Entscheidungsstichwort (Thema)
zur Abgrenzung Jagd und Bodenbewirtschaftung
Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der Kläger hat in der Gemeinde S… Krs. G… eine Jagd gepachtet. Von dem Jagdgebiet werden 8,25 ha in der Weise als Wildacker genutzt, daß der Kläger dort Wildfutterpflanzen anbauen läßt; diese dienen - ebenso wie eine weitere als Wiese und Weide genutzte Fläche von 1,75 ha - unmittelbar der Wildfütterung im Rahmen der Hege. Ab April 1968 zog die Beklagte den Kläger wegen der Bewirtschaftung dieser Flächen zur Beitragsleistung heran.
Im Dezember 1975 bat der Kläger die Beklagte um Prüfung, ob er tatsächlich beitragspflichtig sei und inwieweit gegebenenfalls eine Beitragserstattung möglich sei; die von ihm im Lohnauftrag bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen dienten allein der Erzeugung von Wildfutter, das geschossene Wild werde zum eigenen Verbrauch und nicht zur Erzielung von Einkünften verwendet. Nachdem die Beklagte eine Beitragspflicht bejaht hatte, beantragte der Kläger im Januar 1976 seine Befreiung von der Beitragspflicht, weil er in der Handwerkerversicherung versicherungspflichtig sei. Er machte weiter geltend, er sei von Anfang an nicht beitragspflichtig gewesen, weil er weder Land- noch Forstwirtschaft betreibe. Die Bestellung der Wildäcker gehöre allenfalls zu einer sogenannten Jagdwirtschaft. Der Jagdbetrieb aber stelle lediglich ein Hobby dar und bilde nicht einmal nur einen Teil seiner Existenzgrundlage. Er bat erneut um Beitragserstattung.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. Juni 1976 eine Befreiung von der Beitragspflicht ab, weil die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) nicht erfüllt seien. Der Widerspruch des Klägers wurde im Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 1976 zurückgewiesen. In der Begründung ist zusätzlich ausgeführt, daß die Beitragspflicht selbst gegeben sei; das mit der Bewirtschaftung der Flächen verfolgte Ziel der Wildfütterung stehe der Annahme einer Bodenbewirtschaftung nicht entgegen.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide vom 22. Juni und 9. Juli 1976 aufgehoben und die Beklagte zur Erstattung der seit dem 1. Januar 1973 entrichteten Beiträge verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anbau von Pflanzen wie Topinambur, Flachs, Hafer, Gemenge und Buchweizen auf den Wildäckern stelle eine Bodenbewirtschaftung dar. Daß diese Pflanzen nicht geerntet würden, sondern unmittelbar der Wildfütterung im Rahmen der Hege und Pflege des Wildes dienten, sei unerheblich; da der Kläger sich durch den Anbau Aufwendungen für angekauftes Wildfutter erspare und somit die angebauten Bodenerzeugnisse nutze. Darauf, ob die Nutzung wirtschaftlich sei, ob sie nur Nebenzweck, Hauptzweck des gepachteten Landes aber die Jagd sei, komme es nicht an. Ohne Bedeutung sei schließlich auch, daß der Kläger vermutlich nie in den Genuß eines Altersgeldes gelangen werde, weil er nicht beabsichtige, die Jagd aufzugeben. Für die Befreiung von der Beitragspflicht sei kein Raum.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und beantragt,das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er macht geltend, daß nach Sinn und Zweck des Gesetzes ein Freizeit-Jagdpächter nicht landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des GAL sein könne.
Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 22. Juni und 9. Juli 1976 enthalten bei sinngemäßer Deutung mehrere Regelungen. Die Beklagte hat darin nicht nur den Befreiungsantrag des Klägers abgelehnt, vielmehr außerdem die Beitragspflicht des Klägers festgestellt und den Rückerstattungsantrag abgelehnt. Demgemäß war und ist im vorliegenden Rechtsstreit auch die Rechtmäßigkeit der letztgenannten Regelungen zu prüfen. Somit es sich dabei um die - in erster Linie zu prüfende - Feststellung der Beitragspflicht handelt, hat sich die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden nicht darauf berufen, daß offenbar dem Kläger bereits am 4. September 1969 ein im Inhalt nicht näher festgestellter Beitragsbescheid erteilt war. Daher ist davon auszugehen, daß die Beklagte über die Beitragspflicht des Klägers erneut sachlich entscheiden und sich nicht auf die möglicherweise entgegenstehende Bindungswirkung (§ 77 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) des früheren Bescheides berufen wollte.
Entgegen der Auffassung des LSG hat die Beklagte zu Unrecht den Kläger nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte für beitragspflichtig erklärt. Die Voraussetzungen der §§ 14, 1 GAL für die Beitragspflicht sind nicht gegeben.
Den Entscheidungen der Vorinstanzen und auch den beigezogenen Akten ist zunächst nicht mit Sicherheit zu entnehmen, ob der Kläger nur die Jagd gepachtet hat oder ob er auch Pächter der Grundstücke ist, auf denen er die Jagd betreibt und Wildfutter anpflanzen läßt. Wenngleich manches darauf hindeutet, daß die Beklagte und die Vorinstanzen, freilich ohne nähere Prüfung, von der Annahme einer Grundstückspacht ausgegangen sind, hat doch das LSG eine dahingehende Feststellung nicht getroffen. Sollte es an einer Grundstückspacht (oder an einem vergleichbaren Nutzungsverhältnis) fehlen, wäre schon aus diesem Grund eine Beitragspflicht nach dem GAL zu verneinen; der bloße Jagdpächter (vgl. § 10 Abs. 1 Bundesjagdgesetz) ist ohne Zweifel kein landwirtschaftlicher Unternehmer (eine "Abgabe" der Jagd darum ohne Bedeutung). Einer Zurückverweisung an das LSG zum Zwecke der Behebung dieser Unklarheit bedarf es jedoch nicht; denn auch dann, wenn der Kläger die in Frage stehenden Grundstücke gepachtet haben sollte, wäre er ebenfalls nicht landwirtschaftlicher Unternehmer im Sinne des GAL und darum nicht beitragspflichtig.
Zur Frage, wer landwirtschaftlicher Unternehmer ist, enthält § 1 GAL - auf den § 14 Abs. 1 GAL verweist - Begriffsbestimmungen in seinen Absätzen 2 und 3, wobei Abs. 2 den Begriff "Unternehmer" erläutert und Abs. 3 sich dann mit dem engeren Begriff des "landwirtschaftlichen Unternehmers" befaßt. Im vorliegenden Falle kommt es lediglich auf den letztgenannten an, weil für einen Grundstückspächter die Unternehmereigenschaft als solche nicht zweifelhaft ist. Die Frage ist daher, ob eine Grundstückspacht zum Zwecke der Aufzucht von Futterpflanzen (bzw. Gras) für das vom Pächter in seiner weiteren Eigenschaft als Jagdpächter zu hegende Wild als Landwirtschaft zu verstehen ist, so daß der Kläger damit (auch) ein "landwirtschaftlicher" Unternehmer wäre. Über diese Frage gibt § 1 Abs. 3 GAL allein keinen hinreichenden Aufschluß.
Nach dieser Vorschrift sind landwirtschaftliche Unternehmer alle Unternehmer der Land- und Forstwirtschaft (einschließlich der sonstgenannten Kulturbetriebe), deren Unternehmen unabhängig vom jeweiligen Unternehmer eine auf Bodenbewirtschaftung beruhende Existenzgrundlage bildet. In dieser Definition wird der Begriff der Landwirtschaft vorausgesetzt; er selbst wird weder in dieser Vorschrift noch in anderen vergleichsweise in Betracht kommenden Gesetzen, insbesondere auch nicht in der die landwirtschaftliche Unfallversicherung betreffenden Vorschrift des § 776 Reichsversicherungsordnung (RVO) erläutert. Auch dem letzten, auf die Bodenbewirtschaftung abhebenden Halbsatz des § 1 Abs. 3 GAL läßt sich für den vorliegenden Fall nicht viel entnehmen. Diese Ergänzung war im GAL 1957 noch nicht enthalten; sie ist 1961 eingeführt worden, um - trotz an sich angestrebter Übereinstimmung mit der Unfallversicherung - in die landwirtschaftliche Altershilfe nicht auch die Unternehmen einzubeziehen, die in der Unfallversicherung ohne Bodenbewirtschaftung als landwirtschaftliche Unternehmen "gelten", jetzt nach § 776 Abs. 2 RVO (vgl. Zöllner, BABl. 1961, 474, 476). Deshalb ist der Begriff der Landwirtschaft im GAL auf seinen Kernbereich beschränkt; insoweit hat allerdings der erkennende Senat bereits früher dargelegt (SozR Nr. 6 zu § 2 GAL a.F.), daß für den landwirtschaftlichen Betrieb das wesentliche Kennzeichen die Bodenbewirtschaftung ist (dort zur Abgrenzung vom Brachliegenlassen). Gleichwohl bleibt zu fragen, ob hiernach der vorliegende Sachverhalt als "Bodenbewirtschaftung" und damit als "Landwirtschaft" zu werten ist.
Geht man insoweit von den herkömmlichen Definitionen aus (RVA, EuM 36, 146; BSGE 14, 78, 79; 22, 39 f.; SozR 5866 § 2 Nr. 1; vgl. ferner Lauterbach, Unfallversicherung 33. und 34. Lfg. Anm. 5a zu § 776 RVO; Noell, Die Altershilfe für Landwirte, 9. Aufl., S. 110 ff.), So ist festzustellen, daß darunter ein Inbegriff zahlreicher auf einen wirtschaftlichen Zweck gerichteter Tätigkeiten verstanden wird; dazu wird als erste und Haupttätigkeit die Bearbeitung des Bodens und die Aufzucht von Bodenerzeugnissen und als eine weitere herausragende Tätigkeit die Verwertung dieser Bodenerzeugnisse meist in Form der Aberntung gerechnet. Im übrigen werden noch andere Tätigkeiten aufgeführt, wie die Zucht und Pflege von Haustieren, der Verbrauch oder Verkauf der Produkte usw. Jedenfalls zeigt die zum Teil ausführliche Darstellung der landwirtschaftlichen Tätigkeiten eine Vielfaltigkeit und Vielgestaltigkeit des Tätigkeitsbereiches, wie aber auch, daß hierbei nicht einzelne Tätigkeiten isoliert für sich gesehen werden dürfen. Der Blick ist deshalb auf die Gesamtheit der im Einzelfall vorgenommenen Tätigkeiten zu richten.
Deshalb erscheint es nicht zulässig, im vorliegenden Falle "Bodenbewirtschaftung" und "Landwirtschaft" schon deshalb zu bejahen, weil der Kläger als Grundstückspächter für eigene Rechnung den Boden bearbeiten und die Pflanzen aufziehen läßt. Es darf nicht außer Betracht bleiben, daß, wie der Senat anzunehmen hat, die aufgezogenen Pflanzen ausschließlich und unmittelbar der Wildäsung dienen. Insoweit unterscheidet sich der Fall des Klägers, auch wenn man die wirtschaftliche Ersparnis durch Wegfall von Futterankauf in Betracht zieht, wesentlich von dem sonst in der Landwirtschaft üblichen Bild. Die hier vorliegende Verwertung von Bodenerzeugnissen ist für landwirtschaftliche Unternehmen nicht charakteristisch. Dort ist es zwar eine allgemeine Erscheinung, daß ein wesentlicher Teil von angebauten Pflanzen, ob mit oder ohne Aberntung, für die Fütterung des Viehs bestimmt ist. Deshalb ist stets auch die Viehhaltung und die Viehfütterung und damit in einem erweiterten Sinne auch eine darauf beruhende "Erzeugung" von Tieren und tierischen Produkten zur Landwirtschaft gerechnet worden. Hier geht es jedoch nicht mehr um einen solchen Zweck, sondern um die Ernährung von jagdbarem Wild, das der Aneignung durch den zur Ausübung der Jagd Berechtigten unterliegt; das auf diese Art und Weise gefütterte Vieh kann rechtlich unter keinem Gesichtspunkt noch als "Erzeugnis" des Bodens betrachtet werden. Eine solche - unmittelbare - Verwertung von angebauten Pflanzen entfernt sich von dem im Rahmen landwirtschaftlicher Betriebe Üblichen so weit, daß hier insgesamt nicht mehr von Bodenbewirtschaftung und Landwirtschaft gesprochen werden kann.
Das muß zumindestens im Rahmen des GAL gelten, bei dem nicht der Gedanke des Unfallversicherungsschutzes, sondern der Gedanke der erforderlichen Alterssicherung im Vordergrund steht. Dabei kann es gewiß keine Rolle spielen, ob ein Einzelner in seinem konkreten Fall eines solchen Schutzes bedarf. Selbst bei Berücksichtigung dessen, daß das GAL die landwirtschaftlichen Unternehmen zu einer "Solidargemeinschaft" zusammenfaßt, bleibt jedoch festzustellen, daß dieses Gesetz, wie gerade sein § 1 Abs. 3 ausweist, nur solche (landwirtschaftlichen) Unternehmen im Auge hat, die eine "Existenzgrundlage" bilden. In Fallgruppen der hier gegebenen Art ist jedoch nicht zu erkennen, daß ein solches Unternehmen, auch unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, eine Grundlage für die Existenz des Unternehmers bilden könnte.
Da sonach der Kläger nicht beitragspflichtig ist, hat das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten zu Recht aufgehoben; die Beklagte hatte die Beitragspflicht zu Unrecht festgestellt. Damit war die Ablehnung der Beitragsbefreiung gegenstandslos. Da die Beklagte hiernach die Beitragserstattung nicht versagen durfte, hat das Sozialgericht sie ferner zur Erstattung der Beiträge, allerdings nur für die Zeit ab Januar 1973 zu Recht verurteilt.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 181 |
Breith. 1980, 44 |