Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. Juli 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch dessen außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse (KK) im Falle des Klägers den von den Versicherten zu tragenden Teil der berechnungsfähigen Kosten bei der Versorgung mit Zahnersatz zu übernehmen hat.
Der Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er bezieht Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11 ff des Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Gemäß dem Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Dr. P.…, D.…, vom 7./28. Januar 1993 wurde beim Kläger am 2. März 1993 Zahnersatz eingegliedert. Die Beklagte erklärte sich am 11. Januar 1993 bereit, einen Zuschuß in Höhe von 90 % der berechnungsfähigen Kosten einschließlich 13,50 DM für Metallkosten je Krone bzw Brückenglied zu übernehmen. Eine volle Kostenübernahme lehnte sie ab, weil der Kläger mangels eigener Bemühungen zur Gesunderhaltung seiner Zähne die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Bonus nach § 30 Abs 2 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) nicht erfülle (Bescheid vom 11. Januar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 1993).
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten der Versorgung des Klägers mit Zahnersatz voll zu übernehmen. In den Entscheidungsgründen wird ua ausgeführt: Der Anspruch auf Übernahme der vollen berechnungsfähigen Kosten für die Versorgung mit Zahnersatz ergebe sich aus § 61 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 Nr 2 SGB V. Der Kläger erhalte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11 ff BSHG und gehöre damit zum Personenkreis des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V. Zwar erfülle er nicht die Voraussetzungen für die Erhöhung des Zuschusses um 10 Prozentpunkte nach § 30 Abs 2 SGB V. Gleichwohl seien aber die berechnungsfähigen Kosten vollständig nach § 61 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 Nr 2 SGB V zu übernehmen. Dies folge aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem Sinn und Zweck des § 61 SGB V und der Systematik des Gesetzes. Im übrigen führe die Handhabung des Gesetzes durch die Beklagte zu Ergebnissen, die das Gesetz gerade vermeiden wolle. Wenn ein Teil der Eigenbeteiligung auf den Kläger abgewälzt würde, obwohl er zum Personenkreis des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V gehöre, würde die Beklagte ihn unzumutbar iS der genannten Vorschrift belasten. Denn der Kläger könne als Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, der über kein eigenes Einkommen verfüge,
den hier streitigen Betrag von etwa 600,-- DM erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres aufbringen oder ansparen. Aber auch aus anderen Gründen sei die Auffassung der Beklagten nicht zu akzeptieren. Denn wenn der Versicherte die 10 % der berechnungsfähigen Kosten nicht aufbringen könne, verblieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder übernehme der Träger der Sozialhilfe diesen Teil oder der Versicherte verzichte auf den medizinisch notwendigen Zahnersatz. Beide Konsequenzen seien mit der Regelung des § 61 SGB V unvereinbar.
Mit der – vom SG im Urteil zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 61 Abs 1 Nr 2 SGB V und macht ua geltend: Diese Vorschrift sei nicht dahin zu verstehen, daß die KK auch dann den ganzen von den Versicherten zu tragenden Teil der berechnungsfähigen Kosten des Zahnersatzes zu übernehmen habe, wenn der Versicherte die Voraussetzungen für die Zuschußerhöhung gemäß § 30 Abs 2 Satz 1 SGB V nicht erfülle. Welcher Teil der Zahnersatzkosten vom Versicherten selbst zu tragen sei und welcher Teil von der KK übernommen werden müsse, sei nicht in § 61 Abs 1 Nr 2 SGB V geregelt, sondern richte sich nach § 30 SGB V. Hier sei der Leistungsanspruch des Versicherten gegen die KK festgelegt und nach § 30 Abs 1 Satz 1 SGB V auf einen Zuschuß von 50 vH, im Falle der Erfüllung der Voraussetzungen des § 30 Abs 3 Satz 1 SGB V auf einen Zuschuß in Höhe von 60 