausführungen des LSG (§ 202 SGG iVm § 562 Zivilprozeßordnung) Aufnahme ins Bayerische Kindergartengesetz und in die VO über die Rahmenpläne für anerkannte Kindergärten gefunden hat und seine staatliche Akzeptierung dadurch in besonderer Weise dokumentiert ist.

Es bedarf deshalb nicht der Prüfung, ob bei Verneinung eines Berufsabschlusses (§ 7 Abs 2 AFuU) im Rahmen des § 42 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm Satz 3 2. Halbs AFG eine berufliche Vortätigkeit von mindestens drei Jahren zu bejahen wäre, weil nach § 7 Abs 3 AFuU als berufliche Tätigkeit auch Zeiten einer nicht abgeschlossenen Berufsausbildung gelten (vgl BSG SozR 4100 § 42 Nr 9; BSG SozR 3-4100 § 42 Nr 1), also möglicherweise sogar eine reine Schulausbildung. Ebensowenig bedarf es eines Eingehens auf § 42 Abs 4 AFG; danach kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bei ungünstiger Beschäftigungslage durch Rechtsverordnung jeweils für ein Jahr bestimmen, daß auch Antragsteller, die die Voraussetzungen nach den Abs 1 und 2 nicht erfüllen, gefördert werden können.

Sollten die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X wegen eines Anspruchs der Klägerin auf Uhg in Form eines Zuschusses zu bejahen sein, ergäbe sich in zeitlicher Hinsicht keine Einschränkung der Rücknahmemöglichkeit des Bescheides vom 5. November 1986 aus § 152 Abs 1 AFG idF des 1. SKWPG; dabei wird – wie bereits ausgeführt – vom Senat offengelassen, inwieweit § 152 Abs 1 AFG in der seit 1. Januar 1994 geltenden Fassung auf laufende Verfahren überhaupt Anwendung finden kann. Seine tatbestandlichen Voraussetzungen jedenfalls liegen unabhängig von seinem zeitlichen Geltungsbereich nicht vor.

§ 152 Abs 1 AFG nF modifiziert § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X nur noch dahin, daß die zwingende Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit in zwei Fällen einer zeitlichen Einschränkung unterliegt: wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm beruht, die nach seinem Erlaß für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Bundesanstalt für Arbeit ausgelegt worden ist. Die Rücknahme erfolgt dann nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung. Keine dieser Alternativen kann vorliegend eingreifen, insbesondere nicht die der “abweichenden ständigen Rechtsprechung”. Der Senat knüpft vielmehr zur Unterscheidung zwischen Ungelernten, Angelernten und Gelernten im Rahmen des § 44 Abs 2 Satz 2 Nr 3 AFG und des § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFuU an mehrere vor dem streitigen Zeitraum ergangene eigene Entscheidungen der Jahre 1979/1980/1982 und an Entscheidungen der Rentenversicherungssenate der Jahre 1983/1984/1985 an (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mit den dortigen Nachweisen). Abgesehen davon ist es zweifelhaft, ob § 152 AFG nF die Fälle erfaßt, in denen sich die Rechtsprechung an den Anordnungen der Beklagten selbst orientiert und die Beklagte die von ihr geschaffene, zulässigerweise eine Norm des AFG konkretisierende Regelung anders ausgelegt hat, als dies dem Sinngehalt der Anordnungsregelung entspricht. Der Tatbestand des § 152 nF kann schließlich nicht im Hinblick auf die Entscheidung des 9b-Senats vom 6. März 1991 (SozR 3-4100 § 44 Nr 5) bejaht werden. Dieses Urteil enthält gegenüber den früheren Entscheidungen des erkennenden Senats keine Aussagen, die geeignet wären, in Abweichung dazu eine neue Rechtsprechung zu schaffen, die erst durch die jetzige Entscheidung zu einer ständigen Rechtsprechung geworden wäre.

Das LSG wird nunmehr die erforderlichen Feststellungen (Notwendigkeit des Erwerbs einer Qualifikation; allgemeine Voraussetzungen der §§ 33 bis 37 AFG) nachzuholen und über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI911872

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge