Orientierungssatz
1. Der Ausschlußgrund iS von § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO gilt sowohl für Richter als auch für ehrenamtliche Richter. Sinn dieser Vorschrift ist es zu verhindern, daß in einem mehrinstanzlichen Verfahren derjenige bei der Nachprüfung mitwirkt, der die nachzuprüfende Entscheidung (mit) erlassen hat.
2. Das Recht des Klägers die Revision auf die unrichtige Besetzung des LSG zu stützen geht nicht dadurch verloren, daß er sich auf die Verhandlung vor dem nicht richtig besetzten Berufungsgericht eingelassen und dort einen Antrag gestellt hat, ohne den Ausschlußgrund geltend zu machen. Die Pflicht zur rechtzeitigen Geltendmachung eines Verfahrensfehlers gilt nach der gemäß § 60 Abs 1 S 1 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 43 ZPO allein für die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO , nicht aber für die Ausschlußgründe nach § 41 ZPO (vgl BSG vom 24.4.1991 - 9a RV 1/91 ).
Beteiligte
Landesversicherungsanstalt Sachsen |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Vorgreiflich geht es um die Frage, ob ein bestimmter ehrenamtlicher Richter an der berufungsgerichtlichen Entscheidung mitwirken durfte.
Die Beklagte gewährte der Klägerin auf ihren Antrag vom Dezember 1993 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) für die Zeit vom 1. Juli 1994 bis 31. März 1995 (Bescheid vom 9. August 1994). Den im November 1994 gestellten Antrag auf Weitergewährung der Rente lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 13. Juni 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 19. September 1995). Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Dresden ≪SG≫ vom 18. Juni 1997; Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 7. Juli 1998).
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der §§ 41 Nr 6, 551 Nr 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm den §§ 60 Abs 1 Satz 1, 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das Urteil des LSG sei unter Beteiligung des ehrenamtlichen Richters Leuschel ergangen. Dieser sei bereits an der entsprechenden Entscheidung des SG beteiligt gewesen. Somit habe bei Erlaß des Berufungsurteils ein Richter mitgewirkt, der kraft Gesetzes von der Entscheidung ausgeschlossen gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 7. Juli 1998 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat sich zur Revision nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs 2 SGG ).
Entscheidungsgründe
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Vorgreiflich geht es um die Frage, ob ein bestimmter ehrenamtlicher Richter an der berufungsgerichtlichen Entscheidung mitwirken durfte.
Die Beklagte gewährte der Klägerin auf ihren Antrag vom Dezember 1993 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) für die Zeit vom 1. Juli 1994 bis 31. März 1995 (Bescheid vom 9. August 1994). Den im November 1994 gestellten Antrag auf Weitergewährung der Rente lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 13. Juni 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 19. September 1995). Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Dresden ≪SG≫ vom 18. Juni 1997; Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 7. Juli 1998).
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der §§ 41 Nr 6, 551 Nr 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm den §§ 60 Abs 1 Satz 1, 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das Urteil des LSG sei unter Beteiligung des ehrenamtlichen Richters Leuschel ergangen. Dieser sei bereits an der entsprechenden Entscheidung des SG beteiligt gewesen. Somit habe bei Erlaß des Berufungsurteils ein Richter mitgewirkt, der kraft Gesetzes von der Entscheidung ausgeschlossen gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 7. Juli 1998 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat sich zur Revision nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Das Urteil des LSG war aufzuheben, da es verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist. Gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht – was hier ausscheidet – um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt.
Wie die Klägerin zutreffend gerügt hat, war der ehrenamtliche Richter Leuschel im vorerwähnten Sinne kraft Gesetzes von der Mitwirkung und Entscheidung im berufungsgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen, da er bereits am Erlaß der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat. Das LSG hat auf entsprechende Anfrage des erkennenden Senats mit Schreiben vom 8. Februar 1999 bestätigt, daß es sich bei dem ehrenamtlichen Richter Leuschel, der sowohl an der Sitzung des SG vom 18. Juni 1997 als auch an der Sitzung des LSG vom 7. Juli 1998 mitgewirkt hat, um dieselbe Person gehandelt haben müsse, da es in der sächsischen Sozialgerichtsbarkeit nur einen ehrenamtlichen Richter namens Leuschel gebe und dieser bis zum 31. Oktober 1997 am SG tätig gewesen und danach an das LSG berufen worden sei. Da es in dem Berufungsverfahren um denselben Anspruch wie im erstinstanzlichen Verfahren ging – dh um den Anspruch auf Gewährung von Rente wegen EU (hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise wegen Invalidität) über den 31. März 1995 hinaus – hat der ehrenamtliche Richter Leuschel iS von § 60 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO in einem früheren Rechtszug bei dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt.
Der Ausschlußgrund iS von § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 6 ZPO gilt sowohl für Richter als auch für ehrenamtliche Richter (vgl etwa Hartmann in Baumbach ua, ZPO, 53. Aufl, vor § 41 RdNr 2). Sinn dieser Vorschrift, der hier voll zutrifft, ist es zu verhindern, daß in einem mehrinstanzlichen Verfahren derjenige bei der Nachprüfung mitwirkt, der die nachzuprüfende Entscheidung (mit) erlassen hat (Hartmann, aaO, § 41 RdNr 14).
Die Klägerin hat ihr Recht, die Revision auf die unrichtige Besetzung des LSG zu stützen, nicht dadurch verloren, daß sie sich auf die Verhandlung vor dem nicht richtig besetzten Berufungsgericht eingelassen und dort einen Antrag gestellt hat, ohne den Ausschlußgrund geltend zu machen. Die Pflicht zur rechtzeitigen Geltendmachung eines Verfahrensfehlers gilt nach der gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 43 ZPO allein für die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO, nicht aber für die Ausschlußgründe nach § 41 ZPO (vgl BSG, Urteil vom 24. April 1991 - 9a RV 1/91 -).
Das angefochtene Urteil ist auch als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen. Dies ist gemäß § 551 Nr 2 ZPO iVm § 202 SGG stets der Fall, wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis – was hier nicht in Betracht kommt – mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist.
Das Berufungsurteil war somit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Dieses Gericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
NZA 1999, 1324 |
SozSi 2000, 107 |