Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.09.1993; Aktenzeichen L 7 U 1917/92)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. September 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines Unfalls, den die Klägerin im Jahre 1987 in der Bundesrepublik Deutschland in einem deutschen Zirkus erlitt.

Die Klägerin war Artistin und hatte zusammen mit ihrem Ehemann zwei akrobatische Balance-Darbietungen als „Duo K. …” eingeübt. Beide Akrobaten waren ungarische Staatsangehörige, wohnten in Budapest und traten als Artisten des ungarischen Staatszirkus MACIVA auf. Sie mußten diesem Unternehmen angehören, weil er das ausschließliche Recht hatte, für ungarische Artisten Auslandsverträge abzuschließen. Dabei trat MACIVA stets als Vertragspartner auf, der sogenannte „Mietverträge über die Darbietungen” der Artisten abschloß. So vereinbarte MACIVA in dem „Mietvertrag” No 128/86 vom 2. September 1986 mit A. … R. ua, daß der Circus A. … R. … für die Sommersaison 1987 zwei Darbietungen der „2 K. …” engagierte. Die Dauer des Vertrages sollte voraussichtlich die Zeit zwischen dem 19. März und dem 10. November 1987 umfassen. Der Circus R. garantierte monatlich 26 Arbeitstage und hatte dafür den Artisten als Gage 300,00 DM für jeden Spieltag „steuer- und abzugsfrei” zu zahlen. Täglich sollten zwei Vorstellungen stattfinden; für eine dritte Vorstellung waren 50% der Gage zu bezahlen.

Einen Tag vor ihrem Auftritt (Zirkuspremiere) trainierte die Klägerin am 24. März 1987 die Darbietungen im Zirkuszelt. Als dabei die Zeltbeleuchtung ausfiel und auch keine Notbeleuchtung einsetzte, stürzte die Klägerin aus ca 5 m Höhe zu Boden und erlitt dadurch ua ein offenes Schädelhirntrauma sowie einen Schlüsselbeinbruch rechts. Der Circus R. zahlte der Klägerin am 7. Juni 1987 die Gage für einen Zeitraum von sechs Wochen. Die Beklagte trug zunächst die Kosten der stationären Behandlung.

Im Verlauf der berufsgenossenschaftlichen Ermittlungen erklärten die Klägerin und ihr Ehemann der Beklagten, der MACIVA regele für jeden ungarischen Artisten die Bedingungen für den Auslandsaufenthalt. Im Gegensatz zu sogenannten selbständigen Artisten, die 10 vH ihrer Einnahmen an den MACIVA abzuführen hätten, stehe den bei dem MACIVA angestellten Artisten, zu denen sowohl sie als auch ihr Ehemann gehörten, nicht die im Vertrag ausgehandelte Gage, sondern zB bei einem Engagement in der Bundesrepublik pro Tag und Person nur 61,00 DM zu und zusätzlich ein sogenanntes Wohngeld zwischen 16,00 DM und 32,00 DM täglich. Der Rest der Gage müsse an den MACIVA abgeführt werden. Dieser behalte Steuern und Versicherungsbeiträge ein und überweise dann einen Teil des Restbetrages auf ihr Bankkonto in Ungarn. Dafür stehe ihnen in Zeiten ohne Engagement ein geringes Entgelt zu. MACIVA erteilte der Beklagten über die deutsche Botschaft in Budapest die Auskunft, zwischen ihm und der Klägerin bestehe ein regelrechtes und unbefristetes Arbeitsverhältnis im Sinne des ungarischen Arbeitsgesetzes. Sie sei krankenversichert bei der allgemeinen staatlichen Krankenversicherung, dagegen nicht gesondert unfallversichert.

Daraufhin lehnte es die Beklagte ab, der Klägerin Unfallentschädigungsleistungen zu gewähren, weil sie zur Zeit des Unfalls nicht unter dem Schutz der deutschen Unfallversicherung gestanden habe. Sie sei im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuches (SGB) bestehenden Beschäftigungsverhältnisses zum MACIVA für einen begrenzten Zeitraum in die Bundesrepublik Deutschland entsandt worden, so daß nach § 5 SGB, Viertes Buch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über Unfallversicherungsschutz für sie nicht gälten (Ablehnungsbescheid vom 24. Februar 1988, Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1990).

Vor dem Sozialgericht (SG) Mannheim und dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Klägerin ebenfalls keinen Erfolg gehabt (Urteile des SG vom 28. Februar 1991 und des LSG vom 16. September 1993). Das LSG vertrat ebenso wie das SG die Meinung, nach ihrer Anstellung bei dem MACIVA sei die Klägerin auf Veranlassung und im wirtschaftlichen Interesse des ausländischen Unternehmens zum Circus R. in die Bundesrepublik Deutschland für die Zeit vom 19. März bis zum 10. November 1987 entsandt worden. Das folge aus dem nicht von der Klägerin, sondern von dem MACIVA mit dem Circus R. im einzelnen ausgehandelten Vertrag vom 2. September 1986. Die Klägerin habe darauf keinen Einfluß gehabt und die vereinbarte Gage habe zum Teil auch dem MACIVA zugestanden. Durch die Aufnahme der Tätigkeit bei dem Circus R. sei das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin zum MACIVA nicht beendet worden. Ebensowenig sei ein neues Beschäftigungsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Circus R. begründet worden. Dagegen spreche nicht nur, daß der Klägerin die von dem MACIVA vereinbarte Gage nicht in vollem Umfang zugestanden habe, sondern auch, daß anstelle eines Monatslohns eine steuer- und abzugsfrei zu gewährende Bezahlung pro Spieltag vereinbart worden sei. Das spreche gegen eine abhängige Beschäftigung und für eine selbständige Artistentätigkeit. Letztere könnte zwar gemäß § 539 Abs 1 Nr 3 RVO versichert sein, das müßte aber im Falle der Klägerin gemäß § 5 Abs 2 SGB IV entfallen, weil ihr Betriebssitz während ihrer vorübergehenden Tätigkeit im Circus R. in Ungarn verblieben sei. Entgegenstehende Regelungen über- und zwischenstaatlichen Rechts seien nicht ersichtlich.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 5 SGB IV. Der „Mietvertrag” vom 2. September 1986 könne nur als Rahmenbestimmung für das Verhältnis zwischen ihr und dem Circus R. gesehen werden. Diesem habe unter Ausschluß des MACIVA allein das Weisungsrecht ihr gegenüber hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung zugestanden. Infolge des sozialistischen Systems in Ungarn sei sie gezwungen gewesen, den MACIVA wegen seines ausschließlichen Kontrahierungsrechts zum Abschluß des „Mietvertrages” dazwischenzuschalten. Mit ihrer Ansicht stimme überein, daß der Circus R. ihr im Hinblick auf das Arbeitsverhältis zu ihm Lohnfortzahlung gewährt habe. Deshalb liege keine Entsendung iS des § 5 SGB IV vor.

Die Klägerin beantragt,

die angefochtenen Bescheide sowie Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr den Unfall vom 24. März 1987 als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.

Es fehlen tatsächliche Feststellungen über die ausdrücklich oder stillschweigend getroffenen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und dem Circus R. im Hinblick auf die vorgesehene Engagementszeit einschließlich der bereits erfolgten und für die Zukunft beabsichtigten Ausgestaltung der näheren Umstände, unter denen die Klägerin zu arbeiten hatte. Die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um zu entscheiden, ob die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unter dem Schutz der deutschen Unfallversicherung aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses zum Circus R. gestanden hat oder ob diese Vorschrift gemäß § 5 Abs 1 SGB IV für die Klägerin nicht gilt, weil die Klägerin stattdessen im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses zum MACIVA vorübergehend in die Bundesrepublik Deutschland entsandt worden ist.

Eine Aufgabe der deutschen Unfallversicherung ist es, nach Eintritt eines Arbeitsunfalls den Verletzten zu entschädigen (§ 537 Nr 2 RVO). Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Zutreffend hat das LSG dargelegt, daß die Klägerin entweder nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO als Artistin versichert gewesen sein könnte, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt ist, oder nach Nr 3 aaO als selbständig tätige Person, die zur Vorführung artistischer Leistung vertraglich verpflichtet ist.

Diese Vorschriften, die eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten für alle Personen, die im Geltungsbereich des SGB beschäftigt oder selbständig tätig sind (§ 3 Nr 1 SGB IV). Dem LSG ist auch darin zu folgen, daß die Vorschrift über den Unfallversicherungsschutz selbständig tätiger Artisten (§ 539 Abs 1 Nr 3 RVO) für die Klägerin, sollte sie selbständig tätig gewesen sein, nicht gelten kann (§ 5 Abs 2 SGB IV). Sie ist auch nach der Gesamtplanung für das Duo K. … nur vorübergehend für einen vertraglich im voraus begrenzten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland tätig gewesen, während ihre Wohnung und der Betriebssitz in Ungarn verblieben sind.

Zutreffend haben schließlich auch die Beklagte und die Vorinstanzen geprüft, ob eine Entsendung der Klägerin von Ungarn nach Deutschland als Einstrahlungsfall iS des § 5 Abs 1 SGB IV vorliegt. Danach gilt § 539 Abs 1 Nr 1 RVO, der eine Beschäftigung voraussetzt, nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des SGB bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung – wie im Falle der Klägerin – vertraglich im voraus zeitlich begrenzt ist. Das läßt sich jedoch aufgrund der bisher vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

Die Einstrahlungsvorschriften des § 5 Abs 1 und 2 SGB IV sind sowohl ihrem Wortlaut als auch dem Gesetzeszweck nach als maßstabgleiche Gegenstücke zu den Ausstrahlungsvorschriften des § 4 Abs 1 und 3 SGB IV erlassen worden (s BT-Drucks 7/4122 zu § 5 S 31). In beiden Fallgruppen setzt die Entsendung eines Arbeitnehmers ins jeweilige Ausland im Rahmen eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses voraus, daß dieses Beschäftigungsverhältnis in seinen wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Merkmalen während der Entsendung fortbesteht (s BSGE 68, 24, 27 = SozR 3-2200 § 1251a Nr 11 mwN).

Wenn dagegen zB in Fällen vorliegender Art Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber in Ungarn ruhen, der Arbeitnehmer stattdessen voll in den Betrieb des Arbeitgebers in Deutschland eingegliedert ist und er allein dem Weisungsrecht dieses Arbeitgebers bezüglich Arbeitszeit, Arbeitsdauer, Arbeitsort und Art der Arbeitsausführung unterliegt, fehlt es an einer Entsendung iS des § 5 SGB IV (s auch Sienknecht, SozVers 1981, 119). Dann bildet das Beschäftigungsverhältnis bei dem Unternehmen in Deutschland den Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Gestaltungsverhältnisse. Allein das formelle Fortbestehen des Arbeitsvertrages mit dem Arbeitgeber in Ungarn reicht für die Annahme einer Entsendung iS des § 5 SGB IV nicht aus, wenn gleichzeitig die wesentlichen Beschäftigungsmerkmale fehlen (s BSGE 68, 24, 28).

Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in dem konkrete tatsächliche Anhaltspunkte Anlaß zu Zweifeln geben, wo der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Gestaltungsverhältnisse für die Arbeit der Klägerin bei dem Circus R. gelegen hat, läßt sich nur dann endgültig entscheiden, ob eine Entsendung iS des § 5 SGB IV anhaltend wirksam gewesen ist, wenn die rechtlichen und tatsächlichen Gestaltungsverhältnisse sowohl in dem ungarischen Unternehmen als auch in dem Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland ermittelt und festgestellt werden.

Den Feststellungen des LSG ist zwar zu entnehmen, daß zwischen der Klägerin und dem MACIVA vor dem Zeitpunkt, zu dem sie bei dem Circus R. ihre Arbeit (Training) aufgenommen hatte, ein unbefristeter Arbeitsvertrag iS des ungarischen Arbeitsgesetzes bestand. Außerdem hat das LSG festgestellt, daß der MACIVA das staatliche Monopol für die Vermittlung aller ungarischen Artisten ins Ausland hatte, dabei allein als vertragsschließende Partei auftrat und an der vereinbarten Gage für die Artisten insoweit teilhatte, als ihnen nur ein Teil davon zustand und der andere Teil dem MACIVA. Der sogenannte Mietvertrag vom 2. September 1986 zwischen dem MACIVA und dem Circus R. ermöglichte es der Klägerin und veranlaßte sie schließlich, ihr Engagement bei dem Circus R. anzutreten.

Die Feststellungen des LSG lassen jedoch die rechtlichen und tatsächlichen Gestaltungsverhältnisse zum Unfallzeitpunkt zwischen der Klägerin auf der einen Seite und auf der anderen Seite erstens zu dem MACIVA und zweitens zu dem Circus R. in den entscheidenden Punkten im Dunkeln. Es gibt konkrete Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, daß möglicherweise zwischen der Klägerin und dem Circus R. ein befristetes Beschäftigungsverhältnis zustandegekommen ist, während ein Arbeitsvertrag zum MACIVA in dieser Zeit im wesentlichen geruht hat. Beide Verhältnisse bedürfen insoweit der näheren Aufklärung.

Der „Mietvertrag” vom 2. September 1986 ist entgegen der Meinung des LSG gerade kein ausschlaggebender Anhaltspunkt für eine selbständige Tätigkeit der Klägerin beim Circus R.. Er entspricht insbesondere hinsichtlich der garantierten Arbeitstage, der Vereinbarung einer Tagesgage für zwei Vorstellungen täglich und der Gagenerhöhung für eine dritte Vorstellung am Tag dem üblichen Inhalt der einschlägigen Tarifverträge (s zB den Tarifvertrag zwischen dem Internationalen Varieté-Theater- und Circus-Direktoren-Verband in der Bundesrepublik Deutschland ≪IVTCDV≫, Sitz Düsseldorf e.V., dem Verband Deutscher Theater- und verwandter Unternehmungen e.V ≪Direktoren-Verband≫, Sitz München, und der Internationalen Artistenloge, gegr 1901 – Sitz Hamburg, vom 1. Juli 1972 sowie den Tarifvertrag vom 29. April 1982 zwischen dem erstgenannten Unternehmerverband einerseits sowie dem IAL Berufsverband Show und Unterhaltung, Sitz Hamburg). Dazu ist in Übereinstimmung mit der Meinung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu erwägen, daß Artisten Arbeitnehmer sein können, auch wenn sie hinsichtlich des Inhalts und der Gestaltung ihrer artistischen Darbietungen von Weisungen unabhängig sind. Die persönliche Bindung an Weisungen hinsichtlich des Zeitpunkts ihrer Darbietungen kann für eine wesentliche persönliche Abhängigkeit sprechen. Das gilt insbesondere für den Fall, daß sich die Tätigkeit der Artisten nicht in einem festen Zeitplan, vergleichbar dem Stundenplan von Lehrkräften, vollzieht, sondern, bedingt durch betriebliche Erfordernisse, nach den einseitigen Weisungen des Unternehmers zeitlich frei bestimmbar und jederzeit abänderbar. Damit wird in der Regel erheblich in den Bereich der persönlichen Unabhängigkeit eingegriffen (s BAG AP Nr 1 zu § 2 BUrlG mit zustimmender Anmerkung von Hueck). Die Klägerin hat dem LSG eine Stellungnahme des MACIVA vom Februar 1993 gegenüber ihrem Prozeßbevollmächtigten vorgelegt, der eine Fotokopie des „Mietvertrages” vom 10. Oktober 1984 zwischen der Circus K. … GmbH & Co KG und dem MACIVA über die „Miete” der beiden artistischen Nummern der 2 K. … für das März-Programm 1985 beigefügt war. Darin heißt es ua: „Die Hausordnung des Circus K. … und der Tarifvertrag zwischen der IAL und dem Direktorenverband sind wesentliche Bestandteile des Vertrages.” Dazu meint der MACIVA in der oa Stellungnahme, damit und weil es sich um eine ähnliche Vertragskonstruktion wie im Streitfalle gehandelt habe, könne ein Arbeitsverhältnis der Klägerin (anscheinend mit dem Circus R.) nachgewiesen werden. Zu beachten ist auch, daß der Circus R. der Klägerin 26 Arbeitstage „garantierte”, somit auch für den Fall, daß sie aus Gründen nicht auftreten konnte, die der Circus R. zu vertreten hatte (s BSG SozR 2200 § 1227 Nr 34).

Für ein Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Circus R. kann auch das Verhalten des Inhabers des Circus R. sprechen. Er hat der Beklagten nicht nur die Unfallanzeige des Unternehmers abgegeben, sondern der Klägerin wegen ihrer unfallbedingten Erkrankung auch Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle für sechs Wochen gezahlt. Wenn er sich dabei noch im Zweifel über die rechtliche Beurteilung gewesen sein mag, beruft er sich nunmehr – in einem Schriftsatz vom 19. Juni 1990, den die Klägerin dem LSG vorgelegt hat – in einem Zivilrechtsstreit der Klägerin gegen ihn vor dem Landgericht Göttingen (2 O 131/90) darauf, die Klägerin habe zu ihm in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Es habe sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis für eine Saison gehandelt, wie im Varieté und Circus üblich. Sie sei in seinen Zirkusbetrieb derart eingegliedert gewesen, daß er allein jegliche Weisungsbefugnis zur Ausführung ihrer Leistungen gehabt habe, sei es über den Zeitpunkt, zu dem die Leistungen auszuführen seien, sei es über die Auftrittsorte, Proben, Mithilfe bei anderen Tätigkeiten und vieles andere mehr. Einzige Ausnahme sei der Inhalt der artistischen Darbietungen selbst gewesen, die ihrer Natur nach nicht seinem Weisungsrecht unterlegen hätten. Allerdings fehlen in diesem Zusammenhang die als weitere Anhaltspunkte noch zu ermittelnden Angaben darüber, ob und wie der Circus R. für die Klägerin Steuer und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat.

Die aufgezeigten konkreten Anhaltspunkte machen es notwendig, auch die rechtlichen und tatsächlichen Gestaltungsverhältnisse aufzuklären, unter denen die Klägerin zum Unfallzeitpunkt bei dem Circus R. gearbeitet hat und nach dem Gesamtplan auch während der Saison arbeiten sollte. Desgleichen ist zu ermitteln, welche Arbeitgeberrechte der MACIVA gegenüber der Klägerin zur gleichen Zeit rechtlich hatte, tatsächlich ausüben konnte und auch tatsächlich ausgeübt hat.

Sollte die Vorschrift der § 625 Abs 1 Nr 1 RVO in Betracht kommen, ist darauf hinzuweisen, daß Ungarn das Übereinkommen Nr 19 der IAO über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei der Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen mit Wirkung vom 19. April 1928 ratifiziert hat (s RGBl 1929 II S 13/14 = AN 1929, 7, 8). Zu den rechtlichen Schlußfolgerungen daraus hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. Mai 1977 (- 2 RU 70/76 – auszugsweise veröffentlicht in SozSich 1977, 316) Stellung genommen (s dazu auch Lauterbach/Watermann, Unfallversicherung, 3. Auflage, Anm 52 zu § 625).

Das LSG wird die notwendigen Feststellungen nachzuholen und auch darüber zu entscheiden haben, ob die Beteiligten einander Kosten des Revisionsverfahrens erstatten müssen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173552

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