vH der Zahnersatzkosten beschränkt. § 30 SGB V nehme also die grundsätzliche Kostenverteilung zwischen Versicherten und KK vor. An diese Regelung knüpfe die Härtefallregelung des § 61 SGB V lediglich an, wolle sie aber inhaltlich nicht verändern. Folglich müsse auch im Rahmen des § 61 Abs 1 Nr 2 SGB V berücksichtigt werden, ob der Versicherte einen Anspruch auf einen Zuschuß in Höhe von 50 vH oder einen Anspruch auf einen erhöhten Zuschuß in Höhe von 60 vH der Zahnersatzkosten habe. Die in § 61 Abs 1 Nr 2 SGB V vorausgesetzte Definition des von den Versicherten zu tragenden Teils der Zahnersatzkosten richte sich nach § 30 SGB V. Bei einer anderen Auslegung des Gesetzes würde die Bonusregelung bei härtefallberechtigten Versicherten leerlaufen. Auch soweit das SG darauf abstelle, für die Ungleichbehandlung des Versicherten im Verhältnis zum härtefallberechtigten Versicherten gebe es einen sachlichen Grund, könne dem nicht gefolgt werden. § 30 Abs 2 Satz 1 SGB V fordere für die erhöhte Zuschußpflicht der KKen unterschiedslos von allen Versicherten eigene Bemühungen zur Gesunderhaltung der Zähne. Diese gesetzliche Forderung könne von allen Versicherten – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – erbracht werden. Insoweit sei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit – entgegen der Auffassung des SG – kein sachlicher Grund, um denjenigen Versicherten, der entgegen dem Gebot des § 30 Abs 2 Satz 1 SGB V seine Bemühungen um die Zahngesundheit vernachlässige, besserzustellen als denjenigen, der die Voraussetzungen des § 30 Abs 2 Satz 1 SGB V erfülle. Es dürfe auch nicht – wie dies in dem angefochtenen Urteil geschehen sei – entscheidend darauf abgestellt werden, daß die Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Versicherten ein wesentliches Merkmal des Solidarprinzips sei. Gleichrangig neben dem Solidarprinzip stehe die in § 1 Satz 2 und § 2 Abs 1 Satz 1 SGB V verankerte Eigenverantwortung des Versicherten für seine Gesundheit.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28. Juli 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hebt insbesondere hervor, durch die Regelung des § 61 Abs 1 Nr 2 SGB V komme es zu einer Kollision zwischen dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit und dem Solidarprinzip. Der Gesetzgeber habe sich jedoch insoweit zugunsten des Solidarprinzips entschieden. Dies müsse bei der Anwendung des Gesetzes beachtet werden.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, auch die hier streitigen 10 % der berechnungsfähigen Kosten bei der Versorgung mit Zahnersatz zu übernehmen.
Nach § 61 Abs 1 Nr 2 SGB V hat die KK den von den Versicherten zu tragenden Teil der berechnungsfähigen Kosten bei der Versorgung mit Zahnersatz zu übernehmen, wenn die Versicherten unzumutbar belastet würden. In § 61 Abs 2 SGB V ist eine Reihe von Tatbeständen enthalten, bei deren Vorliegen das Gesetz eine unzumutbare Belastung annimmt (vgl BSG, Urteil vom 3. März 1994 – 1 RK 33/93 – zur Veröffentlichung bestimmt; Höfler in KassKomm, § 61 SGB V RdNr 55).
Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Landessozialgerichts (LSG), an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden ist, bezieht der Kläger laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 11 ff BSHG. Er gehört damit zu dem Personenkreis, dem die gesetzlichen KKen bei der Versorgung mit Zahnersatz keinen Eigenanteil zumuten dürfen (§ 61 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 2 Nr 2 SGB V). Dies gilt auch, wenn der Versicherte sich in der Vergangenheit nicht um die Gesunderhaltung seiner Zähne bemüht hat und damit die Voraussetzungen des § 30 Abs 2 SGB V für die Erhöhung des nach § 30 Abs 1 SGB V vorgesehenen Zuschusses von 50 vH der Kosten der im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung durchgeführten medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz nicht erfüllt.
Für diese Auslegung sprechen der Wortlaut des § 61 SGB V, die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und der Sinn und Zweck der Regelung.
1. Während § 62 SGB V nur eine teilweise Befreiung der Versicherten vom Eigenanteil ermöglicht, spricht der Wortlaut des § 61 SGB V dafür, daß der Versicherte, der der Personengruppe des § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V angehört, von jeglicher Eigenleistung zu befreien ist, so daß auch dann kein Eigenanteil an den berechnungsfähigen Kosten der Versorgung mit Zahnersatz verbleiben darf, wenn der Versicherte sich nicht um die Gesunderhaltung seiner Zähne bemüht hat. Denn wenn der Versicherte nicht die Voraussetzungen für die Erhöhung des 50 %igen Zuschusses erfüllt, dann beträgt der von ihm zu tragende Teil der berechnungsfähigen Kosten bei der Versorgung mit Zahnersatz (vgl § 61 Abs 1 Nr 2 SGB V) nach § 30 Abs 1 SGB V 50 vH und nicht 40 vH (im Ergebnis wie hier Schellhorn in von Maydell, GK – SGB V, § 61 RdNr 21; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung SGB V, Komm, § 61 RdNr 4; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V § 61 RdNr 7; aA Zipperer in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Komm, § 61 SGB V RdNr 5; Ergebnisse der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen am 26./27. Juni 1991 Nr 3, DOK 1991, 618, 620).
2. Auch die Entstehungsgeschichte der §§ 61 und 62 SGB V läßt sich für die Auffassung des erkennenden Senats anführen. Während die Regelungen des § 61 Abs 1 und 2 SGB V unverändert seit dem 1. Januar 1989, also seit Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG), gelten, hat der Gesetzgeber durch Art 1 Nr 20 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGB V vom 20. Dezember 1991 (BGBl I S 2325) in § 62 SGB V einen Abs 2a eingefügt. Nach dessen Satz 2 erhöht sich bei der teilweisen Befreiung von der Zuzahlung der vom Versicherten zu tragende Teil um 10 vH der berechnungsfähigen Kosten, wenn der Gebißzustand des Versicherten regelmäßige Zahnpflege nicht erkennen läßt und der Versicherte die gesetzlich geforderten Zahngesundheitsuntersuchungen nicht hat durchführen lassen (§ 30 Abs 2 SGB V). Hier hat der Gesetzgeber die Eigenverantwortung des Versicherten für den Gebißzustand und eine regelmäßige Zahnprophylaxe berücksichtigt. Zur Begründung wird im Regierungsentwurf (BR-Drucks 539/91, S 11 zu Nr 6 § 62 SGB V) ausgeführt:
“Satz 2 erhöht den Eigenanteil bei den Versicherten, die ihre Zähne nicht regelmäßig pflegen (§ 30 Abs 5 SGB V). Dies stellt sicher, daß im Rahmen der Härtefallregelung die Bonusregelung nicht unterlaufen wird.”
Es hätte nahegelegen, daß im Zusammenhang mit der Einfügung des Abs 2a in § 62 SGB V eine vergleichbare Regelung in § 61 SGB V aufgenommen worden wäre. Das ist jedoch nicht geschehen. Der Senat hält es für ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber die Problematik übersehen haben könnte. Vielmehr muß daraus, daß § 61 Abs 1 und 2 SGB V weder durch das schon erwähnte Gesetz vom 20. Dezember 1991 noch durch spätere Gesetze geändert worden ist, geschlossen werden: Der Gesetzgeber hält es für unzweckmäßig, die Übernahme des von den Versicherten zu tragenden Teils der berechnungsfähigen Kosten bei der Versorgung mit Zahnersatz davon abhängig zu machen, daß der in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V genannte Personenkreis seiner Eigenverantwortung bezüglich einer regelmäßigen Zahnpflege nachgekommen ist.
3. Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung läßt sich schließlich auch auf den – aus dem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien (vgl dazu BT-Drucks 11/2237, S 187 zu § 69) erkennbaren – Sinn und Zweck der Regelung des § 61 SGB V stützen. Dem Gesetzgeber kam es offensichtlich darauf an, in den Fällen, in denen der Versicherte nicht zur Tragung eines Eigenanteils finanziell in der Lage ist, die KKen zur vollständigen Befreiung von Zuzahlungen bzw zur vollständigen Übernahme der berechnungsfähigen Kosten zu verpflichten. Damit sollte eine unzumutbare Belastung der wirtschaftlich Schwachen verhindert werden und die Inanspruchnahme der Leistungen der Krankenkassen soll nicht deshalb unterbleiben, weil der Versicherte einen entsprechenden Eigenanteil nicht finanzieren kann.
Die hier vertretene Auslegung widerspricht – entgegen der Auffassung der Beklagten – auch nicht den Grundprinzipien der Krankenversicherung (vgl dazu § 1 SGB V). Daß der Umfang des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht von der Höhe der Beiträge und damit von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen abhängt (BR-Drucks 200/88, S 146; Schirmer in GK-SGB V § 1 RdNrn 21 – 23), gehört zum Inhalt des Solidarprinzips der gesetzlichen Krankenversicherung. Zwar sind nach § 1 Satz 2 SGB V die Versicherten für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewußte Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Wenn sich der einzelne daran jedoch nicht hält, so bedeutet dies noch nicht, daß er Ansprüche auf Leistungen verliert oder daß bestimmte Ansprüche eingeschränkt werden. Auch die Regelung des § 30 Abs 2 SGB V darf nicht in diesem Sinne verstanden werden. Der Anspruch auf den 50 %igen Zuschuß (§ 30 Abs 1 SGB V) bleibt dem Versicherten bei der Versorgung mit Zahnersatz auch dann erhalten, wenn er sich nicht um eine regelmäßige Zahnpflege bemüht. § 30 Abs 2 SGB V sieht lediglich eine Erhöhung dieses Zuschusses vor, um einen Anreiz zu regelmäßiger Zahnpflege und damit zur Kostenverringerung in diesem Bereich zu bieten (vgl dazu Krauskopf, aaO, § 30 SGB V RdNr 10; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 30 SGB V RdNr 9 unter Hinweis auf den Bericht des 11. BT-Ausschusses, BT-Drucks 11/3480, S 21). Die Regelung entspricht damit dem in der gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls geltenden Prinzip der Subsidiarität. Das Solidarprinzip und das Prinzip der Subsidiarität sind keine Gegensätze. Deshalb kann der Gesetzgeber im Gesundheitswesen auch Regelungen treffen, die die Fähigkeit des Einzelnen zur eigenverantwortlichen Versorgung für seine Gesundheit stärken (vgl dazu BT-Drucks 11/2237, S 146).
Richtig ist allerdings, daß diejenigen Versicherten, die zu den in § 61 Abs 2 SGB V aufgeführten Personengruppen gehören, bei Unterlassen einer regelmäßigen Zahnprophylaxe keine finanziellen Nachteile zu befürchten haben. Die KK muß in jedem Falle bei diesem Personenkreis die gesamten berechnungsfähigen Kosten bei der Versorgung mit Zahnersatz tragen. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn man die Sozialhilfeträger mit den dann von den KKen nicht zu übernehmenden Restkosten belastete oder in Kauf nähme, daß Versicherte, die den Eigenanteil nicht tragen können, von der Inanspruchnahme der Leistungen der KKen – hier: von der Versorgung mit Zahnersatz – abgehalten werden. Eine derartige Konsequenz hat der Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt. Jedenfalls sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß § 61 iVm § 30 SGB V in dem von der Beklagten gewünschten Sinne anzuwenden wäre.
Die Auslegung des § 61 Abs 1 und 2 SGB V verstößt – entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl dazu auch die Ergebnisse der Besprechung der Spitzenverbände der KKen am 26./27. Juni 1991 Nr 3, DOK 1991, 618, 620) – nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Diese Verfassungsnorm gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieser Grundsatz vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 71, 146, 154 f; 75, 382, 393). Zwar führt § 61 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 Nr 2 SGB V dazu, daß Versicherte, die ihre Zähne nicht regelmäßig pflegen, gleichwohl auf Kosten der KK ohne jede Eigenbeteiligung Zahnersatz erhalten, wenn sie Bezieher der in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V genannten Sozialleistungen sind, während andere Versicherte wegen nicht ausreichender Zahnpflege einen höheren Eigenanteil, nämlich von 10 % der berechnungsfähigen Kosten (vgl § 30 Abs 1 und 2 SGB V), tragen müssen. Diese unterschiedliche Behandlung ist indessen gerechtfertigt. Bei den Beziehern der in § 61 Abs 2 Nr 2 SGB V genannten Sozialleistungen handelt es sich um Personen, die normalerweise finanziell nicht in der Lage sind, irgendeinen Eigenanteil zu tragen. Dies gilt auch dann, wenn sie durch eigenes Verschulden die Aufwendungen für ihre Gesundheit erhöht haben. Dagegen können andere Versicherte, weil ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit größer ist, einen Eigenanteil an den berechnungsfähigen Kosten für Zahnersatz übernehmen. Dies ist ein sachlicher Gesichtspunkt für die unterschiedliche Regelung. Im Hinblick auf die weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist die unterschiedliche Behandlung deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen