Beteiligte
Berufungsausschuß für Ärzte im Regierungsbezirk Freiburg |
6. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. |
7. Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. |
1. Kassenärztliche Vereinigung Südbaden |
3. Landesverband der Betriebskrankenkassen Baden-Württemberg |
4. Innungskrankenkasse Baden-Württemberg |
5. Badische Landwirtschaftliche Krankenkasse |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. September 1998 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren als Gesamtschuldner zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob die Kläger befugt sind, die dem zu 8) beigeladenen Arzt wegen Sonderbedarfs erteilte Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung anzufechten.
Die Kläger betreiben in St. (Landkreis W.) eine Gemeinschaftspraxis. Der Kläger zu 1) ist als Chirurg, die Klägerin zu 2) als Allgemeinärztin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie verfügt außerdem über eine fachchirurgische Weiterbildung. Im Planungsbereich W. bestehen für das Fachgebiet der Chirurgie Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung (Versorgungsgrad: 117,3 %).
Der Beigeladene zu 8), ebenfalls Chirurg, beantragte im Juli 1996 eine Sonderbedarfszulassung für ambulante Operationen mit Vertragsarztsitz in dem ebenfalls im Planungsbereich W. gelegenen, ca 15 km von St. entfernten B.. Er plane eine Praxisgemeinschaft mit dem dort bereits zugelassenen Allgemeinarzt Dr. B., der als Chirurg weitergebildet und dessen Praxis chirurgisch ausgerichtet sei, der aber den anfallenden Bedarf nicht decken könne. Den Schwerpunkt der Praxisgemeinschaft sollten ambulante Operationen an Unfallpatienten mit einer 24-Stunden-Bereitschaft bilden.
Die Abrechnungsstelle Konstanz der zu 1) beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) trat dem Antrag entgegen. Auch der Kläger zu 1) und weitere niedergelassene Chirurgen der dortigen Region wandten sich gegen eine Sonderbedarfszulassung, weil sie selbst noch Kapazitäten für ambulante Operationen frei hätten. Der Vorstand der Beigeladenen zu 1) und die zu 2) beigeladene AOK sprachen sich für eine Förderung ambulanter Operationen durch Zulassung des Beigeladenen zu 8) aus.
Der Zulassungsausschuß erteilte dem Beigeladenen zu 8) eine Zulassung wegen Sonderbedarfs bei der Erbringung ambulanter Operationen (Bescheid vom 25. November 1996). Hiergegen erhoben die Kläger Widerspruch, den der beklagte Berufungsausschuß zurückwies; er ordnete die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung an (Bescheid vom 29. Mai 1998). Zur Begründung ist in dem Bescheid ausgeführt, der Widerspruch sei unzulässig. Eine Anfechtungsbefugnis der Kläger sei nach der Rechtsprechung zu verneinen. Eine Ausnahme, wie sie für Willkürentscheidungen anerkannt werde, komme nicht in Betracht. Die Zulassung des Beigeladenen zu 8), die der Zulassungsausschuß auf Nr 24 Buchst d der Bedarfsplanungs-Richtlinien(RL)-Ärzte gestützt habe, sei unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse im Planungsbereich W. im Grenzbereich zum Landkreis B. -Hochschwarzwald jedenfalls nicht unvertretbar.
Das von den Klägern angerufene Sozialgericht (SG) hat ihre Klage abgewiesen (Urteil vom 16. September 1998). Sie seien nicht befugt, die dem Beigeladenen zu 8) erteilte Zulassung anzufechten. Die Rechtsprechung, die die Anfechtungsbefugnis von Vertragsärzten gegenüber Ermächtigungen verneine, gelte entsprechend. Eine Anfechtungsbefugnis komme nur im Falle gezielter Benachteiligung bzw Willkür in Betracht. Anhaltspunkte dafür bestünden nicht. Im Raum B. gebe es lediglich den auch chirurgisch qualifizierten Allgemeinarzt Dr. B., mit dem nunmehr der Beigeladene zu 8) eine Praxisgemeinschaft führe, aber keine zugelassenen Chirurgen. Die nächstgelegene Praxis – diejenige der Kläger – sei ca 15 km entfernt. Winterliche Witterung im Schwarzwald könne deren Erreichbarkeit zusätzlich erschweren. Dem stehe nicht entgegen, daß dem Beigeladenen zu 8) die Belegarzttätigkeit am Krankenhaus in St. gestattet worden sei, weil belegärztliche ambulante Operationen geplant würden und ggf verschoben werden könnten.
Mit ihrer Sprungrevision machen die Kläger geltend, entgegen der Auffassung des SG seien sie zur Anfechtung der dem Beigeladenen zu 8) erteilten Zulassung befugt. Diese beruhe auf Willkür. Offenkundig entscheidungserhebliche Gesichtspunkte seien außer acht gelassen worden. Fragwürdig sei schon, wie überhaupt ein Sonderbedarf für ambulantes Operieren vorliegen könne, obgleich es in dem Planungsbereich eine Überzahl an Chirurgen gebe, deren Tätigkeit ohnehin ambulante Operationen zum Gegenstand habe. Ein besonderer örtlicher Bedarf könne nicht bestehen, denn die chirurgische Versorgung in B. habe der dortige Allgemeinarzt sichergestellt, der über eine abgeschlossene chirurgische Weiterbildung verfüge. Das Argument, sie – die Kläger – könnten B. von St. aus nicht sachgerecht mitversorgen, weil die Entfernung zu groß sei, überzeuge nicht. Denn den in B. tätigen Chirurgen, dem Beigeladenen zu 8) und Dr. B., sei ungeachtet dessen, daß Belegärzte zur Gewährleistung schneller Einsatzfähigkeit eigentlich eine Residenzpflicht hätten, die belegärztliche Tätigkeit im Krankenhaus in St. genehmigt worden. Die Genehmigung dieser Tätigkeit für den Beigeladenen zu 8) erwecke überhaupt Zweifel am Vorliegen eines Sonderbedarfs, weil dieser ihn doch in B. unentbehrlich machen müßte. Ferner fehle ein Abrechnungskatalog, der durch Aufzählung der abrechenbaren Gebührennummern seine Tätigkeit wirksam auf den Bereich des Sonderbedarfs eingrenze.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16. September 1998 und den Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 1998 aufzuheben sowie diesen zu verpflichten, den Zulassungsantrag des Beigeladenen zu 8) abzulehnen.
Der Beklagte und die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht hat das SG die Anfechtungsbefugnis der Kläger zu Recht verneint. Die Sonderbedarfszulassung sei rechtmäßig.
II
Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das SG hat ihre Klage zu Recht abgewiesen.
Ihrem Begehren nach Aufhebung des SG-Urteils und Anerkennung ihrer Anfechtungsbefugnis kann nicht entgegengehalten werden, mit einer Sprungrevision könnten gemäß § 161 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Mängel des Verfahrens nicht gerügt werden. Die Revision gegen ein Urteil, das eine Klage mangels Anfechtungsbefugnis abgewiesen hat, betrifft nicht lediglich „das Verfahren” im Sinne des § 161 Abs 4 SGG, sondern erfordert die inzidente Beurteilung auch materiell-rechtlicher Fragen (allg Meinung, vgl zuletzt BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 40 S 84).
Den Klägern steht jedoch nicht die Befugnis zu, die dem Beigeladenen zu 8) erteilte Zulassung anzufechten (vgl § 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Die Anfechtungsbefugnis Dritter, die nicht Adressaten des Verwaltungsaktes sind, setzt voraus, daß die Rechtsnormen, die dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegen, nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen worden, sondern – zumindest auch – dem Schutz der Interessen einzelner Bürger zu dienen bestimmt sind. Ein Rechtsreflex in dem Sinne, daß sich aus der Wirkung im Interesse der Allgemeinheit zugleich eine Begünstigung auch einzelner Dritter ergibt, reicht nicht aus, um eine Regelung als drittschützend anzusehen (hM, vgl BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 40 S 84 mwN).
In Anwendung dieser Grundsätze hat der erkennende Senat wiederholt entschieden, daß Vertragsärzte grundsätzlich nicht befugt sind, an Krankenhausärzte erteilte Ermächtigungen anzufechten (s zuletzt BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 40). Dies gilt entsprechend für Klagen gegen die Zulassung anderer Ärzte. Ebensowenig wie die Erteilung von Ermächtigungen trifft die Zulassung neuer Ärzte die bereits Zugelassenen in eigenen Rechten. Die Bestimmungen über Zulassungen und Sonderbedarfszulassungen (§§ 95 ff, § 101 Abs 1 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫ iVm Nr 24 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bedarfsplanung zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung – Bedarfsplanungs-RL-Ärzte –) sind gleichfalls nicht dazu bestimmt, den Interessen der bereits zugelassenen Ärzte zu dienen. Sie sind nur im Interesse der Allgemeinheit, nämlich im Interesse der Versicherten an einer möglichst leistungsfähigen und lückenlosen ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, erlassen worden (vgl BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 40 S 84; betr Sonderbedarfszulassungen vgl auch BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 1 S 5/6). Soweit die Regelungen die bereits niedergelassenen Vertragsärzte faktisch dadurch begünstigen, daß diese über die Bestimmungen der Zulassungsbeschränkungen in §§ 99 ff SGB V iVm §§ 12 ff Zulassungsverordnung für Vertragsärzte vor Konkurrenz geschützt werden, handelt es sich lediglich um rechtlich unerhebliche Folgewirkungen (vgl BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 40 S 84 f).
Eine Anfechtungsbefugnis bereits zugelassener Ärzte gegen Ermächtigungen hat die Rechtsprechung allerdings für den Fall von Willkürentscheidungen anerkannt (BSG SozR 3-1500 § 15 Nr 40 S 85, mwN). Dies gründet sich darauf, daß der Wertgehalt des Art 12 Abs 1 Grundgesetz eine Auslegung der Ermächtigungsvorschriften dahin verlangt, daß die Zulassungsgremien auf schwere Beeinträchtigungen der niedergelassenen Vertragsärzte Rücksicht zu nehmen haben. Diese Rechtsprechung ist trotz der zwischen Ermächtigung und Sonderzulassung bestehenden Unterschiede – im Hinblick darauf, daß auch diese eine verbliebene Versorgungslücke voraussetzt und damit ein Nachrang gegenüber sonstigen Zulassungen besteht – auf die Sonderzulassung zu übertragen; auch insoweit ist eine Anfechtungsbefugnis gegen Willkürentscheidungen anzuerkennen. Dennoch kann im hier vorliegenden Fall eine Anfechtungsbefugnis der Kläger nicht bejaht werden. Denn weder aus dem Verfahrensablauf noch aus dem Entscheidungsinhalt ergibt sich, daß die Zulassung des Beigeladenen zu 8) willkürlich erfolgte.
Bei der Prüfung der Entscheidung auf Willkürlichkeit ist zu berücksichtigen, daß die Zulassungsgremien bei der Bewertung, ob ein besonderer Versorgungsbedarf besteht, einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum haben (vgl BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 1 S 4 f). Im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung können sie eine Vielfalt von Faktoren berücksichtigen. Auch Gesichtspunkte der räumlichen Verteilung der Nachfrage, also die Situation unterversorgter Gebiete und Verkehrsverbindungen, dürfen einbezogen werden (vgl BSG aaO S 4). Der Erreichbarkeit besonderes Gewicht beizumessen, ist gerade im Bereich ambulanter Operationen nicht sachwidrig, weil insoweit – zB nach Unfällen – eine ortsnahe (und damit umgehende) Versorgung besonders wichtig sein kann.
Nach diesen Vorgaben kann es nicht als willkürlich beanstandet werden, daß die Anerkennung des Sonderbedarfs iS der Nr 24 Buchst d Bedarfsplanungs-RL-Ärzte vor allem auf die örtlichen Verhältnisse im Planungsbereich W. im Grenzbereich zum Landkreis B. -Hochschwarzwald gestützt ist. Diese bestehen – wie im SG-Urteil klargestellt worden ist – darin, daß die Stadt B., in der der Beigeladene zu 8) zugelassen wurde, im nordwestlichen Randbereich des Planungsbereichs W. liegt, die nächste Praxis eines zugelassenen Chirurgen – die des Klägers zu 1) in St. – ca 15 km entfernt ist und weitere chirurgische Praxen noch entfernter liegen. Diese Entfernungen könnten gerade im Schwarzwald, zumal bei winterlicher Witterung, schwer überbrückbar sein. Der Beklagte mußte auch nicht etwa den in B. tätigen Dr. B. wie einen Chirurgen bewerten, weil er chirurgisch qualifiziert ist. Dieser ist als Allgemeinarzt zugelassen, und hierauf ist bei der Würdigung der vertragsärztlichen Versorgungslage abzustellen, weil andernfalls Bedarfsplanung und Zulassungssteuerung nicht greifen könnten.
Auch andere Gesichtspunkte vermögen nicht den Vorwurf der Willkür zu rechtfertigen. Dies gilt insbesondere für das Argument der Kläger, die Qualifizierung der Entfernung zwischen B. und St. als beschwerlich sei unvereinbar damit, daß dem Beigeladenen zu 8) eine belegärztliche Tätigkeit in St. genehmigt worden sei. Aus dem Erfordernis, daß Belegarzttätigkeiten eine schnelle Einsatzfähigkeit und deshalb eine nur geringe Entfernung zwischen dem Krankenhaus und dem Wohnort bzw der Praxis erfordern (vgl § 39 Abs 4 Nr 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte), könnten sich zwar möglicherweise Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der belegärztlichen Genehmigungen für die in B. niedergelassenen Ärzte ergeben. Daraus folgt aber nicht, daß die Annahme eines Sonderbedarfs in B. – trotz des in St. zugelassenen Klägers zu 1) – als willkürlich anzusehen wäre. Die mit der belegärztlichen Genehmigung verbundene Entscheidung, dem Beigeladenen zu 8) die zeitweise Abwesenheit von B. trotz des hier festgestellten Sonderbedarfs zu gestatten, kann gleichermaßen allenfalls die Rechtswidrigkeit der Belegarztgenehmigung, nicht aber die der Sonderbedarfszulassung begründen. Der Beklagte mußte auch nicht dem Angebot des Klägers zu 1), eine auswärtige Sprechstunde in B. einzurichten, den Vorzug gegenüber der Sonderbedarfszulassung einräumen. Ebensowenig greift der Vorhalt, durch das Fehlen der Beifügung eines Katalogs der abrechenbaren Gebührennummern ergebe sich faktisch eine unbegrenzte Zulassung. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Beigeladene zu 8) schon deshalb, weil er die Zulassung nur wegen Sonderbedarfs iS der Nr 24 Buchst d Bedarfsplanungs-RL-Ärzte und mit der auf fünf Jahre bemessenen Beschränkung auf Leistungen des ambulanten Operierens erhalten hat, auch lediglich diese abrechnen darf.
Mangels Vorliegen einer Willkürentscheidung kommt eine Anfechtungsbefugnis der Kläger daher nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Der Senat hat davon abgehen, den Klägern die Kosten des Revisionsverfahrens auch hinsichtlich des Beigeladenen zu 8) aufzuerlegen, weil dieser sich an diesem Verfahren nicht aktiv beteiligt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 651712 |
DStR 2001, 1044 |
NJW 2001, 1814 |
ArztR 2001, 51 |