Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Mai 1992 aufgehoben, soweit es die Ablehnung von zeitlich unbefristeter Rente und die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens betrifft.
In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision der Klägerin als unzulässig verworfen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten noch über die Dauer der Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), die der Klägerin von der Vorinstanz zuerkannt worden ist. Die Klägerin begehrt die Gewährung aufgrund eines früheren Versicherungsfalles sowie den Wegfall der zeitlichen Begrenzung.
Die 1948 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie arbeitete zunächst von 1965 bis 1972 in ihrer türkischen Heimat und war dann von 1973 bis 1989 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Den im März 1990 gestellten Rentenantrag der Klägerin lehnte die Beklagte nach medizinischer Sachaufklärung mit Bescheid vom 20. September 1990 ab. Während die Klage erfolglos blieb, änderte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 12. April 1991 sowie die Verwaltungsentscheidung der Beklagten ab und verurteilte die Beklagte, der Klägerin Rente wegen EU auf Zeit nach einem am 28. Januar 1992 eingetretenen Versicherungsfall vom Beginn der 27. Woche an bis zum 31. Dezember 1994 zu zahlen. Im übrigen wurde die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 21. Mai 1992). Zur Begründung führte das LSG im wesentlichen aus:
Zur Überzeugung des Senats stehe aufgrund des durch den Gerichtssachverständigen Dr. K. … erstatteten Gutachtens fest, daß die Klägerin seit der Untersuchung durch diesen Arzt am 28. Januar 1992 nicht mehr in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu werden. Hingegen habe sich der Senat der Auffassung von Dr. K. … zum Leistungsvermögen der Klägerin in der Zeit davor nicht anschließen können. Der Verwaltungsgutachter Dr. O. habe die Klägerin zum Zeitpunkt seiner Begutachtung im Mai 1990 noch für vollschichtig einsatzfähig gehalten. Gerade beim Krankheitsbild einer somatisierten Depression müsse dem persönlichen Eindruck, den die jeweiligen Ärzte von der zu beurteilenden Person gewonnen hätten, ein hoher Beweiswert beigemessen werden. Für die Zeit vor der Begutachtung durch Dr. K. … habe der Senat sich deshalb der Beurteilung des Leistungsvermögens durch Dr. O. angeschlossen.
Es bestehe aber nur ein Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen EU auf Zeit, da die begründete Aussicht bestehe, daß die EU in absehbarer Zeit behoben werden könne (§ 1276 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫). Das Gutachten des Gerichtssachverständigen Dr. K. … lasse die Möglichkeit offen, daß eine Abhilfe mit fremder Unterstützung möglich sei. Der Einschätzung von Dr. K. …, daß er entsprechende Behandlungsansätze nicht erkennen könne, habe der Senat sich nicht anzuschließen vermocht. Denn aus den medizinischen Unterlagen gehe hinreichend deutlich hervor, daß eine Therapie der psychosomatischen Erkrankung der Klägerin noch nicht hinreichend erfolgt sei. Von einer Nichttherapierbarkeit der Erkankung der Klägerin könne erst dann ausgegangen werden, wenn entsprechende psychotherapeutische Behandlungsansätze von einem türkisch sprechenden Arzt erfolglos durchgeführt worden seien. Zur Durchführung dieser Maßnahme durch den zuständigen Rehabilitationsträger sei es als angemessen erschienen, der Klägerin eine Rente wegen EU auf Zeit bis zum 30. Dezember 1994 zu gewähren, da in diesem Zeitrahmen auch längerdauernde Heilbehandlungen durchführbar seien. Für die von der Klägerin hilfsweise beantragte Einholung eines weiteren neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen habe der Senat keine Veranlassung gesehen, weil er den medizinischen Sachverhalt (Diagnose, Leistungsbeurteilung) als hinreichend geklärt ansehe.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1247, 1276 RVO, §§ 44, 102 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) sowie des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Dazu trägt sie vor:
Hinsichtlich der Beurteilung, ob begründete Aussicht bestehe, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in absehbarer Zeit behoben sein könne, habe das LSG nicht kundgetan, daß es psychotherapeutische Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Neurologie und Psychiatrie besitze, so daß die Beurteilung des LSG, wonach sie ihre psychische Fehlhaltung mit fremder Hilfe überwinden könne, über die Fachkompetenz des Gerichts hinausgehe. Schließlich habe Dr. K. … in seinem Gutachten (unter IV auf S 23) ausgeführt, daß bei ihr keine begründete Aussicht bestehe, daß die MdE in absehbarer Zeit behoben sein könne und Möglichkeiten der Behebung vom Gutachter auch nicht benannt werden könnten, wobei auch die Durchführung eines Heilverfahrens als nicht aussichtsreich beurteilt worden sei. Wenn also das LSG zur abschließenden Beurteilung eine Antwort auf die Frage benötige, ob sie die psychische Fehlhaltung mit fremder Hilfe überwinden könne, hätte es nahegelegen, den Gutachtenauftrag entsprechend zu ergänzen bzw dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines weiteren neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu folgen.
Soweit das LSG in Abweichung zu Dr. K. … der Beurteilung des Verwaltungsgutachters Dr. O. folge, wonach im Mai 1990 noch vollschichtige Einsatzfähigkeit bestanden habe, habe es auch hierfür keine Gründe genannt, die es rechtfertigen würden oder die Sachkunde erkennen ließen, weshalb das LSG den Arztbericht aus dem Niedersächsischen Landeskrankenhaus Hildesheim (Aufenthalt vom 5. September bis 4. Oktober 1989) besser beurteilen könne als der Gutachter Dr. K. …. Darüber hinaus habe Dr. K. … der Einschätzung des Dr. O. widersprochen und ausgeführt, daß seine abweichende Auffassung in den Punkten I bis V angesprochen und verdeutlicht worden sei. Hiermit habe sich das LSG nicht auseinandergesetzt.
Die Klägerin beantragt,
- das Urteil des LSG vom 21. Mai 1992 und den dazu ergangenen Ausführungsbescheid vom 15. Juli 1992 zu ändern sowie das Urteil des SG vom 12. April 1991 und den Bescheid der Beklagten vom 20. September 1990 aufzuheben,
- die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin, Rente wegen EU ab 1. April 1990 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG vom 21. Mai 1992 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unzulässig, soweit mit ihr Rente für die Zeit vor dem 1. Februar 1992 begehrt wird. In dieser Hinsicht ist sie nicht ausreichend begründet worden.
Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muß die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Die Klägerin hat zwar bereits mit der Revisionseinlegung einen bestimmten Antrag gestellt (vgl dazu BSG SozR 1500 § 164 Nr 2). Auch sind §§ 1247, 1276 RVO, §§ 44, 102 SGB VI sowie § 103 SGG als verletzte Rechtsnormen genannt worden. Soweit die Revision Rente für die Zeit vor dem 1. Februar 1992 betrifft, fehlt es jedoch an einer ordnungsgemäßen Darlegung der Gründe, die das Urteil des LSG nach Meinung der Revisionsklägerin in dem angefochtenen Umfang als unrichtig erscheinen lassen (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 12).
Die für ein Rechtsmittel gesetzlich vorgeschriebene Begründung ist nicht nur bei einer Mehrheit von mit dem Rechtsmittel verfolgten Ansprüchen für jeden von ihnen erforderlich. Vielmehr muß sich auch bei einem „teilbaren” Streitgegenstand, wenn für die Teile unterschiedliche Sachverhalte maßgeblich sind, die Begründung auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird. Widrigenfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 22 mwN; BSG, Urteil vom 16. März 1989 – 4/11a RA 70/87 –, Umdr S 8 f).
Das Urteil des LSG ist in zweierlei Hinsicht hinter dem Klagebegehren zurückgeblieben: Zum einen hat das LSG das Vorliegen von EU nicht bereits ab Antragstellung bejaht, sondern deren Eintritt erst für den 28. Januar 1992 als nachgewiesen angesehen. Zum anderen hat es der Klägerin lediglich Rente auf Zeit bis zum 31. Dezember 1994 zuerkannt. Dabei handelt es sich um zwei selbständige Streitteile, für die jeweils eine ausreichende Revisionsbegründung vorliegen muß.
Der auf Rente ab 1. April 1990 gerichtete Revisionsantrag enthält insoweit einen selbständigen Streitteil, als es die Zeit vor dem 1. Februar 1992 betrifft. Denn für den Zeitraum vom 1. April 1990 bis 31. Januar 1992 kann die Klägerin – unabhängig von der Frage, ob ihr Zeit- oder Dauerrente zusteht – Leistungen nur beanspruchen, wenn der Versicherungsfall nicht – wie das LSG angenommen hat – erst am 28. Januar 1992, sondern entsprechend früher eingetreten ist (vgl § 1290 Abs 2 RVO). Es sind also zu diesem Punkt besondere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich. Der sich aus einem abweichenden Versicherungsfall herleitende Anspruch auf einen früheren Rentenbeginn kann gesondert geltend gemacht werden und ist dementsprechend auch selbständig zu begründen.
Diesen Begründungsanforderungen hat die Klägerin nicht hinreichend Rechnung getragen. Die den Eintritt des Versicherungsfalles betreffenden Angriffe der Klägerin gegen das Berufungsurteil beschränken sich auf das Geltendmachen von Verfahrensmängeln. Um einen Verfahrensmangel zu bezeichnen, müssen die ihn aus der Sicht des Revisionsführers begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG, Urteil vom 11. Juli 1985 – 5b RJ 88/84 –, Umdr S 10). Erforderlich ist eine Darlegung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 31).
Soweit die Klägerin sich dagegen wendet, daß die Vorinstanz bei der Frage des Eintritts der EU dem Verwaltungsgutachter Dr. O. und nicht dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. K. … gefolgt ist, könnte sich ihre Rüge auf § 128 Abs 1 SGG beziehen. Danach entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Dabei ist zu beachten, daß eine unrichtige oder nicht erschöpfende Beweiswürdigung nicht den Gang des Verfahrens, sondern den Inhalt der Entscheidung betrifft (vgl BSG, Urteil vom 24. Mai 1984 – 2 RU 12/83 –, Umdr S 8). Ein Mangel des Verfahrens liegt nur vor, wenn das LSG die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten, zB gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze verstoßen hat (vgl BSGE 2, 236, 237). Gleiches gilt, wenn das Gericht eine auf medizinischem Wissensgebiet liegende Frage abweichend von der Auffassung des gehörten Sachverständigen beantwortet, ohne seine dazu vorhandene besondere Sachkunde im Urteil darzulegen oder anzugeben, woher es die hierin erforderlichen Fachkenntnisse besitzt (vgl BSG SozR Nr 33 zu § 103 SGG; BSG, Urteil vom 16. Februar 1967 – 10 RV 126/66 –; Beschluß vom 28. Juni 1988 – 2 BU 164/87 –).
Anhand der von der Klägerin dargelegten Tatsachen kann der erkennende Senat nicht beurteilen, ob hier in diesem Sinne ein Verstoß gegen § 128 Abs 1 SGG vorliegt. Ihr Vortrag ist bereits insofern unklar, als sie einerseits davon spricht, das LSG sei in Abweichung zu Dr. K. … der Beurteilung des Verwaltungsgutachters Dr. O. gefolgt, andererseits aber Gründe dafür vermißt, weshalb das LSG den Arztbericht des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Hildesheim besser beurteilen könne, als der Gutachter Dr. K. …. Sollte bereits Dr. O. den genannten Arztbericht bei seiner Begutachtung ausgewertet haben, so hätte sich das LSG jedenfalls nicht ohne weiteres eine eigene medizinische Sachkunde angemaßt, wenn es sich dessen Auffassung angeschlossen hat. Darüber hinaus fehlt es an näheren Angaben zum Inhalt der von der Klägerin erwähnten Beweismittel (Gutachten von Dr. O. und Dr. K. …, Bericht des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Hildesheim) sowie der sich darauf beziehenden Entscheidungsgründe des Berufungsurteils, um eine verfahrensfehlerhafte Überschreitung der Grenzen des § 128 Abs 1 SGG prüfen zu können. Die Klägerin hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, die Beweiswürdigung des LSG im Ergebnis zu kritisieren, ohne jedoch die insofern entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen.
Ferner rügt die Klägerin, das LSG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, daß Dr. K. … der Einschätzung des Dr. O. widersprochen und seine abweichende Auffassung im Gutachten erläutert habe. Auch in diesem Zusammenhang läßt die Revisionsbegründung der Klägerin eine hinreichende Darlegung der relevanten Tatsachen vermissen. Insbesondere wird nicht deutlich, welcher Einschätzung des Dr. O. der Sachverständige Dr. K. … mit welchen Argumenten entgegengetreten ist und was das LSG dazu ausgeführt hat. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, der Gutachter wäre ergänzend zu hören, soweit eine Abweichung iS des Dr. O. angenommen werden solle. Wenn es sich dabei überhaupt um eine Rüge und nicht um einen bloßen Hinweis auf die noch erforderlichen Ermittlungen handelt, so mangelt es wiederum an dem von § 164 Abs 2 Satz 3 SGG geforderten Tatsachenvortrag, aus dem sich ein Verfahrensmangel ergeben kann.
Dagegen ist die Revision zulässig, soweit die Klägerin Dauerrente anstelle der gewährten Zeitrente begehrt. Hierzu rügt die Klägerin zunächst, daß die Beurteilung des LSG, wonach die Klägerin ihre psychische Fehlhaltung mit fremder Hilfe überwinden könne, über die erkennbare Fachkompetenz des Gerichts hinausgehe. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich, daß das Berufungsgericht hier eine medizinische Frage in Abweichung von dem gerichtlichen Sachverständigen beantwortet hat, ohne eine besondere Sachkunde zur eigenständigen Beurteilung dieser Frage im Urteil kundgetan zu haben. Damit ist ein Verstoß gegen § 128 Abs 1 SGG hinreichend dargelegt worden (vgl BSG SozR Nr 2 zu § 128 SGG). Entsprechend verhält es sich mit der Rüge der Klägerin, das LSG hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen (§ 103 SGG), wenn es dem Sachverständigen Dr. K. … in diesem Punkt nicht habe folgen wollen und keine ausreichende eigene Fachkompetenz auf dem einschlägigen medizinischen Wissensgebiet besaß (vgl BSG SozR Nr 33 zu § 103 SGG; BSG, Urteil vom 30. November 1960 – 9 RV 238/56 –; allgemein auch BSG, Urteil vom 21. November 1969 – 12 RJ 504/68 –). Auch darin liegt eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung zu diesem Streitteil.
In ihrem zulässigen Umfang ist die Revision der Klägerin auch begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Dessen Feststellungen zur Behebbarkeit der EU der Klägerin reichen für eine abschließende Beurteilung nicht aus.
Die Frage, ob der Klägerin nur Rente auf Zeit zu gewähren war, richtet sich hier noch nach dem durch das Rentenreformgesetz 1992 gestrichenen 4. Buch der RVO, da die Klägerin ihren Rentenantrag vor dem 31. März 1992, nämlich schon im März 1990, gestellt hat und sich ihr Anspruch auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (§ 300 Abs 2 SGB VI; vgl zB auch BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Einschlägig ist insofern § 1276 Abs 1 Satz 1 RVO: Besteht begründete Aussicht, daß die Berufsunfähigkeit (BU) oder EU in absehbarer Zeit behoben sein kann, so ist die Rente wegen BU oder wegen EU oder die Hinterbliebenenrente nach § 1268 Abs 2 Nr 2 RVO vom Beginn der 27. Woche an, jedoch nur auf Zeit und längstens für drei Jahre von der Bewilligung an zu gewähren. Erforderlich ist also eine Prognose über die voraussichtliche Dauer der EU.
Grundsätzlich ist bei der Beurteilung dieser Frage auf den Zeitpunkt der Bescheiderteilung über das Vorliegen des für die Rentenbewilligung maßgebenden Versicherungsfalles abzustellen (vgl BSG SozR 2200 § 1276 Nr 6 S 11, mwN). Im vorliegenden Fall erscheint es jedoch sachgerecht, den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG als Ausgangspunkt für die Prognose zu nehmen (vgl BSG aaO S 12), hier also den 12. Mai 1992. Zwar lag die Erkrankung der Klägerin, welche später zur Rentengewährung geführt hat, bereits bei Ablehnung des Rentenbegehrens durch die Beklagte vor, nach Auffassung des LSG ist die EU der Klägerin jedoch erst später, nämlich am 28. Januar 1992, aufgrund einer zwischenzeitlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten. An diese tatsächlichen Feststellungen, gegen die – wie dargelegt – keine zulässigen Verfahrensrügen vorgebracht worden sind, ist der Senat gebunden (vgl § 163 SGG). Im Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 20. September 1990 bestand für die Beklagte mangels Eintritts eines Versicherungsfalls noch keine Veranlassung zu der im Rahmen des § 1276 Abs 1 Satz 1 RVO vorzunehmenden Prognose. Dies war vielmehr erst bei der Urteilsfindung durch das LSG der Fall.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der Senat anschließt, liegen die Voraussetzungen des § 1276 Abs 1 Satz 1 RVO nur dann vor, wenn die Behebung der EU wahrscheinlich ist (vgl BSG SozR 2200 § 1276 Nr 6 S 14 ff, Nr 7 S 20). Die Möglichkeit einer Behebung muß also gegenüber anderen möglichen Verläufen deutlich das Übergewicht haben. So reicht eine Heilungschance von 50 vH noch nicht aus (vgl BSG SozR 2200 § 1276 Nr 6 S 16 f). Diesen Rechtsgrundsätzen hat das LSG hier nicht ausreichend Rechnung getragen. Seine Formulierungen in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils legen den Schluß nahe, daß es für die zeitliche Begrenzung der Rentengewährung bereits eine bloße Heilungsmöglichkeit ausreichen läßt. So weist die Vorinstanz darauf hin, daß das Gutachten des Dr. K. … die Möglichkeit offen lasse, daß eine Abhilfe mit fremder Unterstützung möglich sei. Ferner begnügt sich das LSG mit der Aufzählung von bestimmten Behandlungsweisen, die bei der Klägerin noch nicht hinreichend angewandt worden seien. Weiter führt es aus, von einer Nichttherapierbarkeit der Klägerin könne erst ausgegangen werden, wenn entsprechende psychotherapeutische Behandlungsansätze von einem türkisch sprechenden Arzt erfolglos durchgeführt worden seien. Das Ausmaß einer Heilungschance wird dabei nicht erörtert. Den Feststellungen des LSG läßt sich somit nicht entnehmen, daß der vom LSG angenommenen Möglichkeit einer Behebung der EU der Klägerin gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt. Schon aus diesem Grunde bedarf es einer weiteren Sachaufklärung, die der Senat nicht selbst durchführen kann. Die erforderlichen Ermittlungen sind nunmehr vom LSG nachzuholen.
Darüber hinaus greifen auch die zu diesem Punkt von der Klägerin angebrachten Verfahrensrügen durch. Das LSG hat seine Feststellungen unter Verstoß gegen §§ 103, 128 SGG getroffen, weil es die medizinische Frage einer zukünftigen Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin in Abweichung von der Beurteilung des Sachverständigen Dr. K. … beantwortet hat, ohne vorher eine weitere gutachtliche Anhörung durchzuführen oder eine etwa insoweit bestehende besondere eigene Sachkunde im Urteil darzulegen. Dies gilt auch für die voraussichtliche Dauer einer nach Auffassung des LSG erfolgversprechenden Therapie, welche den im Rahmen des § 1276 Abs 1 Satz 1 RVO maßgebenden Dreijahreszeitraum nicht überschreiten darf (vgl BSG SozR 2200 § 1276 Nr 6). Das LSG wird diese medizinischen Fragen grundsätzlich nur unter Zuhilfenahme eines ärztlichen Sachverständigen klären können.
Obwohl das Berufungsurteil in der Sache zum Teil bestehen bleibt, ist die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens insgesamt aufgehoben und die Sache auch insoweit zurückverwiesen worden, weil über die Kosten nur im Rahmen einer Gesamtabwägung befunden werden kann (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 62 S 201).
Fundstellen