Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 22.05.1992) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. Mai 1992 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 14. November 1989 bis 9. April 1990.
Der am 17. Juli 1949 geborene Kläger, gelernter Kfz-Lackierer, war seit dem 1. Dezember 1987 arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld (Alg). Aufgrund eines am 10. September 1988 während eines Fußballspieles erlittenen schweren Verrenkungsbruches des rechten Ellenbogengelenkes, durch den die Gebrauchsfähigkeit und Belastbarkeit des rechten Armes auf Dauer beeinträchtigt wurde, stellte das Versorgungsamt I Berlin als Behinderung “Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk mit Aufhebung der Unterarmdrehbeweglichkeit in günstiger Stellung” mit einem hierdurch bedingten Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest (Bescheid vom 19. November 1991). Am 14. November 1989 war der Anspruch auf Alg erschöpft. Im Antrag auf Anschluß-Alhi gab der Kläger an, im Oktober 1989 Bundesschatzbriefe über 30.000,00 DM – fest angelegt auf sieben Jahre – gekauft zu haben; bis zum 30. September 1990 sei auch keine vorzeitige Rückgabe der Briefe möglich. Der zum Kauf erforderliche Geldbetrag stammte aus Zahlungen zweier privater Unfallversicherungen, die der Kläger aus Anlaß seines Sportunfalles erhalten hatte und die auf eigenen Beitragszahlungen des Klägers sowie seines Fußballvereines beruhten. Das Arbeitsamt (ArbA) lehnte den Antrag des Klägers auf Alhi zunächst für die Zeit vom 14. November 1989 bis 20. August 1990 unter Hinweis auf das Vermögen des Klägers ab (Bescheid vom 29. Januar 1990). Auf den Widerspruch des Klägers änderte es den Bescheid und verweigerte nunmehr die Zahlung von Alhi lediglich noch für die Zeit vom 14. November 1989 bis 9. April 1990. Dabei ging es davon aus, daß die Forderungen aus den Bundesschatzbriefen durch Belastung verwertbar seien und daß sich unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 18.000,00 DM ein zu berücksichtigendes Vermögen von 12.000,00 DM ergebe. Weiter führte es aus, daß der Kläger aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen gemäß § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) fiktiv einzustufen sei, und zwar als Wächter im Baugewerbe nach dem Tarifvertrag Berliner Baugewerbe VIII mit einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 550,00 DM bei 40 Stunden. Bei Teilung des zu berücksichtigenden Vermögens von 12.000,00 DM durch das Arbeitsentgelt in Höhe von 550,00 DM wöchentlich ergebe sich eine volle Wochenzahl von 21. Für diesen Zeitraum sei der Kläger nicht bedürftig (Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1990). Später bewilligte das ArbA dem Kläger Alhi ab 10. April 1990 (Verfügung vom 17. Mai 1990). Von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin erhielt der Kläger in der Zeit vom 16. Januar bis 17. Mai 1991 als Leistung zur beruflichen Rehabilitation eine Umschulung zum Pförtner/Auskunftsassistenten. Den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit lehnte die LVA Berlin ab (Bescheid vom 12. November 1991; Widerspruchsbescheid vom 30. März 1992). Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, über die bislang nicht rechtskräftig entschieden worden ist.
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 29. Januar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 1990 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 14. November 1989 bis 20. August 1990 Alhi unter Außerachtlassung des aus der privaten Unfallversicherung entstandenen Vermögens zu gewähren (Urteil vom 18. Oktober 1990). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert, die Klage hinsichtlich des Leistungszeitraumes vom 10. April bis 20. August 1990 abgewiesen und im übrigen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 22. Mai 1992).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Berufung sei insoweit begründet, als die Beklagte verurteilt worden ist, Alhi auch für die Zeit vom 10. April bis 20. August 1990 zu gewähren, da dem Kläger in diesem Zeitraum Alhi tatsächlich gezahlt worden sei. Für die Zeit vom 14. November 1989 bis 9. April 1990 sei die Berufung nicht begründet, da der Kläger bedürftig iS des § 134 Abs 1 Nr 3 AFG gewesen sei. Auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 134 Abs 1 AFG seien erfüllt, wie sich aus der Leistungsgewährung durch die Beklagte ab 10. April 1990 ergebe. Die Versicherungsleistungen seien nicht als zu berücksichtigendes Einkommen anzurechnen. Denn nach § 11 Nr 1 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) würden einmalige Einkünfte nicht als Einkommen gelten, soweit sie nach Entstehungsgrund, Zweckbestimmung oder Übung nicht dem laufenden Lebensunterhalt dienten. Hierzu gehörten die aus Anlaß des Sportunfalles gezahlten Geldbeträge. Auch als Vermögen iS des § 137 Abs 2 AFG seien die Versicherungsleistungen nicht, und zwar auch nicht teilweise, zu berücksichtigen. Denn nicht zumutbar iS des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV sei die Verwertung von Vermögen, das auf einer Versicherungsleistung aufgrund privater Unfallvorsorge beruhe, die aufgrund eigener Beitragsleistung oder Beitragsleistung Dritter zugunsten des Vermögensinhabers zugeflossen sei, wenn der Unfall eingetreten sei und der dadurch bedingte Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit 30 vH oder mehr betrage. Die Verwertung des wegen eines unfallbedingten, bleibenden Körperschadens erworbenen Vermögens in Höhe von 30.000,00 DM bzw nach Abzug der Freibeträge in Höhe von 12.000,00 DM könne billigerweise nicht verlangt werden, weil aufgrund der Körperbeschädigung regelmäßig Mehraufwendungen entstünden, die durch die gezahlte Versicherungssumme ausgeglichen werden sollten. Auch sei zu berücksichtigen, daß der Kläger in seinem erlernten und bisher ausgeübten Beruf nicht mehr tätig sein könne und eine Umschulung für eine minderqualifizierte Tätigkeit habe in Kauf nehmen müssen. Dementsprechend werde die Alhi nicht mehr nach dem zuletzt erzielten, sondern einem niedrigeren Entgelt bemessen. Der Kläger werde durch die erlangte Versicherungssumme nicht “bereichert”. Dieser Gedanke habe mit § 1610a Bürgerliches Gesetzbuch Eingang in das Unterhaltsrecht gefunden und liege auch der Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 20. Februar 1991 (BSGE 68, 148 ff = SozR 3-4100 § 138 Nr 5) zugrunde, daß Zinseinnahmen aus einer Kapitalentschädigung, die von einem privaten Haftpflichtversicherer zur Abfindung von Schadensersatzansprüchen wegen Körperverletzung mit Dauerfolgen gezahlt werde, im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen seien.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 137 Abs 2, 138 Abs 3 Nr 6 AFG sowie des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV. In Höhe von 12.000,00 DM sei das aus den Versicherungsleistungen stammende Vermögen verwertbar und bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Die Verpflichtung zur Verwertung von Vermögen bestehe grundsätzlich für jedes Vermögen ohne Rücksicht auf den Umstand des Erwerbes. Wegen des subsidiären Charakters der Alhi als öffentliche Unterstützungsleistung sei die Verwertung von Verdienstausfallentschädigungen dem Arbeitslosen grundsätzlich gemäß § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV zumutbar. Aus § 138 Abs 3 Nr 6 AFG ergebe sich, daß Zahlungen als Einkommen nur soweit nicht zu berücksichtigen seien, als sie den Verlust der körperlichen Unversehrtheit ausglichen. Zahlungen zum Ausgleich von entgangenem oder entgehendem Einkommen seien dagegen anzurechnen. Die an den Kläger gezahlten Versicherungsleistungen stellten einen Ausgleich für entgangenes oder entgehendes Einkommen aufgrund der dauernden Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit im erlernten Beruf dar. Auch evtl anfallende Zinsen aus dem Wertpapierguthaben seien gemäß § 138 AFG als Einkommen zu berücksichtigen. Im übrigen blieben gemäß § 138 Abs 3 Nr 6 AFG die Vorschriften über die Berücksichtigung von Vermögen unberührt. Daß der Kläger eine niedrigere Bemessung seiner Alhi aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung hinnehmen müsse, sei unerheblich, da das AFG keinen Berufsschutz gewähre. Den Interessen des Klägers werde durch die Freigrenzen des § 6 Abs 1 iVm § 7 Abs 1 AlhiV genügt.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts insoweit aufzuheben, als es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückgewiesen hat, das Urteil des Sozialgerichts ganz aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ergänzend führt er aus, ob und inwieweit Zinseinkünfte zu berücksichtigen seien, sei unerheblich, da im Zeitraum vom 14. November 1989 bis 9. April 1990 keine Zinsen zugeflossen seien. Die Versicherungsleistungen seien weniger als Verdienstausfallentschädigung denn als Ausgleich für den erlittenen Körperschaden anzusehen, da sie nicht am Verdienst des Verletzten orientiert seien, sondern sich nach der Körperschädigung und der Versicherungssumme richteten. Als Folge des Unfalles sei er (der Kläger) nicht nur in seiner Möglichkeit, Erwerbseinkommen zu erzielen, beeinträchtigt, sondern darüber hinaus mit Mehraufwendungen durch seine Körperschädigung belastet. Zwar sei denkbar, daß als Folge einer mehrfachen Versicherung Leistungen zuflössen, die im Verhältnis zum eingetretenen Körperschaden nicht mehr angemessen seien. In Anbetracht seines Alters und des Umstandes, daß er unfallbedingt an seiner bisherigen Berufsausübung gehindert sei, sei der Betrag von 30.000,00 DM jedoch nicht unverhältnismäßig.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Zu entscheiden ist allein noch die Frage, ob dem Kläger für die Zeit vom 14. November 1989 bis 9. April 1990 ein Anspruch auf Alhi zusteht. Nicht mehr streitbefangen ist, ob der Kläger auch für die Zeit vom 10. April bis 20. August 1990 einen Anspruch auf Alhi hat. Allerdings hat das SG die Beklagte auch insoweit zur Gewährung von (ungekürzter) Alhi verurteilt. Indes hat das LSG das Urteil des SG insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger hat hiergegen Revision nicht eingelegt. Das Urteil des LSG ist folglich in bezug auf den Zeitraum vom 10. April bis 20. August 1990 rechtskräftig geworden.
In der Revisionsinstanz fortwirkende Verstöße der Vorinstanzen gegen verfahrensrechtliche Grundsätze, die im öffentlichen Interesse zu beachten und bei einer zulässigen Revision vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung, die vom SG nicht zugelassen worden ist (§ 150 Nr 1 Halbs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), nicht gemäß den §§ 144 ff SGG ausgeschlossen. Dabei kann dahinstehen, ob hier ein sog Beginnstreit (§ 147 SGG) anzunehmen ist. Denn die Berufung war jedenfalls wegen eines von der Beklagten im Berufungsverfahren gerügten Verfahrensmangels zulässig (§ 150 Nr 2 SGG). Die Beklagte hat vor dem LSG unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß das SG dem Kläger für die Zeit vom 10. April bis 20. August 1990 zu Unrecht Alhi zugesprochen habe, da ihm insoweit Alhi bereits durch die Beklagte bewilligt worden sei (Verfügung vom 17. Mai 1990). Dieses Vorbringen wird den Anforderungen an eine Verfahrensrüge im Berufungsverfahren noch gerecht. Es ist sinngemäß als Rüge der Nichtbeachtung eines Verwaltungsaktes anzusehen, der gemäß § 86 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Der von der Beklagten geltend gemachte Verfahrensmangel liegt auch vor. Denn wie der Senat bereits entschieden hat, werden abändernde oder ersetzende Bescheide, die nach Erlaß des Widerspruchsbescheides, aber vor Erhebung der Klage ergehen, nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens; geht dann durch Erhebung der Klage die Sache an das SG, wird auch der neue Bescheid Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens (BSG SozR 1500 § 86 Nr 1; BSG vom 15. Februar 1990 – 7 RAr 22/89 – ≪unveröffentlicht≫; BSG SozR 3-4100 § 157 Nr 1). Das SG hätte es mithin nicht unterlassen dürfen, den zwischenzeitlich ergangenen Bewilligungsbescheid in das Verfahren einzubeziehen.
In der Sache selbst kann der Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des LSG nicht beurteilen, ob dem Kläger ein Anspruch auf Alhi für die Zeit vom 14. November 1989 bis 9. April 1990 zusteht.
Allerdings hat die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung zu Unrecht auf fehlende Bedürftigkeit gestützt (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG). Denn die dem Kläger aus Anlaß des Sportunfalles vom 10. September 1988 aus den beiden privaten Unfallversicherungen erbrachten Leistungen bzw die ihm aus dem Kauf der Bundesschatzbriefe erwachsenen Forderungen über 30.000,00 DM durften im umstrittenen Zeitraum weder als Einkommen noch als Vermögen angerechnet werden.
Eine Anrechnung als Einkommen scheitert an § 137 Abs 1 AFG. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitslose bedürftig iS des § 134 Abs 1 Nr 3, soweit er ua seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 138 zu berücksichtigen ist, die Alhi nach § 136 nicht erreicht. Einkommen iS der Vorschriften über die Alhi sind nach § 138 Abs 2 Satz 1 AFG alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Das bedeutet indessen nicht, daß jeder Geldbetrag, der an den Arbeitslosen gezahlt wird, Einkommen in diesem Sinne ist. Vielmehr sind lediglich solche Beträge als Einkommen zu berücksichtigen, die im Alhi-Bewilligungszeitraum zufließen; hinsichtlich vorher zugeflossener und nicht verbrauchter Einnahmen kommt allenfalls eine Berücksichtigung als Vermögen in Betracht (BSGE 41, 187, 189 = SozR 4100 § 137 Nr 1; BSGE 45, 60, 66 = SozR 4100 § 138 Nr 2; BSG SozR 4100 § 134 Nr 16; BSGE 68, 148, 150 = SozR 3-4100 § 138 Nr 5). Hier sind dem Kläger in der Zeit vom 14. November 1989 bis 9. April 1990 keine Einnahmen zugeflossen. Das ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG. Danach hat der Kläger die 30.000,00 DM aus den privaten Unfallversicherungen jedenfalls vor dem 14. November 1989 erhalten. Denn der Kauf der Bundesschatzbriefe erfolgte bereits im Oktober 1989.
Da die 30.000,00 DM dem Kläger nicht im Alhi-Zahlungszeitraum zugeflossen sind, braucht nicht entschieden zu werden, ob sie ggf nach § 11 Nr 1 AlhiV nicht als Einkommen anzusehen wären, wonach – außer den in § 138 Abs 3 AFG genannten Einkünften – einmalige Einkünfte, soweit sie nach Entstehungsgrund, Zweckbestimmung oder Übung nicht dem laufenden Lebensunterhalt dienen, nicht als Einkommen gelten.
Nach dem Gesamtzusammenhang der tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger im umstrittenen Zeitraum aus den von ihm erworbenen Bundesschatzbriefen auch keine Zinsen erhalten, die als Einnahmen zu bewerten sein könnten. Denn die Bundesschatzbriefe waren auf 7 Jahre fest angelegt. Zinsen fielen erst nach Ende dieser Laufzeit an.
Entgegen der Ansicht der Beklagten scheidet vorliegend auch eine Berücksichtigung von Vermögen des Klägers aus.
Gemäß § 137 Abs 2 AFG ist der Arbeitslose ua nicht bedürftig iS des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt ist. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, ergibt sich des näheren aus §§ 6 ff AlhiV. Danach kommt es entscheidend darauf an, ob das Vermögen, das als ein Bestand von Sachen und Rechten anzusehen ist (BSGE 41, 187, 188 = SozR 4100 § 137 Nr 1), verwertbar und die Verwertung zumutbar ist (§ 6 Abs 1 AlhiV). Hier mögen die vom Kläger im Wert von 30.000,00 DM gekauften Bundesschatzbriefe verwertbar sein; sie dürften auch belastbar gewesen sein (§ 6 Abs 2 Satz 1 AlhiV). Doch war ihre Verwertung dem Kläger nicht zumutbar. Das folgt aus § 6 Abs 3 AlhiV. Nach Satz 1 dieser Bestimmung ist die Verwertung von Vermögen ua zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens billigerweise erwartet werden kann. Satz 2 derselben Vorschrift zählt mehrere Beispiele auf, bei deren Vorliegen von Unzumutbarkeit der Vermögensverwertung auszugehen ist. Dazu gehört ua die Verwertung von Vermögen, das zur Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage oder zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist (Nr 3). Möglicherweise sind die letztgenannten Voraussetzungen vorliegend gegeben. Indes kann dies letztlich offenbleiben. Denn schon der Grundtatbestand des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV ist verwirklicht. Das ergibt sich aus den Besonderheiten des vorliegenden Falles.
Bereits im Urteil vom 11. Februar 1976 – 7 RAr 159/74 – hat der Senat darauf hingewiesen, daß der Verbrauch eines Vermögens von 70.000,00 DM, das auf einer Schenkung durch nahe Angehörige beruht, unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung im Einzelfall unzumutbar sein kann. Das sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Arbeitslose, seinerzeit ein beschäftigungslos gewordener Chemiker, im Zeitpunkt der Schenkung mehr als vier Jahre arbeitslos sei und mit zunehmendem Alter und zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit immer geringere Chancen auf eine seiner Ausbildung entsprechende Erwerbstätigkeit habe. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten sei eine Verwertung des Kapitalvermögens nicht zumutbar, zumal der Kläger dadurch letztlich darauf verwiesen werde, nach Verbrauch des Vermögens wiederum eine – dann umfassende -staatliche Leistung zur Aufrechterhaltung seines Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen (BSGE 41, 187, 190 f = SozR 4100 § 137 Nr 1).
Ähnlich hat der 11. Senat durch Urteil vom 20. Februar 1991 – 11 RAr 109/89 -(BSGE 68, 149, 154 = SozR 3-4100 § 138 Nr 5) entschieden, daß Zinseinnahmen aus einer Gesamtabfindung von 220.000,00 DM, die für eine bei einem Verkehrsunfall erlittene schwere Körperverletzung mit Dauerfolgen (Querschnittslähmung) gezahlt wurde, nicht zu einem anrechenbaren Einkommen führten; ebensowenig sei die Gesamtabfindung als solche unter dem Gesichtspunkt der Vermögensverwertung zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang hat der 11. Senat auf § 11 Nr 4 AlhiV aF (§ 11 Nr 2 AlhiV nF) Bezug genommen. Dieser Vorschrift liege die Annahme zugrunde, die Unfallrente sei, soweit sie die für die gleiche Schädigung zu zahlende Grundrente nicht übersteige, zum Ausgleich des nicht im Verdienstausfall liegenden Schadens notwendig (§ 138 Abs 3 Nr 6 AFG). Im vorliegenden Fall kann dieser Rechtsgedanke nicht zum Tragen kommen. Denn die 30.000,00 DM wurden dem Kläger nicht, wie in § 11 Nr 4 AlhiV aF (§ 11 Nr 2 AlhiV nF) gefordert, zur Abfindung einer Unfallrente aus der gesetzlichen (oder privaten) Unfallversicherung erbracht. Doch führt die Anwendung des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV zum gleichen Ergebnis.
Die Besonderheiten des vorliegenden Falles bestehen in folgendem: Der Kläger war im Zeitpunkt der Antragstellung auf Alhi (14. November 1989), der für die Bewertung des Vermögens maßgebend ist (§ 8 Satz 2 AlhiV), 40 Jahre alt. Er war seit nahezu zwei Jahren arbeitslos bzw arbeitsunfähig krank. Die ihm gewährten Versicherungsbeträge beruhten teilweise auf eigenen Beitragsleistungen. Die von ihm erlittene gesundheitliche Einbuße ist nicht unerheblich (Bewegungseinschränkung im Ellbogengelenk mit Aufhebung der Unterarmdrehbeweglichkeit in günstiger Stellung mit einem hierdurch bedingten GdB von 30). Sie weist überdies Dauercharakter auf. Der Kläger mußte aus diesem Grund seinen Beruf als Lackierer aufgeben und eine Umschulung zum Pförtner/Auskunftsassistenten durchlaufen, ohne einen entsprechenden neuen Arbeitsplatz in Aussicht zu haben. Die ihm zugesprochenen 30.000,00 DM stellen im Vergleich zur bleibenden Funktionseinbuße kein unverhältnismäßig hohes Äquivalent dar. Zudem dienten sie zumindest auch als Ausgleich eines Schadens ohne Einkommensersatzfunktion, der unter dem Aspekt der Einkommensberücksichtigung grundsätzlich anrechnungsfrei ist (§ 138 Abs 3 Nr 6 AFG). Vor allem aber ist das Bemessungsentgelt des Klägers aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen gemäß § 112 Abs 7 AFG herabgesetzt worden. Das bedeutet, die dem Kläger zustehende Alhi belief sich auf einen ersichtlich geringeren Betrag, als es ihn ohne den Unfall ergeben hätte. Mit derartigen Leistungsnachteilen wird der Kläger auch künftig zu rechnen haben. Im Ergebnis bewirkt die Vorgehensweise der Beklagten mithin, daß der Kläger aufgrund seines Unfalls einerseits geringere Leistungen erhält, ihm andererseits ein Großteil des ohnehin nicht sehr hoch ausgefallenen Schadensersatzbetrages nochmals auf die gekürzte Leistung angerechnet wird. Das führt nach Auffassung des Senats dazu, daß ihm die Verwertung der 30.000,00 DM unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung iS des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV billigerweise nicht abverlangt werden darf.
Schließlich kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, er hätte zu Beginn des Alhi-Zeitraumes (14. November 1989) eine Vermögensumschichtung in dem Sinne vornehmen müssen, daß er während des Alhi-Bezuges Zinseinkünfte erzielte. Fraglich ist schon, ob eine solche Disposition überhaupt möglich gewesen wäre. Jedenfalls war dem Kläger eine nachträgliche Umschichtung deshalb nicht zuzumuten, weil sie ohne gravierende wirtschaftliche Nachteile – zumindest hinsichtlich der Zinshöhe – nicht zu realisieren gewesen wäre. Insoweit liegt der Fall anders als der Fall, der der Entscheidung des Senats vom 11. Februar 1976 zugrunde lag. Dort war der Vermögenserwerb erst während des Alhi-Bezuges eingetreten, weshalb der Senat betont hat, daß der Arbeitslose bei der Anlage von Geld im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen und Zumutbaren dafür zu sorgen habe, daß ihm die Erträge oder Einkünfte in entsprechender Höhe für den laufenden Lebensunterhalt zur Verfügung stünden (BSGE 41, 187, 191 f = SozR 4100 § 137 Nr 1). Der vorliegende Fall, in dem der Kläger schon vor Beginn des Zahlungszeitraumes disponiert hat und disponieren durfte, ist hiermit nicht vergleichbar.
Kommt sonach weder hinsichtlich des angelegten Kapitalbetrages noch hinsichtlich der Zinsen eine Anrechnung als Einkommen oder Vermögen auf den Alhi-Anspruch des Klägers in Betracht, konnte der Senat gleichwohl keine abschließende Entscheidung treffen. Das angefochtene Urteil mußte vielmehr aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 SGG). Das LSG hat nämlich nicht festgestellt, ob – abgesehen von der Frage der Bedürftigkeit- die übrigen Voraussetzungen für einen Alhi-Anspruch im umstrittenen Zeitraum gegeben sind. Es hat dies mit dem Hinweis für nicht notwendig erachtet, daß die Beklagte dem Kläger später Alhi bewilligt habe. Eine solche Schlußfolgerung ist schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Bindungswirkung einer Leistungsbewilligung nicht ohne weiteres die zugrundeliegenden Tatbestandsmerkmale erfaßt. Vorliegend kommt hinzu, daß die Leistungsbewilligung erst die Zeit ab 10. April 1990 betraf und somit keine Rückschlüsse auf den davorliegenden Zeitraum gestattet. Das LSG wird die erforderlichen Tatsachenfeststellungen zur Frage des Bestehens eines Alhi-Anspruchs für die Zeit vom 14. November 1989 bis 9. April 1990, darunter insbesondere die zur Frage der Verfügbarkeit, nachzuholen haben. Erst dann steht fest, ob der Klageanspruch begründet ist oder nicht.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen