Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 01.04.1992)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. April 1992 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung durch den Beklagten.

Nach seiner im Oktober 1979 erfolgten Facharzt-Anerkennung war er zunächst als Oberarzt in einer Dortmunder Klinik tätig. Mit Beschluß des Zulassungsausschusses vom 3. Juli 1985 wurde er als Internist zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und nahm noch am gleichen Tag seine kassenärztliche Tätigkeit in einer Praxis auf, in der er bereits ab 1. Januar 1985 seinen Praxisvorgänger vertreten hatte.

Von Beginn seiner kassenärztlichen Tätigkeit an gab der Kläger nahezu in jedem Quartal den Prüfgremien Anlaß, seine Abrechnungen sowohl im Primärkassen- als auch im Ersatzkassen-Bereich wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise zu beanstanden. Im Primärkassen-Bereich blieb von den Quartalen III/85 bis IV/90 lediglich das Quartal I/90 ohne Beanstandung. Im Ersatzkassen-Bereich ergaben sich von den Quartalen III/85 bis I/90 lediglich für die Quartale IV/86 und II/87 keine Kürzungen. Die Höhe der Kürzungen betrug für den Primärkassen-Bereich im Durchschnitt je gekürztem Quartal 235045 Punkte, für den Ersatzkassen-Bereich von Quartal III/85 bis III/87 im Durchschnitt 8.642,– DM, für die Quartale IV/87 bis I/90 im Durchschnitt 26804 Punkte. Der durchschnittliche Gesamtfallwert des Klägers lag ständig über dem Fachgruppendurchschnitt. Für den Primärkassen-Bereich wurden Überschreitungen bis zu 206% (IV/85) und 4,1 S (III/90), im Ersatzkassen-Bereich bis zu 284% (I/86) und 3,4 S (IV/87) erreicht.

Durch bestandskräftig gewordenen Bescheid des Disziplinarausschusses der Beigeladenen zu 1) vom 24. April 1989 wurde dem Kläger wegen fortgesetzter unwirtschaftlicher Behandlungsweise (bezogen auf die Quartale bis III/88) und wegen einer fehlerhaften Abrechnung auf einem Notfallschein eine Geldbuße in Höhe von 5.000,– DM auferlegt.

Auf den Antrag der Beigeladenen zu 1) vom 25. Januar 1990 entzog der Zulassungsausschuß für Ärzte dem Kläger durch Beschluß vom 12. März 1990 die Zulassung zur Ausübung kassenärztlicher Tätigkeit. Der Kläger habe seine Verpflichtung zur peinlich genauen Leistungsabrechnung gröblich in erheblichem Umfang verletzt und gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit nachhaltig in erheblichem Umfang verstoßen. In der dazu gegebenen Rechtsbehelfsbelehrung wird erklärt, daß der Widerspruch mit Angaben von Gründen zu versehen sei und den Beschluß bezeichnen müsse, gegen den er sich richte.

Den vom Kläger gegen diesen Beschluß erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Beschluß vom 12. September 1990 als unbegründet zurück. Zwar sei der Widerspruch trotz Überschreitung der für ihn an sich gegebenen Frist aufgrund des § 66 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig; sachlich sei er jedoch wegen der erheblichen Verstöße des Klägers gegen seine Verpflichtungen zur peinlich genauen Leistungsabrechnung und wirtschaftlichen Behandlungsweise unbegründet.

Die gegen diesen Beschluß erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 17. April 1991 abgewiesen. Zu Recht habe der Beklagte den Widerspruch des Klägers als zulässig angesehen. Auch die Sachentscheidung sei nicht zu beanstanden, denn der Kläger habe gegen seine kassenärztlichen Pflichten zur peinlich genauen Leistungsabrechnung und zur wirtschaftlichen Behandlungsweise grob verstoßen, was nach § 95 Abs 6 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) die Entziehung der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit zur Folge habe.

Während des Klageverfahrens hat die Beigeladene zu 1) beantragt, die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Beklagten vom 12. September 1990 anzuordnen. Mit Beschluß vom 26. Februar 1991 hat das SG den Antrag zurückgewiesen. Der von der Beigeladenen zu 1) dagegen eingelegten Beschwerde hat es mit Beschluß vom 19. April 1991 insoweit abgeholfen, als es die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Beklagten vom 12. September 1990 mit Wirkung vom 1. Juni 1991 angeordnet hat. Diesen Beschluß hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Beschwerde des Klägers durch Beschluß vom 2. September 1991 aufgehoben.

Durch Beschluß vom 9. Oktober 1991 bestätigte der Zulassungsausschuß für Kassenärzte seine Entscheidung vom 12. März 1990 unter Verwertung der gegen den Kläger zusätzlich erhobenen Vorwürfe (Überprüfung der Ultraschalltätigkeit, Verstöße gegen ärztliche Dokumentationspflicht, „Zwangsuntersuchung”).

Durch Urteil vom 1. April 1992 hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 17. April 1991 zurückgewiesen und auf die Klage den Bescheid des Zulassungsausschusses vom 9. Oktober 1991 aufgehoben. Zur Begründung hat es zunächst ausgeführt, daß über den Ergänzungsbeschluß des Zulassungsausschusses nicht auf Berufung, sondern auf Klage zu entscheiden sei. Die Besonderheiten des kassenärztlichen Zulassungsentziehungsverfahrens und der Zweck des § 96 SGG erforderten die Einbeziehung des Beschlusses in das vorliegende Verfahren. Der Beschluß sei allerdings rechtswidrig, weil er nicht von der zuständigen Behörde – dem Berufungsausschuß – erlassen worden sei. Der Berufungsausschuß sei mit Erhebung des Widerspruches die zuständige Behörde für die Zulassungssache; seine Entscheidung stehe im gerichtlichen Verfahren als bestimmend im Vordergrund. Dies gelte jedenfalls in einem Fall wie hier, wo die neue Entscheidung des Zulassungsausschusses unmittelbar den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, nämlich die vom Berufungsausschuß verfügte Entziehung der Zulassung, betreffe. Ob die Rechtsbehelfsbelehrung im Beschluß des Zulassungsausschusses unrichtig gewesen und deshalb nach § 66 Abs 2 SGG an die Stelle der Monatsfrist die Jahresfrist getreten sei, könne dahinstehen. Denn die Versäumung der Monatsfrist wäre jedenfalls deshalb unschädlich, weil der Beklagte eine sachliche Entscheidung über den Widerspruch getroffen habe. Zu Recht habe der Beklagte dem Kläger die Zulassung entzogen, weil der Kläger seine Pflichten als Kassenarzt mehrfach erheblich verletzt habe. Gegen die Pflicht zur wirtschaftlichen Behandlung habe der Kläger seit Beginn seiner Tätigkeit fast durchgehend verstoßen, was zu zahlreichen, rechtsbeständig gewordenen Kürzungen seiner Honorarabrechnungen wegen Unwirtschaftlichkeit und zu einer Disziplinarmaßnahme geführt habe. Diese Entscheidungen seien im Zulassungsentziehungsverfahren nicht mehr auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Im vorliegenden Fall ergebe auch die Bewertung, daß es sich um schwerwiegende Pflichtverstöße handele. Von der Aufnahme seiner Tätigkeit im Quartal III/85 bis jedenfalls zum Quartal IV/88 habe der Kläger im Primärkassen- und Ersatzkassen-Bereich fast in jedem Quartal Kürzungen wegen Unwirtschaftlichkeit hinnehmen müssen, die auch betragsmäßig von erheblichem Gewicht gewesen seien. Daß dann ein „Wohlverhalten” eingetreten sei, sei nicht ersichtlich. Auch für die nachfolgenden Quartale hätten die Prüfgremien erhebliche Kürzungen ausgesprochen. Diese Kürzungen seien zwar noch nicht (durchweg) rechtsverbindlich. Der Senat berücksichtige sie daher nur insoweit, als er ihnen entnehme, daß eine grundlegende Änderung im Behandlungsverhalten des Klägers nicht eingetreten sei, zumal der Kläger selbst im vorliegenden Fall auf neue Praxisbesonderheiten oder ähnliches nicht abgehoben habe. Es sei auch bedacht worden, daß sich die Kürzungen wegen Unwirtschaftlichkeit in der Regel auf einzelne Leistungen oder Leistungsbereiche bezogen hätten. Im Zulassungsentziehungsverfahren hätte deshalb möglicherweise zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden können, wenn er im Gesamtfallwert unauffällig gewesen wäre. So liege es aber nicht. Er habe stets über dem Durchschnitt seiner Fachgruppe gelegen, wenn auch in wechselnden Größenordnungen. Es falle auf, daß auch nach der Entscheidung des Disziplinarausschusses und nach Einleitung des Zulassungsentziehungsverfahrens keine Reduzierung der Überschreitungen eingetreten sei, sondern diese sogar nach oben angestiegen seien. Der Kläger habe auch seine Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung verletzt. Dies werde anhand der Prüfliste für das Quartal II/89 deutlich. Den hier begangenen Abrechnungsfehler hinsichtlich der Nr 25 bzw Nr 26 Bewertungsmaßstab für kassenärztliche Leistungen (BMÄ) habe der Kläger im darauffolgenden Quartal III/89 erstaunlicherweise nicht behoben, sondern – wenn auch in geringerem Umfang und anderer Weise – fortgesetzt. Auf Abrechnungsfehler ließen auch die vom Kläger bei der Abrechnung der Nr 26 BMÄ angegebenen Uhrzeiten schließen. Daß die Abrechnungen in der konkret vorgenommenen Form nicht stimmen könnten, werde vom Kläger selbst auch nicht in Frage gestellt. Wenn er dagegen lediglich geltend mache, daß diese Fehler auf Unerfahrenheit und Ungeschick seiner Helferinnen beruhten, so könne er sich hierauf nicht mit Erfolg berufen. Insofern treffe ihn eine gesteigerte Kontroll- und Überwachungspflicht, und er handele pflichtwidrig, wenn er sich unbesehen auf seine Hilfskräfte verlasse. Schließlich habe der Kläger auch die Wegegeldliste für das Quartal II/89 fehlerhaft erstellt, indem er hier für verschiedene Fahrten zuviel an km-Geld in Rechnung gestellt habe. Die dem Kläger in bezug auf das Gebot der peinlich genauen Leistungsabrechnung zur Last fallenden Pflichtverletzungen wögen schwer. Dies gelte auch dann, wenn der Kläger – wovon zu seinen Gunsten auszugehen sei – die Abrechnung der Besuche und der dabei erbrachten ärztlichen Leistungen nicht selbst gefertigt, sondern unkontrolliert von seinen Helferinnen übernommen habe. Insgesamt zeige sich das Bild eines außerordentlich nachlässigen und damit unzuverlässigen Abrechnungsverhaltens des Klägers. Aufgrund der festgestellten schweren Pflichtverletzungen sei der Kläger ungeeignet, an der kassenärztlichen Versorgung teilzunehmen. Die ihm zur Last fallenden Pflichtverletzungen machten deutlich, daß er es mit zwei grundlegenden Säulen des deutschen Kassenarztrechts – dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Gebot der peinlich genauen Leistungsabrechnung – nicht genau nehme. Bei diesem rechtlichen Befund liege auf der Hand, daß die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) und die Krankenkassen dem Kläger keinerlei Vertrauen mehr entgegenbringen könnten. Die Vertrauensbasis sei tiefgreifend und nachhaltig zerrüttet. Die Entziehung der Zulassung des Klägers erscheine daher zur Sicherung des Systems der kassenärztlichen Versorgung geboten. Mit milderen Mitteln könne dieses Ziel nicht erreicht werden, da nach der bisherigen Entwicklung nicht anzunehmen sei, daß der Kläger durch Honorarkürzungen, Honorarberichtigungen und Disziplinarmaßnahmen dazu angehalten werden könne, Verständnis für die Anforderungen des Systems der kassenärztlichen Versorgung zu entwickeln.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sowohl das SG als auch das LSG seien im Hinblick auf die Bildung von Fachkammern bzw Fachsenaten für Kassenarztrecht und die Geschäftsverteilung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Das SG sei zudem örtlich nicht zuständig gewesen. Durch die Einbeziehung verschiedener weiterer Honorarkürzungsbescheide des Prüfungs- bzw Beschwerdeausschusses und den Umstand, daß diese zusätzlichen Honorarkürzungsbescheide in einer „Sonderakte” vom LSG abgeheftet worden seien, liege ein Verstoß gegen Art 103 Grundgesetz (GG), § 62 SGG. Die Bescheide seien nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung oder des Verfahrens vor dem Zulassungs- bzw Berufungsausschuß gewesen; wenn diese Bescheide in die tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes hätten einbezogen werden sollen, so hätte er (der Kläger) darauf ausdrücklich hingewiesen werden müssen. Mit der Entscheidung über den Bescheid des Zulassungsausschusses vom 9. Oktober 1991 habe das LSG gegen § 96 SGG verstoßen. In materiell-rechtlicher Hinsicht habe das LSG die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätze zur Entziehung der Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung verkannt und in der Subsumtion seines (des Klägers) Falles unrichtig angewendet. In den bei ihm festgestellten Abrechnungsfehlern könne keine grobe Pflichtverletzung gesehen werden. Auch sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in der zutreffenden Weise angewendet worden. Das Urteil des Berufungsgerichts beruhe auf einer Abweichung von der Entscheidung des BSG in BSGE 60, 76.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 1. April 1992 aufzuheben, soweit seine (des Klägers) Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. April 1991 zurückgewiesen wurde,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. April 1991 mit dem Beschluß des Zulassungsausschusses für Ärzte vom 12. März 1990 und den Beschluß des Beklagten vom 12. September 1990 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG, soweit es von der Revision angegriffen wird, für zutreffend und tritt insofern den erhobenen Rügen des Klägers entgegen. Im Wege der Gegenrüge stellt er die Auffassung des Berufungsgerichts zur Überprüfung, der Beschluß des Zulassungsausschusses vom 9. Oktober 1991 sei rechtswidrig, weil er nicht von der zuständigen Behörde erlassen wurde, vielmehr der Berufungsausschuß zuständig gewesen sei.

Die Beigeladenen zu 1), 2), 4) und 7) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie nehmen auf das angefochtene Urteil Bezug und erklären die vom Kläger erhobenen Rügen für unbegründet. Der Beigeladene zu 1) im besonderen erhebt dieselbe Gegenrüge wie der Beklagte.

Die Beigeladenen zu 3), 5), 6) und 8) haben sich zur Revision nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten, durch den der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 12. März 1990 inhaltlich bestätigt wurde, zu Recht die Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung entzogen worden. Die Abweisung der Klage durch das SG und die Zurückweisung der Berufung durch das LSG sind demzufolge nicht zu beanstanden.

Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen können keinen Erfolg haben. Die an erster Stelle geltend gemachte fehlerhafte Besetzung der vorinstanzlichen Gerichte ist nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden. Gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG sind, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben. Der Kläger hätte also konkrete Tatsachen benennen müssen, aufgrund derer die beiden Gerichte im Hinblick auf die Regelungen zur Bildung von Fachkammern bzw -senaten und die Geschäftsverteilung nicht ordnungsgemäß besetzt waren, wobei die entsprechenden Sachverhalte so genau bezeichnet werden mußten, daß das BSG sie, die Richtigkeit der Behauptung unterstellt, ohne weitere Ermittlungen beurteilen konnte (Meyer-Ladewig, SGG, Komm, 4. Aufl 1991, § 164 RdNr 12). Der Kläger hat keine näheren Ausführungen in diesem Sinn gemacht, sondern sich auf die Erklärung beschränkt, daß sich der Verfahrensmangel aus der „nicht vorgenommenen Überprüfung der ordnungsmäßigen Besetzung des Sozialgerichts Stuttgart und der hiermit gerügten Besetzung des Berufungsgerichts selbst” ergebe. Eine solche allgemein gehaltene, nur auf den Vorgang der Überprüfung und nicht deren Ergebnis abstellende Erklärung genügt jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Verfahrensrüge.

Die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des SG ist in der Revisionsinstanz bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen. Gemäß § 202 SGG iVm § 549 Abs 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) prüft das Revisionsgericht nicht, ob das Gericht des ersten Rechtszuges sachlich oder örtlich zuständig war.

Mit seiner Rüge der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs kann der Kläger schon deshalb nicht durchdringen, weil er nicht angegeben hat, welches Vorbringen ihm durch die (angebliche) Versagung des rechtlichen Gehörs abgeschnitten worden ist, dh welche erheblichen Hinweise er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs gegeben hätte (vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 160a RdNr 16 mwN). Davon abgesehen waren die Bescheide des Prüfungsausschusses für die Quartale IV/89 bis I/91 (für das Quartal III/90 jedenfalls die zugrundeliegende Prüfliste) dem Kläger bereits im Verfahren vor dem SG oder spätestens in der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts zur Kenntnis gebracht worden. Die bloße Tatsache, daß das LSG die vom Kläger aufgeführten Beschlüsse des Prüfungs-und des Beschwerdeausschusses in einer als „Sonderakte” bezeichneten Unterlagensammlung neben der eigentlichen Gerichtsakte zusammengefaßt hat, stellt für sich genommen noch keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar. Eine derartige aus Gründen der Übersichtlichkeit erfolgte Zusammenstellung der Prüf- und Widerspruchsbescheide für sechs aufeinanderfolgende Abrechnungsquartale läßt ohne zusätzliche Anhaltspunkte nicht den Schluß zu, daß das Gericht diese gesondert abgehefteten Beschlüsse nicht den Beteiligten zur Kenntnis und Stellungnahme gegeben hat. Der Kläger hat schließlich auch nicht, wie für eine beachtliche Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs erforderlich, näher dargetan, daß das Gericht bei Berücksichtigung der (dem Kläger angeblich verwehrten) Hinweise zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung in erster Linie nur auf die Bescheide bis zum Quartal IV/88 gestützt. Die für die nachfolgenden Quartale ausgesprochenen Kürzungen durch die Bescheide, die dem Kläger – wie zuvor gesagt – bereits vor dem SG oder spätestens in der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts zugänglich gemacht worden waren, hat das LSG nach seiner ausdrücklichen Formulierung in der Urteilsbegründung (Seite 24 des Urteils) nur insoweit berücksichtigt, als es ihnen entnommen hat, daß eine grundlegende Änderung im Behandlungsverhalten des Klägers nicht eingetreten sei, zumal der Kläger selbst im vorliegenden Falle auf neue Praxisbesonderheiten oder ähnliches nicht abgehoben habe. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Berufungsgericht damit keinen neuen rechtlichen Gesichtspunkt in die Bewertungsmaßstäbe für die Entziehung der Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung eingeführt. Denn es hat mit seiner Erwägung lediglich die durch die Rechtsprechung des BSG eröffnete Möglichkeit, ein nachträgliches Wohlverhalten eines Arztes bei der Prüfung einer Entziehung zu berücksichtigen (s BSGE 33, 161, 164 = SozR Nr 35 zu § 368a RVO; BSGE 43, 250, 254 = SozR 2200 § 368a Nr 3; BSG in ArztR 1980, 325 ff), für den vorliegenden Fall verneint, weil der Kläger eben kein solches positives Verhalten an den Tag gelegt hat.

Sofern der Kläger mit seinen Ausführungen zur Veränderung seines Verhaltens aufgrund der gegen ihn erhobenen Vorwürfe unwirtschaftlicher Behandlung – Abrechnung über ein Computer-Programm, eigenständige Berichtigung von Fehlern – eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des Berufungsgerichts nach § 103 SGG rügen will, hat er auch dies nicht in hinreichend substantiierter Weise getan. Er hätte dazu darlegen müssen, warum sich das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen und welche Ermittlungen dies hätten sein sollen; er hätte zugleich die weiter erforderlichen Beweismittel genau angeben und darlegen müssen, zu welchen Ergebnissen die Ermittlungen geführt hätten (BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG). An derartigen genaueren Angaben fehlt es bereits im Ansatz.

Die Rüge des Klägers, das Berufungsgericht habe gegen § 96 SGG verstoßen, und die in diesem Zusammenhang erhobenen Gegenrügen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind gegenstandslos. Sie betreffen lediglich die Entscheidung des LSG über die Klage gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom 9. Oktober 1991. Zu diesem Teil ist das Urteil des LSG jedoch rechtskräftig geworden. Der Kläger hat es nur insoweit angefochten, als seine Berufung zurückgewiesen worden ist (allgemein zur Frage der Zuständigkeit für eine Entscheidung, wie sie der Zulassungausschuß mit Bescheid vom 9. Oktober 1991 getroffen hat, vgl Urteil des Senats vom 27. Januar 1993, 6 RKa 40/91, zur Veröffentlichung bestimmt).

In materiell-rechtlicher Beziehung ist die Entscheidung des LSG, soweit sie durch die Revision dem Senat zur Entscheidung unterbreitet worden ist, nicht zu beanstanden. Das LSG steht mit den Rechtssätzen, die es der Beurteilung des konkreten Falles des Klägers zugrunde gelegt hat, in inhaltlicher Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zur Entziehung der Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung. Im besonderen ist eine Abweichung der Rechtsansicht, die für das LSG in seiner Entscheidung leitend ist, von dem Urteil des BSG vom 15. April 1986 – 6 RKa 6/85 – (BSGE 60, 76 = SozR 2200 § 368a Nr 15) nicht festzustellen. Abgesehen davon, daß das LSG auch diese Entscheidung in seiner Darstellung der Kriterien für eine gröbliche Pflichtverletzung wiederholt ausdrücklich genannt hat, hat es die in der Entscheidung entwickelten Gedanken in seiner Kriterienübersicht inhaltlich mit berücksichtigt.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß dem Berufungsgericht bei der konkreten Anwendung der dargelegten Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall Fehler unterlaufen sind. Dies gilt sowohl für die Einhaltung der Denkgesetze, die bei der Subsumtion des Einzelfalles zu beachten sind, als auch für das Verständnis insbesondere des Begriffes der „groben Pflichtverletzung”, den das LSG bei dem Kläger als erfüllt angesehen hat. Es hat hierbei zum einen zutreffend darauf abgestellt, von welcher Art, welchem Ausmaß und welchem Gewicht der jeweils nach den Umständen des Einzelfalles zu ermittelnde Pflichtverstoß ist. Diesen Pflichtverstoß hat es zum anderen zutreffend mit der Funktionsfähigkeit des Systems der kassenärztlichen Versorgung in dem Sinn in Zusammenhang gebracht, daß der Pflichtverstoß, um gröblich zu sein, eine weitere Zusammenarbeit zwischen dem Arzt und der KÄV sowie den Krankenkassen nicht mehr zumutbar sein läßt. Wenn es das Abrechnungsverhalten des Klägers über mehr als vier Jahre im bezeichneten Sinn als grobe Pflichtverletzung einstuft und den Kläger nicht dadurch für entlastet erachtet, daß – entsprechend dessen Vortrag – einen Teil der Fehler eine Hilfskraft verschuldet hat, so ist dies unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, bezüglich der Zurechnung des fehlerhaften Verhaltens der Hilfskraft vielmehr unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 278 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gerechtfertigt.

Schließlich ist auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu erkennen, wenn das Berufungsgericht mit Rücksicht auf das bisherige Verhalten des Klägers kein milderes Mittel für gegeben hält, um das System der kassenärztlichen Versorgung auch im Hinblick auf die Person des Klägers zu sichern. Wenn der Kläger trotz stets erneuter Beanstandung seiner Abrechnungen und trotz der gesonderten disziplinarischen Maßnahme durch den Disziplinarausschuß mit Beschluß vom 24. April 1989 keine Veränderung in seinen Abrechnungsmodalitäten erkennen ließ, so ist der Schluß nicht rechtsfehlerhaft, daß er durch derartige bereits für sich gravierende Maßnahmen nicht zu einem ordnungsgemäßen Verhalten gebracht werden konnte, sondern zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen kassenärztlichen Versorgung allein noch die Entziehung der Zulassung übrig blieb.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Satz 1 SGG. Eine Auferlegung der außergerichtlichen Kosten des Beklagten im Revisionsverfahren auf den auch mit der Revision unterlegenen Kläger kommt nicht in Betracht, weil die mit Wirkung vom 1. Januar 1993 in das Gesetz eingefügte Vorschrift des § 193 Abs 4 Satz 2 SGG auf Rechtsmittelverfahren, in denen das Rechtsmittel vor diesem Zeitpunkt eingelegt worden ist, keine Anwendung findet (Urteil des 3. Senats des BSG vom 30. März 1993 – 3 RK 1/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174283

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