Leitsatz (amtlich)
1. Bei geregelten Berufsausbildungen befindet sich ein Kind noch nicht in Berufsausbildung während einer Beschäftigung ohne Ausbildungscharakter, die ein Ausbilder im Einzelfall zur Bedingung für die Zuweisung eines Ausbildungsplatzes macht.
2. Nach der Änderung des § 2 BKGG durch das 9. Änderungsgesetz vom 22.12.1981 können auch in der Rentenversicherung die durch den Mangel an Ausbildungsplätzen bedingten Pausen zwischen Schul- und Berufsausbildungen für Zeiten ab dem 1.1.1982 nur noch in dem durch § 2 Abs 2 S 3 BKGG nF bestimmten zeitlichen Rahmen der Schul- oder Berufsausbildung zugerechnet werden.
Leitsatz (redaktionell)
1. Nicht zur Berufsausbildung iS von § 44 Abs 1 S 2 AVG und § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG zählt eine Beschäftigung ohne Ausbildungscharakter, die nicht zwingend vorgeschrieben ist, aber vom künftigen Ausbilder als Vorbedingung einer regulären Ausbildung verlangt wird.
2. Die gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Berücksichtigung von nützlichen bzw förderlichen Tätigkeiten während Zwangspausen zwischen Ausbildungsabschnitten kann nach dem 31.12.1981 aufgrund der gesetzgeberischen Korrektur durch § 2 Abs 2 S 4 BKGG nicht mehr fortgeführt werden.
Normenkette
AVG § 39 Abs. 3 Fassung: 1971-01-25, § 44 Abs. 1 Fassung: 1971-01-25; RVO § 1262 Abs. 3 Fassung: 1971-01-25, § 1267 Abs. 1 Fassung: 1971-01-25; BKGG § 2 Abs. 2 Fassung: 1975-12-18, Abs. 2 S. 3 Fassung: 1981-12-22; AVG § 44 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1971-01-25; RVO § 1267 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1971-01-02; BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 4 Fassung: 1981-12-22
Verfahrensgang
SG Hamburg (Entscheidung vom 27.06.1983; Aktenzeichen 10 AN 368/82) |
Tatbestand
Streitig ist eine Waisenrente für die Zeit von April 1982 bis Februar 1983.
Der im März 1964 geborene Kläger war von September 1981 bis Februar 1983 bei einem Zahnarzt als zahntechnische Hilfskraft mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 600,-- DM, ab August 1982 von 800,-- DM beschäftigt; im Anstellungsvertrag war ihm bei entsprechender Eignung ein Platz für die Ausbildung zum Zahntechniker in Aussicht gestellt. Der entsprechende Ausbildungsvertrag wurde im März 1982 für die Zeit ab Februar 1983 abgeschlossen; als Ausbildungsvergütung waren Beträge zwischen 350,-- (1. Ausbildungsjahr) und 510,-- DM (4. Ausbildungsjahr) vorgesehen.
Die Beklagte entzog dem Kläger die bewilligte Waisenrente mit Vollendung des 18. Lebensjahres ab April 1982, da er sich als zahntechnische Hilfskraft in keiner Schul- oder Berufsausbildung befinde (Bescheid vom 15. Februar 1982; Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1982). Nach Klageerhebung hat sie wegen der Berufsausbildung ab März 1983 die Waisenrente wiedergewährt (Bescheid vom 4. Februar 1983).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung des Entziehungsbescheides verurteilt, dem Kläger Waisenrente auch für die Zeit vom 1. April 1982 bis zum 28. Februar 1983 zu gewähren. Nach der Entscheidung des Senats vom 16. Juni 1982 (SozR 2200 § 1262 Nr 22) sei auch eine durch den Mangel an Ausbildungsplätzen bedingte Pause der Schul- oder Berufsausbildung zuzuordnen, wenn diese zur Vorbereitung der weiteren Berufsausbildung sinnvoll genützt werde und begründete Aussicht auf Erlangung eines Ausbildungsplatzes in absehbarer Zeit bestehe. Hier sei zwar nicht einzusehen, daß tatsächlich eine 17-monatige Beschäftigung vor Beginn der Berufsausbildung sinnvoll gewesen sein solle; der Ausbildungsbetrieb sei jedoch ohne diese langdauernde Beschäftigung zur Berufsausbildung nicht bereit gewesen, und nach der Bezahlung habe es sich keineswegs um ein gewöhnliches Beschäftigungsverhältnis als Hilfskraft gehandelt.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 44 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Für die streitige Zeit müsse die durch das 9. Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) vom 22. Dezember 1981 mit Wirkung vom 1. Januar 1982 in § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG getroffene Regelung analog angewandt werden; danach sei eine Zeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nur dann zu berücksichtigen, wenn der zweite Ausbildungsabschnitt spätestens im vierten auf die Beendigung des ersten Ausbildungsabschnittes folgenden Kalendermonat beginne. Das widerspreche nicht dem angeführten BSG-Urteil, da dieses Zeiten vor 1982 betreffe.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Dem Kläger steht für die streitige Zeit entgegen der Auffassung des SG keine Waisenrente zu. Dabei kann dahinstehen, ob die ursprüngliche Bewilligung unbefristet erfolgt war, da für diesen Fall die Voraussetzungen des § 48 Sozialgesetzbuch, X. Buch, für die Aufhebung ab April 1982 vorlagen (nach den Ausführungen im Bewilligungsbescheid sollte die Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus "auf Antrag" gewährt werden).
Nach § 44 Abs 1 Satz 2 AVG wird die Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind gewährt, das "sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet". Das war in der streitigen Zeit beim Kläger nicht der Fall, weil er damals nicht durch theoretischen Unterricht und/oder praktische Unterweisung ausgebildet wurde (vgl SozR 2200 § 1267 Nr 5); er war vielmehr als zahntechnische Hilfskraft, dh als Arbeitnehmer beschäftigt. Seine Berufsausbildung begann erst nach Ablauf der streitigen Zeit im März 1983.
Offen bleiben kann, ob in Beschäftigungszeiten ohne Ausbildungscharakter ein Kind sich gleichwohl schon "in Berufsausbildung befinden" kann, wenn die Beschäftigung Voraussetzung für die Berufsausbildung ist. Bei einer geregelten Berufsausbildung wie der zum Zahntechniker könnte das nur für generell zwingende Vorbeschäftigungen in Betracht kommen (SozR 5870 § 2 Nr 29), nicht jedoch für Beschäftigungen, die ein Ausbilder im Einzelfall zur Bedingung der Zuweisung eines Ausbildungsplatzes macht. Zweifel daran, ob die Bedingung angesichts des schon im März 1982 geschlossenen Berufsausbildungsvertrages überhaupt noch für die streitige Zeit wirksam gewesen ist, können daher auf sich beruhen.
Die Zubilligung einer Waisenrente für die streitige Zeit läßt sich auch nicht mit der Rechtsprechung begründen, die zu den durch Mangel an Ausbildungsplätzen bedingten Pausen zwischen Schul- und Berufsausbildungen entwickelt worden ist. Insoweit kann unterstellt werden, daß der Kläger, wie er auf Anfrage mitgeteilt hat, am 25. Juni 1981 seinen Realschulabschluß gemacht und sich dann erfolglos um eine Lehrstelle bemüht hat, so daß hier eine durch Mangel an Ausbildungsplätzen bedingte Pause zwischen Schul- und Berufsausbildung vom 26. Juni 1981 bis Ende Februar 1983 anzunehmen wäre. Die genannte Rechtsprechung (in der Rentenversicherung zu Waisenrenten und Kinderzuschüssen) begann, soweit ersichtlich, mit dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 12. November 1969 (SozR Nr 38 zu § 1267 RVO); es hat für eine nicht erforderliche zwischenzeitliche Praktikantenzeit eine "Berufsausbildung" bejaht, weil die Vorschrift ihrem Sinn und Zweck nach auch Ausbildungen erfassen müsse, die das vorgeschriebene Maß überschreiten; was für den angestrebten Beruf sonst als nützliche oder sinnvolle Beschäftigungen zu gelten habe, blieb noch unentschieden. Die spätere Rechtsprechung hat hierzu Stellung bezogen; nach dem vom SG herangezogenen Urteil des erkennenden Senats vom 16. Juni 1982 (SozR 2200 § 1262 Nr 22 mit Hinweisen auf andere Urteile) kann eine nach dem nächstmöglichen Beginn eines weiteren Ausbildungsabschnitts liegende durch den Mangel an Ausbildungsplätzen bedingte weitere Zwangspause zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (nur dann) als Zeit der Schul- oder Berufsausbildung angesehen werden, wenn sie durch eine Tätigkeit ausgefüllt wird, die gerade im Hinblick auf die angestrebte weitere Ausbildung sinnvoll ist. Diese Rechtsprechung, die nicht mehr den Ausbildungscharakter der Zwischenbeschäftigung entscheidend sein läßt, hat der 1. Senat des BSG in SozR 2200 § 1267 Nr 23 zutreffend als gesetzesergänzende Anwendung über den Wortlaut hinaus entsprechend dem Gesetzesplan gekennzeichnet (vgl auch den Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers in SozR 2200 § 1262 Nr 22). Wohl mit Rücksicht hierauf hat die Rechtsprechung wiederholt betont, daß hinsichtlich der Länge der anzuerkennenden Zwischenzeit gegebenenfalls Grenzen gezogen werden müßten (SozR 2200 § 1262 Nrn 12 und 22). Nach der Meinung des 1. Senats in SozR 2200 § 1262 Nr 26 (vgl dazu Tannen, DRV 1983, 456ff) ist es einem ausbildungswilligen Kind überhaupt grundsätzlich zumutbar, bei Nichtzulassung zum nächstmöglichen Ausbildungstermin eine entgeltliche Beschäftigung zur Bestreitung seines Unterhalts aufzunehmen.
Der Senat kann unerörtert lassen, ob sich die Entscheidung des SG noch im Rahmen dieser Rechtsprechung hält; er stimmt nämlich der Beklagten darin zu, daß die Rechtsprechung in der bisherigen Ausdehnung für Zeiten ab dem 1. Januar 1982 nicht mehr fortgeführt werden kann. Maßgebend dafür sind die von da an wirksamen Änderungen im Kindergeldrecht, das hinsichtlich der Schul- oder Berufsausbildung von einem gleichen gesetzlichen Tatbestand ausgeht, und insbesondere die dafür im vorangegangenen Gesetzesentwurf der Bundesregierung mitgeteilten Gründe. Das 9. Änderungsgesetz zum BKGG vom 22. Dezember 1981 hat nicht nur den bis dahin gültigen § 2 Abs 4a BKGG über die (zeitlich bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres befristete) Berücksichtigung von Kindern bei mangels Ausbildungsplatzes verzögerter Berufsausbildung beseitigt; vielmehr wurde in § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG nunmehr bestimmt, daß für die Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten ein Ausbildungswilliger berücksichtigt wird, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt im vierten auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnitts folgenden Monat beginnt; bleibt die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz in diesem Ausbildungsabschnitt erfolglos, so endet die Berücksichtigung mit Ablauf des Monats, in dem dem Ausbildungswilligen die Ablehnung bekanntgegeben wird. In der Begründung (BT-Drucks 9/795 S 54) heißt es, daß die bisherige großzügige Berücksichtigung von Warte- und Übergangszeiten in Gesetzgebung und Rechtsprechung der Bundesregierung nicht vertretbar erscheine; sie schlage daher eine abschließende Regelung vor, die so begrenzt sei, daß sie den Normalfall der üblichen Übergangszeit (von Schule zu Lehre oder zu Studium) erfasse. Bei längeren Zeiten könnten und müßten die Ausbildungswilligen sich darauf einstellen, die Zwischenzeit mit einer Erwerbstätigkeit zu überbrücken. Die enge Begrenzung lasse keinen Raum mehr für die bisherige auf der Rechtsprechung des BSG beruhende Praxis, eine längere Wartezeit dann kindergeldrechtlich zu berücksichtigen, wenn der Ausbildungswillige in ihr eine der beabsichtigten Ausbildung förderliche Tätigkeit ausübt.
Damit kann sich auch die Rechtsprechung in der Rentenversicherung zu leistungsunschädlichen Pausen zwischen Ausbildungen, soweit sie über die generell üblichen Zwischenpausen bis zu vier Monaten hinausgeht, für Zeiten nach 1981 nicht mehr auf einen sie stützenden Gesetzesplan oder Gesetzeswillen berufen; die Änderungen im Kindergeldrecht und die dafür maßgebenden Gründe lassen im Gegenteil keinen Zweifel offen, daß die bisherige Ausdehnung der Rechtsprechung nicht mehr dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß davon, wenn auch bei gleichem Ausgangswortlaut zur Schul- oder Berufsausbildung, nur das Kindergeldrecht betroffen worden sei. Die maßgebenden Gründe haben eine allgemeinere, auch das Rentenversicherungsrecht betreffende Bedeutung; daß nur in das Kindergeldrecht und nicht auch in das Rentenversicherungsrecht eine Bestimmung iS des § 2 Abs 2 Satz 3 BKGG nF eingefügt wurde, erklärt sich damit, daß im Kindergeldrecht gleichzeitig die Sondervorschrift des § 2 Abs 4a BKGG aF gestrichen wurde, zu der es im Rentenversicherungsrecht keine Parallele gab.
Demgemäß kann das Urteil des SG keinen Bestand haben, weil die hier streitige Zeit überhaupt erst rd. neun Monate nach Abschluß der Realschulausbildung (sieben Monate nach Beginn der Beschäftigung als zahntechnische Hilfskraft) begonnen hat. Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu früheren Entscheidungen des BSG, weil diese sich auf Zeiten vor 1982 bezogen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen