Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Urteil vom 13.06.1990) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Juni 1990 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Befristung der dem Kläger erteilten Ermächtigung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung auf den 30. Juni 1991 zulässig war.
Der Kläger ist leitender Arzt der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der St. L … -K … in S …. Unter der Geltung der mit Ablauf des 31. Dezember 1988 außer Kraft getretenen Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) war er mit Einschränkungen des Leistungsumfanges an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt.
Aufgrund Beschlusses vom 7. Juni 1989 wandelte der Zulassungsausschuß für Ärzte Düsseldorf mit Bescheid vom 21. Juni 1989 die bisherige Beteiligung des Klägers gemäß Art 65 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz -GRG-) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) in eine Ermächtigung nach § 116 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches -Gesetzliche Krankenversicherung- (SGB V), § 31a der Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) in der ab 1. Januar 1989 geltenden Fassung des GRG um und befristete diese bis zum 31. Dezember 1990.
Dem Widerspruch des Klägers, mit dem er sich gegen die Befristung der Ermächtigung gewandt hatte, half der Beklagte unter Zurückweisung im übrigen lediglich insoweit ab, als er aufgrund Beschlusses vom 18. Oktober 1989 mit undatiertem Bescheid die Ermächtigung bis zum 30. Juni 1991 befristete. Zur Begründung führte er aus, der Zulassungsausschuß habe zu Recht den Vorschriften der §§ 31a Abs 3, 31 Abs 7 Satz 1 Ärzte-ZV die Verpflichtung entnommen, die Zeitdauer der Ermächtigung zu bestimmen. Der Zulassungsausschuß habe jedoch die Frist zu kurz bemessen. In Orientierung an der früheren Regelung des § 29 Abs 5 Satz 3 der Zulassungsordnung für Ärzte (ZO-Ärzte) vom 28. Mai 1957 (BGBl I S 572) in der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Fassung sei vielmehr eine Befristung der Ermächtigung auf zwei Jahre ermessensgerecht.
Mit Urteil vom 13. Juni 1990 hat das Sozialgericht (SG) die hiergegen erhobene Klage abgewiesen, mit der sich der Kläger erneut gegen die Befristung seiner Ermächtigung bis zum 30. Juni 1991 gewandt hatte. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der Beklagte habe in vertretbarer Weise angenommen, daß die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Ermächtigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nur bis zum 30. Juni 1991 erfüllt seien und die Ermächtigung daraufhin zutreffend bis zu diesem Zeitpunkt befristet. Gegenüber dem bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Recht habe sich die Rechtslage geändert. Die nach der Neuregelung in § 116 Satz 2 SGB V, § 31a Abs 1 Satz 2, Abs 3 Ärzte-ZV iVm § 31 Abs 7 Ärzte-ZV zwingend vorgesehene zeitliche Bestimmung der Ermächtigung diene erkennbar der Sicherstellung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes „Ermächtigung”. Damit lägen die Voraussetzungen vor, unter denen gemäß § 32 Abs 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB X) ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung versehen werden dürfe. Der Beklagte habe in nicht zu beanstandender Weise eine Versorgungslücke lediglich bis zu dem genannten Termin angenommen. Bei der Entscheidung hierüber stehe den Zulassungsinstanzen ein von den Gerichten nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Es sei nicht zu beanstanden, daß der Beklagte sich ausdrücklich an der früheren rechtlichen Regelung des § 29 Abs 5 Satz 3 der ZO-Ärzte orientiert habe, da Anhaltspunkte für eine länger dauernde Versorgungslücke weder ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen worden seien. Entgegen der Meinung des Klägers werde dem Erfordernis der zeitlichen Bestimmung der Ermächtigung nicht schon durch eine Beschränkung auf die Dauer der Tätigkeit des Krankenhausarztes am jeweiligen Krankenhaus Rechnung getragen. Die Tätigkeit am Krankenhaus sei vielmehr Voraussetzung dafür, daß überhaupt dem Grunde nach ein Anspruch auf Ermächtigung entstehe. Ein anderes Ergebnis folge auch nicht aus der Altersbegrenzung nach § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V, weil diese Vorschrift zum einen nur die erstmalige Zulassung oder Ermächtigung betreffe, zum anderen auch von der Altersgrenze abgewichen werden könne, wenn das zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung erforderlich sei.
Die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsschutzes werde durch die Zulässigkeit der Befristung den Ärzten nicht genommen. Die Beseitigung des vorläufigen Rechtsschutzes, der bisher durch die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage bedingt gewesen sei, finde eine hinreichende Legitimation darin, daß damit verhindert werde, daß eine Ermächtigung trotz Wegfalles ihrer Voraussetzungen entgegen dem Vorrang der ambulanten kassenärztlichen Versorgung durch niedergelassene Ärzte über längere Zeit faktisch habe bestehen bleiben können. Schließlich seien auch die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu Beteiligungen alten Rechts nicht auf die Ermächtigungen des neuen Rechts übertragbar. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob dies schon daran scheitere, daß der Gesetzgeber die maßgeblichen Vorschriften der Ärzte-ZV selbst erlassen habe, so daß anders als bei § 368a Abs 8 RVO und § 29 ZO-Ärzte jetzt kein Rangverhältnis zwischen § 116 SGB V und §§ 31a, 31 Ärzte-ZV mehr bestehen könne. Wenn der Gesetzgeber selbst in den mit § 116 SGB V korrespondierenden Vorschriften der Ärzte-ZV eine zeitliche Bestimmung der zu erteilenden Ermächtigung verlange, könne die gesetzliche Regelung, daß eine Ermächtigung nur bei einer entsprechenden Versorgungslücke zu erteilen sei, allein dahin ausgelegt werden, daß die Ermächtigungen zu befristen seien, zumal die Neuregelung bezwecke, daß der ermächtigte Krankenhausarzt keinen Vertrauensschutz auf den Fortbestand seiner Ermächtigung genießen solle.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom SG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung materiellen Rechts und trägt dazu erneut seinen schon vor dem SG vertretenen Rechtsstandpunkt vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Juni 1990 aufzuheben und den Beschluß des Zulassungsausschusses für Ärzte Düsseldorf vom 7. Juni 1989 (Bescheid vom 21. Juni 1989) in der Gestalt des Beschlusses des Beklagten vom 18. Oktober 1989 insoweit aufzuheben, als seine (des Klägers) Ermächtigung bis zum 30. Juni 1991 befristet worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und tritt dem Rechtsstandpunkt des Klägers entgegen.
Die Beigeladenen zu 1) bis 4) schließen sich der Auffassung des SG bzw des Beklagten an, stellen jedoch keinen Antrag.
Die Beigeladenen zu 5) und 6) äußern sich zur Sache nicht und stellen ebenfalls keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Befristung seiner Ermächtigung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung auf den 30. Juni 1991 durch undatierten Bescheid des Beklagten aufgrund Beschlusses vom 18. Oktober 1989 ist nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage gegen diesen Bescheid zu Recht abgewiesen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteile vom 27. Februar 1992 – 6 RKa 15/91 = SozR 3-2500 § 116 Nr 2; 6 RKa 28/91 und 6 RKa 36/91 ≪nicht veröffentlicht≫; 6 RKa 45/91 = MedR 1992, 299 – und vom 28. Oktober 1992 – 6 RKa 12/91 und 6 RKa 39/91 ≪nicht veröffentlicht≫ –) hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Ermächtigung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung. Er kann ebenfalls nicht eine längere Befristung der Ermächtigung beanspruchen.
Der Senat hat in seinen Entscheidungen im einzelnen dargelegt, daß die Zulassungsgremien nach Art 65 Satz 2 GRG befugt waren, als Ermächtigungen fortgeltende Beteiligungen an der kassenärztlichen Versorgung auch förmlich in Ermächtigungen umzuwandeln und sie der neuen Gesetzeslage anzupassen. Die Zulassungsgremien sind darüber hinaus gemäß § 116 Satz 2 SGB V, § 31a Abs 1 Satz 2, Abs 3 iVm § 31 Abs 7 Ärzte-ZV berechtigt und verpflichtet, die Ermächtigungen von Krankenhausärzten zeitlich zu begrenzen. Dies hat im Wege der Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) zu geschehen. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung fest.
Die Entscheidung des SG ist auch insoweit rechtmäßig, als es die von den Zulassungsgremien konkret getroffene zeitliche Begrenzung gebilligt hat. Wie der Senat in den genannten Urteilen ausgeführt hat, ist die Befristung im Gesetz durch unbestimmte Rechtsbegriffe – „solange” in § 116 SGB V und § 31a Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV einerseits, „zeitliche Bestimmung” in § 31 Abs 7 Ärzte-ZV andererseits – bezeichnet. Entsprechend der Rechtsprechung des Senats zum Widerruf von Beteiligungen alten Rechts, wonach der Verwaltung durch den unbestimmten Rechtsbegriff der „Notwendigkeit” ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, haben daher die Zulassungsgremien auch bei der Festsetzung des Endtermins der Ermächtung einen Beurteilungsspielraum.
Dabei besteht die Besonderheit, daß die Entscheidung der Zulassungsgremien über die Dauer der Befristung der einem Krankenhausarzt zu erteilenden Ermächtigung auf der Grundlage einer vorausschauenden Beurteilung der zukünftigen Versorgungssituation zu treffen ist. Sie beruht mithin auf einer prognostischen Einschätzung zukünftiger tatsächlicher Entwicklungen. Das bedeutet, daß die Zulassungsgremien bei ihrer Einschätzung der zukünftigen Versorgungssituation diejenigen dafür erheblichen Tatsachen zu berücksichtigen haben, die bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bereits eingetreten sind oder deren zukünftiger Eintritt in diesem Zeitpunkt im Sinne einer Wahrscheinlichkeit voraussehbar ist. Für die Rechtmäßigkeit der Prognoseentscheidung ist ohne Belang, ob die Prognose durch die nach Erlaß der letzten Verwaltungsentscheidung eingetretene bzw in diesem Zeitpunkt noch nicht voraussehbare Entwicklung der für die Versorgungssituation maßgebenden Tatsachen bestätigt oder aber widerlegt worden ist.
Von daher bestimmt und begrenzt sich auch der Umfang der gerichtlichen Überprüfung der von den Zulassungsgremien getroffenen Prognoseentscheidung. Ob die ihr zugrundeliegende Einschätzung der zukünftigen Versorgungssituation „richtig” ist oder an ihrer Stelle eine andere Einschätzung „zutreffender” wäre, ist der Beurteilung durch die Gerichte entzogen (vgl zur Überprüfung von Prognoseentscheidungen ua BSGE 63, 47, 49 = SozR 5870 § 1 Nr 14; BSGE 63, 93, 97 f = SozR 2200 § 205 Nr 65; BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17; BSGE 67, 228, 230 f = SozR 3-4100 § 36 Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 45 Nr 2; BVerwGE 56, 110, 121 f; 72, 282, 286; 80, 270, 275; 87, 332, 335).
Für die gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der Zulassungsgremien über die Befristung der Ermächtigung eines Krankenhausarztes können folgende Fallgruppen unterschieden werden: Sind im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung Tatsachen feststellbar, die eine Änderung der maßgebenden Versorgungssituation als in nächster Zukunft wahrscheinlich erscheinen lassen, wird dadurch der den Zulassungsgremien bei der Bemessung des zeitlichen Umfanges einer Ermächtigung zustehende Beurteilungsspielraum entsprechend bestimmt und begrenzt. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Niederlassung eines Arztes, der als Kassenarzt zukünftig dieselben Leistungen wie der um Ermächtigung nachsuchende Krankenhausarzt erbringen wird, konkret bevorsteht.
Im Gegensatz dazu sind Fälle denkbar, in denen – etwa weil die Ermächtigung an eine spezielle Qualifikation oder an besondere Erfahrungen des Krankenhausarztes anknüpft – eine künftige Änderung der Versorgungssituation nicht absehbar ist und allein von daher den Zulassungsgremien ein weitergehender Beurteilungsspielraum zusteht. Allerdings ist dann zu beachten, daß auch bei voraussichtlich längerem Bestand einer Versorgungslücke dem zeitlichen Umfang der Ermächtigung deshalb Grenzen gesetzt sind, weil während des Laufs der Frist die Ermächtigung nicht wegen Änderungen der Bedarfslage widerrufen werden darf (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 2 S 16). Deshalb darf auch in diesen Fällen der Zeitraum der Befristung nicht so weit ausgedehnt werden, daß etwaigen unvorhersehbaren Veränderungen der Versorgungssituation über Jahre hinaus nicht Rechnung getragen werden kann.
Schließlich kommen Fälle in Betracht, in denen sich zwar einerseits konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftige Änderung der Versorgungssituation nicht feststellen lassen, andererseits aber die Ermächtigung Bereiche betrifft, in denen sich erfahrungsgemäß die Versorgungslage – etwa durch Niederlassung weiterer Ärzte, Erweiterung des Leistungsspektrums der niedergelassenen Ärzte, Veränderungen des Patientenbestandes uam – fortlaufend ändert. In diesen Fällen hält es sich unter Berücksichtigung einmal des Vorranges der niedergelassenen Ärzte bei der kassenärztlichen Versorgung und zum anderen des Interesses des Krankenhausarztes, sich für einen bestimmten Zeitraum auf die Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung einrichten zu können (vgl BSG SozR 3 aaO S 18), sowie unter Beachtung des aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) folgenden Gebotes der Gleichbehandlung im Rahmen des den Zulassungsgremien zustehenden Beurteilungsspielraums, wenn sie die Ermächtigungen auf einen Zeitraum von zwei Jahren, wie ihn früher für die regelmäßige Überprüfung von Beteiligungen § 29 Abs 5 Satz 3 ZO-Ärzte vorgesehen hat, befristen.
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Urteil des SG nicht zu beanstanden. Ob im Zeitpunkt der Entscheidungen der Zulassungsgremien konkrete Anhaltspunkte für eine Änderung der Versorgungssituation bereits vor Ablauf der Befristung am 30. Juni 1991 vorgelegen haben, bedarf nicht der Erörterung, weil eine kürzere als die vom Beklagten ausgesprochene Befristung nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist. Tatsachen, aus denen sich herleiten ließe, daß die Ermächtigung des Klägers für einen längeren Zeitraum als ca zwei Jahre hätte erteilt werden müssen und somit die Befristung auf zwei Jahre sich nicht mehr im Rahmen des den Zulassungsgremien zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat, sind vom SG nicht festgestellt worden; die Revision hat dagegen keine Verfahrensrügen erhoben. Die Festlegung des zeitlichen Umfangs der dem Kläger erteilten Ermächtigung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung auf die Zeit bis zum 30. Juni 1991 ist nach alledem nicht rechtswidrig.
Die Revision des Klägers ist somit gemäß § 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen