Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 4. Juni 1997 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. August 1996 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Tenor dieser Entscheidung wie folgt neu gefaßt wird:
„Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 21. Juni 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1995 verpflich-tet, die Zeit vom 1. Mai 1971 bis 30. November 1986 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG) sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.”
Die Beklagte hat dem Kläger ferner die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nr 1 bis 26 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) gemäß § 8 AAÜG auch die Zeiten vom 1. Mai 1971 bis zum 30. November 1986 als Zugehörigkeitszeiten zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AV-techInt) und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat, in denen der Kläger zwar eine Beschäftigung als Vermessungs-Ingenieur (Fachbereichsleiter Vermessung) ausgeübt hatte, jedoch nach DDR-Recht möglicherweise im Leistungsfall nicht zusatzversorgungsberechtigt gewesen sein könnte.
Der Kläger hatte Ende Juni 1954 seine Ausbildung zum Vermessungs-Ingenieur in der DDR abgeschlossen. Vom 1. Oktober 1956 bis 30. April 1971 arbeitete er als Meßtruppführer und Spezialmeßtruppführer beim VEB I. … -V. … H. …. Mit Urkunde vom 26. November 1956 wurde ihm mitgeteilt, daß die Staatliche Versicherung der DDR ihm Versicherungsschutz in der AV-techInt gewähre. Die Versorgung trete am 1. Oktober 1956 in Kraft.
Zum 1. Mai 1971 wechselte der Kläger den Arbeitgeber und nahm eine Beschäftigung als Fachbereichsleiter Vermessung beim VEB St. … –, B. … – und T. … H. … auf. Zum 1. Januar 1984 trat er der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung (FZR) bei. Mit der Urkunde vom 30. Dezember 1986 nahm ihn die Staatliche Versicherung der DDR erneut in die AV-techInt mit Wirkung zum 1. Dezember 1986 auf. Zum 1. Juli 1987 wurde er zum Rat des Bezirkes H. … versetzt.
In einem sog Überführungsbescheid vom 21. Juni 1995 stellte die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als Versorgungsträger die Zeiten vom 1. Oktober 1956 bis 30. April 1971 und vom 1. Dezember 1986 bis 30. Juni 1990 als nachgewiesene Zeiten in der AV-techInt fest. Mit seinem Widerspruch begehrte der Kläger auch die Berücksichtigung der Zwischenzeit vom 1. Mai 1971 bis 30. November 1986. Er machte geltend, daß sein neuer Arbeitgeber beim Betriebswechsel im Jahre 1971 es 15 Jahre lang versehentlich versäumt habe, seine Aufnahme in die AV-techInt zu beantragen.
Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1995). Das Sozialgericht (SG) Halle hat die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die Zeit vom 1. Mai 1971 bis 30. November 1986 als Zeit der AV-techInt bei der Überführung des Klägers in die gesetzliche Rentenversicherung zu berücksichtigen (Urteil vom 27. August 1996). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. Juni 1997). Zur Begründung ist ausgeführt worden, daß nach den Vorschriften der Verordnung über die AV-techInt vom 17. August 1950 (GBl I Nr 93 S 844) sowie der 2. Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung vom 24. Mai 1951 (GBl I Nr 62 S 487) die Aufnahme in die AV-techInt nicht kraft Gesetzes erfolgt sei, sondern einer Anmeldung bei der Staatlichen Versicherung der DDR bedurft habe, die dann die entsprechende Urkunde ausgefertigt habe. Die Leistungsansprüche seien betriebsbezogen gewesen, so daß dem Kläger bei seinem Wechsel im Jahre 1971 eine neue Urkunde hätte ausgestellt werden müssen. Da dies erst zum 1. Dezember 1986 geschehen sei, sei die strittige Zwischenzeit nicht als Zugehörigkeitszeit zur AV-techInt festzustellen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 5 Abs 1 AAÜG. Er trägt vor, er habe aufgrund seiner Tätigkeiten vom 1. Oktober 1956 bis 30. Juni 1990 durchgehend und damit auch während der streitigen Zwischenzeit der AV-techInt angehört. Versäumnisse seines früheren Betriebes könnten ihm nicht angelastet werden. Vielmehr habe er einen sog Herstellungsanspruch.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 4. Juni 1997 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 27. August 1996 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend.
Die BfA als Rentenversicherungsträger hat dem Kläger seit dem 1. Januar 1996 Altersrente gewährt; deren Wert hat sie ua aufgrund der Feststellungen in den hier angefochtenen Entscheidungen ermittelt, also für den strittigen Zeitraum statt der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte monatlich nur 600,00 DM berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet.
Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1995, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, die Zeit vom 1. Mai 1971 bis 30. November 1986 als Zeit der Zugehörigkeit zur AV-techInt iS von § 5 Abs 1 AAÜG festzustellen. Dieses Begehren, dem das SG in dem Urteil vom 27. August 1996 – sinngemäß – entsprochen hat, verfolgt der Kläger nach Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das LSG nunmehr weiter im Revisionsverfahren. Sein Sachantrag zielt jedoch über den engen Wortlaut hinaus nicht nur auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der genannten Zugehörigkeitszeiten, sondern zugleich auch auf die in diesem Zeitraum nachgewiesenen tatsächlichen Arbeitsentgelte. In der Sache geht es dem Kläger nicht nur um die bloße Feststellung bestimmter Zugehörigkeitszeiten durch den Versorgungsträger, sondern um die Vormerkung derjenigen Tatsachen, die für den Eintritt der an Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem geknüpften Rechtsfolgen für die spätere Ermittlung des Werts seiner Rente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) im Rentenbewilligungsverfahren vor dem Rentenversicherungsträger von Bedeutung sind. Bei der gebotenen Auslegung (§ 123 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) umfaßt sein Sachantrag daher auch das Begehren, seine tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte, die dann im Rentenbewilligungsverfahren bis zu den in der Anlage 3 zu § 6 Abs 1 AAÜG genannten Grenzen berücksichtigt werden, festzustellen (vgl hierzu zuletzt BSG Urteil vom 30. Juni 1998 – B 4 RA 11/98 R –).
Die vom Kläger erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet. Das SG hat ihr im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Dagegen stehen die vom LSG und der Beklagten vertretenen Rechtsauffassungen im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Senats. Insbesondere haben die Vorinstanzen verkannt, daß sich der streitige Feststellungsanspruch ausschließlich aus originärem Bundesrecht ergeben kann. Die §§ 5 bis 8 AAÜG betreffen nämlich nicht die – beim Kläger am 31. Dezember 1991 abgeschlossene – Überführung seiner zum 1. Juli 1990 kraft DDR-Verwaltungsaktes begründeten Versorgungsanwartschaft, sondern allein den Wert der ihm seit dem 1. Januar 1992 zustehenden SGB VI-Berechtigung.
Der Kläger hat gemäß § 8 Abs 1 bis 4 Nr 1 iVm § 5 Abs 1 AAÜG einen Anspruch darauf, daß die Beklagte die strittige Zeit als Zeit der Zugehörigkeit zur AV-techInt einschließlich der für diesen Zeitraum nachgewiesenen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellt. Die Anwendung des AAÜG folgt vorliegend schon daraus, daß zum 1. Juli 1990 eine durch Verwaltungsakt (durch die Urkunde vom 30. Dezember 1986 verlautbart) zuerkannte Versorgungszusage nach der AV-techInt vorlag (vgl hierzu Urteil des Senats vom 23. Juni 1998 – B 4 RA 61/97 R –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Der Rechtsgehalt des § 5 AAÜG ist ausschließlich nach objektiven Auslegungskriterien des Bundesrechts zu ermitteln; es kommt weder auf die frühere Auslegung der Versorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR oder auf deren Verwaltungspraxis an, noch haben die Beklagte und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die früheren „Ansprüche” unter Anwendung des früheren DDR-Rechts (hier Versorgungsrechts) zu prüfen. Zugehörigkeitszeiten iS des § 5 AAÜG liegen immer dann vor, wenn konkret eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt worden ist, derentwegen ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen war, die in den Anlagen 1 und 2 des AAÜG aufgelistet worden ist. Nur insoweit ist – in faktischer Anknüpfung an von der DDR erlassene Bestimmungen – zu klären, ob die ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit in einer Versorgungsordnung genannt ist. Unerheblich ist hierbei, ob in der DDR eine Versorgungszusage (zB in Form einer Urkunde der Staatlichen Versicherung) erteilt worden war und ob diese nach DDR-Recht konstitutive oder nur deklaratorische Bedeutung hatte (ständige Rechtsprechung, stellv Urteile vom 24. März 1998 – B 4 RA 27/97 R, zur Veröffentlichung vorgesehen und 30. Juni 1998 – B 4 RA 11/98 R; zur Auslegung nach bundesrechtlichen Kriterien stellv Urteil vom 16. Dezember 1997 – 4 RA 7/96, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Der Kläger hat im strittigen Zeitraum vom 1. Mai 1971 bis 30. November 1986 eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die in der 2. Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die AV-techInt als versorgungsberechtigend aufgelistet worden ist. Nach § 1 Abs 1 Unterabs 1 dieser Vorschrift gelten als Angehörige der technischen Intelligenz iS des § 1 der Verordnung über die AV-techInt ua Ingenieure in volkseigenen Betrieben. Als solcher war der Kläger in der Funktion als Fachbereichsleiter Vermessung im strittigen Zeitraum beim VEB St. … –, B. … – und T. … H. … nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG beschäftigt. Diese Beschäftigungszeit ist daher gemäß § 5 Abs 1 AAÜG als Zeit der Zugehörigkeit zur AV-techInt zu werten.
Es sind keine Umstände ersichtlich, daß im strittigen Zeitraum Tatbestände einer anderen rentenrechtlichen Zeit vorgelegen haben könnten, die mit der Berücksichtigung der Beschäftigungszeit als Pflichtbeitragszeit in der Rentenversicherung unvereinbar wären (vgl § 5 Abs 1 Satz 1 AAÜG). Das LSG hat daher zu Unrecht den Anspruch des Klägers verneint. Das Berufungsurteil war damit aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen, wobei der Senat aus Gründen der rechtlichen Klarstellung eine Neufassung des Tenors des SG-Urteils vorgenommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen