Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfgremien Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Nach der Neuregelung des § 106 VII SGB V für die Prüfgremien im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung können über die vor dem 1. 1. 1989 liegenden Prüfungsfälle sowohl in alter als auch in neuer - paritätischer - Besetzung entschieden werden; beide Regelungen sind zulässig.
2. Ist es zweifelhaft, ob es sich bei einem Rechtsstreit um eine "Angelegenheit der Kassenärzte" oder um eine "Angelegenheit des Kassenarztrechts" i. S. des § 12 SGG handelt, so ist hierüber in der gerichtlichen Besetzung mit einem Kassenarzt und einem Vertreter der Krankenkasse - also in sogenannter gemischter Besetzung - zu entscheiden.
Normenkette
SGG § 112; SGB V § 106 Abs. 7
Gründe
I. Der Kläger ist als Frauenarzt an der Ersatzkassenversorgung beteiligt. Die Prüfgremien der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV), deren Mitglied er ist, haben ihm wegen Unwirtschaftlichkeit der von ihm veranlaßten nuklearmedizinischen Untersuchungen in den Quartalen II, III und IV/1985 Regresse auferlegt.
Die Beschwerdekommission der Beklagten, die am 14. Februar 1989 über den Widerspruch des Arztes entschieden hat, war mit drei Vertragsärzten (als stimmberechtigten Mitgliedern) und einem Vertreter des beigeladenen Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) mit beratender Stimme, wie in § 15 Ziffer 2b des Arzt/Ersatzkassenvertrages (EKV) vorgesehen, besetzt. Mit der gegen den Widerspruchsbescheid gerichteten Klage hat der Kläger die Besetzung der Beschwerdekommission gerügt; sie hätte nach § 106 Abs. 7, Abs. 4 Satz 2 des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) mit der gleichen Zahl von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen - letztere ebenfalls stimmberechtigt - besetzt gewesen sein müssen. Das Sozialgericht (SG) hat, indem es die Rechtsansicht des Klägers teilte, den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Verfahrensvorschriften seien grundsätzlich so anzuwenden, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung gelten; da die Beschwerdekommission am 14. Februar 1989 entschieden habe, habe sich ihre Besetzung nach dem SGB V zu richten. Die Gegenmeinung könne sich nicht auf die Vereinbarung der EKV-Vertragspartner vom 9. Dezember 1988 berufen, nach deren Ziffer 7 die Prüfgremien bis einschließlich des vierten Quartals 1988 nach Maßgabe der bisherigen vertraglichen Bestimmungen zu verfahren hätten. Die Besetzungsvorschrift des § 106 Abs. 7, 4 SGB V sei nicht abdingbar. Bei dem Prüfverfahren handele es sich zwar nicht um rein formelles Recht; die formellen Vorschriften stünden innerhalb des Prüfungsverfahrens jedoch im Vordergrund. Da den Prüfgremien ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum und bei der Festsetzung des Regresses ein Ermessensspielraum zustehe, sei der angefochtene Bescheid wegen des Besetzungsfehlers als rechtswidrig anzusehen und daher nach § 42 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) aufzuheben.
Die Beklagte und der Beigeladene haben Revision eingelegt. Sie beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des SG Mainz vom 6. September 1989 den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
II.
Die Sprungrevisionen der Beklagten und des Beigeladenen sind iS der Zurückverweisung begründet.
Die Revisionskläger vermögen mit ihrer Rüge, das SG hätte hinsichtlich der ehrenamtlichen Richter allein mit Kassenärzten besetzt sein müssen (§ 12 Abs 3 Satz 2 SGG), nicht durchzudringen. Erhebt ein Beteiligter vor Gericht - rechtzeitig - die Rüge, das Prüfgremium sei zu Unrecht nur mit Vertretern der Ärzte bzw mit Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen besetzt gewesen, dann hat das Gericht, sofern die Rüge nicht offensichtlich unbegründet ist - was hier nicht zutrifft -, in sogenannter gemischter Besetzung, also mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenärzte (§ 12 Abs 3 Satz 1 SGG), zu entscheiden. Denn anders könnte über die eigene Besetzung des Gerichts immer erst nach der Entscheidung über die Verfahrensrüge entschieden werden; das Gericht müßte im Falle einer eigenen Besetzung, die mit seiner schließlichen Beurteilung der Rüge nicht übereinstimmt, die Sache vertagen, in anderer Besetzung erneut antreten, ohne wiederum an die zugrundeliegende Rügebeurteilung gebunden zu sein. Dem ist nur durch die genannte Besetzungsregel abzuhelfen. Sie entspricht auch insoweit der bisherigen Rechtspr des Senats, als diese darauf hinauslief, in Fällen eines begründeten Zweifels am Vorliegen einer reinen Kassenarztangelegenheit die "gemischte" Besetzung zu wählen, da die Fälle, wo es sich um reine Angelegenheiten der Ärzte handelt, ohne daß zugleich auch ein rechtliches Interesse der Kassen festgestellt werden kann, die Ausnahme darstellen und in Zweifelsfällen keinem Beteiligten Unrecht geschieht, wenn neben dem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Kassenärzte auch ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Krankenkassen dem Gerichtskörper angehört. Diese Regelung ist um so unbedenklicher, als das Gericht nur zu prüfen hat, ob das Handeln der Verwaltung richtig war, und auch insoweit, als es eine Entscheidung "wie die Verwaltung" trifft, sich nicht über den Rahmen gerichtlich unüberprüfbarer Beurteilungsspielräume hinwegsetzen und erst recht keine Ermessensspielräume der Verwaltung ausfüllen darf. Das SG war daher mit ehrenamtlichen Richtern richtig - "gemischt" - besetzt.
Nach § 106 Abs 4 Satz 2 SGB V sind die für die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei den Kassenärztlichen Vereinigungen zu bildenden Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse mit Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl zu besetzen, wie dies durch die bis zum 31. Dezember 1988 in Geltung gewesene Bestimmung des § 368n Abs 5 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) für die sogenannten RVO-Kassen auch schon vorher gegolten hatte. Mit der ausdrücklichen Erstreckung des § 106 Abs 4 Satz 2 SGB V auch auf den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung, wie sie durch Abs 7 Satz 1 dieser Vorschrift erfolgt, ist die Regelung des § 15 Ziff 2 EKV, wonach die Ersatzkassen in beiden Prüfgremien zwar einen Sitz, aber kein Stimmrecht hatten, außer Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß ab 1. Januar 1989 auch die vertragsärztlichen Prüfgremien paritätisch und mit Stimmrecht auf beiden Seiten besetzt sein sollen. Eine Regelung darüber, ob die Neuregelung nur für die ab 1. Januar 1989 - dem Tag des Inkrafttretens des SGB V - erfolgenden kassenärztlichen Tätigkeiten gelten soll oder auch schon für die Prüfung zurückliegender Quartale, hat der Gesetzgeber nicht getroffen. Das Fehlen einer solchen Übergangsregelung scheint dem SG Recht zu geben, wenn es der Ansicht ist, daß die Neuregelung auch für die Prüfentscheidung über zurückliegende Behandlungsfälle gilt. Gleichwohl vermag sich der Senat dieser Meinung nicht anzuschließen.
Bei Verfahrensvorschriften gilt zwar der allgemeine Grundsatz, daß sie mit ihrem Inkrafttreten unmittelbar wirksam werden. Das kann jedoch für die Vorschrift des § 106 Abs 4 Satz 2 SGB V, soweit sie die Neuregelung der paritätischen Besetzung der Prüfgremien auch im Bereich der Ersatzkassen enthält, nicht gelten. Ihre Umsetzung erforderte eine organisatorische Vorbereitung, die nicht "über Nacht" geleistet werden konnte. Das mußte auch der Gesetzgeber sehen. Wenn die Beklagte daher mit den Ersatzkassen, um eine kontinuierliche Weiterführung der Prüfungsgeschäfte zu gewährleisten, eine Regelung dahin getroffen hat, die Prüffälle der alten - vor dem neuen Recht liegenden - Quartale noch in alter Besetzung zu bearbeiten, so kann dies dem Willen des Gesetzgebers, der sonst eine eigene Übergangsregelung hätte treffen müssen, nicht entgegenstehen. Umgekehrt kann es dann freilich aber auch nicht rechtswidrig sein, wenn im Bereich einer anderen KÄV auch die alten Quartale in neuer Besetzung geprüft werden.
Die Revisionen greifen demnach insofern durch, als die Besetzung der Beschwerdekommission entgegen der Ansicht des SG zulässig und daher nicht rechtswidrig war.
Fundstellen