Entscheidungsstichwort (Thema)

Freiwillige Krankenversicherung. Beiträge. eheähnliche Lebensgemeinschaft. Unterhalt

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Einnahmen zum Lebensunterhalt iS des § 180 Abs 4 S 1 RVO gehörten nicht Unterhaltsleistungen, die ein Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft in Form von "Sachbezügen" erhielt. Für ihn konnte auch nach § 180 Abs 4 S 3 RVO kein Mindestgrundlohn bestimmt werden, der doppelt so hoch war wie der in Satz 1 der Vorschrift genannte.

 

Normenkette

RVO § 180 Abs 4 S 1 Fassung: 1978-07-25; RVO § 180 Abs 4 S 3 Fassung: 1977-06-27; SGB 5 § 240 Abs 4 Fassung: 1988-12-20

 

Verfahrensgang

SG Bayreuth (Entscheidung vom 08.07.1987; Aktenzeichen S 10 Kr 89/86)

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Berechnung seiner Krankenversicherungsbeiträge durch die beklagte Krankenkasse, deren freiwilliges Mitglied er ist. Er hatte im Jahre 1986 aus der Abhaltung von Volkshochschulkursen ein Einkommen von 4.650 DM = durchschnittlich 387,50 DM im Monat. Soweit dieses für seinen Lebensunterhalt nicht ausreichte, wurde er von seiner Freundin, mit der er in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, mit unterhalten.

Die Beklagte ging bei der Berechnung seiner Beiträge von einem Unterhaltsbedarf von mindestens einem Drittel der monatlichen Bezugsgröße, für 1986 mithin von (2.870 DM : 3 =) 956,67 DM aus und stufte ihn demgemäß unter Anwendung des § 180 Abs 4 Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in die Lohnstufe 32 mit einem Monatsbeitrag von 88,32 DM ein (Bescheid vom 13. November 1985 und Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1986). Der Kläger hält dies für rechtswidrig. Er meint, er habe nach § 180 Abs 4 Satz 1 RVO nur den nach einem Sechstel der monatlichen Bezugsgröße berechneten Mindestbeitrag zu entrichten. Das Sozialgericht (SG) Bayreuth ist seiner Auffassung gefolgt und hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, bei der Beitragsberechnung vom Mindestgrundlohn des § 180 Abs 4 Satz 1 RVO auszugehen. Die freiwilligen Zuwendungen der Freundin seien ebensowenig wie Unterhaltsleistungen zwischen Ehegatten als sonstige Einnahmen zum Lebensunterhalt iS der genannten Vorschrift anzusehen. Da sich ein Grundlohn des Klägers ermitteln lasse, scheide auch eine Grundlohnbestimmung durch die Beklagte nach § 180 Abs 4 Satz 3 RVO aus (Urteil vom 8. Juli 1987).

Die Beklagte hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt und vorgetragen: Entgegen der Ansicht des SG habe sie hier den Grundlohn nach § 180 Abs 4 Satz 3 RVO bestimmen dürfen, und zwar in Höhe eines Drittels der monatlichen Bezugsgröße, weil dies dem Mindestbedarf des Lebensunterhalts entspreche. In jedem Fall seien aber die in Form von "Sachbezügen" erbrachten Unterhaltsleistungen der Freundin als Einnahmen des Klägers zum Lebensunterhalt iS des § 180 Abs 4 Satz 1 RVO anzusehen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, daß der Krankenversicherungsbeitrag des freiwillig versicherten Klägers für die fragliche Zeit (1986) nach dem Mindestgrundlohn des § 180 Abs 4 Satz 1 RVO zu berechnen war.

Nach dieser Vorschrift galt für freiwillig Versicherte wie den Kläger als Grundlohn, nach dem die Beiträge zu erheben waren (§ 385 Abs 1 Satz 1 RVO), der auf den Kalendertag entfallende Teil des Arbeitsentgelts und sonstiger Einnahmen zum Lebensunterhalt bis zu der in Abs 1 genannten Bemessungsgrenze, mindestens jedoch der 180. Teil der monatlichen Bezugsgröße; auf den Monat bezogen, war dies ein Sechstel der monatlichen Bezugsgröße, im Jahre 1986 mithin ein Betrag von abgerundet 487 DM.

Diese Vorschrift war entgegen der Ansicht der Beklagten auch auf den Kläger anwendbar. Nach der Feststellung des SG hatte er 1986 aus der Abhaltung von Volkshochschulkursen ein Einkommen von 4.650 DM. Sofern er seine Tätigkeit in abhängiger Stellung verrichtete, war der genannte Betrag Arbeitsentgelt, im anderen Falle, dh bei einer selbständigen Tätigkeit, Arbeitseinkommen und gehörte dann zu den sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt iS des § 180 Abs 4 Satz 1 RVO. Da sich hiernach sein Einkommen im Jahre 1986 im Monatsdurchschnitt nur auf 387,50 DM belief, mithin den Mindestgrundlohn von monatlich 487 DM nicht erreichte, war dieser für die Berechnung seiner Beiträge maßgebend.

Daß der Kläger seinen Lebensunterhalt außer aus eigenem Verdienst auch aus Unterhaltsleistungen seiner Freundin bestritt, war für § 180 Abs 4 Satz 1 RVO unerheblich. Diese Unterhaltsleistungen, die nicht in Geld, sondern in Natur (als "Sachbezüge") erbracht wurden, waren keine "Einnahmen zum Lebensunterhalt" iS der genannten Vorschrift. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) für Unterhaltsleistungen unter Ehegatten mehrfach entschieden und im Beschluß des Großen Senats vom 24. Juni 1985 näher begründet (BSGE 58, 183 = SozR 2200 § 180 Nr 27, besonders Leitsatz 3 und Seiten 194 ff). Für Unterhalt, der im Rahmen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft geleistet wird, wie sie zwischen dem Kläger und seiner Freundin besteht, kann nichts anderes gelten. Die Unterhaltsleistungen der Freundin waren somit, weil für den Kläger keine "Einnahmen" zum Lebensunterhalt, bei der Ermittlung seines Grundlohnes nicht zu berücksichtigen.

Ihre Unterhaltsleistungen waren dem Kläger auch nicht, wie die Beklagte meint, nach § 180 Abs 4 Satz 3 RVO zuzurechnen. Danach konnte die Kasse den Grundlohn bestimmen, wenn sich anders ein Grundlohn nicht ermitteln ließ. Nach der Rechtsprechung des BSG war diese Vorschrift auch anwendbar, wenn ein sonst einkommensloser Versicherter aus dem Arbeitsverdienst seines Ehegatten mit unterhalten wurde; dann durfte ihm, ggf unter Abzug von Unterhaltsbeträgen für Kinder, die Hälfte des Bruttoverdienstes des Ehegatten als beitragspflichtige Einnahme zugerechnet werden (so der genannte Beschluß des Großen Senats des BSG, vgl besonders Leitsätze 4 und 5 und Seiten 198 ff).

Ob eine solche Zurechnung auch zulässig war, wenn der Versicherte selbst Einkommen hatte und wie dann seine Beiträge zu berechnen waren, hat das BSG bisher nicht entschieden. In jedem Falle konnte einem freiwillig Versicherten der von einem Dritten geleistete Unterhalt bei Anwendung des § 180 Abs 4 Satz 3 RVO nur dann zugerechnet werden, wenn die Unterhaltsleistung - wie bei Ehegatten - auf einer gesetzlichen Unterhaltspflicht beruhte; denn nur dann ließ die Unterhaltsleistung einen hinreichend sicheren Schluß auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltempfängers zu, an der sich letztlich die Beitragspflicht auch freiwillig Versicherter zu orientieren hat. Da diese Voraussetzung (gesetzliche Unterhaltspflicht) im Falle von freiwilligen Unterhaltsleistungen, die jederzeit wieder eingestellt werden können, nicht erfüllt wird, war der vom Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft dem anderen tatsächlich geleistete Unterhalt diesem nicht als eigene Einnahme zuzurechnen.

Die Beklagte durfte somit die Unterhaltsleistungen der Freundin dem Kläger weder nach Satz 1 noch nach Satz 3 des § 180 Abs 4 RVO zurechnen, sondern hatte seine Beiträge nach dem Mindestgrundlohn des § 180 Abs 4 Satz 1 RVO zu bemessen. Indem sie statt des darin vorgesehenen Betrages (ein Sechstel der monatlichen Bezugsgröße) schon für 1986 ein Drittel dieser Bezugsgröße zugrunde legte, wie dies seit dem 1. Januar 1989 § 240 Abs 5 des Sozialgesetzbuches -Gesetzliche Krankenversicherung- (SGB V) vorsieht, hat sie die Rechtsänderung im Ergebnis schon für die frühere Zeit vorweggenommen, was rechtlich nicht zu begründen ist.

Der Senat hat deshalb ihre Revision als unbegründet zurückgewiesen und über die Kosten nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entschieden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1665017

NJW 1991, 446

JuS 1991, 339

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge