Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermächtigungsnorm. Bestimmtheit. Inhalt. Zweck. Ausmaß. Bruttoarbeitsentgelt. Nettoarbeitsentgelt. Pauschalierung. Typisierung. Abzug. gesetzlicher Abzug. gewöhnlich anfallender Abzug. Solidaritätszuschlag. Nullzone. Gleitzone. Überleitungszone. Pflegeversicherung. Beitrag
Leitsatz (amtlich)
Bei der Festsetzung der Leistungssätze im AFG – hier der Arbeitslosenhilfe – mußte der Verordnungsgeber in der AFG-Leistungsverordnung 1995 auch den Solidaritätszuschlag und den Beitrag zur Pflegeversicherung als gewöhnlich anfallende gesetzliche Abzüge berücksichtigen. Die Leistungsverordnung stützt sich auf eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Ermächtigungsnorm.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1; AFG § 111 Abs. 1, 2 Sätze 1-2, 6, § 136 Abs. 1, 3 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15. Februar 1995 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt höhere Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit ab 2. Januar 1995 unter Außerachtlassung des Solidaritätszuschlags und des Beitrags zur Pflegeversicherung.
Die Beklagte gewährte dem Kläger ua für die Zeit ab 10. August 1993 Arbeitslosengeld (Alg). Der Widerspruch des Klägers, mit dem er eine höhere Leistung unter Zugrundelegung eines höheren Bemessungsentgelts begehrte, hatte keinen Erfolg. Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 18. August 1994 Anschluß-Alhi in Höhe von 314,40 DM wöchentlich. Mit Bescheid vom 16. Januar 1995 setzte sie die Alhi ab 2. Januar 1995 auf wöchentlich 306,00 DM herab. Zur Begründung nahm sie auf die Verordnung (VO) über die Leistungssätze ua der Alhi für das Jahr 1995 (AFG-LeistungsVO 1995) vom 19. Dezember 1994 (BGBl I 3852) Bezug und verwies auf den Anstieg der Sozialabgaben und Steuern, insbesondere durch die Einführung des Beitrags zur Pflegeversicherung sowie des Solidaritätszuschlags und die dadurch bedingte Minderung des Nettoeinkommens. Daraus ergäben sich ab Januar 1995 niedrigere Leistungssätze.
In der mündlichen Verhandlung am 15. Februar 1995 schlössen die Beteiligten vor dem Sozialgericht (SG) folgenden Teil vergleich:
- „Die Beklagte ändert den angefochtenen Bescheid ab und legt dem Arbeitslosengeld ab 10. August 1993 zugrunde ein Bemessungsentgelt in Höhe von 1.060,00 DM.
- Insofern erklären die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt”.
Das SG hat die auf höhere Alhi ab 2. Januar 1995 gerichtete Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 15. Februar 1995). Zur Begründung ist ausgeführt worden, die Festsetzung der Alhi-Leistungssätze in der AFG-LeistungsVO, insbesondere die Einbeziehung der Beiträge zur Pflegeversicherung und des Solidaritätszuschlags, sei nicht zu beanstanden.
Noch vor Einlegung der Revision hat die Beklagte unter Bezugnahme auf den sozialgerichtlichen Vergleich dem Kläger zunächst ab 1. Januar 1995 (Bescheid vom 14. März 1995) und sodann ab 2. Januar 1995 (Bescheid vom 16. März 1995) Alhi in Höhe von wöchentlich 331,80 DM bewilligt.
Der Kläger rügt eine Verletzung des § 136 Abs. 1 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 111 Abs. 2 AFG und Art. 80 Grundgesetz (GG). Er ist der Auffassung, die in der AFG-LeistungsVO 1995 vorgenommenen Leistungskürzungen seien rechtswidrig, soweit sie auf der Einbeziehung des Solidaritätszuschlags und des Beitrags zur Pflegeversicherung beruhten. Deren Berücksichtigung sei nicht durch die Ermächtigungsnorm gedeckt. Der Verordnungsgeber dürfe nicht im Wege des Ermessens darüber entscheiden, ob er Abzüge einbeziehe oder nicht. Dies nach Inhalt. Zweck und Ausmaß festzulegen, sei Aufgabe des Gesetzgebers (Art. 80 Abs. 1 GG). Soweit Abzüge in unterschiedlicher Höhe anfielen, habe er die Regelung abschließend in § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG getroffen. Zwar sei der Solidaritätszuschlag bundeseinheitlich gleich hoch; gleichwohl handele es sich nicht um einen gewöhnlich anfallenden Abzug iS des § 111 Abs. 1 AFG. Dies seien nur Abzüge, die es seit vielen Jahren gebe oder die es fortan jahrzehntelang geben werde, an die sich der Arbeitnehmer also gewöhnt habe oder in Zukunft gewöhnen müsse. Beim Solidaritätszuschlag sei dies nicht der Fall. Mit ihm solle den Mehrbelastungen des Staatshaushalts infolge der Wiedervereinigung Rechnung getragen werden. Die Notwendigkeit seines Fortbestehens werde jährlich überprüft. Wegen der Ungewißheit über den Zeitpunkt seines Wegfalls hätte es einer Regelung für den Fall bedurft, daß er nicht für ein ganzes Kalenderjahr erhoben werde. Zudem werde der Zuschlag wegen der hohen Freibeträge bei weitem nicht von allen Arbeitnehmern gezahlt. Die Beiträge zur Pflegeversicherung seien zwar gewöhnlich anfallende Abzüge. Sie seien jedoch nicht bundeseinheitlich gleich hoch. Soweit nämlich in einem Bundesland kein Feiertag abgeschafft werde, habe der Arbeitnehmer dort den Beitrag allein zu tragen. Auch werde der Beitrag Mitte 1996 angehoben. Insoweit fehle es an einer gesetzlichen Regelung, wie der Pflegeversicherungsbeitrag in der AFG-LeistungsVO zu berücksichtigen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15. Februar 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 1995 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm höhere Alhi als 331,80 DM wöchentlich ab 2. Januar 1995 unter Außerachtlassung des in der AFG-Leistungsverordnung 1995 berücksichtigten Solidaritätszuschlags und des Arbeitnehmeranteils des Beitrags zur Pflegeversicherung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die AFG-LeistungsVO 1995 sei rechtmäßig. Ihr Erlaß sei durch eine Ermächtigungsnorm gedeckt. Insbesondere seien die vom Verordnungsgeber zu beachtenden Abzüge eindeutig bestimmbar. Auch bei der Berücksichtigung des Solidaritätszuschlags und der Beiträge zur Pflegeversicherung habe sich der Verordnungsgeber im Rahmen der Ermächtigung gehalten.
Der Senat hat vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) die Auskunft vom 6. Juli 1995 eingeholt.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig (§§ 161 Abs. 1, 164 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), jedoch unbegründet.
Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Begehren des Klägers, ihm ab 2. Januar 1995 höhere Alhi als die mit Bescheid vom 16. März 1995 bewilligten 331,80 DM zu zahlen. Inwieweit hierin unter Berücksichtigung des zwischen den Beteiligten vor dem SG geschlossenen Teilvergleichs eine nachträgliche oder anfängliche Beschränkung der Revision liegt, weil der bezeichnete Bescheid erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils ergangen ist, kann dahinstehen. Jedenfalls ist der Kläger nunmehr in Höhe des Differenzbetrages von 25,80 DM (331,80 DM statt 306,00 DM) für die Zeit ab 2. Januar 1995 klaglos gestellt; eine diesen Differenzbetrag erfassende Anfechtungsklage wäre damit unzulässig.
Gemäß §§ 165, 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG ist Gegenstand des Revisionsverfahrens (auch) der Bescheid vom 16. März 1995 geworden (der seinerseits den Bescheid vom 14. März 1995 formal und inhaltlich ersetzt hat, indem er den Beginn des Leistungszeitraums für die höhere Leistung von 331,80 DM vom 1. auf den 2. Januar 1995 festgesetzt hat). Gegen diesen Bescheid, der den Bescheid vom 16. Januar 1995 (Herabsetzung der Alhi von 314,40 DM auf 306,00 DM ab 2. Januar 1995) zumindest abgeändert hat, wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), soweit ihm höhere Alhi versagt worden ist. Ob der Bescheid vom 16. März 1995 den Bescheid vom 16. Januar 1995 nicht sogar in vollem Umfang ersetzt hat, kann offenbleiben; hiervon ist die Entscheidung des Senats weder Verfahrens- noch materiell-rechtlich abhängig.
Insbesondere greift die Sonderregelung des § 171 Abs. 2 SGG nicht. Danach gilt ein neuer Verwaltungsakt, der während des Revisionsverfahrens den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, als mit der Klage beim SG angefochten, es sei denn, der Kläger wird ua durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt. Diese Vorschrift erfaßt zwar auch den Fall, daß – wie hier – der neue Verwaltungsakt nach Erlaß des angefochtenen Urteils, aber vor Einlegung der Revision ergeht (BSGE 59, 137, 141 = SozR 2200 § 368a Nr. 13); jedoch greift die in der Vorschrift bezeichnete Ausnahme nicht nur dann, wenn der neue Verwaltungsakt den Kläger umfassend klaglos stellt, sondern auch bei teilweiser Klaglosstellung zumindest für den Fall, daß der (verbliebene) Streitgegenstand des Revisionsverfahrens schon von der Entscheidung der Vorinstanz erfaßt war und der neue Bescheid den früheren in seinem noch streitigen Teil nur wiederholt (BSG, aaO). Dies ist hier der Fall.
Mit der Bewilligung von Alhi iHv 306,00 DM durch den Bescheid vom 16. Januar 1995 hatte die Beklagte gleichzeitig und inzident die Bewilligung einer höheren Alhi abgelehnt, also auch die Bewilligung von Alhi iHv mehr als 331/80 DM wöchentlich für den Zeitraum vom 2. Januar 1995 bis zum Erlaß des SG-Urteils (15. Februar 1995). Hinsichtlich dieses Teils enthält mithin der neue Bescheid weder eine neue Beschwer noch ist ein neuer Sachverhalt zu berücksichtigen. Wie in den Fällen wiederholender Bescheide wird damit die frühere Verfügung insoweit nur fortgeschrieben (vgl. BSG, aaO). Unter diesen Umständen besteht kein Raum für eine eigenständige Prüfung durch das SG.
In der Sache konnte die Revision keinen Erfolg haben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Alhi.
Die Höhe der Alhi bestimmt sich nach den in der jeweiligen AFG-LeistungsVO (§ 136 Abs. 3 Satz 1 AFG) festgelegten Leistungssätzen mittels dreier Kriterien:
der Steuerklasse, des Familienstatus und des Bemessungsentgelts (§§ 136 Abs. 1, 2 und 3, 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG). Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG läßt sich entnehmen, daß zu Beginn des Jahres 1993, in dem der Anspruch auf das vorausgegangene Alg entstanden war (vgl. § 134 Abs. 1 iVm § 113 AFG), und in der Folgezeit, also auch für den hier relevanten Zeitraum ab 1995, auf der Lohnsteuerkarte des Klägers die Lohnsteuerklasse I eingetragen und keine Kinder vorhanden waren. Hieraus resultieren die Leistungsgruppe A (§ 136 Abs. 3 Satz 2 iVm § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst a AFG) und eine Lohnersatzquote von 53 vH (§ 136 Abs. 1 Nr. 2 AFG). Der Bescheid vom 16. März 1995 geht auch von einem richtigen Bemessungsentgelt (§ 136 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AFG) aus, weil sich die Beteiligten im Verfahren vor dem SG zulässigerweise und verbindlich auf ein solches von 1.060,00 DM für das ab 10. August 1993 zu zahlende Alg verglichen haben (§ 101 Abs. 1 SGG) und sich daraus ein dynamisiertes Bemessungsentgelt für die Anschluß-Alhi iHv 1.090,00 DM ergibt.
Nach der AFG-LeistungsVO 1995 rechtfertigt sich unter Berücksichtigung der bezeichneten drei Kriterien ab 2. Januar 1995 keine höhere Leistung als 331,80 DM. Die Einwände des Klägers gegen die Rechtmäßigkeit der VO und der ihr zugrundeliegenden Ermächtigungsnorm teilt der Senat nicht. Sowohl der Solidaritätszuschlag als auch der Beitragsanteil des Arbeitnehmers zur Pflegeversicherung sind in nicht zu beanstandender Weise bei der Höhe der Leistungssätze für das Jahr 1995 berücksichtigt.
Der Erlaß der AFG-LeistungsVO 1995 beruht, soweit sie die Alhi betrifft, auf der Ermächtigung in § 136 Abs. 3 Satz 1 AFG (für das Alg auf § 111 Abs. 2 Satz 1 AFG). Danach bestimmt das BMA die Alhi-Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung. Nach welchen Kriterien die Leistungssätze zu bestimmen sind, ergibt sich aus dem Zusammenhang dieser Ermächtigungsnorm mit § 136 Abs. 1 AFG und § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG, der aufgrund der Verweisung in § 136 Abs. 3 Satz 2 AFG entsprechend gilt. Nach § 136 Abs. 1 AFG wird die Alhi in Höhe einer bestimmten Lohnersatzquote (Nrn 1 und 2) gewährt. Grundlage ist ein Nettoarbeitsentgelt, das sich errechnet aus dem zugrunde zu legenden Bruttoarbeitsentgelt, „vermindert um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen” (§ 136 Abs. 2 AFG). Dazu gehören sowohl der Solidaritätszuschlag als auch der Beitrag des Arbeitnehmers zur Pflegeversicherung.
Der Gesetzgeber hat zwar den Begriff der gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzüge nicht definiert. Seine Bedeutung läßt sich jedoch durch Auslegung ermitteln. Mit „gesetzlichen” Abzügen sind alle Abzüge gemeint, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber autgrund einer gesetzlichen Anordnung vom Bruttolohn einzubehalten und abzuführen sind. Damit bleiben bei der Festsetzung der Leistungssätze von vornherein diejenigen „Abgaben” außer Betracht, die ein Arbeitnehmer selbst aus seinem Entgelt – zB aufgrund eines privaten Krankenversicherungsvertrages – zu entrichten hat. Ferner muß es sich um gesetzliche Abzüge handeln, die beim Arbeitnehmer „gewöhnlich anfallen”. Bereits dieser Wortlaut deutet darauf hin, daß es sich um Abzüge handein muß, die „üblicherweise”, „in der Regel” vorzunehmen sind (vgl. zur sprachlichen Begriffsbedeutung Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band III, 1977, Stichwort: gewöhnlich). Von dieser allgemeinen Wortbedeutung ist auch der Gesetzgeber ausgegangen (BT-Drucks 7/2722 S 32 f; ebenso BSGE 51, 10, 16 = SozR 4100 § 111 Nr. 4). Die Ausrichtung am Üblichen bzw Regelmäßigen korrespondiert zugleich mit dem Recht zur Pauschalierung und Typisierung der Abzüge, wie sie der Gesetzgeber in § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG im einzelnen geregelt hat. Dort ist für bestimmte Abzugsarten (Lohn- und Kirchensteuer, Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung) näher bestimmt worden, in welchem Umfang sie bei der Aufstellung der Leistungstabellen zu berücksichtigen sind. Dies entspricht dem Zweck der Regelung. Die existenzsichernde Natur der Alhi (wie auch der anderen Lohnersatzleistungen des AFG) erfordert eine beschleunigte Feststellung der Leistung und eine rasche Auszahlung, Dies zwingt zu möglichst einfachen Maßstäben bei der Leistungsberechnung (vgl. insoweit zum Alg: BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr. 6). Denn die Berechnung nach dem jeweiligen individuellen Nettoarbeitsentgelt würde einen erheblichen Verwaltungsaufwand erfordern, der eine beschleunigte Leistungsberechnung und Auszahlung erschweren, wenn nicht sogar verhindern würde. Bei gesetzlichen Abzugsarten, die bei Arbeitnehmern trotz eines gleichen Bruttoverdienstes in unterschiedlicher Höhe anfallen, bedarf es zwangsläufig solcher Pauschalierungen und Typisierungen der Abzüge, um die Leistungsberechnung nach leicht ablesbaren Leistungstabellen vornehmen zu können. Daß weder der Solidaritätszuschlag noch der Beitrag zur Pflegeversicherung in § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG eine Regelung erfahren haben, ist insoweit unschädlich; dies steht ihrer Qualifizierung als gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzügen nicht entgegen. Diese Norm enthält entgegen der Auffassung des Klägers keine abschließende Aufzählung der überhaupt zu berücksichtigenden Abzugsarten. Sie gibt dem Verordnungsgeber lediglich vor, nach welchen Maßstäben bzw in welchem Umfang er bestimmte Abzugsarten bei der Erstellung der Leistungssätze zu berücksichtigen hat. Dabei handelt es sich sämtlich um gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern zwar „gewöhnlich”, aber trotz eines gleichen Bruttoverdienstes in unterschiedlicher Höhe anfallen und deshalb zwecks einheitlicher Umsetzung in die Leistungstabellen zwingend eines generalisierenden (pauschalierenden oder typisierenden) Maßstabes bedürfen. Daß es sich insoweit nicht um eine abschließende Aufzählung handelt, zeigt bereits die unterbliebene Erwähnung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, der, wie auch der Kläger einräumt, unbestritten ein bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallender Abzug ist. Hinsichtlich dieses Abzugs hat es aber wegen der für alle Arbeitnehmer prozentual gleichen Höhe keiner ergänzenden Regelung in § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG bedurft. Grundregel ist insoweit § 136 Abs. 1 AFG; bei gesetzlichen Abzügen, die der Verordnungsgeber – wie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung – ohne weitere gesetzliche Vorgaben unmittelbar in die Leistungstabellen einbeziehen kann, ist allein entscheidend, daß sie unter den Begriff der „bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzüge” iS der Grundregelung zu subsumieren sind. Dieser Begriff wird durch § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG nicht eingeschränkt; vielmehr läßt dessen Zusammenhang mit § 136 Abs. 1 AFG nur erkennen, daß sich der Gesetzgeber das Recht vorbehalten hat, die Kriterien für eine einheitliche Berücksichtigung dann vorzugeben, wenn der betreffende Abzug wegen der unterschiedlichen Belastungen der Arbeitnehmer einer solchen Regelung notwendig bedarf. Es kann offenbleiben, wie die Rechtstage zu beurteilen ist, wenn der Gesetzgeber eine solche notwendige Regelung nicht getroffen hat. Hier war sie jedenfalls – wie noch auszuführen sein wird – weder für den Solidaritätszuschlag noch für den Beitrag zur Pflegeversicherung erforderlich.
Danach mußte das BMA jedenfalls für das Kalenderjahr 1995 auch den Solidaritätszuschlag bei der Aufstellung der Leistungssätze berücksichtigen, weil dieser Zuschlag unter die Grundregelung des § 136 Abs. 1 AFG zu subsumieren ist und es einer zusätzlichen Regelung hinsichtlich des Umfangs seiner Berücksichtigung nicht bedurft hat. Der Solidaritätszuschlag ist ein gesetzlicher Abzug. Er ist mit Wirkung ab Januar 1995 durch das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 (SolZG 1995) eingeführt worden, und zwar als Art. 31 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I 944, 975 f). Es handelt sich auch um einen Abzug, dem ein Arbeitnehmer gewöhnlich unterliegt und der seit Januar 1995 wie die Lohnsteuer regelmäßig vom taufenden Arbeitslohn einbehalten und abgeführt wird. Der Solidaritätszuschlag wird als Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftssteuer erhoben (§ 1 SolZG 1995), und zwar im Lohnsteuer-Abzugsverfahren – dem Grunde nach – von allen natürlichen Personen, die nach § 1 Einkommensteuergesetz (EStG) einkommensteuerpflichtig sind. Für Arbeitnehmer mit laufendem Gehalts- bzw Lohnabzug ist Bemessungsgrundlage die zu erhebende Lohnsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 SolZG 1995). Der Zuschlagssatz beträgt grundsätzlich 7,5 vH der Lohnsteuer (§ 4 Satz 1 SolZG 1995), Aus sozialen Gründen ist allerdings für Geringverdienende eine Nullzone eingefügt worden (§ 3 Abs. 4 Satz 1 SolZG 1995). Danach ist ein Solidaritätszuschlag nicht zu erheben, wenn bei monatlicher Lohnzahlung die Lohnsteuer in der Steuerklasse III nicht mehr als 222,00 DM und in den Steuerklassen I, II sowie IV bis VI nicht mehr als 111,00 DM beträgt. Bei wöchentlicher Lohnzahlung vermindern sich die genannten Steuerbeträge auf 51,80 DM bzw 25,90 DM. Damit bei Lohnsteuerbeträgen, die die Nullzone übersteigen, der Solidaritätszuschlag nicht sofort in voller Höhe zu entrichten ist, hat der Gesetzgeber ferner beim Zuschlagssatz einen Überleitungsbereich eingeführt (Gleitregelung; § 4 Satz 2 SolZG 1995). Danach darf der Zuschlagssatz nicht mehr als 20 vH des Unterschiedsbetrages zwischen der Bemessungsgrundlage und der jeweils maßgebenden Freigrenze betragen. In voller Höhe wird der Zuschlag erst erhoben, wenn für den laufenden monatlichen Arbeitslohn die Lohnsteuer in den Steuerklassen I, II, IV bis VI mehr als 177,33 DM und in der Steuerklasse III mehr als 353,66 DM beträgt (vgl. hierzu Plenker, BB 1995, 74 f, 75; Bartsch, Betrieb und Wirtschaft 1994, 741 ff; vgl. ferner das vom Bundesministerium der Finanzen ≪BMF≫ zur vereinfachten Handhabung herausgegebene Merkblatt mit Tabellen, BStBl I 1994, 757 f).
Aufgrund der vorgenannten sozialen Komponente ist zwar der Solidaritätszuschlag nicht von allen Arbeitnehmern zu zahlen, sondern erst dann vom Bruttolohn abzuziehen, wenn die hiervon zu entrichtende Lohnsteuer den gesetzlich vorgegebenen Betrag übersteigt. Das steht jedoch seiner Qualifizierung als gewöhnlich anfallendem Abzug nicht entgegen. Ob eine „großzügige” Ausgestaltung der Nullzone möglicherweise dazu geführt hat, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer keinen Solidaritätszuschlag zu zahlen hat, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Denn die Frage einer zulässigen Typisierung stellt sich im Hinblick auf die zu realisierende gesetzliche Lohnersatzquote nur dann, wenn Arbeitslose bei der Festsetzung der AFG-Leistungen bzw bei der Ausgestaltung der Leistungstabellen fiktiv mit einem Abzug belastet würden, den sie als Arbeitnehmer nicht zu entrichten hätten. Eine derartige benachteiligende Typisierung könnte wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG iVm rechtsstaatlichen Grundsätzen unzulässig sein, wenn die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer nicht abgabepflichtig ist (vgl. insoweit zur Kirchensteuer: BVerfGE 90, 226, 237 f = SozR 3-4100 § 111 Nr. 6). Ein solches „Mehrheitsproblem” stellt sich hingegen nicht, wenn der Gesetzgeber – wie hier – die Abgabe erst von einer bestimmten Einkommenshöhe bzw Freigrenze an erhebt (vgl. zB auch die Freigrenzen bei der Lohnsteuer oder im Beitragsrecht der Sozial- und Arbeitslosenversicherung) und der Verordnungsgeber derartige Freigrenzen (hier: Nullzone und Gleitregelung) in der LeistungsVO berücksichtigt hat. Das ist beim Solidaritätszuschlag der Fall.
Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des BMA vom 6. Juli 1995 sind bei der Einbeziehung des Solidaritätszuschlags in die AFG-LeistungsVO 1995 die Vorschriften über die Nullzone und den Oberleitungsbereich (§§ 3 Abs. 4, 4 Satz 2 SolZG 1995) beachtet und dementsprechend ein Abzug grundsätzlich nur bei denjenigen Arbeitslosen berücksichtigt worden, die, falls sie Arbeitnehmer wären, der Abgabepflicht unterlägen. Soweit daher die Abgabepflicht besteht, werden Arbeitslose bei der Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts grundsätzlich nicht anders behandelt als Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis. Für die abgabepflichtigen Arbeitnehmer stellt der Solidaritätszuschlag mithin einen gewöhnlichen Abzug vom Bruttoarbeitsentgelt dar.
Der Solidaritätszuschlag konnte auch – anders als in den Fällen des § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG – ohne weitere gesetzliche Vorgaben in die AFG-LeistungsVO 1995 umgesetzt werden. Das ergibt sich daraus, daß bei Arbeitnehmern Bemessungsgrundlage für den zu erhebenden Solidaritätszuschlag die Lohnsteuer ist und für die Lohnsteuer selbst eine entsprechende Umsetzungsregelung in § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG getroffen worden ist. Dort hat der Gesetzgeber näher bestimmt, in welcher – pauschalierten – Höhe die Lohnsteuer vom Verordnungsgeber zu berücksichtigen ist. Maßgebend ist danach die in den jeweiligen Steuerklassen nach der allgemeinen Lohnsteuertabelle zu erhebende Lohnsteuer, und zwar für das Jahr 1995 unter Berücksichtigung der Zusatztabelle zur Entlastung von niedrigeren Erwerbseinkommen im Lohnsteuerabzugsverfahren (§ 242p AFG; vgl. für 1995 die Bekanntmachung des BMF vom 20. September 1994 – BStBl I 734). Der hiernach bei der Festsetzung der Leistungssätze zu berücksichtigende Lohnsteuerbetrag ist damit zugleich die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag. Da der Zuschlagsatz einheitlich 7,5 vH beträgt, läßt er sich der Höhe nach ohne weiteres (unter Beachtung der Nullzone und des Überleitungsbereichs) in die Tabellen einarbeiten.
Daß dabei im Einzelfall bei der Festsetzung der Leistungssätze ein höherer Zuschlag zu berücksichtigen sein kann, als ihn der Arbeitslose als Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis hätte entrichten müssen, ist notwendige Folge der Anknüpfung an die für den Lohnsteuerabzug vorgesehene Pauschalierung und Typisierung in § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG, die ihrerseits den gesetzlichen Vereinfachungsanforderungen entspricht und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. hierzu BVerfGE 63, 255, 262 ff – SozR 4100 § 111 Nr. 6; BVerfG SozR 4100 § 111 Nr. 7; BVerfG SozR 3-4100 § 111 Nr. 2; BSGE 51, 10, 12 ff = SozR 4100 § 111 Nr. 4; BSGE 65, 214, 215 ff = SozR 4100 § 111 Nr. 10). So bleibt kraft der ausdrücklichen Regelung in § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG der Kinderfreibetrag außer Betracht; ebensowenig sind sonstige steuerliche Vergünstigungen zu berücksichtigen, die nicht bereits von dem jeweils zugrunde zu legenden Steuertarif als Hinzurechnungsbeträge (vgl. § 38c Abs. 1 Satz 5 EStG) erfaßt sind. Die Berücksichtigung derartiger individueller Besonderheiten ließe sich nicht mit dem Gebot der Verwaltungspraktikabilität und der Bildung von Leistungstabellen nach möglichst einfachen Maßstäben vereinbaren. Ist aber der Lohnsteuerabzug in § 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AFG in zulässiger Weise pauschaliert und typisiert, muß dies notwendig auch auf den Solidaritätszuschlag „durchschlagen”, der – weil er ein Zuschlag zur Lohnsteuer ist – nicht nach anderen Maßstäben als die Lohnsteuer selbst bei der Festsetzung der Leistungssätze berücksichtigt werden kann.
Dem Kläger kann schließlich nicht darin gefolgt werden, daß er den Solidaritätszuschlag nicht als einen gewöhnlichen, sondern „außergewöhnlichen” Abzug ansieht, weil er nicht auf unbestimmte Dauer erhoben werden soll. Das Gesetz macht die Qualifizierung eines Abzugs als gewöhnlich anfallend nicht davon abhängig, daß er für eine unbestimmte Zeit erhoben wird, sondern daß er bei Arbeitnehmern üblicherweise, regelmäßig anfällt. Die Frage, wie zu verfahren wäre, wenn der Abzug nicht durchgehend während eines Kalenderjahres anfiele, stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Denn das SolZG 1995 sieht – anders als das frühere Solidaritätszuschlagsgesetz vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1318) – keine Befristung vor. Zwar stimmten die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der SPD überein, daß die Natur des Solidaritätszuschlags als Ergänzungsabgabe für eine Befristung spreche (vgl. BT-Drucks 12/4801 S 145); eine derartige Befristung ist jedoch im Gesetz nicht erfolgt. Allein hieran ist der Senat bei der Gesetzesanwendung gebunden. Er mußte somit im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon ausgehen, daß der Zuschlag unbefristet gilt, damit jedenfalls im Jahre 1995 durchgehend anfällt und deshalb in der hier allein zu beurteilenden AFG-LeistungsVO 1995 zu berücksichtigen ist.
Ebensowenig ist es im Rahmen des § 111 AFG erheblich, ob es sozialpolitisch vertretbar ist, Arbeitslose, die bereits ab 1. Januar 1994 eine Kürzung ihrer Leistungen wegen der erforderlichen Sanierung des Haushalts des Bundes und der Bundesanstalt für Arbeit hinnehmen mußten (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. Juni 1995 – 7 RAr 102/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) mit einem Solidaritätszuschlag zu belasten, um Defizite im Staatshaushalt auszugleichen, die durch die Kosten der Wiedervereinigung – noch immer – verursacht werden. Dies ist eine politische Entscheidung, die dem Solidaritätszuschlag nicht den Charakter eines gewöhnlich anfallenden Abzugs nimmt. Darüber hinaus ist die Einbeziehung dieses Zuschlags eine Folge der Anknüpfung der Leistungsbemessung an das Nettoarbeitsentgelt. Dadurch werden notwendig alle gesetzlichen Abzüge, die bei einem Arbeitnehmer gewöhnlich anfallen, auch bei der Festsetzung der AFG-Leistungssätze berücksichtigt. Solange das Nettoarbeitsentgelt Grundlage der Leistungsbemessung ist, kann der Arbeitslose bezüglich der Abzüge – abgesehen von Differenzen wegen notwendiger Pauschalierungen und Typisierungen – nicht anders behandelt werden als ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis.
Schließlich hat der Verordnungsgeber zu Recht auch den Beitrag zur Pflegeversicherung mit einem Arbeitnehmeranteil von 0,5 vH des Bruttoarbeitsentgelts als gesetzlichen, bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzug berücksichtigt.
Mit Wirkung zum 1. Januar 1995 ist das Elfte Buch des Sozialgesetzbuchs – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI), verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit vom 26. Mai 1994 (BGBl I 1014), in Kraft getreten. Es begründet eine Versicherungspflicht im Grundsatz für alle Arbeitnehmer, und zwar entweder in der sozialen oder in der privaten Pflegeversicherung (§§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 22, 23 SGB XI). In der sozialen Pflegeversicherung, in der alle versicherungspflichtigen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind (§ 20 SGB XI), beträgt der Beitragssatz in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis 30. Juni 1996 1 vH und ab 1. Juli 1996 1,7 vH des Bruttoarbeitsentgelts bis zur Bemessungsgrenze (§§ 54, 55 SGB XI). Hiervon hat der Arbeitnehmer den halben Anteil zu tragen (§ 58 Abs. 1 SGB XI). Allerdings trägt er den Beitrag allein, wenn der Beschäftigungsort in einem Bundesland liegt, in dem die Anzahl der gesetzlichen landesweiten Feiertage nicht um einen Feiertag, der auf einen Werktag fällt, vermindert worden ist (§ 58 Abs. 3 SGB XI). Die Zahlung der Beiträge erfolgt bei Arbeitnehmern grundsätzlich durch Abzug vom Arbeitsentgelt (§ 60 Abs. 1 SGB XI iVm § 253 SGB V und § 28g Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ≪SGB IV≫).
Daß es sich danach sowohl um einen gesetzlichen als auch um einen bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Abzug handelt, wird auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen. Der Beitrag ist – dem Grunde nach – seit Januar 1995 wie der Anteil des Arbeitnehmers am Gesamtsozialversicherungsbeitrag regelmäßig vom laufenden Arbeitslohn einzubehalten und abzuführen. Der Umstand, daß die geringfügig Beschäftigten iS von § 8 SGB IV wegen der Koppelung der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung an diejenige der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei sind, steht dem ebensowenig entgegen, wie die Versicherungsfreiheit des genannten Personenkreises in der gesetzlichen Krankenversicherung die Berücksichtigung der Krankenversicherungsbeiträge als „gewöhnlich anfallend” hindert. Der Auffassung des Klägers, es hätte einer näheren gesetzlichen Regelung bedurft, um den Beitrag zur Pflegeversicherung in die AFG-LeistungsVO umzusetzen, folgt der Senat nicht.
Nach der vom BMA eingeholten Auskunft vom 6. Juli 1995 ist der Arbeitnehmeranteil des Beitrags zur Pflegeversicherung mit 0,5 vH des jeweils maßgeblichen Bruttoarbeitsentgelts in der AFG-LeistungsVO 1995 berücksichtigt worden. Dies entspricht der Hälfte des Beitragssatzes der sozialen Pflegeversicherung für das Jahr 1995. Der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung gilt im übrigen auch als Höchstbetrag für die in der privaten Pflegeversicherung zu zahlende Prämie, jedenfalls für Versicherungsverträge mit Arbeitnehmern, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes Mitglied bei einem privaten Versicherungsunternehmen waren (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchst e und Abs. 2 SGB XI); dabei ist zu berücksichtigen, daß die privatversicherten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beitragszuschuß des Arbeitgebers nach Maßgabe des § 61 SGB XI haben. Der Umstand, daß danach Vertragsgestaltungen möglich sind, bei denen die vom jeweiligen Arbeitnehmer zu zahlenden Prämien den genannten Höchstbetrag unterschreiten (vgl. zu künftigen Vertragsgestaltungen auch § 110 Abs. 3 Nr. 5 SGB XI), konnte und mußte bei der Festsetzung der Leistungssätze von vornherein unberücksichtigt bleiben; denn insoweit handelt es sich – wie ausgeführt – nicht um gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen.
Der in der LeistungsVO mit 0,5 vH berücksichtigte Arbeitnehmeranteil zur Pflegeversicherung entspricht auch sonst für das gesamte Kalenderjahr 1995 dem im Regelfall bei Arbeitnehmern anfallenden Abzug. Der Umstand, daß in einem Bundesland (Sachsen) kein gesetzlicher Feiertag abgeschafft worden ist und deshalb dort die Arbeitnehmer den Gesamtbeitrag mit 1,0 vH des Bruttoarbeitsentgelts allein zu tragen haben, zwingt schon im Hinblick auf die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer nicht zur Berücksichtigung eines höheren, eventuell entsprechend gewichteten Beitrags bei der Festsetzung der Leistungssätze und erfordert dementsprechend auch nicht notwendig eine ergänzende Regelung in § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG. Vielmehr konnte und mußte der Verordnungsgeber im Rahmen der bereits in § 136 Abs. 1 AFG angelegten Typisierung davon ausgehen, daß die weit überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik einen Beitragssatz von 0,5 vH zu tragen hat. Die Zuordnung auch der Arbeitslosen in Sachsen zu diesem Arbeitnehmertypus ist verfassungsrechtlich schon deshalb unbedenklich, weil es sich ausschließlich um eine begünstigende Typisierung handelt und im übrigen die Arbeitslosen außerhalb Sachsens dadurch hinsichtlich der Höhe des bei ihnen vorgenommenen Abzugs nicht belastet werden.
Unerheblich ist schließlich für die AFG-LeistungsVO 1995, daß der Beitragssatz zur Pflegeversicherung ab 1. Juli 1996 auf 1,7 vH. der Anteil des Arbeitnehmers somit auf 0,85 vH steigen wird. Von welchem Zeitpunkt an diese Änderung, die erst im Laufe des Jahres 1996 in Kraft tritt, in einer späteren AFG-LeistungsVO zu berücksichtigen sein wird, kann offenbleiben. Denn für das hier allein maßgebliche Jahr 1995 ist sie ohne Bedeutung.
Die AFG-LeistungsVO 1995 ist schließlich auch nicht im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 GG zu beanstanden. Die Ermächtigungsnorm des § 136 Abs. 3 Satz 1 AFG iVm Abs. 1 dieser Bestimmung und § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG genügen dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Erforderlich ist, daß die dem Verordnungsgeber delegierten Kompetenzen nach Tendenz und Programm so weit umrissen sind, daß schon aus der Ermächtigung erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (BVerfGE 58, 257, 277; 80, 1, 20; BVerfG NJW 1992, 550). Dies bedeutet nicht, daß die Ermächtigung so genau wie irgend möglich formuliert und gefaßt sein muß. Vielmehr können zur Klärung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung die allgemeinen Auslegungsgrundsätze herangezogen werden, wie etwa Sinnzusammenhang der Norm, Ziel der gesetzlichen Regelung und ihre Entstehungsgeschichte (BVerfG NJW 1995, 1537, 1538; BVerfGE 80, 1, 20 f; grundlegend schon BVerfGE 8, 274, 307). Dabei brauchen die drei Voraussetzungen in ihrem gegenseitigen Verhältnis nicht streng gegeneinander abgegrenzt zu werden, denn sie bezeichnen nicht unbedingt Gegensätze oder Unterschiede (vgl. dazu Maunz/Düring/Herzog/Scholz, Komm z GG, Bd. III, Stand Mai 1994, Art. 80 Rzn 27, 29).
Die genannte Ermächtigungsnorm genügt diesen Anforderungen. Wie dargelegt, läßt sich mittels der herkömmlichen Auslegungsmethoden ermitteln, welche Abgaben der Gesetzgeber als „gesetzliche Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen”, in der LeistungsVO berücksichtigt wissen wollte. Maßgebend ist der Zweck des Gesetzes, die Höhe der laufenden AFG-Leistungen am ausfallenden Nettoarbeitsentgelt auszurichten. Wegen der Ausrichtung der Leistungsbemessung am Nettoarbeitsentgelt müssen notwendig alle gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern regelmäßig, üblicherweise anfallen, auch bei der Festsetzung der Leistungssätze berücksichtigt werden; denn ein Arbeitsloser kann insoweit nicht anders behandelt werden als ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis. Dabei mußten bei den gesetzlichen Abzügen – soweit erfordertich – weitgehende Pauschalierungen und Typisierungen vorgesehen werden, um im Interesse einer schnellen Berechnung und Auszahlung der Leistung die Aufstellung von einfach zu handhabenden Leistungstabellen zu ermöglichen. Derartige wegen der unterschiedlichen Abzugsbelastungen im einzelnen gebotenen Pauschalierungen und Typisierungen hat der Gesetzgeber – dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechend – nicht dem Verordnungsgeber überlassen, sondern in § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG im einzelnen geregelt, in welchem Umfang die dort aufgeführten Abzugsarten in der LeistungsVO zu berücksichtigen sind. Aus dem systematischen Zusammenhang zwischen § 136 Abs. 1 und § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG ergibt sich insoweit hinreichend deutlich, daß der Verordnungsgeber auch ohne entsprechende Umsetzungsregelung in § 111 Abs. 2 Satz 2 AFG so handeln durfte, wie es hier geschehen ist.
Über die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, mit Bescheid vom 16. Januar 1995 die zuvor ab 18. August 1994 in Höhe von wöchentlich 314,40 DM bewilligte Alhi rückwirkend ab 2. Januar 1995 auf 306,00 DM herabzusetzen (§ 136 Abs. 3 Satz 2 iVm § 111 Abs. 2 Satz 6 AFG), ist nicht zu entscheiden. Wie bereits ausgeführt, ist nur noch die Ablehnung eines höheren Betrages als 331,80 DM im Streit (Bescheid vom 16. März 1995). Damit stellt sich das Problem einer rückwirkenden Abänderung zu Lasten des Klägers nicht mehr. Wegen der Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Zeit ab 2. Januar 1995 bedarf es ebensowenig der Prüfung, ob die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. März 1995 den Bescheid vom 14. März 1995 hinsichtlich des Beginns des Leistungszeitraums (2. statt 1. Januar 1995) berichtigen durfte.
Nach allem ist das Begehren des Klägers, ihm ab 2. Januar 1995 höhere Alhi unter Außerachtlassung des Solidaritätszuschlags und des Beitragsanteils zur Pflegeversicherung zu gewähren, unbegründet. Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 207 |
Breith. 1996, 419 |