Entscheidungsstichwort (Thema)
vorsätzlicher tätlicher Angriff. Gebrauch von Kraftfahrzeugen. Kleinkraftrad. Moped. Blockieren. Hindernis. Gewalt. Feindseligkeit. Ausschlußklausel. Härteregelung. Arbeitsunfall. Unfallversicherung. Entschädigungsfonds
Leitsatz (amtlich)
- Wer mit einem Hindernis absichtlich den Fahrweg eines anderen Verkehrsteilnehmers blockiert, begeht einen vorsätzlich rechtswidrigen tätlichen Angriff iS von § 1 OEG auch dann, wenn er sich nur einen groben Scherz erlauben will.
- Benutzt jemand ein Kraftfahrzeug als Hindernis, so liegt ein die Entschädigung nach dem OEG ausschließender Gebrauch eines Kraftfahrzeugs auch dann vor, wenn der Motor nicht in Betrieb ist.
- Die Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung schließt das Eingreifen der Härteregelung des § 10a OEG aus.
Normenkette
OEG §§ 1, 10a; PflVG § 12
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 25.11.1993; Aktenzeichen L 5 V 747/90) |
SG Kassel (Urteil vom 21.03.1990; Aktenzeichen S 6 A/1 (6) V 443/85) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. November 1993 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die 1941 geborene Klägerin befand sich im Jahre 1958 mit dem Fahrrad von einer Freizeiteinrichtung kommend auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle, als zwei unbekannt gebliebene Jugendliche durch plötzliches Querstellen von Kleinkrafträdern ihren Fahrweg blockierten. Bei ihrem Versuch anzuhalten bzw auszuweichen, kam die Klägerin zu Fall. Infolge des Sturzes ist sie querschnittsgelähmt mit einer Blasen- und Darminkontinenz. Sie ist als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Ihr im Februar 1985 gestellter Antrag auf Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wurde vom Versorgungsamt mit der Begründung abgelehnt, daß bei Schädigungen durch den Gebrauch von Kraftfahrzeugen Versorgungsleistungen ausgeschlossen seien (Bescheid vom 21. November 1985). Die dagegen erhobene Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, bei dem Verhalten der Jugendlichen habe es sich nicht um einen vorsätzlichen tätlichen Angriff auf die Klägerin gehandelt. Es fehle an der feindseligen Einstellung der jungen Männer, die sich offensichtlich nur einen groben Scherz gegenüber der Klägerin hätten erlauben wollen (Urteil vom 21. März 1990). Die Berufung blieb ebenfalls erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat zwar einen vorsätzlichen tätlichen Angriff in Form einer vorsätzlichen Nötigung bejaht, jedoch die Auffassung der Verwaltung bestätigt, daß ein Anspruch nach § 1 Abs 6 OEG aF ausgeschlossen sei. Dieser Ausschluß, der bei der Erstreckung des OEG im Jahre 1984 auf die sog Altfälle nicht eingeschränkt worden sei, gelte auch im Falle der Klägerin, selbst wenn sie Schadensersatzansprüche gegen die unbekannten Schädiger, deren Haftpflichtversicherung oder den Entschädigungsfonds der Haftpflichtversicherer nicht durchsetzen könne. Der Ausschluß von Entschädigungsleistungen sei zwar im Falle der Klägerin eine besondere Härte, deshalb aber nicht verfassungswidrig iS eines Verstoßes gegen die Art 3 und 20 Grundgesetz ≪GG≫ (Urteil vom 25. November 1993).
Dagegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1 Abs 6 OEG aF und 10 ff OEG. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, die Schädigung sei durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verursacht worden. Denn die Tatsache, daß es sich um Kleinkrafträder gehandelt habe, sei von völlig untergeordneter Bedeutung gewesen. Der Unfall hätte in gleicher Weise durch das Querstellen von Fahrrädern oder sonstige Hindernisse verursacht werden können. Selbst wenn aber von einem Gebrauch von Kraftfahrzeugen auszugehen sei, komme die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 1 Abs 6 OEG aF nicht in Betracht. Bei der Erstreckung des Opferschutzes auch auf die sog Altfälle sei der Gesetzgeber irrtümlich davon ausgegangen, daß die Opfer von Kraftfahrzeugunfällen durch das Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (PflVG) geschützt seien. Er habe aber dabei übersehen, daß das PflVG sich keine Rückwirkung auf Fälle vor seinem Inkrafttreten im Jahre 1965 beimesse. § 1 Abs 6 OEG aF sei deshalb verfassungskonform dahin auszulegen, daß er nicht für Fälle gelte, in denen wegen des Gebrauchs eines Kraftfahrzeuges anderweitig kein Schadensersatz zu erlangen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts aufzuheben und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 21. November 1985 zu verurteilen, den Unfall vom 6. Juli 1958 als schädigendes Ereignis iS des OEG anzuerkennen und Versorgungsleistungen nach dem OEG zu gewähren.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag, die Beigeladene zu 2 schließt sich jedoch dem Vorbringen der Klägerin an.
Durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Oktober 1994 – 2 RU 31/93 – ist der zuständige Unfallversicherungsträger verurteilt worden, den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin Entschädigungsleistungen nach dem OEG nicht zu gewähren sind, weil Schädigungen durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges ausgenommen sind. Darin, daß der Gesetzgeber das Eintreten des Entschädigungsfonds für Verkehrsopfer durch das PflVG von 1965 nicht rückwirkend angeordnet hat, oder bei der Einführung der Härteregelung des § 10a OEG die sog Altfälle ebenso wie die Neufälle von Schädigungen durch Kraftfahrzeuge ausgenommen hat, liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 GG, weil die Härteregelung allgemein nicht eingreift, soweit die gesetzliche Unfallversicherung gleichwertige Entschädigungsleistungen gewährt.
Zutreffend hat das Berufungsgericht in Abweichung von dem Sozialgericht bejaht, daß die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 OEG geworden ist. Nach seinen unangegriffenen Feststellungen haben die unbekannt gebliebenen Jugendlichen durch ihre Mopeds den Fahrweg der Klägerin vorsätzlich blockiert, um sie zum Anhalten zu bewegen. Das reicht aus, um einen vorsätzlichen tätlichen Angriff zu bejahen. Daß die unbekannten Täter den Sturz der Klägerin mit seinen verhängnisvollen Folgen nicht beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen haben, schließt den Tatbestand des vorsätzlichen Angriffs nicht aus. Der Vorsatz muß sich nur auf den Angriff als solchen, nicht aber auf den entstandenen Körperschaden gerichtet haben (BSG SozR 3-3800 § 1 Nr 1). Der tätliche Angriff muß auch nicht zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer führen. Es reicht aus, wenn das Opfer dem gegen ihn gerichteten körperlichen Angriff durch Ausweichen oder Flucht entgehen will und dabei zu Schaden kommt (vgl BSGE 56, 234 = SozR 3800 § 1 Nr 4; Wilke/Sailer, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG RdNr 6). Ein mitwirkendes Verschulden, das nach § 1 Abs 2 OEG den Anspruch ausschließen kann, ist bei dem gegebenen Sachverhalt nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen. Der Verwirklichung des Tatbestandes einer Schädigung durch einen tätlichen Angriff steht auch nicht entgegen, daß sich die unbekannten Täter subjektiv mit der Klägerin möglicherweise nur einen groben Scherz erlauben wollten und ihr gegenüber keine feindselige Haltung gehabt haben. Es genügt, daß das Handeln des Angreifers vorsätzlich und auf Rechtsbruch gerichtet ist (vgl dazu neuerdings BSG Urteil vom 18. Oktober 1995 – 9 RVg 4/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Der vorsätzliche rechtswidrige Angriff gegen die körperliche Integrität oder die körperliche Bewegungsfreiheit einer anderen Person reicht damit in der Regel aus, um den Tatbestand zu erfüllen. Lediglich soweit Handlungen im Rahmen des sozial Üblichen geschahen, etwa durch körperliche Kontakte auf Volksfesten (BSG SozR 3800 § 1 Nr 6), ist ihre Rechtswidrigkeit zu verneinen und sind etwaige fahrlässige Verletzungsfolgen von der staatlichen Entschädigungspflicht ausgeschlossen. Das LSG hat angenommen, die unbekannten Täter hätten sich im strafrechtlichen Sinne einer Nötigung gemäß § 240 Strafgesetzbuch schuldig gemacht, weil das Blockieren oder Versperren eines Weges durch Bereiten von Hindernissen als Ausübung von Gewalt iS dieses strafrechtlichen Tatbestandes angesehen werden müsse. Es kann offenbleiben, ob im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfG NJW 1995, 1141 = NVwZ 1995, 576) zur Erfüllung des Nötigungstatbestandes durch Sitzblockaden an dieser strafrechtlichen Einordnung festzuhalten ist. Dies ist für die Entschädigung nach dem OEG nicht entscheidend (BSG SozR 3-3800 § 1 Nr 1). Zu entscheiden ist auch nicht darüber, ob durch sog passives Verhalten, das darauf angelegt ist, die genötigte Person selbst nicht körperlich zu gefährden, der Tatbestand des § 1 OEG erfüllt werden kann. Im vorliegenden Fall haben die unbekannten Täter ihre Fahrzeuge aktiv in einer Weise eingesetzt, daß für die Klägerin im Falle einer Kollision ernsthafte Verletzungsgefahr drohte, der sie durch scharfes Bremsen und Ausweichen entgehen wollte.
Ebenfalls zutreffend hat das LSG angenommen, daß § 1 Abs 6 aF, jetzt § 1 Abs 11 OEG idF durch das Gesetz vom 21. Juli 1993 (BGBl I 1262) Entschädigungsleistungen nach dem OEG ausschließt. Nach dieser Vorschrift ist das Gesetz nicht anzuwenden auf Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder eines Anhängers verursacht worden sind. Die Klägerin ist durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs geschädigt worden, selbst wenn die Motoren der Kleinkrafträder nicht in Betrieb waren und die Fahrzeuge nicht bestimmungsgemäß im Verkehr bewegt worden sind, sondern vorsätzlich als Instrumente zum Blockieren des Fahrwegs der Klägerin benutzt worden sind. Das OEG verwendet den Begriff des Gebrauchs in gleichem Sinne wie das PflVG vom 5. April 1965 (BGBl I 213), das durch das OEG vom 11. Mai 1976 (BGBl I 1181) in seinem § 12 Abs 1 um die Nr 3 erweitert worden ist. Danach tritt der Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen (Entschädigungsfonds) auch ein, wenn für den Schaden, der durch den Gebrauch des ermittelten oder nicht ermittelten Fahrzeugs verursacht worden ist, eine Haftpflichtversicherung deswegen keine Deckung gewährt oder gewähren würde, weil der Ersatzpflichtige den Eintritt der Tatsache, für die er dem Ersatzberechtigten verantwortlich ist, vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat. Diese Ergänzung ist vorgenommen worden, um einerseits einen lückenlosen Schutz für die Opfer von Verkehrsunfällen zu gewährleisten, andererseits aber auch die Opfer vorsätzlicher Handlungen im Verkehr nicht nach dem OEG zu entschädigen, sondern ihre Schadensersatzansprüche durch das Eintreten der Haftpflichtversicherung oder des von den Haftpflichtversicherern getragenen Entschädigungsfonds zu sichern (BT-Drucks 7/2506, S 18). Der in beiden Gesetzen deckungsgleich verwandte Begriff des Gebrauchs des Kraftfahrzeugs ist eher weiter zu verstehen als der in § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) verwandte Begriff des Betriebs eines Kraftfahrzeugs. Er bestimmt sich nach dem Interesse, das der Versicherte daran hat, durch den Einsatz des Kraftfahrzeugs nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, unabhängig ob diese auf den §§ 7 f StVG, §§ 823 f Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder anderen Haftungsnormen beruhen. Entscheidend ist allein, ob der Schadensfall mit dem Gefahrenbereich, für den der Versicherer dekkungspflichtig ist, in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang steht, ob sich also die von dem Kraftfahrzeug als solchem ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf ausgewirkt hat (vgl BGHZ 75, 45, 48; 78, 52, 54 f; BGHR BGB § 840 Abs 3 Tiergefahr 1 = MDR 1995, 42). Schon der engere Begriff des Betriebs eines Kraftfahrzeuges ist selbst dann erfüllt, wenn das Fahrzeug als Waffe oder Werkzeug vorsätzlich gegen einen Menschen gerichtet wird (BGHZ 37, 311 f) und auch dann, wenn es mit abgestellten oder auch defektem Motor als Gefahrenquelle im Straßenverkehr weiterwirkt (BGHZ 29, 163; BGH NJW 1957, 1878). Lediglich dann, wenn jede Auswirkung oder Fortwirkung der einem Fahrzeug innewohnenden Betriebsgefahr auszuschließen ist in der Weise, daß auch keine noch so lose Verbindung zu dem Betrieb besteht, wie zB bei einem Fahrzeug, das nur als Lichtquelle benutzt wird, ist ein Betrieb des Fahrzeugs zu verneinen (BGH MDR 1961, 405). Die unbekannten Täter haben ihre Fahrzeuge in einer Weise benutzt, daß sie ein Hindernis im Fahrweg der Klägerin darstellten. Dies ist eine typische, von Kraftfahrzeugen im Verkehr für andere Verkehrsteilnehmer ausgehende Gefahr; daß sie hier vorsätzlich herbeigeführt wurde, hat außer Betracht zu bleiben. Die Erwägung der Revision, daß ein gleicher Erfolg auch ohne die Benutzung eines Kraftfahrzeugs hätte herbeigeführt werden können, ändert nichts an dem tatsächlichen Verlauf und seiner Ursächlichkeit für die schweren Verletzungen der Klägerin, sondern zeigen nur einen Verlauf auf, bei dem Ansprüche nach dem OEG zu begründen wären. Die Klägerin hätte aber anstelle von Ansprüchen nach dem OEG einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 12 PflVG gegen den Entschädigungsfonds, wenn dieser Fonds bereits zum Zeitpunkt des Unfalls existent gewesen wäre oder sich das PflVG insoweit Rückwirkung beigemessen hätte. Beides ist indessen nicht der Fall.
Durch die Erstreckung des OEG auf sog Altfälle durch das 1. Änderungsgesetz zum OEG vom 20. Dezember 1984 (BGBl I 1723) wurde diese Lücke im Schutz für Opfer von Verkehrsunfällen nicht behoben. § 10a OEG erstreckt seitdem Ansprüche auf Versorgung auch auf Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, allein infolge der Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind und im Geltungsbereich des Gesetzes wohnen. Durch die Änderung ist der Leistungsausschluß für Opfer von Kraftfahrzeugunfällen unberührt geblieben. Der Klägerin ist einzuräumen, daß der Gesetzgeber bei der Einführung der Härteregelung durch §§ 10f OEG möglicherweise unversorgte Opfer aus Verkehrsunfällen übersehen hat. Es ist aber schon fraglich, ob er diese Lücke – wenn er sie erkannt hätte –, dadurch geschlossen hätte, daß er Leistungen nach dem OEG auch für diese Opfer vorgesehen hätte, oder nicht statt dessen – systemgerecht – rückwirkend Ansprüche nach dem PflVG eingeräumt hätte. Die Klägerin wird durch den Ausschluß aber nicht unbillig hart getroffen und gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 GG in unvertretbarer Weise benachteiligt, weil sie selbst dann, wenn sie nicht Opfer eines Kraftfahrzeugunfalls geworden wäre, aufgrund der neu eingeführten Härteregelung keinen nachträglichen Schutz durch die Gewaltopferentschädigung erhalten hätte. Mit der sog Härteregelung wollte der Gesetzgeber im nachhinein aus Gründen der Billigkeit solchen Fällen Rechnung tragen, in denen die Opfer von Gewalttaten besonders schwer geschädigt worden und ohne ausreichendes Einkommen geblieben sind. Bestimmte Leistungen wie Berufsschadensausgleich und Schadensausgleich hat er dabei ausgenommen, weil nur der notwendige Lebensunterhalt sichergestellt werden sollte (§ 10a Abs 5 OEG; dazu Gesetzesbegründung BT-Drucks 10/2103). Die Klägerin ist schwerbeschädigt und wohnt im Bundesgebiet, dem Geltungsbereich des Gesetzes; hinsichtlich ihres Einkommens fehlt es bislang an Feststellungen.
Solcher Feststellungen bedarf es deshalb nicht, weil bereits die Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Unfallversicherung die Bedürftigkeit ausschließt. Zwar bestimmt sich nach der Regelung des § 10a Abs 2 und Abs 3 OEG die Bedürftigkeit allein nach der Höhe des Einkommens iS von § 33 Bundesversorgungsgesetz (BVG), der die Anrechnung von Einkommen auf die Ausgleichsrente regelt. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 33 Abs 6 BVG verordnet, daß Renten der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Feststellung der Ausgleichsrente als Einkünfte berücksichtigt werden (§ 1 Abs 3 Nr 3 der Ausgleichsrentenverordnung idF der Bekanntmachung vom 1. Juli 1975 ≪BGBl I 1769≫, der von den nachfolgenden Änderungen unberührt geblieben ist). Bei wörtlicher Auslegung der Rechtsvorschriften würden danach Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erst dann zum Wegfall der Bedürftigkeit führen, wenn sie eine bestimmte Höhe erreichen. Dies kann aber nicht der Sinn der Härteregelung sein. Es kann ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber Anlaß gesehen hätte, eine Versorgungslücke zu schließen, wenn – wie im Falle der Klägerin die gesetzliche Unfallversicherung bereits für den Schaden eintritt. Aus der allgemeinen gesetzgeberischen Konzeption ergibt sich nämlich, daß Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung vorrangig sind und die Leistungen der Gewaltopferentschädigung verdrängen. § 3 Abs 4 OEG hat das in § 541 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung geregelte Rangverhältnis zwischen Unfallversicherung und Kriegsopferversorgung, das durch Anordnung der Versicherungsfreiheit der Kriegsopferversorgung den Vorrang einräumt, nicht übernommen, um Gewaltopfer nicht von im Einzelfall höheren Leistungen der Unfallversicherung auszuschließen (BT-Drucks 7/2506). Das führt im Konkurrenzfall zur entsprechenden Anwendung des § 65 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BVG, wonach die Versorgungsbezüge in Höhe der Bezüge der gesetzlichen Unfallversicherung ruhen, diese aber vorrangig sind und allenfalls ein sich ausnahmsweise ergebender Spitzenbetrag als Versorgungsleistung zu gewähren ist. Wegen eines solchen Spitzenbetrages bedurfte es aber keiner Härteregelung.
Bei der Ergänzung des OEG um die Härtefallregelung ist zwar nur auf die Bedürftigkeit abgestellt und nicht ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden, daß Leistungen jedenfalls insoweit ausscheiden, als bereits Sozialversicherungsträger eingetreten sind. Ein dahingehender Vorschlag des Bundesrates (vgl BT-Drucks 10/2103, S 7) ist nicht aufgegriffen und im Gesetzgebungsverfahren weiterverfolgt worden. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers eine bereits bestehende Versorgung durch einen Sozialversicherungsträger die Annahme eines Härtefalls nicht hindern und das rückwirkende Eintreten der Opferentschädigung nicht ausschließen sollte. Denn die Anregung des Bundesrates betraf allein die Heilbehandlung, die bei vielen Gewaltopfern dadurch sichergestellt war, daß sie Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung waren. Dies – so kann aus dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens geschlossen werden – sollte dem nunmehrigen Eintreten der Gewaltopferentschädigung auch für die Kosten der Heilbehandlung nicht entgegenstehen. Etwas anderes ist es aber, wenn ein Sozialversicherungsträger mit Leistungen einzutreten hat, die neben der Heilbehandlung die Rehabilitation und vor allem den Lebensunterhalt sicherstellen, wie es bei der gesetzlichen Unfallversicherung der Fall ist. Selbst wenn im Einzelfall die Höhe der Leistungen zwischen Unfallversicherung und OEG unterschiedlich sein kann, kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe bei anerkannten Arbeitsunfällen nachträglich der Versorgungsverwaltung noch die Verpflichtung auferlegen wollen zu ermitteln, ob außerdem Leistungen nach dem OEG in Betracht kommen. Die Härtereglung des § 10a OEG ist deshalb nach Sinn und Zweck einschränkend dahin zu interpretieren, daß die Leistungspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung ihre Anwendung ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen