Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.04.1990) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. April 1990 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Beginn einer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 7 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).
Der Kläger ist Rechtsanwalt und als Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt. Im Dezember 1984 beantragte er die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 7 Abs 2 AVG. Anlaß war die Verabschiedung des Landesgesetzes über das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg (RAVG) vom 10. Dezember 1984 (GBl 671). Es trat am 1. Januar 1985 in Kraft und führte auch beim Kläger zur Pflichtmitgliedschaft vom 1. Januar 1985 an. Die Satzung des Versorgungswerks trat am 15. Mai 1985 in Kraft. Nach ihr wurden Beiträge erst vom 1. Juni 1985 an erhoben. Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte entsprach mit Bescheid vom 20. September 1985 dem Befreiungsantrag des Klägers vom 1. Juni 1985 an. Der Widerspruch, mit dem er die Befreiung schon vom Jahresbeginn 1985 an begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. April 1986).
Auch Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Freiburg vom 18. Februar 1987 und Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Baden-Württemberg vom 28. August 1987). Auf die Revision des Klägers hat der erkennende Senat durch Urteil vom 25. Oktober 1988 (SozR 2400 § 7 Nr 6) die Entscheidung des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das LSG hat nach Anfragen beim Versorgungswerk durch Urteil vom 20. April 1990 die Berufung des Klägers erneut zurückgewiesen. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) komme es nur noch darauf an, ob die Satzung des Versorgungswerks für die Mitglieder die Entrichtung einkommensbezogener Beiträge vorsehe und ob die Zeit von Januar bis Mai 1985 nach der Satzung als leistungssteigernde Versicherungszeit anzurechnen sei. Die erste Frage sei zu bejahen. In der zweiten Frage mache es rechnerisch für die Leistungshöhe keinen Unterschied, ob die beitragsfreie Zeit mit „Null” angerechnet werde oder unberücksichtigt bleibe. Die vom Versorgungswerk vorgesehene Handhabung, die fünf Monate nicht zu berücksichtigen, sei daher nicht zweifelsfrei unrichtig. Im übrigen seien für eine Entscheidung hierüber die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig. Diese habe der Kläger nicht angerufen. Die derzeitige Rechtslage sei dadurch gekennzeichnet, daß das Versorgungswerk die leistungssteigernde Berücksichtigung ablehne. Da auch das LSG keine Entscheidung der Verwaltungsgerichte herbeiführen könne, habe die Feststellung, daß sich die fünf Monate im Versicherungsfall leistungssteigernd auswirkten, nicht getroffen werden können. Das gehe zu Lasten des Klägers.
Der Kläger hat die vom LSG wiederum zugelassene Revision eingelegt und unter Wiederholung seiner Ausführungen im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren im wesentlichen vorgetragen: § 7 Abs 2 und Abs 3 AVG rechtfertigten in analoger Anwendung sein Begehren. Der Ansicht des Versorgungswerks zur leistungssteigernden Anrechnung beitragsfreier Zeiten iS des § 22 Abs 3 der Satzung sei nicht zu folgen. Dessen Ankündigung, in den Fällen der Nr 1 (des § 22 Abs 3) einerseits und in denen der Nrn 2 und 3 andererseits unterschiedlich verfahren zu wollen, müsse eigentlich mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Dieses halte er aber derzeit nicht für möglich. Im übrigen komme es für die Antwort auf die Frage, ob die beitragsfreie Zeit leistungssteigernd anzurechnen sei, auf den Inhalt der Satzung und nicht auf die Ausführungen des Versorgungswerks an.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 20. April 1990, das Urteil des SG vom 18. Februar 1987 und den Bescheid der Beklagten vom 20. September 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn ab 1. Januar 1985 zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das LSG sei an das zurückverweisende Urteil des BSG gebunden gewesen, wonach nur noch die einkommensbezogene Beitragsentrichtung und die leistungssteigernde Anrechnung der beitragslosen Zeit zu klären gewesen sei. Die Frage der analogen Anwendung des § 7 Abs 2 und Abs 3 AVG habe sich daher für das Berufungsgericht nicht mehr gestellt. Soweit der Kläger seine Ansicht auf eine fehlerhafte Auslegung der Satzung stütze, rüge er die Verletzung irrevisiblen Rechts. Insofern sei das BSG an die Feststellungen im angefochtenen Urteil gebunden, nach denen sich die fünf Monate nicht leistungssteigernd auswirkten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das LSG begründet. Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob die Ablehnung der Befreiung für die Zeit von Januar bis Mai 1985 rechtmäßig ist.
Der erkennende Senat hat sich in seinem ersten in dieser Sache ergangenen Urteil vom 25. Oktober 1988 (SozR 2400 § 7 Nr 6) allgemein zur Gleichwertigkeit des Versicherungsschutzes eines berufsständischen Versorgungswerks (§ 7 Abs 2 AVG) mit dem der gesetzlichen Rentenversicherung geäußert. Er hat dabei des Näheren zur Behandlung von Zeiten Stellung genommen, während denen in dem berufsständischen Versorgungswerk zwar eine Mitgliedschaft besteht, Beiträge jedoch nicht zu zahlen sind, wie dieses hier in den ersten Monaten nach der Errichtung des Versorgungswerks für Rechtsanwälte in Baden-Württemberg der Fall war. Sodann hat er dem LSG aufgegeben zu klären, ob die Satzung des Versorgungswerkes für seine Mitglieder grundsätzlich einkommensbezogene Beiträge iS des § 7 Abs 2 AVG vorsehe und, wenn dies zu bejahen ist, ob die fragliche beitragslose Zeit (1. Januar bis 31. Mai 1985) dem Kläger bei Eintritt eines Versicherungsfalls als leistungssteigernde Versicherungszeit anzurechnen sei. Sei auch dies der Fall, müsse die Beklagte ihn bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1985 von der Versicherungspflicht befreien. Abschließend ist ausgeführt, es sei nicht zu beanstanden, daß das LSG hier eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs 3 AVG abgelehnt habe. Dem Kläger sei auch insofern nicht zu folgen, als er meine, § 7 Abs 2 AVG setze voraus, daß die Beiträge an das Versorgungswerk von einem Arbeitgeber „für” einen Angestellten gezahlt würden; sie könnten vielmehr, wie bei Versicherungen nach dem AVG, ganz oder teilweise von den Mitgliedern selbst entrichtet werden.
Von dieser rechtlichen Beurteilung ist das LSG bei seiner zweiten Entscheidung ausgegangen, weil es nach § 170 Abs 5 SGG an sie gebunden war. Auch der erkennende Senat selbst ist nach dem Grundsatz der Selbstbindung des Revisionsgerichts an seine früheren Rechtsausführungen gebunden (dazu und zu möglichen, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen von der Selbstbindung vgl das Urteil des Senats vom 25. Oktober 1990 in SozR 3 – 1500 § 170 Nr 1).
Hiernach ist ein erneutes Eingehen auf die Ausführungen des Klägers zur analogen Anwendung des § 7 Abs 2 und Abs 3 AVG ausgeschlossen. Denn es war nach dem zurückverweisenden Urteil nur noch zu klären, ob die Satzung des Versorgungswerks für seine Mitglieder grundsätzlich einkommensbezogene Beiträge iS des § 7 Abs 2 AVG vorsah und, wenn dies zu bejahen war, die fragliche beitragslose Zeit (1. Januar bis 31. Mai 1985) dem Kläger bei Eintritt eines Versicherungsfalls als leistungssteigernde Versicherungszeit anzurechnen ist. Insofern beruhte die Zurückverweisung darauf, daß sich die Beantwortung der Fragen nach nicht revisiblem Recht (vgl § 162 SGG) richtete. Das LSG hat die erste Frage (grundsätzlich einkommensbezogene Beiträge des Versorgungswerks) in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht. Demgegenüber vermag der Senat die Entscheidung in der zweiten Frage (keine leistungssteigernde Anrechnung der beitragslosen Zeit) noch nicht zu bestätigen. Denn es ist nicht auszuschließen, daß das LSG bei ihrer Beantwortung die Bindung an das zurückverweisende Urteil teilweise verlassen und damit Bundesrecht (§ 170 Abs 5 SGG) verletzt hat.
Nach der zurückverweisenden Entscheidung war auch die Frage, ob die Zeit von Januar bis Mai 1985 leistungssteigernd anzurechnen ist, nach der Satzung des Versorgungswerks zu beurteilen. So hat das LSG die zurückverweisende Entscheidung nach dem Beginn der Entscheidungsgründe seines nunmehr angefochtenen Urteils auch verstanden (Seite 6 Mitte). Es hat dieses auch zunächst eigenständig geprüft und verneint (Seite 7). Sodann hat es seine Entscheidung jedoch mitentscheidend darauf gestützt, daß das Versorgungswerk eine leistungssteigernde Anrechnung derzeit ablehne und diese Auffassung weder zumutbar durch den Kläger noch durch das LSG selbst einer gerichtlichen Überprüfung durch die dafür zuständigen allgemeinen Verwaltungsgerichte zugeführt werden könne; bei dieser Sach- und Rechtslage könne die entscheidende Feststellung, daß sich die streitbefangene Zeit im Versicherungsfall leistungssteigernd auswirken werde, nicht getroffen werden (Seite 8). Hiergegen wendet der Kläger mit Recht ein, daß die Frage nach der zurückverweisenden Entscheidung als Rechtsfrage zum irrevisiblen Recht allein anhand der Satzung zu beantworten war und die Lösung nicht von der Tatfrage abhing, ob das Versorgungswerk die fünf Monate leistungssteigernd anrechnen will oder nicht.
Im vorliegenden Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem beklagten Rentenversicherungsträger um den Beginn der Befreiung stellt sich die Frage nach der leistungssteigernden Anrechenbarkeit der fünf Monate als rechtliche Vorfrage. Sie zwischen dem Kläger und dem Versorgungswerk – gegebenenfalls im Rechtsweg vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten – klären zu lassen und den vorliegenden Rechtsstreit auszusetzen (§ 114 Abs 2 SGG), hat das LSG in Ausübung seines ihm hierbei zustehenden Ermessens anscheinend nicht für zweckmäßig erachtet. Dieses ist nicht zu beanstanden, zumal auch der Kläger eine förmliche Entscheidung des Versorgungswerks mit anschließender Überprüfung durch die allgemeinen Verwaltungsgerichte derzeit nicht glaubt herbeiführen zu können. Dann war jedoch die Entscheidung der rechtlichen Vorfrage durch das LSG selbst geboten. Daran änderte nichts, daß für die Entscheidung über sie, würde sie sich zwischen dem Kläger und dem Versorgungswerk als Hauptfrage stellen, die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig wären (vgl Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 3. Aufl 1987, § 51 RdNr 39 und § 114 RdNr 5). Daß die Vorfrage dabei in dem hier vorliegenden Rechtsstreit uU anders beantwortet werden könnte als in einem möglichen späteren Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem Versorgungswerk durch die Verwaltungsgerichte, muß dabei hingenommen werden.
Hiernach wird das LSG die Frage der leistungssteigernden Anrechenbarkeit nach der Satzung des Versorgungswerks aufgrund eigener Prüfung entscheiden müssen. Dabei darf es der Ansicht des Versorgungswerks keine einer Tatbestandswirkung gleichkommende Bedeutung beimessen, was nicht ausschließt, sie bei der eigenen Entscheidungsfindung mit in Erwägung zu ziehen. Soweit der Kläger eine etwaige Ungleichbehandlung in der Bewertung der beitragslosen Zeiten nach § 22 Abs 3 Nr 1 im Vergleich zu den nach § 22 Abs 3 Nrn 2 und 3 der Satzung beanstandet und damit die Verletzung revisiblen Rechts (Art 3 Abs 1 GG) rügt, könnte von Bedeutung sein, daß es sich bei den Zeiten nach den Nrn 2 und 3 möglicherweise um solche handelt, die Zurechnungszeiten in der Rentenversicherung ähnlich sind. Demgegenüber scheint die hier vorliegende Zeit nach Nr 1 lediglich deswegen beitragsfrei geblieben zu sein, weil das Versorgungswerk eine rückwirkende Beitragserhebung für die ersten Monate des Jahres 1985 vermeiden wollte, nachdem seine Satzung erst Mitte Mai 1985 in Kraft getreten war.
Das LSG wird bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Erstattung außergerichtlicher Kosten – einschließlich der beiden Revisionsverfahren – zu entscheiden haben.
Fundstellen