Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.06.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juni 1991 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Honorarkürzungen für die Quartale I bis III/1987.
Die Klägerin, die seit dem IV. Quartal 1986 als praktische Ärztin mit der Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren” an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt war, überschritt in den Quartalen I bis III/1987 den Gesamtfallwert der Gebietsgruppe Allgemeinärzte um 150 %, 109 % und 79 %, den Fallwert bei den kleinen Sonderleistungen um 486 %, 314 % und 257 % sowie bei den Laborleistungen M 2 um 132 %, 137 % und 71 %.
Die Prüfungskommission der Beklagten kürzte die Honorarforderungen für die kleinen Sonderleistungen in den Quartalen I bis III/1987 um 50 %, 25 % und 10 % und die Honorarforderung für die Laborleistungen M 2 im Quartal II/1987 um 10 %. Die Widersprüche der Klägerin blieben erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage hinsichtlich des Quartals I/1987 abgewiesen und ihr hinsichtlich der Kürzungen in den Quartalen II und III/1987 stattgegeben (Urteil vom 12. Juli 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert, die Klagen insgesamt abgewiesen und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 26. Juni 1991). Es hat sämtliche Kürzungen als rechtmäßig angesehen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine nicht ordnungsgemäße Besetzung des Berufungsgerichts, weil an dem Urteil ein Vertreter aus dem Bereich der Krankenkassen mitgewirkt habe, sowie weiter eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juni 1991 aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 5) bis 7) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 4), 8) und 9) haben sich zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des LSG ist wegen der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Senats des LSG (Verstoß gegen § 12 Abs 3 Satz 2 SGG) verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Streitigkeiten, welche – wie hier – die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Ersatzkassenbereich für Quartale vor dem 1. Januar 1989 betreffen, den „Angelegenheiten der Kassenärzte” iS des § 12 Abs 3 Satz 2 SGG zuzuordnen (vgl dazu im einzelnen BSGE 70, 246, 249 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 10), so daß in der Besetzung mit zwei Kassenärzten als ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden war. Das LSG hat jedoch in paritätischer Besetzung, also mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Kassenärzte, entschieden. Bei der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts handelt es sich gem § 202 SGG iVm § 551 Nr 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) um einen absoluten Revisionsgrund, der nur auf Rüge zu beachten ist. Die Klägerin hat die fehlerhafte Besetzung des Gerichts ordnungsgemäß gerügt.
Der Klägerin ist die Berufung auf diesen Verfahrensmangel nicht deshalb verwehrt, weil sie die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Senats des LSG nicht während des berufungsgerichtlichen Verfahrens gerügt hat. Zwar hat der erkennende Senat in einem Beschluß vom 1. Oktober 1990 – 6 BKa 26/90 – ausgeführt, daß ein Rechtsmittelführer mit der Besetzungsrüge ausgeschlossen sei, sofern er nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG die beanstandete Besetzung gerügt hat. Diese Rechtsprechung wird jedoch nicht aufrechterhalten.
Nach dem nach § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren § 295 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozeßhandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein mußte (Abs 1 aaO). Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei nicht wirksam verzichten kann (Abs 2 aaO). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 1500 § 164 Nr 33 S 56, mwN) kann auf die Befolgung der für eine vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen nicht wirksam verzichtet werden. Da das Erheben der Verfahrensrüge im vorliegenden Verfahren auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (siehe dazu BSG SozR aaO), ist die Klägerin mit der Besetzungsrüge nicht ausgeschlossen gewesen.
Die Entscheidung des LSG ist aufgrund der unvorschriftsmäßigen Besetzung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das Urteil des LSG war aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
In der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung ist auch über die außergerichtlichen Kosten zu befinden.
Fundstellen