Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 27.11.1990; Aktenzeichen L 14 Ar 27/90)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. November 1990 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger, ein Stukkateurmeister, erstrebt auch im Revisionsverfahren die Gewährung von Konkursausfallgeld (Kaug) für ausgefallenes Arbeitsentgelt in der Zeit von Dezember 1985 bis Ende Februar 1986. Während dieser Zeit arbeitete er nach seinem Vorbringen als Arbeitnehmer für die Firma G. – S. P., welche als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts am 19. August 1985 in die Handwerksrolle eingetragen und im Februar 1986 von Amts wegen gelöscht wurde.

Zum Zwecke der Gründung der Gesellschaft hatte der Kläger mit Frau G. mehrere Verträge geschlossen. Zur Zeit der Eintragung der Gesellschaft in die Handwerksrolle war die Errichtung einer GmbH geplant.

Da der Kläger in der Zeit von Dezember 1985 bis einschließlich Februar 1986 von der Firma G. – S. P. keine Zahlungen erhielt, erhob er am 14. Februar 1986 Klage vor dem Arbeitsgericht Berlin; am 20. Februar 1986 stellte er bei der Beklagten den Antrag auf Gewährung von Kaug. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren – die Klage war gegen die Kauffrau M. G., handelnd für die G. – S. P. GmbH in Gründung, gerichtet – hatte der Kläger keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Berlin (LAG) hat die Klage durch Urteil vom 26. September 1986 als unzulässig abgewiesen. Nach der Überzeugung des LAG war der Kläger nicht als Arbeitnehmer für die beklagte Frau G. tätig. Demgemäß seien die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit für die Entscheidung über die Forderung des Klägers sachlich nicht zuständig und die Klage unzulässig.

Der bei der Beklagten gestellte Antrag auf Gewährung von Kaug wurde durch die Bescheide vom 19. November 1987 und 26. Oktober 1988 (Widerspruchsbescheid) mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei als Gesellschafter und Arbeitgeber für die Firma G. – S. P. tätig gewesen.

Die gegen diese Bescheide gerichtete Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) durch Urteil vom 30. November 1989 abgewiesen, weil der Kläger nicht in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber gestanden habe und daher auch kein Arbeitnehmer gewesen sei.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung ist durch Urteil des Landessozialgerichts Berlin (LSG) vom 27. November 1990 zurückgewiesen worden. Das LSG ist davon ausgegangen, daß die Berufung wegen eines begründeten Verfahrensmangels zulässig sei; das SG hätte den Sachverhalt aus seiner Sicht weiter aufklären müssen. Die Berufung sei unbegründet, weil infolge des Urteils des LAG rechtskräftig feststehe und zu beachten sei, daß dem Kläger Ansprüche auf Arbeitsentgelt gegen die Firma G. – S. P. für den Zeitraum von Dezember 1985 bis einschließlich Februar 1986 nicht zustünden. Die Stellung der beklagten Bundesanstalt für Arbeit sei der eines selbstschuldnerischen Bürgen gleichzuachten. Aus diesem Grunde erstrecke sich die Rechtskraftwirkung des Urteils des LAG auch auf den Bürgen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

In seiner Revision vertritt der Kläger die Auffassung, daß sich die Rechtskraftwirkung aus dem Urteil des LAG nicht auf seinen Anspruch gegenüber der beklagten Bundesanstalt für Arbeit erstrecke. Die Entscheidungen des LAG und des LSG beruhten nicht auf demselben Sachverhalt. Das LAG habe nämlich seinerzeit Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers als verspätet unberücksichtigt gelassen und sei daher in wesentlichen Punkten von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Diese seinerzeit bereits vorgetragenen Umstände müßten jedoch im sozialgerichtlichen Verfahren, zumal da sie von Anfang an vorgebracht worden seien, berücksichtigt werden.

Der Kläger beantragt,

  1. die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 19. November 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1988 aufzuheben,
  2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Konkursausfallgeld für ausgefallenes Arbeitsentgelt für seine Beschäftigung bei der Firma G. -S. und P. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

sie zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und das Revisionsvorbringen des Klägers für unzureichend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Er hat keinen Anspruch auf die begehrte Leistung.

Der erkennende Senat geht mit den Beteiligten und dem LSG davon aus, daß die Berufung gegen das Urteil des SG vom 30. November 1989 wegen eines gerügten und begründeten Verfahrensmangels im Verfahren des SG zulässig ist. Das SG hat nämlich nicht alle Tatsachen ermittelt, welche von seinem Standpunkt aus für die Entscheidung erheblich waren (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Gemäß § 141a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erhält ein Arbeitnehmer Ausgleich für ausgefallenes Arbeitsentgelt. Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

Im Ergebnis stimmt der erkennende Senat mit der Auffassung des LSG überein, wonach das Urteil des LAG die begründete Geltendmachung von Kaug für die Zeit von Dezember 1985 bis Ende Februar 1986 ausschließt. Das LAG hat nämlich rechtskräftig für denselben Zeitraum, für welchen der Kläger den Anspruch auf Kaug geltend macht, entschieden, daß er in keinem Arbeitsverhältnis zur Firma G. – S. P. stand. Zwar handelt es sich bei dem Urteil des LAG, mit dem die vom Kläger erhobene Klage als unzulässig abgewiesen wurde, um ein Prozeßurteil. Auch ein solches entfaltet jedoch Rechtskraft hinsichtlich der darin entschiedenen Rechtsfrage (vgl BGH vom 6. März 1985 – NJW 1985, 2535), hier also dahingehend, daß zwischen den Parteien (dem Kläger und der beklagten Kauffrau M. G. , handelnd für die G. – S. P. GmbH in Gründung) kein Arbeitsverhältnis bestand, so daß die Arbeitsgerichte für die Entscheidung über die vom Kläger geltend gemachten Entgeltansprüche nicht zuständig waren (§ 2 Abs 1 Nr 3 Arbeitsgerichtsgesetz ≪ArbGG≫). Damit ist zwar nicht ausdrücklich rechtskräftig entschieden, daß der Kläger gegenüber der Firma G. – S. P. keinen Arbeitsentgeltanspruch hatte, wohl aber, daß es bereits an einer Grundvoraussetzung hierfür fehlte, nämlich dem Arbeitsverhältnis.

Indessen ist das Urteil des LAG vom 26. September 1986 nicht zwischen den jetzigen Verfahrensbeteiligten ergangen und daher im Verhältnis zwischen dem Kläger und der beklagten Bundesanstalt für Arbeit nicht formell rechtskräftig geworden. Ebenso wie im sozialgerichtlichen Verfahren ein rechtskräftiges Urteil nur die Verfahrensbeteiligten bindet (§ 141 Abs 1 SGG), gilt dies allgemein. In § 325 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist eine Ausnahmeregelung für einen bestimmten Personenkreis normiert. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen jedoch bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht vor.

Unabhängig von der Frage der formellen Rechtskraft ist jedoch, wie schon das LSG zutreffend dargelegt hat, unter bestimmten Umständen zu überprüfen, ob die Rechtskraftwirkung eines Urteils Reflexwirkungen für die Beziehung zwischen anderen Personen hat, welche über denselben Gegenstand streiten. Im vorliegenden Verfahren hat das LAG über Lohnansprüche des Klägers für denselben Zeitraum entschieden, nämlich für die Monate Dezember 1985 bis einschließlich Februar 1986, für welchen er nunmehr von der Beklagten das Kaug verlangt. Die nahe Identität des streitigen Sachverhalts wirft auch im vorliegenden Falle die Frage auf, ob das Urteil des LAG über das Verhältnis der damaligen Verfahrensbeteiligten hinaus bedeutsam für den nunmehr anhängigen Rechtsstreit ist. Diese Frage ist zu bejahen:

Die Vorschriften über das Kaug (§§ 141a ff AFG) gehen insofern von demselben Sachverhalt aus, als sie für den Ausgleich der ausgefallenen Lohnforderungen durch die Bundesanstalt für Arbeit einen durchsetzbaren Anspruch auf Arbeitsentgelt verlangen. Dies ergibt sich zunächst aus der Grundvorschrift des § 141a AFG, wonach ein „Ausgleich” für eine Lohnforderung geschaffen werden soll. Ein solcher Ausgleich durch die Zahlung eines Geldbetrages setzt logischerweise den Verlust einer durchsetzbaren entsprechenden Forderung voraus. In § 141b Abs 1 AFG ist dies unzweideutig dadurch beschrieben worden, daß nach dieser Vorschrift „noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt” bei der Eröffnung des Konkursverfahrens vorhanden sein müssen. Auch Abs 2 dieser Vorschrift gibt einen weiteren eindeutigen Hinweis darauf, daß nur durchsetzbare Lohnforderungen durch das Kaug-Recht ersetzt werden sollen. Diese Vorschrift weist auf § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst a der Konkursordnung (KO) hin. Danach müssen „Rückstände … auf Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis” für den Ausgleich durch das Kaug vorhanden sein. Diese Vorschrift der KO steht im übrigen unter dem Grundsatz des § 3 Abs 1 KO, wonach die Konkursmasse zur gemeinschaftlichen Befriedigung aller persönlichen Gläubiger dient, welche einen zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens „begründeten Vermögensanspruch” haben. Damit erweist sich die Bezugnahme auf Vorschriften der KO in § 141b Abs 2 AFG ebenfalls als ein durchschlagender Grund für die Annahme, daß das Kaug einen Ausgleich für durchsetzbare Lohnforderungen darstellt. Dies wird nicht zuletzt durch die Vorschrift des § 141c AFG bestätigt. Danach führen selbst solche Lohnansprüche, welche entstanden sind, unter den dort genannten Umständen nicht zur Gewährung von Kaug. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer seinen Entgeltanspruch durch eine nach den Vorschriften der KO anfechtbare Rechtshandlung erworben hat oder wenn ein Leistungsverweigerungsrecht entgegensteht.

Zusammenfassend ergibt sich demgemäß im vorliegenden Rechtsstreit folgendes: Die kaug-rechtlichen Vorschriften setzen für das Entstehen oder das Fortbestehen kaug-rechtlicher Forderungen in materieller Hinsicht voraus, daß der Arbeitnehmer einen durchsetzbaren Anspruch auf Arbeitsentgelt hat (s BSG vom 6. November 1985 – 10 RAr 3/84 –). Nur wenn dies zu bejahen ist, können nach § 141m AFG Ansprüche auf ausgefallenes Arbeitsentgelt auf die Beklagte übergehen. Insofern ist auch § 141m Abs 1 AFG zu entnehmen, daß der Gesetzgeber nur solche ausgefallenen Arbeitsentgeltansprüche ausgleichen wollte, welche auf die beklagte Bundesanstalt für Arbeit übergehen können. Fehlt es aber – wie ausgeführt – an einem derartigen durchsetzbaren Anspruch auf Arbeitsentgelt, kommt die Gewährung von Kaug, wie oben dargelegt worden ist, von vornherein nicht in Betracht.

Allerdings wird mit Recht darauf hingewiesen, daß der erkennende Senat in seinem Urteil vom 30. Juli 1981 (SozR 1500 § 141 Nr 9) Ausführungen zum Umfang der Tatbestandswirkung eines rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Urteils gemacht hat, welche der nunmehr vertretenen Auffassung zu widersprechen scheinen (vgl hierzu Prochnow, ZfSH/SGB 1984, 298/299). In dem damaligen Urteil hat der Senat ausgeführt, daß das Verfahren vor den Arbeitsgerichten auf der einen Seite und das Verfahren vor den Sozialgerichten auf der anderen Seite nach unterschiedlichen Regeln abgewickelt wird. Hieraus hat der erkennende Senat seinerzeit den Schluß gezogen, daß auch Umstände zu berücksichtigen sind, welche im arbeitsgerichtlichen Urteil keine Rolle gespielt haben. Solche besonderen Umstände hat der Kläger im Verfahren vor dem LSG geltend gemacht, indem er nämlich auf eine von den Feststellungen im LAG-Urteil abweichende Sachverhaltsdarstellung hinweist. Diese Überlegungen spielen jedoch im vorliegenden Verfahren keine Rolle. In der damals zu entscheidenden Streitsache war in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Entscheidung durch Versäumnisurteil zugunsten des Arbeitnehmers ergangen. In dem Verfahren vor den Sozialgerichten ging es nur noch um die Höhe des Kaug. Nur hierauf beziehen sich die Ausführungen des Senats in dem Urteil vom 30. Juli 1981. Insoweit waren nach seiner Auffassung damals Korrekturen bezüglich der Höhe des Kaug gegenüber dem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts möglich. Im vorliegenden Falle ist jedoch zu entscheiden, ob der Kläger überhaupt einen Anspruch auf das Kaug hat. Hierzu gehört, wie gesagt, ein durchsetzbarer Anspruch auf ausgefallenes Arbeitsentgelt. Dieser besteht im vorliegenden Falle nicht.

Im übrigen setzt der Kaug-Anspruch ein Insolvenzereignis nach § 141b Abs 1 und 3 AFG voraus. Als Insolvenzereignis kommen nach der genannten Vorschrift die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Abs 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse (Abs 3 Nr 1 AFG) und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit in Betracht, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Abs 3 Nr 2 AFG). Im Urteil des LSG finden sich keine Feststellungen, welche die Annahme rechtfertigen könnten, eines der drei im Gesetz genannten Insolvenzereignisse sei eingetreten. Das LSG hat diese erhebliche Anspruchsvoraussetzung nicht geprüft. Dennoch konnte der erkennende Senat endgültig über die Revision entscheiden; denn es fehlt – wie ausgeführt – an einer weiteren Voraussetzung für die Gewährung von Kaug, nämlich ein in der Zeit von Dezember 1985 bis einschließlich Februar 1986 ausgefallenes Arbeitsentgelt.

Die Revision konnte demgemäß aus Gründen, welche sich in erster Linie aus den kaug-rechtlichen Vorschriften des AFG ergeben, keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NZA 1992, 1150

ZIP 1992, 945

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