Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.07.1990) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Juli 1990 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen ein Zinsbegehren des Beklagten. Der Beklagte hatte mit bindendem Bescheid vom 26. März 1987 der Klägerin rückwirkend einkommensabhängige Leistungen entzogen und eine Erstattungsforderung von 7.022,– DM geltend gemacht. In der Anlage zu dem Bescheid wurde die Klägerin darüber belehrt, daß sie den Erstattungsanspruch in einer Summe oder in vier Monatsraten begleichen könne. Sofern dies für sie mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden sei, könne auf Antrag Stundung gewährt werden, jedoch nur gegen Verzinsung der Forderung in Höhe von 2 vH über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank. Im April 1987 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf ihre finanzielle Lage die Stundung. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Juni 1988 gab der Beklagte dem Antrag mit der Maßgabe statt, daß zur Tilgung des Erstattungsanspruchs von den laufenden Versorgungsbezügen und Sozialversicherungsrenten monatliche Raten in Höhe der halben Witwenbeihilfe einbehalten würden, wobei der jeweilige Restbetrag mit 4,5 vH ab 1. Mai 1987 zu verzinsen sei. Den Widerspruch der Klägerin, den sie mit der Unzulässigkeit der Zinserhebung begründete, wies der Beklagte zurück. Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 30. März 1990). Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 13. Juli 1990). Das Berufungsgericht hat sich der Auffassung des SG angeschlossen, daß es an einer gesetzlichen Ermächtigung des Beklagten zur Erhebung von Stundungszinsen fehle. Die Vorschrift der Bundeshaushaltsordnung (BHO), auf die sich der Beklagte berufe, gehöre zum Haushaltsrecht, enthalte keine Eingriffsermächtigung und sei allenfalls auf eine vertraglich vereinbarte Stundung anzuwenden. Zugleich hat das LSG den vor Klageerhebung erlassenen Bescheid vom 23. August 1989 aufgehoben, in dem der Beklagte die Zinsen für die Dauer der gewährten Stundung in Höhe von DM 358,10 gegen die Versorgungsbezüge für die Monate Oktober und November 1989 aufrechnete.
Der Beklagte verficht mit seiner vom LSG zugelassenen Revision weiterhin die Auffassung, § 59 BHO wirke – anders als der Haushaltsplan – bezüglich der Stundung und Verzinsung von Erstattungsansprüchen iS von § 50 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) nach außen. Die Versorgungsverwaltung sei dabei nicht auf ein Handeln durch öffentlich-rechtlichen Vertrag beschränkt, sondern könne dies auch durch Verwaltungsakt regeln. Die Verzinsung sei lediglich als zulässige Nebenbestimmung eines begünstigenden Verwaltungsaktes anzusehen.
Der Beklagte beantragt,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) als Vertreter der Beigeladenen stellt keinen Antrag, schließt sich der Revisionsbegründung aber im übrigen an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die angefochtenen Verwaltungsakte, soweit sie die Klägerin mit Stundungszinsen belasten, zu Recht aufgehoben.
Der Senat kann wie in der mit Urteil vom 30. Januar 1991 entschiedenen Sache 9a RV 3/90 (BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 8) offenlassen, ob § 59 BHO der Versorgungsverwaltung eine ausreichende Ermächtigung gibt, eine mit Zinsen verbundene Stundung durch Verwaltungsakt auszusprechen, oder ob die Verzinsung einer gestundeten Forderung nur durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gemäß § 53 Abs 1 SGB X geregelt werden kann. Die angefochtenen Bescheide sind schon deswegen rechtswidrig, weil selbst die Voraussetzungen des § 59 BHO nicht vorliegen und andere Rechtsgrundlagen für eine Verzinsung nicht bestehen.
Die Klägerin schuldete dem Beklagten die Erstattung von Versorgungsleistungen, nachdem die Bewilligungsbescheide als rechtswidrig zurückgenommen waren, nach § 50 Abs 1 SGB X. Mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift, wie sie etwa § 151 Abs 1a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 44a Abs 3 Satz 1 BHO enthält, war die Klägerin nicht verpflichtet, für die Erstattungssumme ab Fälligkeit oder jedenfalls ab Verzug Zinsen zu zahlen. Dies wäre auch nicht der Fall gewesen, wenn die Versorgungsverwaltung den Erstattungsanspruch gemäß § 66 SGB X iVm § 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz und § 319 Abgabenordnung vollstreckt hätte. Als einzige gesetzliche Grundlage, Zinsen zu verlangen, könnte § 59 BHO in Betracht kommen. Nach § 59 Abs 1 Nr 1 Satz 1 BHO darf der zuständige Bundesminister Ansprüche stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Anspruchsgegner verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Er „soll” dies aber nach Satz 2 gegen angemessene Verzinsung tun (dazu Hauck/Haines, SGB X 1/2, K § 50 Rz 18). Die Vorschrift gilt auch für die Versorgungsverwaltungen der Länder bei der Ausführung des BVG auf Kosten des Bundes (§ 4 Abs 2 Nr 1 Satz 1 des Ersten Überleitungsgesetzes vom 27. April 1951 – BGBl I 189 – idF des Vierten Überleitungsgesetzes vom 27. April 1955 – BGBl I 189 -/ Bekanntmachung vom 28. April 1955 – BGBl I 193 –). Diese Anspruchsgrundlage, auf die sich der Beklagte stützt, scheidet hier schon deswegen aus, weil der Beklagte die Erstattungsforderung nicht gestundet hat. Die Fälligkeit der Forderung ist nicht hinausgeschoben worden (vgl zur Stundung BSG SozR 2100 § 76 Nr 1; Palandt/Heinrichs, 50. Aufl 1991, § 271 Anm 4a); es ist vielmehr, wenn auch in Raten, vollstreckt worden. Die Versorgungsverwaltung ist mit der ausgesprochenen „Stundung” der Klägerin nicht in der Weise entgegengekommen, daß sie von einer durchsetzbaren Vollstreckung zeitweilig Abstand genommen und der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt hätte, stattdessen die Schuldsumme erst später und in Raten zu entrichten. Nur bei einer solchen Sachlage könnte von einer Stundung iS des § 59 BHO gesprochen werden, die es rechtfertigt, wegen des aus Härtegesichtspunkten gezeigten besonderen Entgegenkommens der Verwaltung und zum Ausgleich für einen Verzicht auf eine durch die Vollstreckung mögliche frühere Kapitalnutzung Zinsen zu verlangen.
Die Versorgungsverwaltung hat hier zwar nicht den Weg der Zwangsvollstreckung nach Maßgabe des § 66 SGB X gewählt, sondern hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich im Wege der Aufrechnung (§ 51 SGB I) bzw der Verrechnung (§ 52 SGB I) wegen ihres Erstattungsanspruchs zu befriedigen. Dies ist aber die regelmäßige Durchsetzungsform bei Erstattungsansprüchen, wenn ihnen Ansprüche auf laufende Geldleistungen gegenüberstehen und – wie hier – kein Vermögen für eine sofortige Zwangsvollstreckung nach § 66 SGB X verfügbar ist. Mehr als die Befriedigung ihres Erstattungsanspruchs durch Aufrechnung gegen die laufende Witwenbeihilfe in Höhe des halben Zahlbetrages hätte die Versorgungsverwaltung durch keine sonstige Art der Vollstreckung erreichen können. Soweit in den angefochtenen Bescheiden von einer antragsgemäßen Stundung und einem Absehen von der sofortigen Zwangsvollstreckung die Rede ist, wird dies der vollstrekungsrechtlichen Lage nicht gerecht. Durch die Aufrechnung bzw Verrechnung des Erstattungsanspruchs gegen die laufenden Renten ist der Klägerin – entgegen dem durch die angefochtenen Bescheide erweckten Anschein – keine günstigere Rechtsstellung eingeräumt worden, als sie sie ohnehin innehatte. Zutreffend nimmt deshalb auch der BMA in den Rundschreiben vom 15. Mai 1984 und 27. Juli 1988 – VIa 4-54069-2 –, sofern die Verwaltung nach den §§ 51 und 54 Abs 2 und 3 SGB I vorgeht, Erstattungsansprüche von der Verzinsung aus.
Auch auf § 32 Abs 2 Nr 4 SGB X läßt sich die Zinsforderung nicht stützen. Unabhängig davon, ob diese Vorschrift allein überhaupt ermächtigt, einen Verwaltungsakt unter einer Auflage zu erlassen (vgl dazu Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl, 1986, § 36 RdNrn 12 und 13; Stelkens/ Bonk/ Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl 1990, § 36 RdNrn 46, 61, 67; Hauck/ Haines, SGB X, K § 32 RdNr 15), und ob das Verlangen einer Zinszahlung als Auflage im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann, fehlt es hier schon an der Voraussetzung, daß die Klägerin durch die ratenweise erfolgte Verrechnung „begünstigt” worden ist.
Schließlich können von der Klägerin auch nicht deshalb Zinsen verlangt werden, weil sie auf das Belehrungsschreiben der Versorgungsverwaltung, der Erstattungsanspruch könne gegen Zinszahlung gestundet werden, die Stundung beantragt und sich dabei in schlüssiger Weise mit der Zinszahlung einverstanden erklärt hat. Abgesehen davon, daß der Antrag der Klägerin schon deshalb unbeachtlich sein könnte, weil er hinsichtlich der Pflicht zur Verzinsung aufgrund der Hinweise der Verwaltung von Irrtum beeinflußt war (vgl dazu das bereits erwähnte Urteil des Senats vom 30. Januar 1991), wäre der Antrag allein keine hinreichende Rechtsgrundlage, um für die Stundung Zinsen zu verlangen. Sofern die Stundung wie hier durch Verwaltungsakt gewährt wird, wäre der Antrag zwar als Voraussetzung eines sog mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsaktes (früher: Verwaltungsakt auf Unterwerfung) notwendig, aber allein nicht ausreichend. Über das im Antrag zum Ausdruck kommende Einverständnis des Betroffenen hinaus bedarf es auch für einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt einer besonderen Ermächtigungsgrundlage (vgl Kirchhof, DVBl 1985, 651, 654; Renck, Jus 1971, 77, 80), die hier nicht vorhanden ist.
Weil die Klägerin durch die ausgesprochene „Stundung” nicht begünstigt, durch die auferlegte Zinspflicht aber zu Unrecht belastet worden ist, haben sich die Vorinstanzen zu Recht darauf beschränkt, allein den die Klägerin belastenden Teil der Verwaltungsakte aufzuheben (vgl Stadie, Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen eines begünstigenden Verwaltungsaktes, DVBl 1991, 613, 615). Das LSG hat im übrigen den nach Erlaß des Widerspruchsbescheides, aber vor Klageerhebung erlassenen Verwaltungsakt, mit dem die Zinsen festgesetzt worden sind, zutreffend in das Verfahren einbezogen und ebenfalls aufgehoben (vgl BSG SozR 4100 § 186a Nr 4; SozR 1500 § 86 Nr 1; BSGE 27, 146).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen