Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit. Geschäftsführer eines Karussells im Schaustellergewerbe. Einstufung als Facharbeiter. fehlende Ausbildung und fehlender Tarifvertrag. Gesamtschau. Qualitätsmerkmale
Leitsatz (amtlich)
- Auch wenn der ausgeübte Beruf (hier Geschäftsführer eines Karussells namens “Break-Dancer”) weder in einer Berufsordnung geregelt noch tarifvertraglich erfasst ist, kann eine Einstufung des Versicherten als Facharbeiter in Betracht kommen, wenn die zuletzt versicherte Tätigkeit in der Gesamtschau hinreichende Leistungsmerkmale aufweist, wie sie typischerweise bei Facharbeitertätigkeiten anzutreffen sind.
- Bei der vergleichenden Gesamtbetrachtung kann ua den besonderen handwerklich-technischen Kenntnissen, der erforderlichen Verantwortung für Personen und Sachen von größerem Wert, der gebotenen Zuverlässigkeit, den Aufsichts- und Leitungsfunktionen sowie der Höhe der Entlohnung entscheidendes Gewicht zufallen (Fortführung von BSG vom 28.5.1991 – 13/5 RJ 4/90 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 12).
Normenkette
SGB VI § 43 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Revisionsverfahren die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Der 1948 geborene Kläger absolvierte von April 1962 bis April 1965 eine Ausbildung zum Dreher (ohne Abschluss). Anschließend war er bis Juli 1975 bei verschiedenen Arbeitgebern als Hilfsarbeiter und Kraftfahrer tätig. Von Oktober 1975 bis Oktober 1994 war er – mit Unterbrechungen – als Geschäftsführer im Schaustellergewerbe beschäftigt, zuletzt von April 1987 bis Oktober 1994 bei der Firma D.….
Den am 12. März 1997 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig tätig sein könne (Bescheid vom 4. November 1997). Sein Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1999). Mit Urteil vom 12. März 2002 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen BU zu gewähren; hinsichtlich der darüber hinaus begehrten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ≪LSG≫ vom 7. Mai 2003). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG gemäß § 153 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
Zu Recht habe das SG die Beklagte zur Gewährung von Rente wegen BU an den Kläger verurteilt. Der Kläger sei berufsunfähig iS von § 43 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung. Letzte berufliche Tätigkeit des Klägers sei die des Geschäftsführers eines Fahrgeschäfts, und zwar in den letzten Jahren seiner Berufstätigkeit die des Karussells “Break Dancer”. Diese Beschäftigung könne der Kläger gesundheitlich nicht mehr ausüben. Eine Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) sei für diese Tätigkeit nicht vorgesehen. Ein einschlägiger Tarifvertrag bestehe ebenfalls nicht. Aus der Entlohnung allein könne – jedenfalls wenn sie sich nicht an einem Tarifvertrag orientiert habe – nicht auf die entsprechende Qualität der Arbeit geschlossen werden, so dass vorliegend auch diese als maßgebliches Einordnungskriterium ausscheide. Da sich aus den vorgenannten Merkmalen keine Anhaltspunkte für die Einstufung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit des Klägers in das Mehrstufenschema ergäben, könne nur auf die konkreten Anforderungen seines Berufes abgestellt werden. Der Berufungssenat sehe aufgrund einer Gesamtbetrachtung die vom Kläger ausgeübte Beschäftigung als Geschäftsführer des Fahrgeschäfts “Break Dancer” als eine solche an, die einer Facharbeitertätigkeit qualitativ gleichwertig sei.
Die im Berufungsverfahren durchgeführte Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin D.… als Arbeitgeberin des Klägers habe die Richtigkeit der vom SG angenommenen qualitativen Einstufung als Facharbeiter aufgrund der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des bisherigen Berufs bestätigt. Der Berufungssenat habe die Überzeugung gewonnen, dass die Tätigkeit des Klägers sehr verantwortungsvoll und vielgestaltig gewesen sei, die neben Menschenführungsqualitäten auch wirtschaftliche Übersicht, in mehrere Gewerbebereiche hineinreichendes handwerklich-technisches Geschick und eine enorme Arbeitsbereitschaft erfordert habe. Der Kläger sei ein besonders zuverlässiger Geschäftsführer gewesen. Neben technischer Versiertheit seien noch weitere Anforderungen an den Betrieb des Fahrgeschäfts getreten, die jedenfalls in der Gesamtschau zur Bewertung einer qualitativ hochwertigen Tätigkeit geführt hätten. So habe das Karussell an Reisetagen als Schwertransport bewegt werden müssen, wobei der Kläger das Mittelteil gefahren habe. Beim Aufbau habe die Anlage sorgfältig ausgewogen werden müssen. Auch habe der Kläger die notwendigen Pflege- und Unterhaltungsarbeiten durchgeführt bzw überwacht. Schließlich sei er für die Beachtung der Sicherheitsanforderungen verantwortlich gewesen. Hinzu kämen noch die unternehmerischen Anforderungen wie Abrechnungstätigkeiten, Überwachung und Koordinierung der Arbeitsabläufe und Personalentscheidungen. Hieraus ergebe sich ein Tätigkeitsbild, das zeige, dass eine hohe, aus unterschiedlichen Begabungsressourcen zusammengesetzte Befähigung Voraussetzung für den geschäftsführenden Betrieb eines Karussells wie des “Break Dancers” sei. Aus den gehobenen unternehmerischen Anforderungen der Beschäftigung des Klägers werde deutlich, dass ein Zeitraum von etwa zehn Jahren der Tätigkeit im Schaustellergewerbe nötig sei, um ein solches Karussell unter den Besonderheiten des Schaustellermilieus als Geschäftsführer erfolgreich betreiben zu können. Qualitativ stehe diese Beschäftigung mindestens einer beispielsweise handwerklichen oder einzelhandelskaufmännischen Tätigkeit mit abgeschlossener Ausbildung von mehr als zwei Jahren gleich. Dies habe sich in der Zusammenschau auch in der deutlich überdurchschnittlichen rentenversicherungspflichtigen Entlohnung des Klägers niedergeschlagen. Dementsprechend genieße der Kläger Berufsschutz.
Zumutbare Verweisungstätigkeiten seien nicht ersichtlich. Die Beklagte habe lediglich die Tätigkeit des Gabelstaplerfahrers benannt. Diese Tätigkeit sei ungeeignet, weil der Kläger sie mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen nicht ausüben könne und überdies nicht ersichtlich sei, dass sie ihm als Facharbeiter sozial zumutbar sei.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 43 Abs 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 gültigen Fassung. Für die Tätigkeit des Klägers gebe es weder eine Ausbildung nach dem BBiG noch einen einschlägigen Tarifvertrag. Aus der Entlohnung des Klägers allein könne nicht gefolgert werden, dass die Qualität seiner Tätigkeit der eines Facharbeiters entspreche. Auch aus einer Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten aus verschiedenen Gewerbebereichen könne nicht auf die Qualität der Arbeit geschlossen werden. Erforderlich sei vielmehr, dass der Kern der Tätigkeiten von so hoher Qualität sei, wie es der Tätigkeit eines Facharbeiters entspreche. Allein das Manövrieren eines Karussells genüge diesen Ansprüchen nicht. Auch wenn es sich bei dem Fahrgeschäft um ein relativ anspruchvolles technisches Gerät handele, so unterscheide den Kläger beispielsweise von einem Mechaniker oder Elektriker der Umstand, dass sich seine Kenntnisse auf das Fahrgeschäft selbst beschränkten. Auch die Arbeitsbereitschaft und die Menschenführungsqualitäten des Klägers in dem schwierigen Umfeld des Schaustellergewerbes gäben keinen Hinweis auf die Qualifizierung seiner Tätigkeit als Facharbeitertätigkeit. Menschenführungsqualität und Arbeitsbereitschaft seien überwiegend Charaktereigenschaften, die keine Aussage über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten des Klägers zuließen. Das Gleiche gelte für die Zuverlässigkeit des Klägers und das ihm entgegengebrachte Vertrauen seines Arbeitgebers. Für die Beurteilung der Qualität der Tätigkeit komme es nicht auf die Vielschichtigkeit der Begabungen an, sondern darauf, ob die Kenntnisse und Fähigkeiten, die die Tätigkeit erfordere, denjenigen eines Facharbeiters gleichzusetzen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2003 sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12. März 2002 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2004 haben die Beteiligen einverständlich erklärt, dass sie davon ausgingen, dass dem Kläger – aufgrund der erstinstanzlichen Verurteilung “ab dem 12. März 1997 BU anzunehmen und Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren” – Rente wegen BU frühestens ab dem 1. April 1997 zustehe.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (vgl § 160 SGG), aber nicht begründet. Das Urteil des LSG hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
Dem Kläger ist zu Recht Rente wegen BU zuerkannt worden. Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach § 43 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (aF), weil der Kläger (auch) Leistungen für die Zeit vor dem 1. Januar 2001 begehrt und der Rentenantrag vor diesem Zeitpunkt gestellt worden ist (§ 300 Abs 2 SGB VI). Gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI aF sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und den besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Diese Definition entspricht im Wesentlichen der früheren Umschreibung in § 1246 Abs 2 Satz 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung, so dass auch die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) herangezogen werden kann.
Ausgangspunkt der Beurteilung ist danach der bisherige Beruf. Darunter ist im Allgemeinen diejenige der Versicherungspflicht unterliegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, dh mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 158; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 55, 61 mwN). Nach diesen Grundsätzen hat das LSG zutreffend als bisherigen Beruf des Klägers dessen zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Geschäftsführer eines Fahrgeschäftes (hier des “Break Dancers”) zugrunde gelegt. Diesen Beruf kann der Kläger nach den von der Revision nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht mehr ausüben. Hiermit ist der Kläger aber noch nicht berufsunfähig. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn es auch keine andere Tätigkeit gibt, die ihm sozial zumutbar und für ihn sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist.
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (zB BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr 132; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 138, 140).
Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI aF am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung, bisheriger Beruf, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 27, 33).
Die Zuordnung zur Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters erfolgt im Wesentlichen nach folgenden – vier – Merkmalen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 12):
(1) Der Gruppe ist zunächst zuzurechnen, wer einen anerkannten Ausbildungsberuf iS von § 25 BBiG mit mehr als zweijähriger Ausbildung erlernt und bisher ausgeübt hat (vgl BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr 107; BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr 132; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 109, 138, 140; BSGE 68, 277 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13).
(2) Einem solchen Facharbeiter gleichgestellt ist derjenige Versicherte, der in einem nach dem BBiG anerkannten Ausbildungsberuf arbeitet, ohne die hierfür erforderliche Ausbildung durchlaufen zu haben, wenn neben der tariflichen Einstufung als Facharbeiter die Kenntnisse und Fertigkeiten in voller Breite denjenigen eines vergleichbaren Facharbeiters mit abgelegter Prüfung entsprechen (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 53, 68; BSGE 58, 239 = SozR 2200 § 1246 Nr 129; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 150; BSGE 65, 169 = SozR 2200 § 1246 Nr 168 sowie Senatsurteil vom 1. September 1999 – B 13 RJ 89/98 R). Verlangt wird, dass der Versicherte nicht nur eine seinem individuellen Arbeitsplatz entsprechende Arbeitsleistung erbringt, sondern auch über die für diesen Beruf erforderlichen praktischen Fähigkeiten und theoretischen Kenntnisse in dem Umfang verfügt, dass er mit ausgebildeten Arbeitnehmern gleichen Alters auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig ist.
(3) Der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters sind ferner Versicherte zuzuordnen, die in Ausbildungsberufen ohne anerkannten Ausbildungsgang iS des § 25 BBiG tätig waren, wenn deren Tätigkeiten den anerkannten Ausbildungsberufen tarifvertraglich gleichgestellt sind (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 3, 46, 99, 116, 122, 123, 164; BSGE 43, 243 = SozR 2200 § 1246 Nr 16; BSGE 56, 72 = SozR 2200 § 1246 Nr 111; BSGE 58, 239 = SozR 2200 § 1246 Nr 129; BSG Urteil vom 3. Juli 2002 – B 5 RJ 18/01 R), weil die tarifliche Einstufung eines Berufs in der Regel ein zuverlässiges Indiz für die Wertigkeit einer Tätigkeit in der Arbeitswelt ist (BSGE 68, 277 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 13).
(4) Schließlich sind Berufstätigkeiten, für die kein Ausbildungsgang iS des BBiG besteht und die nicht als solche in einem Tarifvertrag einer Lohngruppe zugeordnet sind, als Facharbeitertätigkeiten einzustufen, wenn der Umfang der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten und/oder die sonstigen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeiten den Anforderungen an einen Facharbeiter gleich zu achten sind; auch für diese Einordnung ist die tarifliche Einstufung ein wichtiger Anhaltspunkt, der im Zweifel ausschlaggebend, aber nicht ohne weiteres maßgeblich ist (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 12). Fehlt es an einer tariflichen Einordnung – was bei spezialisierten Tätigkeiten nicht selten der Fall ist –, kann die Facharbeitereigenschaft gleichwohl zu bejahen sein. Entscheidend ist dann, ob sich der Versicherte in der Gesamtschau aus dem Kreis der oberen Angelernten so hervorhebt, dass eine Gleichstellung mit einem Facharbeiter gerechtfertigt erscheint.
Bei der Tätigkeit als Geschäftsführer eines Fahrgeschäfts – hier des “Break Dancers” – handelt es sich zunächst nicht um einen so genannten Ausbildungsberuf, so dass eine Einordnung als Facharbeiter aufgrund einer durchlaufenen Ausbildung nicht möglich ist. Dem entsprechend kommt ebenfalls eine Einstufung als Facharbeiter aufgrund gleichwertiger Kenntnisse und Fähigkeiten mit einem vergleichbaren Facharbeiter, der über eine abgelegte Ausbildung verfügt, nicht in Betracht. Da die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit des Geschäftsführers eines Fahrgeschäfts nicht tarifvertraglich erfasst ist, scheidet auch die Einordnung dieses Berufs in das Mehrstufenschema aufgrund eines Vergleichs der tariflichen Zuordnung von anderen in diesem Beruf tätigen Arbeitnehmern aus. Das LSG hat den Kläger jedoch nach dem Gesamtbild seiner ausgeübten Tätigkeit – auf das allein in derartigen Fällen noch abgestellt werden kann – der Gruppe der Facharbeiter zugeordnet. Diese Beurteilung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Bei der hier gebotenen Gesamtschau ist es nicht möglich, einzelnen Kriterien allein eine maßgebliche Bedeutung für die Beurteilung der Wertigkeit des ausgeübten Berufs beizumessen. Insbesondere kann nicht entscheidend auf die Kenntnisse und Fähigkeiten bzw auf die Anforderungen in einzelnen Teilbereichen dieser Berufstätigkeit im Vergleich zu den Anforderungen an einen Facharbeiter im jeweiligen Vollberuf abgestellt werden, weil insoweit gerade Vergleichsmaßstäbe fehlen. Ist der konkret ausgeübte Beruf von den tradierten Berufsbildern weit entfernt und als ausgesprochene Spezialtätigkeit anzusehen, kann eine Einstufung in das Mehrstufenschema nur gelingen, wenn die bisherige Berufstätigkeit im Wege einer Gesamtschau dahingehend beurteilt wird, ob hinreichend Leistungsmerkmale vorliegen, wie sie typischerweise auch bei Facharbeitertätigkeiten anzutreffen sind und die demnach insgesamt eine Wertigkeit dieser Berufstätigkeit zum Ausdruck bringen, die über die einer angelernten Tätigkeit hinausgeht.
Typischerweise ist mit einer Facharbeitertätigkeit – neben einer höheren Entlohnung und einem höheren Grad an Kenntnissen und Fähigkeiten – im Vergleich zu ungelernten und angelernten Arbeitern auch ein höheres Maß an Verantwortung, ein größerer eigener Entscheidungsspielraum auf der Arbeitsstelle, eine besondere Erwartung an die Zuverlässigkeit, die Genauigkeit und die Umsicht verbunden. Auch wenn es sich bei einem Teil dieser beispielhaft genannten Kriterien wie der Zuverlässigkeit, der Genauigkeit, dem Verantwortungsbewusstsein primär um so genannte Charaktereigenschaften handelt, die für alle Berufstätigkeiten von Bedeutung sind, so stellen hervorgehobene, auf Facharbeiterebene stehende Tätigkeiten in aller Regel doch besondere bzw höhere Anforderungen auch an derartige Eigenschaften. Dies wird schließlich auch vom Gesetz dadurch zum Ausdruck gebracht, dass es für die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit nicht nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern auch auf die besonderen Anforderungen im bisherigen Beruf ankommt.
Diese besonderen Anforderungen können weiter ihren objektiven Ausdruck finden in Kriterien wie der Komplexität und Schwierigkeit der Arbeitsabläufe, die eine jahrelange einschlägige Berufspraxis erfordern, oder erhöhter Verantwortung (für Mitarbeiter, Material oder auch für Dritte) oder hervorgehobener Vertrauensstellung mit Entscheidungsbefugnissen gegenüber Mitarbeitern und Dritten. Die Wertigkeit derartiger Kriterien für den Arbeitgeber wird in aller Regel dann auch ihren Niederschlag finden in einer Entlohnung, die für herkömmliche Facharbeitertätigkeiten mit vergleichbarer Berufserfahrung angemessen wäre.
Das Berufungsgericht hat zur konkreten Ausformung der Tätigkeit des Klägers – auch unter Bezugnahme auf die Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung – ua unangegriffen (§ 163 SGG) festgestellt: Der Kläger verfügt – wenngleich ohne Abschluss – über eine Ausbildung als Dreher. Er war schon vor Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit für das Fahrgeschäft “Break Dancer” von Oktober 1975 bis März 1987 – mit gewissen Unterbrechungen – als Geschäftsführer im Schaustellergewerbe tätig und hatte sich die spezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten für dieses Karussell durch “learning by doing” angeeignet. Die Geschäftsführertätigkeit bei diesem Fahrgeschäft selbst hatte mit mehreren gewerblichen Bereichen zu tun. Sie setzte handwerklich-technisches Geschick und enorme Arbeitsbereitschaft voraus. So hatte der Kläger ua etwaige Defekte des Fahrgeschäfts ausfindig zu machen, einzugrenzen und zu reparieren. An besonders beanspruchten Lagerteilen fielen regelmäßig von ihm vorzunehmende Reparaturen an. Dazu gehörten auch Schweißarbeiten. Des Weiteren hatte er die umfangreichen Pläne der Elektroanlage zu kennen, diese Anlage zu bedienen und zu überwachen. Nur bei besonders großen Reparaturen nahm er Kontakt mit dem Hersteller des Karussells auf. Ersatzteilbeschaffungen bis 10.000 DM nahm er selber vor. Darüber hinaus wurden dem Kläger besondere Kenntnisse der Menschenführung abverlangt; er hatte ua die Mitarbeiter in dem besonderen Fahrgeschäftmilieu zu motivieren und so an den Betrieb zu binden, dass sie bis zum Ende der jeweiligen Saison durchhielten. Er nahm auch eigenständig Einstellungen und Entlassungen vor. Das Mittelstück des Fahrgeschäfts (ca 14 × 2,5 × 1,3 m; ca 40 t) wurde bei allen Transporten von ihm selbst gefahren. Wegen der Überlänge waren von ihm ggf Sondergenehmigungen einzuholen. Der Aufbau des Karussells gestaltete sich nicht selten wegen enger Standortverhältnisse schwierig; bei unebenen Bodenverhältnissen war die Anlage durch den Kläger auszutarieren. Auf- und Abbau erfolgten jeweils über einen von ihm zu bedienenden Kran. Bei Betrieb des Karussells hatte der Kläger den Fahrstand besetzt zu halten und auf etwaige Unfallgefahren zu achten. Er hatte täglich die Kasse abzurechnen und die Löhne an die Mitarbeiter auszuzahlen. Weiter hatte er die Auflagen der örtlichen Bauordnungsämter durchzuführen, war für die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen insgesamt verantwortlich (16 Zwei-Personen-Gondeln, die auf einer Fläche von 20 × 10 m 360 Grad frei schwingen und sich in einer Vielzahl möglicher Variationen auf und ab bewegen) und hatte die Prüfungen durch den TÜV vorzubereiten. Das Fahrgeschäft selbst hatte einen Wert von über zwei Millionen DM. Die Entlohnung des Klägers, bei dem sich aufsichtsführende und körperliche Tätigkeit in etwa die Waage hielten, belief sich im Oktober 1994 auf 4.700,- DM brutto, erreichte mithin eine deutlich über dem Durchschnitt liegende Höhe.
Die Schlussfolgerung des LSG, das Gesamtbild der vorgenannten Aufgaben des Klägers sei aufgrund der für den Betrieb eines Geräts wie den “Break Dancer” erforderlichen spezifischen fachlichen (handwerklich-technischen) Kenntnisse, der damit verbundenen erheblichen Verantwortung für die Gesundheit von Besuchern und Personal sowie für das Fahrgeschäft selbst, des besonders hohen Maßes an Zuverlässigkeit, der weitgehend selbstständigen weisungsfreien Tätigkeit – verbunden mit den Aufsichts- und Leitungsfunktionen über mehrere Mitarbeiter – und der Höhe der Entlohnung als qualitativ so hochwertig anzusehen, dass es das oben erwähnte vierte Merkmal ausfülle, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das LSG hat damit ausreichend maßgebliche Kriterien für eine Gleichstellung mit einer Facharbeitertätigkeit bezeichnet.
Verweisungstätigkeiten, auf die der Kläger gesundheitlich und sozial zumutbar verwiesen werden könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann er nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 SGG) nicht mehr der von der Beklagten in den vorinstanzlichen Verfahren benannten Tätigkeit eines Gabelstaplerfahrers nachgehen. Das LSG hat deshalb die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen.
Da nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) BU am 12. März 1997 eingetreten ist, hat die Beklagte dem Kläger somit aufgrund seines Antrags vom selben Tage – in Ausführung des Tenors der erstinstanzlichen Entscheidung (“ab dem 12. März 1997 BU anzunehmen und Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren”) in Verbindung mit den Urteilsgründen – Rente wegen BU gemäß § 99 Abs 1 Satz 1 SGG frühestens ab dem Folgemonat, dh dem 1. April 1997, zu zahlen, wovon auch die Beteiligten gemäß ihren in der mündlichen Revisionsverhandlung abgegebenen Erklärungen einverständlich ausgehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
NZS 2005, 103 |
SozR 4-2600 § 43, Nr. 1 |