Leitsatz (amtlich)
Der "Dienstunfall" eines in der Unfallversicherung nach RVO § 541 versicherungsfreien Beamten stellt auch dann keinen "Arbeitsunfall" iS des AVG § 29 Nr 1 (= RVO § 1252 Nr 1) dar, wenn der Beamte aus seinem Beamtenverhältnis ohne Versorgung ausgeschieden und deshalb für diese Zeit in der Angestelltenversicherung nachversichert worden ist.
Normenkette
RVO § 1252 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 29 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 541 Fassung: 1957-07-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1924 geborene Kläger wurde am 1. Juli 1956 als wissenschaftlicher Assistent bei der Medizinischen Akademie in D für zwei Jahre als Beamter auf Widerruf übernommen. Am 12. Juni 1958 wurde das Dienstverhältnis um zwei Jahre verlängert.
Am 30. Januar 1960 erkrankte der Kläger an einer als Dienstunfall anerkannten Hepatitis. Danach wurde das Dienstverhältnis bei der beigeladenen Stadt Düsseldorf letztmalig bis zum 31. März 1962 verlängert. Anschließend führte sie die Nachversicherung für den Kläger bei der Beklagten ab 1. März 1957 durch und entrichtete für ihn Beiträge von insgesamt 6.993,- DM nach.
In einem Vergleich vom 21. Dezember 1966 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf wurde der Kläger rückwirkend vom 1. April 1962 an so gestellt, als sei er zu diesem Zeitpunkt gemäß den §§ 49, 215 des nordrhein-westfälischen Landesbeamten-Gesetzes in den Ruhestand versetzt worden. Mit dieser Gleichstellung erhielt er alle Rechte und Pflichten eines Ruhestandsbeamten nach den jeweils für das Land Nordrhein-Westfalen geltenden beamtenrechtlichen Vorschriften. Die Beigeladene verpflichtete sich, dem Kläger die Differenz zwischen dem an ihn gezahlten Unterhaltsbeitrag und dem ihm ab 1. April 1962 zustehenden Ruhegehalt für die Zeit vom 1. April 1962 bis zum 31. Dezember 1966 nachzuzahlen. Der Kläger verpflichtete sich den Betrag der Nachversicherung von 6.993,- DM an die Beigeladene zurückzuzahlen. In Ziff. 5 des Vergleiches ist bestimmt, daß für den Fall, daß der Kläger eine Rente von der Beklagten erhält, sich sein Ruhegehalt um den Betrag der Rente der auf der Nachversicherungsleistung der Beigeladenen beruht, mindere.
Am 15. März 1967 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte erkannte zwar an, daß er aufgrund seiner Erkrankung erwerbsunfähig war, lehnte jedoch gleichwohl den Rentenantrag ab, da die Wartezeit nicht erfüllt sei und auch nicht nach § 29 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) als erfüllt gelte. Der Kläger sei seit Januar 1960 berufs- und erwerbsunfähig. Die für die Zeit nach Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit entrichteten 26 Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) könnten deshalb für die Erfüllung der Wartezeit für diesen Versicherungsfall nicht angerechnet werden. Mit den für die Zeit bis zum 31. Januar 1960 entrichteten 35 Monatsbeiträgen sei die erforderliche Wartezeit von 60 Beitragsmonaten nicht erfüllt. Der Dienstunfall eines nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Unfallversicherung (UnV) versicherungsfreien Beamten stelle auch keinen Arbeitsunfall dar, der die Wartezeit nach § 29 AVG als erfüllt gelten lasse.
Die hiergegen erhobene Klage blieb ebenso erfolglos wie das anschließende Berufungsverfahren.
Der Kläger hat gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 11. Februar 1971 die von diesem zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 5. Februar 1969 sowie den Bescheid vom 28. Juli 1967 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. März 1967 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Daß der Kläger wegen der Folgen seiner Erkrankung an Hepatitis erwerbsunfähig ist, ist ebenso unzweifelhaft wie der Umstand, daß mit den für die Zeit vom 1. März 1957 bis zum Eintritt des Versicherungsfalls, d. h. bis Januar 1960 nachentrichteten Beiträgen zur AnV die erforderliche Wartezeit von 60 Monaten Versicherungszeit für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 24 Abs. 3 AVG nicht erfüllt ist. Die Beteiligten streiten allein darüber, ob § 29 b. 1 AVG anzuwenden ist. Danach gilt die Wartezeit ua als erfüllt, wenn der Versicherte infolge eines Arbeitsunfalls berufs- oder erwerbsunfähig geworden ist. Nach § 9 Abs. 5 a AVG steht eine Beschäftigung oder Tätigkeit, für die im Wege der Nachversicherung Beiträge nachentrichtet worden sind, einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleich; nach § 124 Abs. 4 AVG gelten die nachzuentrichtenden Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge, der Eintritt des Versicherungsfalls steht der Entrichtung der Beiträge nicht entgegen.
Wie das LSG dazu zutreffend ausgeführt hat, fällt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unter den Begriff des Arbeitsunfalls jeder Unfall, der einen Leistungsanspruch nach dem Dritten Buch der RVO, d. h. den §§ 537 ff RVO auslösen kann (BSG 7, 159). Dabei gilt als Arbeitsunfall auch eine Erkrankung an einer Berufskrankheit (§ 545 RVO aF; § 551 RVO nF). Darauf, ob die Tätigkeit, bei deren Ausübung der Berechtigte unfallversichert war, der Rentenversicherungspflicht unterlag, kommt es nicht an (BSG 11, 295). Dieser Auffassung ist das Schrifttum gefolgt (vgl. VerbKomm. § 1252 RVO Anm. 6; Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, Das AVG, 2. u. 3. Aufl., § 29 AVG Anm. C I S. V 265; Gesamtkommentar § 1252 RVO Anm. 2; Brackmann, Handbuch der SozVers S. 680 d). Maßgebend ist somit allein, daß ein "Arbeitsunfall" im Sinne der deutschen UnV vorliegt (so auch BSG 4 RJ 435/66 vom 2. Dezember 1970, Nachr. LVA Hessen 1971, 132), d. h., daß der Unfall nach dem zur Zeit seines Ereignisses geltenden Recht von dem 3. Buch der RVO erfaßt war. Der Berechtigte muß also im Zeitpunkt des Unfalls in der gesetzlichen UnV versichert gewesen sein und den Unfall bei einer der in den §§ 537 ff RVO bezeichneten versicherten Tätigkeiten erlitten haben.
Im Zeitpunkt der Erkrankung im Januar 1960 war der Kläger jedoch nach § 541 Nr. 1 RVO aF, der für alle Beamten des Bundes, der Länder und der Gemeinden in Betracht kam, versicherungsfrei, weil ihm nach dem nordrhein-westfälischen Landesbeamtengesetz beamtenrechtliche Unfallfürsorge gewährleistet war (vgl. dazu Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl. § 541 RVO Anm. 4 sowie Brackmann aaO S. 478 d). Dementsprechend ist auch beim Kläger nach den Feststellungen des LSG seine Erkrankung an Hepatitis als Dienstunfall anerkannt worden; er war als Arzt an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf Beamter; als solcher ist er infolge einer Krankheit dienstunfähig geworden, die er sich ohne grobes Verschulden in Ausübung seines Dienstes zugezogen hatte. Ein Dienstunfall eines Beamten oder seine Erkrankung an einer "Berufskrankheit" scheiden damit aber als Arbeitsunfall im Sinne der UnV und im Sinne des § 29 Abs. 1 AVG aus.
Hieran ändert sich durch die erfolgte Nachversicherung nichts. Sie hat zwar rentenversicherungsrechtlich nach den oben angeführten Vorschriften hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der Beschäftigung des Klägers zur Zeit seiner Erkrankung rückwirkend eine Änderung geschaffen, nicht aber unfallversicherungsrechtlich. Zu Unrecht wendet die Revision hiergegen ein, es könne nicht angehen, rentenversicherungsrechtliche Auswirkungen anzuerkennen, einen rückwirkenden unfallversicherungsrechtlichen Schutz aber abzulehnen. Dabei wird übersehen, daß die Nachversicherung in der Rentenversicherung mit ihrer Rückwirkung in die Vergangenheit den Ausgleich dafür diente, daß dem Kläger ursprünglich aus dem in der AnV versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis als Beamter keine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften gewährt wurde. Ihm ist aber die beamtenrechtliche Unfallfürsorge ohne weiteres erhalten geblieben. Würde der Kläger neben ihr auch noch Leistungen aus der gesetzlichen UnV erhalten, so bekäme er eine doppelte Entschädigung. Das schließt der Gesetzgeber aber dadurch aus, daß für den Beamten, dem während des Beamtenverhältnisses beamtenrechtliche Unfallfürsorge gewährleistet ist, in der gesetzlichen Unfallversicherung Versicherungsfreiheit besteht.
Da mithin ein Arbeitsunfall nicht vorliegt, sind die Voraussetzungen für die Fiktion der Wartezeiterfüllung nach § 29 Nr. 1 AVG nicht gegeben, so daß der Auffassung der Vorinstanzen in vollem Umfang beizupflichten und die Revision zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen