Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 09.01.1990; Aktenzeichen L 4 V 29/89)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Januar 1990 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin wendet sich gegen ein Zinsbegehren des Beklagten. Die ihr gegenüber 1983 bis 1985 erlassenen Anpassungsbescheide über Ausgleichsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nahm das Versorgungsamt unter Anrechnung von freiem Wohnrecht als Einkommen rückwirkend ab 1. Februar 1982 zurück; es forderte die Erstattung der überzahlten Beträge in Höhe von 4.802,– DM (Bescheid vom 2. Juni 1987; der Widerspruch wurde zurückgenommen). Auf Antrag der Klägerin stundete das Versorgungsamt die Schuld in der Weise, daß ab 1. Oktober 1987 monatlich 231,– DM von den laufenden Versorgungsbezügen einzubehalten sind und für die Dauer der Stundung die verbleibende Restforderung mit 5 vH zu verzinsen ist (Bescheid vom 29. September 1987). Der gegen den Zinsanspruch erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 16. März 1988). Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Verwaltungsakte bezüglich der Forderung von Stundungszinsen aufgehoben (Urteil vom 15. November 1988). Der Beklagte hat mit Bescheid vom 6. Dezember 1988 vor seiner Berufung die Restforderung auf 166,91 DM festgesetzt, die von den Versorgungsbezügen für Januar 1989 einbehalten würden, nachdem die vom 1. Oktober 1987 bis 30. November 1988 geleisteten Zahlungen mit 166,91 DM auf die Zinsen und 4.618,09 DM auf die Hauptforderung angerechnet worden seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und den Bescheid vom 6. Dezember 1988 aufgehoben (Urteil vom 9. Januar 1990). Für die die Klägerin belastende Forderung nach Zinsen fehlt nach der Rechtsauffassung des LSG die notwendige gesetzliche Ermächtigung. Sie sei für den Erstattungsanspruch aus § 50 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren -SGB X- weder in § 42 Abs 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil -SGB I- noch in § 76 Abs 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch -SGB IV- enthalten noch mangels einer entsprechenden Verweisung des § 45 SGB X (entsprechend § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz) in § 819 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). § 59 Abs 1 Satz 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO), worauf die angefochtenen Verwaltungsakte gestützt seien, wende sich allein an die Verwaltung, die an das Haushaltsrecht gebunden werden solle, enthalte aber keine Eingriffsermächtigung und sei allenfalls auf eine durch Vereinbarung zustandegekommene Stundung im Außenverhältnis anzuwenden.

Der Beklagte verweist zur Begründung seiner – vom LSG zugelassenen – Revision auf die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vertretene Auffassung, § 59 BHO wirke – anders als der Haushaltsplan – bezüglich der Verzinsungsregelung ebenso wie bezüglich der Stundung in Fällen des § 50 SGB X nach außen.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist auf das Fehlen einer Verzinsungsvorschrift in § 47 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) aF und auf den Fortfall der im ersten Referentenentwurf zum SGB X enthaltenen Verzinsungspflicht, die nicht in § 50 SGB X übernommen worden sei.

Der BMA als Vertreter der Beigeladenen schließt sich der Revisionsbegründung an. Er ordnet die Zinsforderung als eine Nebenbestimmung des Verwaltungsaktes über die Stundung ein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die angefochtenen Verwaltungsakte, soweit sie die Klägerin mit Stundungszinsen belasten, zutreffend aufgehoben.

Es kann unentschieden bleiben, ob diese Verwaltungsakte schon deshalb aufzuheben sind, weil für Stundung und Verzinsung von Erstattungsforderungen nach § 50 SGB X vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) eine Ermächtigungsgrundlage fehlt und § 59 Abs 1 Nr 1 BHO vom 19. August 1969 (BGBl I 1284)/14. Juli 1980 (BGBl I 955) nur den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags nach § 53 SGB X zuläßt. Denn auch wenn man die Gewährung der Stundung und die Erhebung von Zinsen durch Verwaltungsakt auf Grund des Haushaltsrechts für zulässig hält, so fehlt es an der wirksamen Zustimmung der Klägerin zu dieser Regelung.

Die Klägerin schuldete dem Beklagten die Erstattung von Versorgungsleistungen, nachdem die Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X als rechtwidrig zurückgenommen worden waren, nach § 50 Abs 1 SGB X. Der Beklagte durfte diese Forderung gemäß § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BHO grundsätzlich stunden. Er „soll” dies aber nach Satz 2 gegen angemessene Verzinsung tun (dazu Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch X 1, 2, Verwaltungsverfahren und Schutz der Sozialdaten, K § 50 Rz 18).

§ 59 BHO gilt auch für die Versorgungsverwaltungen der Länder bei der Ausführung des BVG auf Kosten des Bundes (Art 104a Abs 1 bis 3 Satz 1, Art 120 Grundgesetz -GG-; § 4 Abs 2 Nr 1 Satz 1 des Ersten Überleitungsgesetzes vom 27. April 1951 – BGBl I 189 – idF des Vierten Überleitungsgesetzes vom 27. April 1955 – BGBl I 189 -/Bekanntmachung vom 28. April 1955 – BGBl I 193 –). Allerdings gehört diese Vorschrift zum Haushaltsrecht, das für die Rechtsbeziehungen zwischen Bürgern und öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern (§ 12 Satz 1 SGB I vom 11. Dezember 1975 – BGBl I 3015 –) grundsätzlich ohne Bedeutung ist. Haushaltsrechtliche Vorschriften begründen allgemein keine Rechte Dritter im Außenverhältnis (§ 3 Abs 2 BHO; BVerfGE 38, 121, 125 f zum Haushaltsplan und -gesetz; BVerwGE 48, 133, 137; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht III, 4. Aufl 1978, S 162 Rz 8). Aber einzelne haushaltsrechtliche Bestimmungen können eine mittelbare Auswirkung für betroffene Bürger entfalten, und zwar durch die Bindung der Verwaltung an die sie betreffenden Gesetze (Art 20 Abs 3 GG; Morell, Der Bundeshaushalt, 1983, Einleitung zu BHO S 138; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Band II, Stand: 1983, § 44a Erl 2). Der 12. und der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) haben eine unmittelbare Geltung der dem § 50 BHO entsprechenden haushaltsrechtlichen Vorschrift des § 76 SGB IV vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) im Falle von Beitragsforderungen und auf den Versicherungsträger übergegangenen Schadensersatzansprüchen angenommen (BSG SozR 2100 § 76 Nr 1; BSGE 65, 133, 137 f = SozR 2100 § 76 Nr 2). Ob dies auch im Falle von Leistungsansprüchen nach § 50 SGB X galt, ist zweifelhaft.

Wenn eine Verwaltung von ihrer haushaltsrechtlichen Verpflichtung, alle gesetzlichen Einnahmen vollständig und unverzüglich zu erheben (§ 34 Abs 1 BHO), abweichen und eine Forderung stunden, dh ihre Fälligkeit hinausschieben darf (BSG SozR 2100 § 76 Nr 1), dies aber nach Haushaltsrecht durch eine Zinsforderung einschränken soll, und zwar als Ausgleich für das Verschieben der Durchsetzung (BSG SozR 1200 § 44 Nr 13), könnte allerdings, wie wohl der 12. und der 2. Senat annehmen, der leistungpflichtige Bürger berechtigt sein, eine fehlerfreie Ausübung des Handlungsermessens zu verlangen. Das wäre ausgeschlossen, wenn die Stundung – mit Verzinsung – durch einen Vertrag zu vereinbaren und nicht einseitig durch einen Verwaltungsakt zu gewähren wäre.

Eine unmittelbare Außenwirkung des § 59 Abs 1 BHO für das Rechtsverhältnis zwischen Bürger und Leistungsträger, nach dem rechtswidrige Leistungsbescheide zurückzunehmen und die infolge einer Rücknahme rechtsgrundlosen Leistungen zu erstatten sind, könnte hingegen nach dem Willen des Gesetzgebers ausgeschlossen sein (vgl dazu Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der BHO – BT-Drucks 8/3785 Anl 2 unter Hinweis auf einen Bundestagsbeschluß –). Wohl war die Stundung in der Vorschrift des § 47 Abs 7 Buchstabe b KOVVfG vom 2. Mai 1955/6. Mai 1976 (BGBl I 1169) über die Erstattung unrechtmäßig empfangener Versorgungsleistungen enthalten und im zweiten Referentenentwurf von 1977 zum SGB X als Ergänzung des § 50 SGB X vorgesehen und ist für die Erstattung von Vorschüssen (§ 42 Abs 1 und 2 SGB I) in § 42 Abs 3 Nr 1 SGB I geregelt. Aber eine derartige Vorschrift wurde in die endgültige Fassung des § 50 SGB X nicht übernommen (vgl zur anderweitigen Ergänzung des § 50 SGB X: BSG SozR 1300 Art 2 § 40 Nr 8; 1500 § 97 Nr 7). Das Erstattungsrecht muß auch nicht deshalb zwingend die Stundungsmöglichkeit enthalten, weil sie für selbständige einseitige Forderungen der öffentlichen Hand gegen Bürger mehrfach geregelt ist (zB § 234 Abs 1 und 2 Abgabenordnung 1977, § 135 Abs 3 Satz 3 Bundesbaugesetz).

Der Senat braucht über diese Rechtsfragen nicht abschließend zu entscheiden. Jedenfalls durfte in diesem Fall die Verwaltung die Stundung nicht gegen eine Verzinsung gewähren; denn dafür fehlte die notwendige Zustimmung der Klägerin, die für jede der zuvor erörterten Rechtskonstruktionen erforderlich war.

Falls die Stundung eines Erstattungsanspruches gegen Verzinsung durch einen Vertrag (§ 53 Abs 1 SGB X) mit der haushaltsrechtlichen Ermächtigung zu vereinbaren ist, ist die Notwendigkeit der Zustimmung des verpflichteten Bürgers selbstverständlich. Im Falle der Regelung durch Verwaltungsakt hängt die Stundung von seinem Antrag ab, der die Verzinsung einschließen muß. Wenn dann die Verwaltung die Stundung gegen Verzinsung einseitig durch einen Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) ausspricht, ist dieser Akt in der Weise mitwirkungsbedürftig, daß er allein mit der Zustimmung des Betroffenen zur Verzinsungspflicht rechtmäßig zustande kommt (zum Verwaltungsakt auf Zustimmung: zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des BSG vom 28. März 1990 – 9b/11 RAr 91/88 –). Diese umfassende Zustimmung ist auch deshalb erforderlich, weil eine Vollstreckung eines Erstattungsbescheides ohne zusätzliche Verzinsungspflicht des Schuldners, eng begrenzt ist (§§ 51, 52 SGB I, § 66 SGB X, § 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz, § 319 Abgabenordnung).

In diesem Fall hatte die Klägerin bei ihrem Stundungsantrag nicht in der erforderlichen Weise der Verzinsung zugestimmt. Zugleich mit der schriftlichen Aufforderung vom 2. Juni 1987, 4.802,– DM bis zum 3. Juli 1987 zu zahlen, wurde ihr anheimgestellt, eine Stundung, unter Umständen durch Teilzahlung, zu beantragen, und sie wurde darüber belehrt, daß diese nur mit einer Verzinsung zu 5 % für die Dauer der Stundung gewährt werden könne. Die Klägerin beantragte sodann die Stundung mit monatlicher Anrechnung von 100,– DM in einem Formular; darin erklärte sie jedoch nichts zu einer Verzinsung. Auch in einem Anhörschreiben des Versorgungsamtes vom 1. September 1987 zur vorgesehenen Verrechnung wurde die Verzinsung nicht erwähnt. Die Klägerin konnte für eine eindeutige Willenserklärung nicht genau wissen, auf welche Bedingung sich ihr Antrag und damit ihre Zustimmung, auch als Mitwirkung an einer vertraglichen Einigung, zu erstreken hatte. Auf der Rückseite des Schreibens vom 2. Juni 1987 teilte die Verwaltung die richtige Rechtslage mit, daß nämlich die Stundung, abweichend von der Belehrung auf der Vorderseite, lediglich mit einer Verzinsung verbunden werden „soll”. Die Sollanordnung bezieht sich allein auf den Regelfall (zB BSGE 59, 111, 114 f = SozR 1300 § 48 Nr 19). Die Verwaltung verschwieg auch die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in seinem Rundschreiben vom 27. Juli 1988 (Abschnitt II) im einzelnen festgelegten Ausnahmegründe, von denen wenigstens einer im Fall der Klägerin hätte gegeben sein können. Angesichts dieser widersprüchlichen und unzureichenden Belehrung kann eine wirksame Zustimmung zur einschränkenden Verzinsung nicht angenommen werden. Die bezeichneten Tatsachen aus dem Verwaltungsverfahren, die das LSG nicht im einzelnen nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgestellt hat, konnte das Revisionsgericht wegen der Verweisung auf das Antragsverfahren im Berufungsurteil verwerten.

Falls aber doch die Klägerin der Verzinsung als Voraussetzung der Stundung zugestimmt hätte, enthielte der Widerspruch, mit dem sie sich gegen die Verzinsungspflicht wandte, einen Hinweis auf einen Verfahrensfehler, der sich auf den Inhalt des Verwaltungsakts ausgewirkt hat (§ 41 Satz 1 SGB X). Der Verfahrensfehler liegt darin, daß die Verwaltung die Zustimmung der Klägerin durch Belehrungen, die mit der Rechtslage nicht vereinbar sind, herbeiführte. Die Verwaltung war wegen ihrer Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 Grundgesetz) zu einer richtigen und ausreichenden Beratung verpflichtet (§ 14 SGB Allgemeiner Teil). Sie unterrichtete jedoch die Klägerin, wie dargelegt, irreführend über die Voraussetzung der Stundung und belehrte sie im Formularschreiben vom 2. Juni 1987 rechtswidrig, sie müsse Verzugszinsen von 6,5 vH zahlen, falls sie nicht bis zum festgesetzten Zahltermin ihre Schuld begleiche oder eine Stundung beantrage. Verzugszinsen, die typisch für das bürgerliche Recht sind (§§ 284, 288 BGB), sind aber nach einhelliger Rechtsüberzeugung im Verwaltungsrecht unzulässig, soweit sie nicht ausdrücklich vorgeschrieben sind (BVerwGE 37, 239, 240 f; 80, 334, 335; Alff in: RGR Komm zum BGB, 12. Aufl 1976, § 288 Rz 2: Staudinger/Löwisch, Komm zum BGB, 12. Aufl 1979, Vorbem zu §§ 284 – 292 Rz 16 und 17; Walchshöfer in: Münchener Komm zum BGB, Band 2, 2. Aufl 1985, § 284 Rz 6). Eine solche Vorschrift fehlt für Fälle des § 50 SGB X. Auch wenn die Anfechtungsfrist im öffentlichen Recht kürzer als im bürgerlichen Recht wäre, hätte die Klägerin sie mit dem Widerspruch eingehalten.

Soweit der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid eine Verzinsung festgesetzt hat, ist dieser Verwaltungsakt wegen Fehlens der erforderlichen Zustimmung rechtswidrig und außerdem deshalb, weil er auf der mit der Ermächtigung des § 59 BHO nicht zu vereinbarenden Annahme beruht, daß die Stundung stets von einer Verzinsung abhängig gemacht werden müsse. Diese Voraussetzung ist aber nicht zwingend.

Die Aufhebung der Zinsverpflichtung, die allein Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, hat nicht etwa zwangsläufig zur Folge, daß die isolierte Stundung rechtmäßig wäre. In diesem Fall ist eine Stundung für sich allein dadurch rechtlich bereits gegenstandslos geworden, daß die Verwaltung, wie der nachgeschobene Bescheid ergibt, sich bezüglich des Erstattungsanspruches durch Verrechnen befriedigt hat.

Der Beklagte hat nun etwa durch Verrechnung bereits entrichtete Zinsbeträge an die Klägerin zurückzuzahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175107

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