Entscheidungsstichwort (Thema)
Alterssicherung der Landwirte – Beitragszuschuß – Landwirt – Einkommensermittlung – Einkommensteuerbescheid – Einkommensänderung – korrigierter Wirtschaftswert
Leitsatz (amtlich)
Für die Berechnung des einem Landwirt zu gewährenden Beitragszuschusses ist das im Einkommensteuerbescheid festgestellte Einkommen auch dann zugrunde zu legen, wenn das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid erst während des Bewilligungszeitraumes, aber noch vor erstmaliger Entscheidung über den Beitragszuschuß erlassen hat.
Stand: 5. November 2001
Normenkette
ALG § 32 Abs. 1, 3 S. 4 Nr. 1, Abs. 4 Sätze 2-3, Abs. 5 S. 1, Abs. 6; EStG § 4 Abs. 1, 3, § 13a
Beteiligte
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Landwirtschaftliche Alterskasse Württemberg |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Beitragszuschusses zur landwirtschaftlichen Alterskasse für die Monate Januar bis März 1995.
Der Kläger war bis zum 30. Juni 1993 mitarbeitender Familienangehöriger im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters. Seit dem 1. Juli 1993 bewirtschaften Vater und Sohn den Betrieb – verbunden zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts – gemeinsam. Von da an war der Kläger versicherungspflichtiger Landwirt, seit dem 1. Januar 1995 nach § 1 Abs 1 Nr 1, Abs 2 des Gesetzes über die Altersicherung der Landwirte (ALG). Im September 1994 beantragte er einen Beitragszuschuß für das Jahr 1995. Dazu legte er im April 1995 seinen Einkommensteuerbescheid 1993 vom 1. April 1995 vor. Danach hat er 1993 aus nichtselbständiger Arbeit 7.668,00 DM und aus Land- und Forstwirtschaft (LuF) 5.443,00 DM erzielt. Die Beklagte gewährte ihm ab 1. Januar 1995 einen Beitragszuschuß von 37,00 DM und ab 1. April 1995 von 233,00 DM monatlich (Bescheide vom 2. Juni 1995 und vom 8. August 1996). Den Widerspruch gegen die Höhe des Zuschusses für die ersten drei Monate des Jahres 1995 wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 13. November 1996). Der Zuschuß sei erst ab dem Ausfertigungsmonat des Einkommensteuerbescheides 1993 (April 1995) nach den dort ausgewiesenen Einkünften zu berechnen. Für die Zeit davor ergäben sich nach § 32 Absätze 5 und 6 ALG (aufgrund des „korrigierten Wirtschaftswertes”) Einkünfte aus LuF von 30.884,00 DM und zusammen mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (7.668,00 DM abzüglich 2.000,00 DM Arbeitnehmerpauschbetrag = 5.668,00 DM) von 36.543,84 DM. Daraus errechne sich für die streitige Zeit nur der gewährte Zuschußbetrag von 37,00 DM monatlich.
Das Sozialgericht Heilbronn hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 24. November 1998). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat diese Entscheidung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den höheren Beitragszuschuß auch für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1995 zu bewilligen (Urteil vom 16. Dezember 1999). Da bei Erlaß des Zuschußbescheides vom 2. Juni 1995 der Einkommensteuerbescheid 1993 bereits vorgelegen habe, sei das dort ausgewiesene Einkommen für den gesamten Bewilligungszeitraum (ab 1. Januar 1995) maßgeblich. Aus § 32 Abs 4 Satz 3 ALG folge nichts anderes. Die dort angeordnete pauschale Einkommensermittlung bis zur Vorlage eines ersten Einkommensteuerbescheides gelte nur für laufende Zuschußfälle und damit nicht für den Kläger, dem mit dem angegriffenen Bewilligungsbescheid erstmals ein Beitragszuschuß gewährt worden sei.
Die Beklagte macht mit der – vom LSG zugelassenen – Revision geltend, das Berufungsgericht habe § 32 Abs 4 Satz 3 ALG verletzt. Die Vorschrift gelte unterschiedslos für laufende Zahlfälle wie für den erstmals zu gewährenden Beitragszuschuß.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Dezember 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Beitragszuschuß in Höhe des ab 1. April 1995 gezahlten Betrages auch für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1995. Denn das der Beitragszuschußberechnung zugrunde zu legende Einkommen hat sich mit Erlaß des Einkommensteuerbescheides 1993 am 21. April 1995 nicht geändert, es ist durch diesen Bescheid – erst – bestimmt worden.
Nach § 32 Abs 1 ALG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Reform der agrarsozialen Sicherung (ASRG 1995) vom 29. Juli 1994 (BGBl I 1890) erhalten versicherungspflichtige Landwirte einen Zuschuß zu ihrem Beitrag, wenn das jährliche Einkommen 40.000,00 DM nicht übersteigt. Die mit der Statuierung von Einkommensgrenzen allgemein verbundenen Probleme (Definition des Einkommens, Referenzperiode und Einkommensermittlung) löst das ALG in § 32 Abs 3, indem es an das Einkommensteuerrecht anknüpft und nicht auf das laufende, zeitgleich mit dem Beitragszuschuß erzielte, aktuelle Einkommen abstellt, sondern auf ein historisches Einkommen. Das Gesetz enthält dazu folgende Regelung: Hat für eines der letzten vier Kalenderjahre vor dem Kalenderjahr, für das der Anspruch auf Beitragszuschuß zu prüfen ist, eine Veranlagung zur Einkommensteuer stattgefunden, so ist die dort (verbindlich) festgestellte Summe der positiven Einkünfte zugrunde zu legen; sind mehrere Kalenderjahre veranlagt, gelten die Einkünfte im zeitnächsten (jüngsten) Jahr. Fehlt eine Veranlagung für eines der letzten vier Kalenderjahre, so hat die Alterskasse die Summe der positiven Einkünfte des vorvergangenen Jahres selbständig nach steuerrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln und ihrer Entscheidung zugrunde zu legen.
Diese allgemeinen Grundsätze gelten für die Einkünfte aus LuF nur dann, wenn der Gewinn – von buchführenden Betrieben – nach § 4 Abs 1 oder Abs 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelt wird (Argument aus § 32 Abs 5 Satz 1 ALG). Eine Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a EStG gibt dagegen den tatsächlich erzielten Gewinn nicht wieder und wird deshalb vom Gesetz bei der Berechnung des Beitragszuschusses als untauglich verworfen. Eine solche Einkommensermittlung begünstigt die Landwirte im Steuerrecht und führt zu erheblichen Subventionen (vgl BT-Drucks 12/5700, S 67). Deshalb ist der Gewinn aus LuF in solchen Fällen – zwar fiktiv, aber realitätsgerechter als nach § 13a EStG – aufgrund eines „korrigierten Wirtschaftswertes” zu ermitteln (§ 32 Abs 5 Satz 1, Abs 6 ALG). Dasselbe gilt, wenn der Betrieb seinen Gewinn zwar – wirklichkeitsnah – nach § 4 Abs 1 oder Abs 3 EStG ermittelt, aber ein (zeitnaher) Einkommensteuerbescheid für eines der letzten vier Jahre (noch) nicht ergangen ist.
Nach diesem System der Einkommensermittlung hatte die Beklagte bei Prüfung der Zuschußwürdigkeit des Klägers keine eigenen Feststellungen zu treffen, sondern für ihren Zuschußbescheid vom 2. Juni 1995 die im Einkommensteuerbescheid 1993 für den buchführenden Betrieb des Klägers bereits festgestellten Einkünfte aus LuF für das gesamte Jahr 1995 zu übernehmen. Die Beklagte hält sich demgegenüber für berechtigt und verpflichtet, für die ersten drei Monate des Jahres 1995 ein nach dem „korrigierten Wirtschaftswert” von ihr ermitteltes höheres Arbeitseinkommen aus LuF zugrunde zu legen und den Einkommensteuerbescheid erst von dessen Ausstellungsmonat (April 1995) an zu beachten. Diese Auffassung findet im Gesetz keine Stütze.
Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf § 32 Abs 4 Satz 3 ALG: „Wird der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft erstmals nach § 4 Abs 1 oder 3 des Einkommensteuergesetzes ermittelt, gilt Abs 5 bis zur fristgemäßen Vorlage des ersten Einkommensteuerbescheides”. Diese Vorschrift gilt – wie § 32 Abs 4 ALG insgesamt – nur für Fälle, in denen – anders als hier – ein Beitragszuschuß schon bezogen (und während des laufenden Bezuges die Gewinnermittlungsart gewechselt) wird. Dies hat der Senat bereits beiläufig ausgesprochen (SozR 3-5868 § 32 Nr 1). An dieser Auffassung hält er fest. Maßgebend dafür ist die vom Gesetz aufgestellte hierarchische Ordnung der Methoden zur Ermittlung des Arbeitseinkommens aus LuF und der mit § 32 Abs 4 ALG verfolgte Zweck.
Wie gezeigt, wird der Bedarf nach Beitragsentlastung – was die Einkünfte aus LuF anbelangt – nach zwei unterschiedlichen Methoden ermittelt: Einer zuverlässigen, wirklichkeitsnahen, die an den nach Steuerrecht ermittelten und von den Behörden der Finanzverwaltung festgestellten Gewinn buchführungspflichtiger Landwirte anknüpft (vgl zur Verbindlichkeit ≪Tatbestandswirkung≫ des Einkommensteuerbescheides für die landwirtschaftlichen Alterskassen: Rombach, Alterssicherung der Landwirte, 1995, 226; Zindel, SdL 1997, 188, 198 f; GLA-Komm, Stand Juli 2000, § 34 ALG, S 2.1 f) und nach einer vergleichsweise ungenauen Methode, die, ausgehend vom Wirtschaftswert des landwirtschaftlichen Betriebes, einen fiktiven Betrag annimmt. Zwischen diesen Methoden darf die Verwaltung nicht und kann der beitragspflichtige Landwirt nur mittelbar wählen: durch den Übergang von einer (steuerlichen) Gewinnermittlungsart zu einer anderen. Denn das Gesetz räumt der sachlich überlegenen, weil wirklichkeitsnäheren Ermittlung des Jahreseinkommens auf der Grundlage der tatsächlichen, nach den Maßstäben des § 4 Abs 1 oder Abs 3 EStG ermittelten Gewinns aus LuF den Vorrang ein vor einer Berechnung des Beitragszuschusses auf der Grundlage des „korrigierten Wirtschaftswertes”. Das Rangverhältnis bleibt selbst dann bestehen, wenn der jüngste Einkommensteuerbescheid einen bereits vier Jahre zurückliegenden Zeitraum betrifft (§ 32 Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG). Erst bei Einkommensteuerbescheiden für noch weiter zurückliegende Kalenderjahre verblaßt die Aussagekraft über die Zuschußwürdigkeit des Landwirts im laufenden Zuschußjahr. Erst in solchen Fällen tritt an die Stelle eines – in der Vergangenheit – tatsächlich erzielten das nach dem „korrigierten Wirtschaftswert” berechnete fiktive Einkommen.
Im übrigen ergibt sich die Hierarchie der Berechnungsmethoden, wie der Senat bereits ausgeführt hat (SozR 3-5868 § 32 Nr 1), schon aus dem Wortlaut des § 32 Abs 5 Satz 1 ALG: „Wird der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nicht nach § 4 Absatz 1 oder 3 des Einkommensteuergesetzes ermittelt …, wird … das Arbeitseinkommen aus Land- und Forstwirtschaft nach Absatz 6 … festgesetzt”. Noch deutlicher ging dies aus § 32 Abs 4 Satz 1 ALG idF des Entwurfs der Bundesregierung und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum ASRG 1995 hervor, der folgende Regelung vorsah:
„Solange der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach § 4 Abs 1 oder 3 des Einkommensteuergesetzes ermittelt wird, sind die sich aus dem letzten verfügbaren Einkommensteuerbescheid ergebenden Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft das maßgebliche Arbeitseinkommen …” (BT-Drucks 12/5700 S 17).
Die Änderungen im Gesetzgebungsverfahren, die zum Wegfall dieser von CDU und FDP angestrebten Regelung geführt haben (vgl die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 12/7589, S 39), hatten nicht zum Ziel, den Vorrang der Einkommensermittlung auf der Grundlage einer Buchführung zu beseitigen; im Gegenteil hebt auch die dazu abgegebene Begründung (BT-Drucks 12/7599, S 10 zu § 32 Abs 3) ausdrücklich hervor, daß im Rahmen der Zuschußberechnung für das Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit grundsätzlich auf den Einkommensteuerbescheid abgestellt werden soll.
§ 32 Abs 4 ALG schränkt den Vorrang des jüngeren vor dem älteren Steuerbescheid ebenso ein wie den Vorrang eines Einkommensteuerbescheides vor dem „korrigierten Wirtschaftswert”. Feststellungen des Einkommens – durch einen jüngeren Einkommensteuerbescheid – werden erst vom Ersten des auf die Vorlage dieses Bescheides folgenden Kalendermonats an berücksichtigt (Satz 2) und ein erstmaliger Einkommensteuerbescheid erst ab seiner (fristgemäßen) Vorlage (Satz 3). Der sachliche Grund für diese Regelung liegt im geringeren Verwaltungsaufwand. Das Gesetz nimmt es in Kauf, daß der Beitragszuschuß für eine kurze Zeit nach veralteten oder weniger realitätsgerechten Daten berechnet – und gezahlt – wird, um den Verwaltungsaufwand zu vermeiden, der mit rückwirkenden Neufeststellungen verbunden wäre, die Rückforderungen und Nachzahlungen für die Vergangenheit erforderlich machen würden (vgl Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R –-, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Allein diese sachlich (auf Neufeststellungen des Beitragszuschusses nach Wechsel der Gewinnermittlungsart) und zeitlich (bis zum „ersten” Einkommensteuerbescheid) begrenzte Rangumkehrung der Methoden zur Einkommensermittlung ist Inhalt der besonderen Vorschrift des § 32 Abs 4 Satz 3 ALG. Die Regelung gilt nicht in der Zeit zwischen Antragstellung und Erteilung eines ersten Bescheides über die Bewilligung des Beitragszuschusses (so auch GLA-Komm, § 32 ALG, S 1.3). Im Gesetz fehlt jeder Anhalt, daß bei Erstfeststellungen – wie im vorliegenden Fall – ältere und deshalb in ihrer Aussagekraft überholte Einkommensteuerbescheide oder – statt erstmals ergangener Einkommensteuerbescheide – „korrigierte Wirtschaftswerte” maßgeblich sein sollen. Das Gegenteil hieße nicht nur: Statt eines bei Entscheidung über den Zuschußantrag bereits bekannten und nach der gesetzlichen Wertung eher zutreffenden ein davon abweichendes, realitätsferneres Einkommen zugrunde zu legen. Zugleich würde dies wegen der notwendigen mehrfachen Berechnungen zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfordern. Zu der unkomplizierten Übernahme des vom Finanzamt verbindlich festgestellten Gewinns aus LuF (für die Zeit ab 1. April 1995) käme im vorliegenden Fall (für die ersten drei Monate des Jahres 1995) die eigenständige Ermittlung fiktiver Einkünfte nach dem „korrigierten Wirtschaftswert” hinzu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 624921 |
SozR 3-5868 § 32, Nr. 11 |
SozSi 2003, 72 |