Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlbarmachung von Ghettorenten. Zwangsaufenthalt. Kausalität. Berücksichtigung einer anderen Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit eines anderen Staates. Höchstrente
Leitsatz (amtlich)
Für die Zeit der Beschäftigung während eines Zwangsaufenthalts in einem Ghetto wird nur dann bereits eine Leistung aus einem anderen System der sozialen Sicherheit erbracht, wenn diese Zeit "conditio sine qua non" für die andere Leistung ist.
Orientierungssatz
Zur Anwendbarkeit des ZRBG im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Zeiten im Ghetto Theresienstadt vom 22.2.1942 bis 5.5.1945, die bereits bei der tschechischen Altersrente berücksichtigt wurden.
Normenkette
ZRBG § 1 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, S. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 1; FRG § 2 S. 1 Buchst. b; SGB 6 § 35; SozSichAbk CZE
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Theresienstadt.
Die im Jahre 1926 geborene Klägerin ist Staatsangehörige der Tschechischen Republik. In der Zeit vom 22.2.1942 bis 5.5.1945 arbeitete sie im Ghetto Theresienstadt als landwirtschaftliche Arbeiterin. Von 1945 bis 1948 besuchte die Klägerin eine Fachschule, war bis 1960 als Arbeiterin in der Landwirtschaft und Holzbearbeitung sowie anschließend bis 1980 als Beamtin und Buchhalterin tätig. Seit 1.5.1980 bezieht sie in ihrer Heimat Altersrente.
Im Mai 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente und führte dazu aus, im Ghetto Theresienstadt sowie auch außerhalb des Ghettos acht bis neun Stunden täglich gearbeitet zu haben. Der Arbeitseinsatz sei freiwillig und durch eigene Bemühungen sowie durch Vermittlung des Judenrates zustande gekommen. Sie sei auf dem Weg zur und von sowie während der Arbeit durch Polizisten bewacht worden. Am 9.5.1945 sei sie befreit worden. Einen Antrag auf eine Entschädigung nach dem deutschen Bundesentschädigungsgesetz (BEG) habe sie nicht gestellt. Mit Bescheid vom 29.1.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die erforderliche allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht erfüllt sei. Zeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) könnten nicht berücksichtigt werden, wenn für diese bereits ein anderes System der sozialen Sicherheit Leistungen erbrachte habe. Die geltend gemachte Zeit der Beschäftigung im Ghetto sei jedoch schon vom tschechischen Rentenversicherungsträger bei der Gewährung der Altersrente berücksichtigt worden. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2004 als unbegründet zurück. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 19.1.2006 abgewiesen.
Mit Urteil vom 20.9.2006 hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Altersrente gemäß § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), weil sie zwar das 65. Lebensjahr vollendet, aber auch unter Berücksichtigung des deutsch-tschechischen Sozialversicherungsabkommens bzw nach dem Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union gemäß Gemeinschaftsrecht nicht die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt habe. Ein Rentenanspruch sei schon deshalb nicht gegeben, weil keine Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung vorhanden seien, aus denen sich ein Zahlungsanspruch ergeben könne. Das ZRBG, aufgrund dessen allein Beitragszeiten in Betracht kämen, sei bei der Klägerin nicht anwendbar. Sie erfülle die Anwendungsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG nur zum Teil. Zwar sei sie als Verfolgte im Sinne des § 1 Abs 1 BEG anzusehen. Auch lägen, die Richtigkeit der Angaben der Klägerin unterstellt, die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 Nr 1 ZRBG vor. Ebenso sei die Voraussetzung des § 1 Abs 1 Halbs 1 Nr 2 ZRBG erfüllt, weil sich das Ghetto Theresienstadt in einem Gebiet befunden habe, das dem Deutschen Reich eingegliedert gewesen sei. Die Anwendbarkeit des ZRBG sei aber deshalb ausgeschlossen, weil für die geltend gemachten Zeiten bereits eine Leistung aus einem anderen System der sozialen Sicherheit iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG erbracht werde, nämlich aus der tschechischen Rentenversicherung. Der tschechische Rentenversicherungsträger habe bestätigt, dass die Zeit vom 22.2.1942 bis 5.5.1945 als Versicherungszeit für die in der Tschechischen Republik gezahlte Altersrente berücksichtigt worden sei. Er habe mit Schreiben vom 19.3.2004 ausgeführt, dass bei Renten, auf die der Anspruch wie bei der Klägerin zum 30.6.1998 entstanden sei, diese Versicherungszeit für den Anspruch und die Rentenhöhe in vollem Umfang angerechnet werde. Lediglich bei der Berechnung der Rentenhöhe würden aus der Gesamtsumme dieser Zeit nur 80 Prozent berücksichtigt. Unerheblich sei, ob die Anerkennung einer Widerstandszeit im Ermessen der zuständigen Behörde stehe, wenn eine solche tatsächlich erfolgt sei und zu einer Leistung geführt habe. Ebenso sei ohne Bedeutung, dass die Zeiten als Ersatzzeiten und nicht als Beitragszeiten anerkannt worden seien. Europarechtliche Vorgaben stünden dem Ausschluss des ZRBG durch die Berücksichtigung der Zeiten in der tschechischen Rentenversicherung nicht entgegen. Die von der Klägerin genannten Verdrängungsvorschriften seien schon deshalb nicht anwendbar, weil nach dem ZRBG keine Zeiten festzustellen und daher nur tschechische Beitragszeiten vorhanden seien.
Mit ihrer durch das LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 1 und 2 ZRBG sowie die Verletzung europarechtlicher Vorschriften über die Rentenberechnung bei Wanderarbeitnehmern innerhalb der EU. Aus der Stellungnahme des tschechischen Ministeriums für Arbeit und Soziales vom 1.6.2004 ergebe sich, dass kein Rechtsanspruch auf die Anerkennung von Widerstandszeiten und auf eine Leistung hieraus bestehe. Es handele sich also tatsächlich um eine Entschädigungsleistung und nicht um eine solche aus einem System der sozialen Sicherheit. Das tschechische Rentensystem lege zudem eine Höchstrente fest. Wenn diese schon durch andere Zeiten erreicht werde, erfolge jedenfalls für die Ghetto-Zeiten keine Leistung im Sinne des ZRBG. Die bloße Einbeziehung in den Versicherungsverlauf genüge hierfür nicht. Außerdem reiche die Anerkennung als Ersatz- bzw Widerstandszeiten nicht aus, da das ZRBG einen Ausschluss ausdrücklich nur für anderweitige Beitragszeiten vorsehe. Entgegen der Auffassung des LSG hätten die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften der EU zur Folge, dass die "starken" Zeiten (deutschen Ghetto-Beitragszeiten) die "schwachen" (tschechischen Ersatzzeiten) verdrängen würden. Dies sei bei Erlass des ZRBG nicht beachtet worden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. September 2006 und des Sozialgerichts Landshut vom 19. Januar 2006 sowie den Bescheid vom 29. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Regelaltersrente ab dem 1. Juli 1997 unter Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Theresienstadt vom 22. Februar 1942 bis 5. Mai 1945 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hat sich zum Revisionsvorbringen nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG) .
Auf Grund der bisherigen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Regelaltersrente zusteht. Nach § 35 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die am 21.2.1926 geborene Klägerin hat am 21.2.1991 das 65. Lebensjahr vollendet. Ob sie zudem die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, ist hingegen bislang nicht geklärt.
Die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit ist auch dann erforderlich, wenn - wie hier - ein Rentenanspruch auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten geltend gemacht wird. Dem entsprechenden Urteil des 13. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26.7.2007 (B 13 R 28/06 R BSGE 99, 35 = SozR 4-5075 § 1 Nr 4) schließt sich der erkennende Senat an. Das ZRBG enthält keine eigene Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Altersrente und kann schon deswegen lediglich eine Ergänzung der Vorschriften des SGB VI darstellen. Ist demnach als Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Rentenanspruch § 35 SGB VI heranzuziehen, gibt dieser auch die Anspruchsvoraussetzungen vor, es sei denn, dem ZRBG ließe sich für bestimmte Voraussetzungen etwas anderes entnehmen. Dies ist hinsichtlich der Wartezeit nicht der Fall. Vielmehr verweist das ZRBG selbst auf die Geltung dieses Tatbestandsmerkmals. § 3 Abs 2 ZRBG bestimmt, dass für die Ermittlung des Zugangsfaktors die Wartezeit als mit Vollendung des 65. Lebensjahres erfüllt und die Rente wegen Alters bis zum Rentenbeginn als nicht in Anspruch genommen gilt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber Berechtigten, die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon die Regelaltersgrenze überschritten hatten, über § 77 Abs 2 Nr 2 Buchst b SGB VI einen Rentenzuschlag zukommen lassen (BT-Drucks 14/8583, S 6 f zu Art 1 § 3) . Ausweislich dieser Vorschrift ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte (EP), die noch nicht Grundlage für persönliche EP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0. Der die Rentenhöhe mitbestimmende Zugangsfaktor, der wiederum vom Verhalten des Berechtigten nach Erfüllung der Wartezeit abhängig ist, richtet sich insoweit bei der "normalen" SGB VI-Altersrente und der auf Ghetto-Beitragszeiten beruhenden Altersrente nach denselben Regeln. Dies spricht dafür, dass auch der Wartezeit bei beiden Altersrenten dieselbe Bedeutung zukommt. Ansonsten wäre ein klärender Hinweis des Gesetzgebers zu erwarten gewesen (zum Ganzen bereits BSGE 99, 35 = SozR 4-5075 § 1 Nr 4, RdNr 27; aA 4. Senat des BSG, Urteil vom 14.12.2006 - BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr 3, RdNr 50) .
Die allgemeine Wartezeit beträgt fünf Jahre (§ 50 Abs 1 SGB VI) . Auf diese werden Beitragszeiten und Kalendermonate mit Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs 1 und 4 SGB VI) , wobei eine Anrechnung von Ersatzzeiten nur in Betracht kommt, wenn zumindest ein rechtswirksamer Beitrag entrichtet worden ist (Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 250 Anm 2, Stand: IX/2008) oder wenigstens ein Beitrag als gezahlt gilt (Klattenhoff in Hauck/Haines, SGB VI, § 250 RdNr 1, Stand: I/2009) . Beitragszeiten sind Zeiten, für nach Bundesrecht oder nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs 1 Satz 1, § 247 Abs 3 Satz 1 SGB VI) oder ausnahmsweise als gezahlt gelten (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr 6 S 28; Fichte in Hauck/Haines, SGB VI, § 55 RdNr 8, Stand: I/2009) . Gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen als gezahlt.
Zwar kann die Klägerin die Wartezeit allein unter Berücksichtigung der geltend gemachten Ghetto-Beitragszeiten nicht erfüllen, da diese sich lediglich auf 40 und nicht die erforderlichen 60 Monate belaufen. Auch ist eine Erfüllung der Wartezeit auf Grund zurückgelegter Ersatzzeiten unwahrscheinlich, da die Klägerin nach der Verwaltungsakte der Beklagten, auf die das LSG Bezug genommen hat, von 1945 bis 1948 eine vom tschechischen Rentenversicherungsträger als Versicherungszeit anerkannte Fachschulausbildung absolviert und anschließend eine Beschäftigung ausgeübt hat. Dies ist jedoch unschädlich. Eine Erfüllung der Wartezeit kommt jedenfalls ab 1.9.2002 nach dem zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Tschechien über Soziale Sicherheit vom 27.7.2001 (SVA - BGBl II 2002, 1128) in Betracht. Nach Art 24 Abs 1 und 2 SVA können auf die Wartezeit tschechische Versicherungszeiten angerechnet werden, soweit diese den deutschen Beitragszeiten oder Ersatzzeiten vergleichbar sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen wie die nach deutschem Recht geltend gemachten Zeiten.
Ob die Klägerin Ghetto-Beitragszeiten verwirklicht hat, richtet sich nach den Vorgaben des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG. Gemäß dieser Vorschrift gilt das ZRBG für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.
Nach Auffassung des LSG scheitert die Anwendbarkeit des ZRBG am Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG, da die geltend gemachten Zeiten im Ghetto Theresienstadt vom 22.2.1942 bis 5.5.1945 bereits bei der tschechischen Altersrente der Klägerin berücksichtigt worden seien. Die festgestellten Tatsachen tragen dieses rechtliche Ergebnis jedoch nicht.
Zutreffend ist das LSG allerdings zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei der tschechischen Altersrente der Klägerin um eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit iS von § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG handelt. § 1 Abs 1 Satz 2 ZRBG definiert als System der sozialen Sicherheit jedes System, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen wurden, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern. Diese Voraussetzungen erfüllt das tschechische Rentenversicherungssystem nach den Feststellungen des LSG, da es sich bei diesem um ein System der zwangsweisen Einbeziehung in abhängiger Beschäftigung stehender Personen handelt, aus dem zumindest für das Alter regelmäßig wiederkehrende Leistungen erbracht werden.
Beim jetzigen Stand der Ermittlung kann der Senat dagegen nicht entscheiden, ob auch die weitere Voraussetzung des Ausschlusstatbestands erfüllt ist, dass die Ghetto-Zeiten der Klägerin bereits eine andere Leistung vermitteln.
Der Wortlaut der Norm schließt das ZRBG nur aus, "soweit für" Ghetto-Zeiten bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Die einer deutschen Rente gegebenenfalls zugrunde zu legende Zeit während des Zwangsaufenthalts im Ghetto muss also "conditio sine qua non" für die andere Leistung - hier: die tschechische Rente - sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn Ghetto-Zeiten die Höhe der aus einem anderen System gewährten Leistung beeinflussen oder sich auf die Gewährung dieser Leistung dem Grunde nach auswirken. Eine Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG bestätigt dieses Auslegungsergebnis, denn dieser besteht darin, Doppelzahlungen für dieselben Zeiten zu vermeiden (BT-Drucks 14/8583 S 6) . Die Gefahr einer Doppelzahlung besteht jedoch nur, wenn die Ghetto-Zeit im fremden System nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Leistung vollständig entfiele oder sich zumindest ihre Höhe verringerte. Somit ist der Ausschluss des ZRBG gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 nicht schon dann gerechtfertigt, wenn Zeiten einer Ghettobeschäftigung ohne Einfluss auf die Leistung lediglich im Versicherungsverlauf eines anderen Systems der sozialen Sicherheit erfasst sind. Das zeigt auch ein Vergleich der hier anzuwendenden Vorschrift des ZRBG mit § 2 Satz 1 Buchst b Fremdrentengesetz (FRG). Danach gilt das FRG nicht für Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die nach Gemeinschaftsrecht oder Sozialversicherungsabkommen in der Rentenversicherung eines anderen Staates anrechenbar sind; dabei wird ausdrücklich bestimmt, dass der Ausschluss unabhängig davon gilt, ob diese Zeiten im Einzelfall der Berechnung der Leistung zu Grunde gelegt werden. Hätte für das ZRBG dasselbe Regelungskonzept gelten sollen, wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Gesetzgeber an der Formulierung des FRG orientiert hätte. Dies ist indes nicht der Fall.
Der Senat kann offenlassen, ob der Ausschluss auch dann gilt, wenn es sich lediglich um eine bloße symbolische Berücksichtigung dieser Zeiten handelt, die mehr eine Missbilligung des erlittenen Unrechts ausdrückt als eine Leistung darzustellen, die derjenigen zumindest vergleichbar ist, die bei den typischerweise im System der sozialen Sicherheit versicherten Beschäftigungen gewährt wird. Diese Frage stellt sich erst, wenn geklärt ist, wie der Einfluss auf die tschechische Rente beschaffen ist. Sollten sich die Widerstandszeiten jedenfalls mit einem Wert von 80 Prozent im Vergleich zu Beschäftigungszeiten auf die Rentenhöhe auswirken, wie es die Ausführungen des LSG möglich erscheinen lassen, wäre ein symbolischer Charakter deutlich überschritten. Denn dieser Wert reicht so nah an den Wert sonstiger Beitragszeiten heran, dass eine Vergleichbarkeit gegeben ist. Dies gilt umso mehr, als auch der deutschen Rentenversicherung die eingeschränkte Bewertung bestimmter Zeiten nicht fremd ist (vgl zB § 74 Abs 1 SGB VI zur begrenzten Gesamtleistungsbewertung und § 22 Abs 3 FRG für nur glaubhaft gemachte, aber nicht nachgewiesene Beitrags- bzw Beschäftigungszeiten) .
Ob sich die streitigen Ghetto-Zeiten auf die tschechische Altersrente der Klägerin im dargelegten Sinne auswirken, lässt sich derzeit nicht beurteilen.
Die Klägerin hat bereits im Berufungsverfahren vorgetragen, das tschechische Rentenrecht sehe eine Höchstrente vor. Trifft dies zu und hat die Klägerin die Höchstrente auch ohne Einbeziehung der von ihr im Ghetto verbrachten Zeiten erreicht, würde es an der Kausalität zwischen diesen Zeiten und der tschechischen Rentenleistung fehlen. Hierzu fehlen ausreichende Feststellungen des LSG.
Das Berufungsgericht hat lediglich pauschal festgestellt, dass die Zeiten vom 22.2.1942 bis 5.5.1945 bei der tschechischen Altersrente der Klägerin "berücksichtigt" worden seien, ohne die konkreten Berechnungsschritte näher zu beleuchten. Der tschechische Versicherungsträger habe ausgeführt, dass eine Tätigkeit in der Widerstandsbewegung als versicherungsrechtlich relevante Zeit berücksichtigt und bei Renten, auf die der Anspruch wie bei der Klägerin zum 30.06.1998 entstanden sei, diese Versicherungszeit für den Anspruch und die Rentenhöhe in vollem Umfang angerechnet werde. Lediglich bei der Berechnung der Rentenhöhe würden aus der Gesamtsumme dieser Zeit nur 80 Prozent berücksichtigt.
Diese Feststellungen sind insbesondere mit Rücksicht auf den klägerischen Vortrag im Berufungsverfahren unzureichend und können daher die Entscheidung über die Revision nicht tragen. Zwar besteht grundsätzlich eine Bindung an die Feststellungen des Berufungsgerichts zum ausländischen Recht, weil es sich insoweit um nicht revisibles Recht handelt (§ 162 SGG; hierzu BSGE 71, 163 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4; BSGE 80, 295 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1) . Dies gilt jedoch auch ohne Aufklärungsrüge nicht, wenn die Feststellungen auf keiner nachvollziehbaren Grundlage beruhen, also weder die zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften noch sonstige Erkenntnisquellen genannt werden (vgl BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 7 RdNr 25) . Der Hinweis des LSG auf die in den Akten befindlichen Erläuterungen des tschechischen Rentenversicherungsträgers vom 19.3.2004 reicht hierfür nicht aus, weil die daraus gezogene Schlussfolgerung einer umfassenden "Berücksichtigung" mit dieser Erklärung nicht in Einklang steht; auch insoweit bedarf es keiner Verfahrensrüge (vgl HK-SGG/Lüdtke, 3. Aufl 2009, § 163 RdNr 7 mwN) .
Das LSG hat keine Ermittlungen zu den rechtlichen Grundlagen der Rentenberechnung angestellt, sondern sich auf die Auskünfte des tschechischen Rentenversicherungsträgers gestützt, die zu diesen Grundlagen allerdings keine oder allenfalls lückenhafte Erläuterungen enthalten. Insbesondere bestehen nach der im angefochtenen Urteil zitierten Auskunft vom 19.3.2004 Zweifel, ob die Zeit vom 22.2.1942 bis 20.2.1944 in die Berechnung der tschechischen Altersrente der Klägerin eingeflossen ist. Die Klägerin hat am 21.2.1944 ihr 18. Lebensjahr vollendet. Das Schreiben vom 19.3.2004 enthält aber den Hinweis, dass die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Ersatzzeiten bei der Berechnung der Rentenhöhe nicht bewertet würden, wobei sich dem Zusammenhang nicht eindeutig entnehmen lässt, ob diese Einschränkung nur für Fälle gilt, in denen der Anspruch nach dem 30.6.1998 entstanden ist; dann wäre der seit dem 1.5.1980 bestehende Rentenanspruch der Klägerin hiervon nicht betroffen. Sollte die Einschränkung hingegen auch Rentenansprüche erfassen, die vor dem 30.6.1998 entstanden sind, hätte sich jedenfalls die Zeit vom 22.2.1942 bis 20.2.1944 schon nach der eingeholten Auskunft des tschechischen Rentenversicherungsträgers auf die Rentenhöhe nicht ausgewirkt. Ebenso wenig ist geklärt, ob sich der vorgenannte Zeitraum in diesem Fall wenigstens auf die Gewährung der Leistung dem Grunde nach ausgewirkt hat, dh diese Zeiten erforderlich sind, um ggf bestehende versicherungsrechtliche Voraussetzungen wie eine allgemeine Wartezeit zu erfüllen. Hierzu fehlen jedwede Feststellungen des LSG.
Die übrigen rechtlichen Überlegungen des LSG lassen einen Fehler zu Lasten der Klägerin dagegen nicht erkennen. So hat das LSG zu Recht die Auffassung vertreten, dass die Verwirklichung des Ausschlusstatbestandes unabhängig davon ist, ob auf die Anerkennung einer Widerstandszeit nach tschechischem Recht ein Anspruch besteht oder diese lediglich im Ermessen des tschechischen Rentenversicherungsträgers liegt. Die vom Gesetz beabsichtigte Vermeidung von Doppelzahlungen für dieselben Zeiten würde durch eine Ermessensleistung genauso wie durch eine Anspruchsleistung unterlaufen, wenn die Klägerin eine deutsche Altersrente unter Zugrundelegung der Ghetto-Zeiten erhielte, obwohl sich die von ihr im Ghetto verbrachte Zeit als Widerstandszeit bereits auf die von ihr bezogene tschechische Altersrente ausgewirkt hätte. Nach dem Gesetzeszweck ist daher nur maßgeblich, ob vom tschechischen Rentenversicherungsträger eine Leistung auf Grund der Ghetto-Zeiten tatsächlich erbracht wird.
Zu Recht geht das LSG ferner davon aus, dass der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG nicht voraussetzt, dass die Ghetto-Zeiten im (anderen) System der sozialen Sicherheit als Beitragszeiten berücksichtigt werden. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, der nicht auf Beitragszeiten, sondern nur auf "Zeiten" abstellt, und aus dem Gesetzeszweck. Eine Doppelzahlung liegt unabhängig davon vor, über welches Berechnungselement sich die Ghetto-Zeit sowohl auf die ausländische Leistung als auch auf die deutsche Altersrente auswirkt.
Das LSG wird nunmehr zu ermitteln haben, ob die Klägerin vom tschechischen Rentenversicherungsträger eine Höchstrente erhält und ob diese auch ohne Berücksichtigung der Zeiten vom 22.2.1942 bis 5.5.1945 erreicht wird. Ist dies der Fall, wäre der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG nicht verwirklicht. Erzielt die Klägerin eine Höchstrente unter Berücksichtigung nur eines Teils der Ghetto-Zeiten, etwa der nach Vollendung des 18. Lebensjahres, wäre eine Kausalität zwischen der tschechischen Rente und den unberücksichtigt gebliebenen Ghetto-Zeiten nicht gegeben. Sollte die Klägerin eine Höchstrente nur unter Zugrundelegung aller Ghetto-Zeiten erreichen, wäre der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG dagegen verwirklicht. Erhält die Klägerin keine Höchstrente, ist lediglich zu prüfen, ob sämtliche Ghetto-Zeiten, insbesondere auch die vor Vollendung des 18. Lebensjahres Grund oder Höhe der tschechischen Rente beeinflussen. Dabei wird sich das LSG auf Zeiträume ab dem Zeitpunkt beschränken können, ab dem erstmals die Wartezeit erfüllt und damit erstmalig die Gewährung einer Rente nach dem ZRBG in Betracht kommt. Denn erst ab diesem Zeitpunkt kommt eine durch § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 ZRBG auszuschließende Doppelzahlung in Betracht. Des Weiteren wird das LSG die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 ZRBG zu ermitteln haben. Die Reihenfolge der Ermittlungen ist rechtlich nicht vorgegeben und richtet sich ausschließlich nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten.
Bei dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens sind Ausführungen des Senats zu den angesprochenen Fragen des Europäischen Rechts nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen
FA 2009, 400 |
SGb 2009, 218 |
SGb 2010, 210 |