Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 10.03.1994)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. März 1994 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger wehrt sich gegen die Aufhebung von Bescheiden, mit denen ihm Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis 12. Oktober 1988 bewilligt worden war, und gegen die Rückforderung von 61.676,58 DM.

Ab 1979 war er für ein Finanzierungsunternehmen tätig. Vom Landgericht Kiel ist er durch rechtskräftiges Urteil (vom 7. Mai 1991) ua wegen im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit begangenen Betrugs in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden.

Die Beklagte hatte bereits zuvor die den streitigen Zeitraum betreffenden Alhi-Bewilligungsbescheide aufgehoben, da der Kläger wegen seiner Tätigkeit weder arbeitslos noch bedürftig gewesen sei, und die Rückzahlung von 61.676,58 DM gezahlter Alhi verlangt (Bescheid vom 1. November 1990; Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1991). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 28. Mai 1993; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 10. März 1994, zugestellt am 20. Juni 1994). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Gewährung von Alhi sei mangels Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit des Klägers rechtswidrig gewesen (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫ iVm §§ 101, 103 AFG). Da er die Tätigkeit für das Finanzierungsunternehmen ebenso wie die erzielten Einnahmen verschwiegen habe, habe er die Leistungen durch vorsätzlich falsche Angaben erwirkt. Dies rechtfertige die Rücknahme der Bewilligungsbescheide und reduziere das ansonsten auszuübende Ermessen auf Null (§ 45 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren -≪SGB X≫).

Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe keine eigenen Feststellungen dazu getroffen, daß er seit Anfang 1983 einer Tätigkeit als Finanzierungsvermittler nachgegangen sei und Einnahmen erzielt habe. Das Berufungsgericht habe sich vielmehr ausschließlich auf das Strafurteil und auf Angaben im Strafverfahren bezogen. Zutreffend sei, daß er seinerzeit bekundet habe, sich bereits ab 1979 auf die Finanzierungsvermittlung konzentriert zu haben. Zumindest seit 1983 habe er dann aber eine entsprechende Tätigkeit nicht mehr ausgeübt, sondern habe ausschließlich Kunden übervorteilen wollen. Er habe damit den Beruf des Betrügers ausgeübt. Diese Tätigkeit und daraus erzielte Einnahmen stünden der Bewilligung von Alhi nicht entgegen. Das LSG habe auf eine von der Staatsanwaltschaft gefertigte Übersicht über Einnahmen und Ausgaben zurückgegriffen, die nie unstreitig gestellt worden und nicht überprüfbar sei. Daß das LSG keinen Beweis erhoben habe, sei deshalb verfahrensfehlerhaft.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. November 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1991 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, zu Recht die Bewilligungen für den streitigen Zeitraum aufgehoben und die Rückzahlung von 61.676,58 DM gefordert zu haben.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist wegen unzureichender Begründung (§ 164 Abs 2 Sätze 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) unzulässig.

Nach § 164 Abs 2 Satz 1 SGG ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Berufungsurteils zu begründen; sie muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Diesen Anforderungen entspricht der Schriftsatz des Klägers vom 25. Juli 1994 nicht. Die späteren Schriftsätze vom 11. Oktober 1994, 14. Dezember 1994 und 16. Januar 1995 sind nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist, also nach dem 22. August 1994 (§ 64 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 SGG), bei Gericht eingegangen. Ob sie eine ausreichende Begründung enthalten, kann dahinstehen.

Die Revisionsbegründungsfrist verlängerte sich nämlich nicht gemäß § 66 Abs 2 Satz 1 SGG auf ein Jahr, da die Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Urteils korrekt war; insbesondere mußte sie keine über den Gesetzeswortlaut des § 164 Abs 2 SGG hinausgehenden Hinweise zum Umfang und genauen Inhalt der Revisionsbegründung enthalten (BSG, Urteile vom 16. Juni 1982 – 10 RKg 35/81, 10 RKg 37/81 und 10 RKg 39/81 –, unveröffentlicht). Dem Kläger kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) gewährt werden; sie scheitert am Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten. Dieser hätte als Rechtsanwalt in der Lage sein müssen, eine den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG gerecht werdende Begründung rechtzeitig zu fertigen (vgl BSG aaO).

Bei verständiger Würdigung der Revisionsbegründung ist zwar davon auszugehen, daß der Vortrag, betrügerische Tätigkeiten und hieraus erzielte Einnahmen stünden der Bewilligung von Alhi nicht entgegen, eine materiell-rechtliche Rüge enthält; der Darlegungspflicht ist gleichwohl nicht genügt.

Unschädlich ist, daß die verletzte Rechtsnorm nicht bezeichnet ist (BSGE 8, 31, 32; BSG SozR Nrn 22 und 27 zu § 164 SGG; SozR 1500 § 164 Nr 12). Die Revisionsbegründung muß aber erkennen lassen, daß der sie einreichende Prozeßbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft hat; nur so wird dem gesetzgeberischen Zweck des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG genügt, aussichtslose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein zu verhindern (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 20, 25 und 28, jeweils mwN). Deshalb muß aufgezeigt sein, warum nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten das angefochtene Urteil in den noch streitigen Punkten unrichtig ist. Es bedarf einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und bei materiell-rechtlichen Rügen der Darlegung, daß und warum eine revisible Vorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 20, 25 und 28; BSG USK 82242; BSG, Urteile vom 16. Juni 1982, aaO). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dürfen mithin Rechtsansichten der Vorinstanz nicht lediglich als unrichtig bezeichnet werden; vielmehr muß wenigstens ansatzweise auf den Gedankengang des Berufungsgerichts eingegangen und hinzugefügt werden, warum dessen Ausführungen gerade nicht geteilt werden.

Dem wird die schlichte klägerische Behauptung nicht gerecht, betrügerische Tätigkeiten und Einnahmen hieraus seien mit einem Alhi-Anspruch vereinbar. Die Revisionsbegründung läßt insoweit jegliche Ausführungen dazu vermissen, warum das LSG zu Unrecht Arbeitslosigkeit iS der §§ 101, 102 AFG und Verfügbarkeit iS des § 103 AFG verneint hat. Sie macht nicht einmal deutlich, ob sich der pauschale materiell-rechtliche Einwand auf die bezeichneten Vorschriften oder auf die von § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG zusätzlich geforderte, vom LSG überhaupt nicht problematisierte Bedürftigkeit bezieht.

Die Revisionsbegründung hält den gesetzlichen Anforderungen (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) ebensowenig stand, soweit Verfahrensmängel geltend gemacht werden.

Wird – wie hier – mit der Revision als Verfahrensmangel ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, müssen – wie bei einer Nichtzulassungsbeschwerde – die Tatsachen bezeichnet werden, aus denen sich ergibt, daß sich das LSG von seinem eigenen sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen (BSG, Urteil vom 28. Oktober 1980 – 9 RV 13/80 –, unveröffentlicht, mwN; BSG, Beschluß vom 7. Juni 1990 – 9a/9 RV 25/89 –, unveröffentlicht). Darüber hinaus ist darzulegen, zu welchem Ergebnis die unterbliebenen, nach Auffassung des Revisionsklägers jedoch für erforderlich gehaltenen Ermittlungen geführt hätten (BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG; BSG USK 82242 mwN; vgl auch: Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 164 RdNr 12 mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX. Kap RdNr 338 mwN; Kopp, VwGO, 10. Aufl. 1994, § 139 RdNr 15 mwN).

Der Kläger hat bereits nicht aufgezeigt, warum sich das LSG, von seiner (nicht geschilderten) Rechtsansicht ausgehend, zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt fühlen müssen. Schließlich ist in keiner Weise ausgeführt, welches Ergebnis welche weitere Beweisaufnahme erbracht hätte. Ohnedies ist die Bedeutung des klägerischen Vorbringens zu der von der Staatsanwaltschaft gefertigten Übersicht über Einnahmen und Ausgaben, deren Richtigkeit das LSG unterstellt haben soll, nicht erkennbar. Hierauf hat das LSG seine Entscheidung zur fehlenden Arbeitslosigkeit und Verfügbarkeit jedenfalls nicht gestützt.

Die Revision war deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174532

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