Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juli 1991 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Revisionsverfahren.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Berufsschadensausgleich (BSchA) des Klägers gekürzt werden darf, nachdem ihm das Kapital aus einer nach dem Vermögensbildungsgesetz geförderten Lebensversicherung ausgezahlt worden ist.
Der Kläger bezieht BSchA nach § 30 Abs 3 des Bundesversorgungsgesetzes. Darauf rechnet die Beklagte seit dem 1. April 1986 monatlich 58,68 DM an. Dieser Betrag hätte sich als monatliche Rentenleistung ergeben, wenn der Kläger das im April 1986 ausgekehrte Kapital von 10.549,16 DM aus einem nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz (3. VermBG vom 27. Juni 1970 ≪BGBl I 930≫) begünstigten Lebensversicherungsvertrag als Einmalbeitrag für eine private Rentenversicherung verwendet hätte.
Nach Auffassung des Beklagten ist diese fiktive monatliche Rente als derzeitiges Bruttoeinkommen bei der Berechnung des BSchA gemäß § 9 Abs 2 Nr 3 der Berufsschadensausgleichs-Verordnung (BSchAV) zu berücksichtigen (Bescheid vom 28. Dezember 1988). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Dezember 1989).
Das Sozialgericht Koblenz hat den Beklagten unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den BSchA ab 1. April 1986 ohne die fiktive Rente neu zu berechnen (Urteil vom 5. Juni 1990). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 23. Juli 1991). Das im April 1986 ausgezahlte Kapital zähle nicht zu den in § 9 Abs 2 Nr 3 BSchAV beschriebenen Einnahmen aus Vermögen, es handele sich vielmehr um das Vermögen selbst. Eine Umrechnung dieses Kapitals in einen monatlichen Rentenbetrag nach § 9 Abs 5 BSchAV sei nicht möglich. Die Vorschrift betreffe nur Fälle, in denen an die Stelle laufender Leistungen eine Kapitalentschädigung trete. Hier habe von vornherein aber nur Anspruch auf das Versicherungskapital bestanden. Ob nach § 9 Abs 2 Nr 3 BSchAV die Zinsen aus diesem Kapital angerechnet werden könnten, brauche nicht entschieden zu werden, weil die Verwaltung hierüber in dem angefochtenen Bescheid keine Regelung getroffen habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, § 9 Abs 5 iVm Abs 2 Nr 3 BSchAV erfasse fiktive Renten, gleichgültig, ob zuvor die Rente aus einer Lebensversicherung kapitalisiert oder ein Rentenwahlrecht nicht ausgeübt worden sei oder nur ein Anspruch auf das Kapital bestanden habe.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juli 1991 und des Sozialgerichts Koblenz vom 5. Juni 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene schließt sich der Auffassung des Beklagten an, stellt aber keinen Antrag.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des beklagten Landes ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die Versorgungsverwaltung nicht befugt war, den BSchA des Klägers zu kürzen. Durch das ihm von dem Lebensversicherungsunternehmen ausgezahlte Kapital hat sich das anrechenbare Einkommen nicht erhöht. Der Kläger muß sich nicht so behandeln lassen, als beziehe er anstelle des Kapitals eine Rente oder für das Kapital angemessene Zinsen.
Die Voraussetzungen des § 9 Abs 5 BSchAV, auf die sich die Versorgungsverwaltung zur Begründung ihrer Ansicht beruft, der BSchA sei um eine Rente zu kürzen, die sich bei Einzahlung des Kapitals als Einmalbetrag zur Bildung einer privaten Rentenversicherung ergibt, liegen nicht vor. Das folgt nicht nur aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, sondern auch aus ihrem erkennbaren Sinn.
Nach § 9 Abs 5 BSchAV werden als Einkommen des Beschädigten laufende Leistungen auch dann angerechnet, wenn er sie tatsächlich nicht erhält, weil ihm an deren Stelle eine Kapitalentschädigung gewährt worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ihm anstelle einer vereinbarten Rente die Kapitalentschädigung auf Antrag oder ohne sein Zutun als Zwangsentschädigung zugeflossen ist (Urteil des Senats vom 24. November 1972 – 9 RV 70/72 – BVBl 1973, 46 f). Durch die Einkommensfiktion verhindert § 9 Abs 5 BSchAV, daß der Beschädigte die Anrechnung in den Abs 1 und 2 genannter laufender Leistungen umgeht, indem er sein Einkommen in nicht anrechenbares Vermögen umwandelt, oder daß er als Folge einer ihm aufgedrängten Kapitalentschädigung besser steht als bei fortdauerndem Bezug des zugrundegelegten Rentenbetrages. Eine solche Umwandlung laufender Leistungen in Kapital hat hier nicht stattgefunden. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf laufende Leistungen aus einer privaten Rentenversicherung, sondern von vornherein nur auf das Kapital aus dem Lebensversicherungsvertrag.
§ 9 Abs 5 BSchAV kann auch nicht entsprechend angewendet werden, weil der Kläger sich bei Abschluß des Lebensversicherungsvertrages für ein Kapital entschieden hat (für Verrentung auch eines Kapitals: Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht, Stand 1.92, § 30 BVG, K 138/1 unter Hinweis auf das Schreiben des BMA vom 6. Mai 1975 – Va 2 – 5211.1 – 651/74), statt für eine Rentenleistung die nach § 9 Abs 2 Nr 3 BSchAV anzurechnen gewesen wäre (Urteil des Senats vom 4. Oktober 1984 – 9a RV 16/83 – VersorgB 1985, 59). Die entsprechende Anwendung setzt voraus, daß das Gesetz zum Ziel hat, nicht nur einkommensmindernde tatsächliche Verfügungen über Ansprüche auf laufende Leistungen zu korrigieren, sondern dem Leistungsempfänger auch die Verpflichtung aufzuerlegen, einkommenserhöhende Anlageformen für seine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zu wählen. Dafür spricht § 9 Abs 7 Satz 2 BSchAV, wonach der Beschädigte so behandelt wird, als habe er eine einkommenserhöhende Verfügung getroffen, wenn er seine Ansprüche auf Leistungen der in den Abs 1 bis 5 genannten Art nicht geltend macht oder gemacht hat. Es kann von einem Beschädigten aber nicht verlangt werden, aus seinen Erwerbseinkünften Vermögen nur in solcher Form zu bilden, daß die später daraus fließenden Einkünfte – wie bei einer privaten Rentenversicherung – das angesparte Kapital aufzehren. Statt eines Hauses oder einer Eigentumswohnung, eines Wertpapierdepots oder eines Sparkontos kann der Beschädigte auch einen Anspruch auf ein Lebensversicherungskapital erwerben. Als Einkünfte aus diesen Anlagen sind dann nach § 9 Abs 3 Nr 2 BSchAV nur Mieteinnahmen, Dividenden, Spar- und sonstige Zinsen anzurechnen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb zum Kapitalvermögen zählende Lebensversicherungssummen einer zur Kapitalaufzehrung führenden Sonderbehandlung unterworfen werden sollen. Für den Fall einer Kapitallebensversicherung mit Rentenwahlrecht haben der 10. und der erkennende Senat des Bundessozialgerichts bereits entschieden, daß von den Begünstigten als Empfängerinnen von Ausgleichsrenten und Schadensausgleich nicht verlangt werden kann, die Rente anstelle des Lebensversicherungskapitals zu wählen (SozR DVO zu § 33 BVG vom 9. November 1967 § 1 Nr 1; Urteil vom 18. Dezember 1973 – 9 RV 573/72 –, FamRZ 1974, 252; KOV 1974, 142). Beide Senate haben übereinstimmend ausgeführt, daß die Berechtigten nicht genötigt werden können, von dem Lebensversicherungsunternehmen eine Leistung zu verlangen, bei der das Kapital aufgezehrt wird. Beide Senate haben allerdings ausgeführt, daß die Zinserträge aus dem Kapital als Bruttoeinkommen zu berücksichtigen sind.
Auch diese Möglichkeit scheidet hier aus, weil § 9 Abs 2 Nr 3 BSchAV nur Einnahmen aus Vermögen erfaßt, das der Beschädigte geschaffen hat, um sich nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben den Lebensunterhalt zu sichern. Um solches Vermögen handelt es sich hier nicht.
Bei privaten Lebensversicherungen dürfte der Zweck der Unterhaltssicherung dann deutlich sein, wenn es sich um eine von der Versicherungspflicht befreiende Lebensversicherung handelt (vgl Art 2 § 1 Abs 1 Satz 1 Buchst b des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten vom 23. Februar 1957, BGBl I 88) oder wenn vertragsgemäß der Versicherungsfall dann eintritt, wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nachgewiesen ist (vgl dazu Urteil des Senats vom 4. Oktober 1984 aaO). Die Anrechnung von Leistungen auch aus solchen Versicherungen ist allerdings nicht vertretbar, wenn als derzeitiges Bruttoeinkommen eines Selbständigen nicht das gilt, was er tatsächlich verdient, sondern das, was er als beschädigter Arbeitnehmer wahrscheinlich verdienen würde (BSG SozR 3100 § 30 Nr 77).
Im vorliegenden Fall ist der Zweck der Unterhaltssicherung nicht nur nicht nachgewiesen, sondern kraft Gesetzes ausgeschlossen. Die nach dem VermBG geförderten Lebensversicherungen müssen vertraglich so ausgestaltet sein, daß der Zweck des Gesetzes, die freiheitsgewährleistende Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, soweit wie möglich erfüllt wird. Die Lebensversicherungsverträge, die nach dem VermBG gefördert werden, dürfen nach § 2 Abs 1 Buchst f Nr 2 des 3. VermBG nicht darauf gerichtet sein, den Versicherungsnehmer für die Fälle abzusichern, in denen er nicht mehr ausreichend durch Erwerbsarbeit für seinen Lebensunterhalt sorgen kann. Gewiß darf die Fälligkeit der Lebensversicherungsleistungen mit dem Lebensjahr zusammenfallen, in dem der Versicherte aus Altersgründen aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Der Eintritt der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit darf aber nicht als Versicherungsfall vereinbart werden. Eine Versicherung, die für solche Zwecke besteht, ist kein Vermögen iS des VermBG (BT-Drucks VI/860 S 6). Unerheblich ist deshalb, daß der Kläger seinen Lebensversicherungsvertrag gekündigt hat und wegen seiner Arbeitslosigkeit den Betrag, den er zurückbekommen hat, möglicherweise tatsächlich für seinen Unterhalt benötigt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen